BGE 124 V 393 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
68. Urteil vom 2. Dezember 1998 i.S. CSS Versicherung, SWICA Gesundheitsorganisation, Helsana Versicherungen AG gegen Bundesamt für Sozialversicherung, betreffend Visana | |
Regeste |
Art. 6 und Art. 48 lit. a VwVG; Art. 103 lit. a OG: Parteistellung. |
- Organe der mittelbaren Staatsverwaltung sind zur Beschwerde legitimiert, wenn sie von staatlichem Handeln wie ein Privater betroffen sind (Bestätigung der Rechtsprechung). |
- Für die Beurteilung der Beschwerdelegitimation im Sinne von Art. 48 lit. a VwVG sowie Art. 103 lit. a OG und damit der Parteistellung von Organen der mittelbaren Staatsverwaltung ist von entscheidender Bedeutung, ob ihnen das Gesetz im fraglichen Regelungsbereich eine Autonomie einräumt oder nicht. |
- Als Durchführungsorgane der sozialen Krankenversicherung verfügen die Krankenkassen in finanzieller Hinsicht nicht über eine ähnliche Autonomie und Gestaltungsfreiheit, wie sie Privaten zusteht. Die Parteistellung der Krankenkassen, welche nicht Adressaten der Verfügung waren, mit welcher das Eidg. Departement des Innern der Visana die Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung nach Art. 1 Abs. 1 KVG in acht Kantonen entzog, wird demzufolge verneint. | |
Sachverhalt | |
A.- Nach Kontakten mit dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) im Frühsommer 1998 fasste der Stiftungsrat der Krankenkasse Visana (nachfolgend: Visana) an seiner Sitzung vom 30. Juli 1998 den Beschluss, sich in den acht Kantonen Appenzell I.Rh., Appenzell A.Rh., Genf, Glarus, Graubünden, Jura, Neuenburg und Thurgau aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zurückzuziehen. Am 26. August 1998 reichte die Visana zusammen mit den Prämientarifen für 1999 dem BSV das schriftliche "Gesuch um Bewilligung der Sistierung der Durchführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung" in den erwähnten Kantonen ein.
| 1 |
Nachdem der Rückzug der Visana aus den acht Kantonen in der Öffentlichkeit thematisiert worden war, wandten sich die CSS Versicherung, die SWICA Gesundheitsorganisation und die Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: die drei Versicherer) am 9. September 1998 mit einem Gesuch um Gewährung der Akteneinsicht und des rechtlichen Gehörs an das Eidg. Departement des Innern (EDI) und das BSV. Das am 16. September 1998 mit dem Begehren um vorgängige Gewährung dieser Verfahrensrechte verdeutlichte Gesuch beschied das BSV mit Schreiben vom gleichen Tag abschlägig. Mit Verfügung vom 16. September 1998 entzog das EDI der Visana die Bewilligung "für die Durchführung der sozialen Krankenversicherung nach Art. 1 Abs. 1 KVG" in den acht Kantonen "per 31. Dezember 1998". Dieser Verwaltungsakt war mit zahlreichen Auflagen verbunden.
| 2 |
Am 17. September 1998 ersuchten die drei Versicherer formell um Gewährung der Akteneinsicht und des rechtlichen Gehörs, sowie, für den Fall der Weigerung, um Erlass einer anfechtbaren Verfügung. Mit Verfügung vom 24. September 1998, somit acht Tage nach Erlass der Departementsverfügung vom 16. September 1998, schrieb das BSV auf Weisung des EDI das Gesuch der drei Versicherer um vorgängige Gewährung der Akteneinsicht sowie des rechtlichen Gehörs als gegenstandslos geworden ab und wies im übrigen die Begehren um Gewährung der Akteneinsicht und des rechtlichen Gehörs mitsamt dem Ersuchen um Zustellung der Departementsverfügung ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 16. Oktober 1998 focht die Visana die Verfügung des EDI vom 16. September 1998 beim Eidg. Versicherungsgericht an.
| 3 |
B.- Die drei Versicherer lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen, einerseits mit den "materiellen Anträgen" auf Aufhebung oder Änderung der Departementsverfügung vom 16. September 1998 durch Anordnung verschärfter kumulativ zu erfüllender Auflagen, auf Aufhebung der bundesamtlichen Verfügung, verbunden mit der Anweisung an BSV oder EDI auf Zustellung der Departementsverfügung, andererseits mit den "prozessualen Anträgen" auf Vereinigung der Beschwerdeverfahren betreffend Departements- und Bundesamtsverfügung, allenfalls mit dem seitens der Visana eingeleiteten Beschwerdeverfahren gegen die Departementsverfügung, eventualiter auf Beiladung der drei anderen Krankenversicherer in das Beschwerdeverfahren der Visana; ferner sei ihnen nach erfolgter Akteneinsicht eine Frist anzusetzen, um weitere prozessuale Anträge zu stellen und die materiellen Anträge sowie die Begründung zu ergänzen, zu ändern oder zurückzuziehen.
| 4 |
C.- Mit Verfügung vom 22. Oktober 1998 forderte der Präsident des Eidg. Versicherungsgerichts BSV und Visana auf, sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde der drei Krankenversicherer vernehmen zu lassen, soweit sich diese auf die bundesamtliche Verfügung und die prozessualen Anträge und Vorbringen bezieht. Dem kamen die Visana und das BSV je mit Eingaben vom 6. November 1998 nach, wobei die Anträge auf Abweisung, im Falle des BSV, soweit darauf einzutreten sei, lauten.
| 5 |
6 | |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
7 | |
Hat eine nicht endgültig entscheidende Beschwerdeinstanz im Einzelfall eine Weisung erteilt, dass oder wie eine Vorinstanz verfügen soll, so ist die Verfügung unmittelbar an die nächsthöhere Beschwerdeinstanz weiterzuziehen; in der Rechtsmittelbelehrung ist darauf aufmerksam zu machen (Art. 47 Abs. 2 VwVG). Als nächsthöhere Beschwerdeinstanzen im Sinne dieses Absatzes 2 gelten auch das Bundesgericht und das Eidg. Versicherungsgericht; sie überprüfen die Rüge der Unangemessenheit, wenn die übersprungene Vorinstanz sie hätte überprüfen können (Art. 47 Abs. 3 VwVG). Auf dem Gebiet der Sozialversicherung ist das EDI eine Vorinstanz, deren Verfügungen (insbesondere Beschwerdeentscheide) nach Massgabe der Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 ff. und Art. 129 ff. OG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht weitergezogen werden können (Art. 98 lit. b OG; RKUV 1997 Nr. K 981 S. 85 Erw. 1a).
| 8 |
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine in Art. 47 Abs. 2 und 3 VwVG geregelte Situation des Sprungrekurses. Das BSV hat auf Weisung des EDI verfügt. Ein Weiterzug an das Departement mittels der ordentlicherweise gegebenen Verwaltungsbeschwerde wäre sinn- und zwecklos, weil zum voraus feststeht, wie die Aufsichtsbehörde entscheiden würde. Demzufolge ist direkt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die bundesamtliche Verfügung gegeben.
| 9 |
2. a) Zu prüfen ist, ob den drei Versicherern im Verfahren, in welchem das EDI der Visana die Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung nach Art. 1 Abs. 1 KVG in acht Kantonen am 16. September 1998 verfügungsweise entzogen und verschiedene Auflagen angeordnet hat, Parteistellung zukommt und ihnen aus diesem Grund die geltend gemachten Gehörs- und Verfahrensrechte zustehen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die drei Versicherer den Entzug der Bewilligung der Visana zur Durchführung der obligatorischen Krankenversicherung in den acht Kantonen (ebenfalls) nicht beschwerdeweise angefochten haben; die Frage, ob ihnen Parteistellung zukommt, ist daher für die Beurteilung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Visana betreffend die Verfügung des EDI nur insoweit von Belang, als CSS, SWICA und Helsana in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bezüglich der vom EDI verfügten Auflagen Anträge stellen, welche zum Nachteil der Visana über deren Rechtsbegehren hinausgehen.
| 10 |
Als Parteien gelten laut Art. 6 VwVG Personen, deren Rechte oder Pflichten die Verfügung berühren soll, und andere Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung zusteht. Parteieigenschaft besitzen somit vorab die Verfügungsadressaten. Partei ist aber auch, wer ein Rechtsmittel gegen die Verfügung ergreifen kann. Insofern sind die Legitimationsvorschriften zur Verwaltungsbeschwerde (Art. 48 VwVG) und zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 103 OG) auch für die Parteistellung massgebend (Saladin, Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 85 ff.; RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, S. 215 N. 1113). Art. 48 lit. a VwVG und Art. 103 lit. a OG umschreiben die Befugnis zur Einreichung des jeweiligen Rechtsmittels identisch und sind rechtsprechungsgemäss gleich auszulegen (BGE 123 II 378 Erw. 2 mit Hinweisen).
| 11 |
b) Nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde. Das rechtliche oder auch bloss tatsächliche Interesse braucht somit mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen sei und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehe (BGE 123 V 115 f. Erw. 5a, 315 f. Erw. 3b, je mit Hinweisen).
| 12 |
Art. 48 lit. a VwVG (und Art. 103 lit. a OG) umschreiben den Regelfall der Beschwerdeberechtigung privater, natürlicher oder juristischer Personen, die von einem staatlichen Hoheitsakt betroffen sind und eine Verfügung anfechten wollen (Individualbeschwerde). Aus der allgemeinen Staatsverwaltung ausgegliederte Körperschaften oder Anstalten (Organe der mittelbaren Staatsverwaltung), wozu als Durchführungsorgane auch Krankenversicherer zählen, welche die obligatorische Krankenpflegeversicherung betreiben (Art. 11 KVG), können die Individualbeschwerde gemäss Art. 103 lit. a OG nach Rechtsprechung und Lehre (BGE 124 II 304 Erw. 3b, BGE 123 V 115 f. Erw. 5a ; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., 1983, S. 167 ff.; RHINOW/KOLLER/KISS, a.a.O., Rz. 1267 ff. und 1508) insbesondere dort in Anspruch nehmen, wo sie von staatlichem Handeln wie ein Privater betroffen sind. Positiv formuliert liegt das Rechtsschutzinteresse im Sinne von Art. 48 lit. a VwVG und Art. 103 lit. a OG darin, dass eine erfolgreiche Beschwerde geeignet wäre, vom Durchführungsorgan wesentliche Nachteile abzuwenden oder ihm konkrete Vorteile zu verschaffen. Dabei fallen namentlich finanzielle Interessen in Betracht (vgl. BGE 114 V 95 f. Erw. 2; GYGI, a.a.O., S. 172). Für die Beurteilung der Beschwerdelegitimation und damit der Parteistellung von entscheidender Bedeutung ist, ob das Gesetz den Durchführungsorganen im fraglichen Regelungsbereich eine Autonomie einräumt oder nicht.
| 13 |
c) Im Einklang mit den Beschwerdeführerinnen kann angenommen werden, dass ihre Geschäftstätigkeit, d.h. die Art und Weise, wie sie organisatorisch, finanziell, personell, usw. die obligatorische Krankenversicherung betreiben, kraft der gesetzlichen Aufnahmepflicht (Art. 4 Abs. 2 KVG) von aus der Visana aus- und bei ihnen eintretenden Versicherten beeinflusst wird. Dass diese Betroffenheit aktuell, besonders und unmittelbar sei, kann nicht in Abrede gestellt werden, selbst wenn nicht zu verkennen ist, dass der durch den Teilrückzug der Visana erzwungene Wechsel von rund 100'000 Versicherten im Vergleich zur normalen Fluktuation, die sich laut Angaben des BSV auf jährlich bis zu 700'000 Zügerinnen und Züger beläuft, nicht von besonders schwerwiegender Bedeutung ist. Indessen ist die Frage, ob die Betroffenheit der drei Versicherer als individualrechtliches Berührtsein zu verstehen und daraus auf deren Parteistellung zu schliessen ist, im Lichte der vorstehenden Darlegungen (Erw. 2b hievor) zu verneinen. Die anerkannten Krankenkassen stehen als gesetzliche Durchführungsorgane der obligatorischen Krankenversicherung (Art. 11 KVG; RKUV 1997 KV Nr. 7 S. 218 Erw. 2a) einander in Rechten und Pflichten gleich. Sie sind einer Reihe von Vorschriften unterworfen, welche ihre Tätigkeit als Durchführungsorgane der sozialen Krankenversicherung als eine staatliche Aufgabe normieren. Gemäss Art. 12 Abs. 1 KVG verfolgen die Krankenkassen keinen Erwerbszweck und betreiben hauptsächlich die soziale Krankenversicherung. Die Versicherer, welche mit einer departementalen Bewilligung die soziale Krankenversicherung betreiben, müssen diese nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit durchführen und die Gleichbehandlung der Versicherten gewährleisten; ferner dürfen sie die Mittel der sozialen Krankenversicherung nur zu deren Zwecken (Gewinnausschüttungsverbot) verwenden (Art. 13 Abs. 1 und 2 lit. a KVG; vgl. MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 15 ff.). Angesichts dieser einschränkenden gesetzlichen Ordnung verfügen die Krankenkassen in finanzieller Hinsicht nicht über eine ähnliche Autonomie und Gestaltungsfreiheit, wie sie Privaten zusteht. Dementsprechend sind sie von der Verfügung des EDI zwar faktisch hinsichtlich ihrer Geschäftstätigkeit, nicht aber - wie ein Privater - in einem autonomer Regelung zugänglichen Bereich betroffen. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass sie unmittelbar eigene pekuniäre Interessen verfolgen. Anders als bei der Frage, ob sich die Visana in ihrem Autonomiebereich des Teilrückzuges von der Durchführung der obligatorischen Krankenversicherung die vom EDI angeordneten Einschränkungen und Auflagen gefallen lassen muss, ist bezüglich der drei Versicherer nach dem Gesagten in keiner Weise ersichtlich, inwiefern ihr Autonomiebereich durch die vom EDI erlassene Verfügung beeinträchtigt wäre.
| 14 |
d) Art. 6 VwVG stellt der individualrechtlichen die behördliche Parteistellung nur dort gleich, wo eine entsprechende gesetzliche Grundlage besteht. Eine solche ist im gesamten Krankenversicherungsrecht nicht vorhanden. Im Verfahrensrecht des Bundes, sei es im VwVG, sei es im OG, findet sich ebenfalls keine Grundlage, gestützt auf welche den vom Teilrückzug der Visana faktisch betroffenen an deren Durchführungsstellen der sozialen Krankenversicherung das Beschwerderecht und die daraus abgeleitete Parteistellung zuzuerkennen wären.
| 15 |
e) Nach dem Gesagten hat das BSV die Parteistellung der drei Versicherer zu Recht verneint. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten "prozessualen" Anträge auf Gewährung von Akteneinsicht, auf rechtliches Gehör, Eröffnung der Verfügung des EDI vom 16. September 1998 und Verfahrensvereinigung sind daher mangels Parteistellung der Beschwerdeführerinnen abzuweisen.
| 16 |
Die materiellen Anträge (Aufhebung oder Änderung der Verfügung des EDI, Aufhebung der Verfügung des BSV) werden demzufolge gegenstandslos. Soweit die drei Versicherer eventualiter die Beiladung zu dem von der Visana gegen die Departementsverfügung vom 16. September 1998 eingeleiteten verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren beantragen, wird das Gericht in jenem Hauptprozess von Amtes wegen prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Einbezug von CSS, SWICA und Helsana als Mitbeteiligte in den Schriftenwechsel gemäss Art. 110 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 132 OG erfüllt sind.
| 17 |
18 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |