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19. Urteil vom 24. März 1999 i.S. Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit gegen W. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 2bis AVIG: Anrechenbarkeit von Erziehungszeiten als Beitragszeiten. | |
Sachverhalt | |
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B.- In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, welches die minimale Beitragszeit von sechs Monaten innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist für die Beitragszeit auf Grund einer Addition der Dauern von beitragspflichtiger Beschäftigung und Erziehungsperiode als erfüllt betrachtete, die Sache an die Arbeitslosenkasse zurück, damit sie, nach Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen, über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu verfüge (Entscheid vom 14. November 1996).
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C.- Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (ab 1. Januar 1998: Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit [BWA]) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
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Während W. beantragen lässt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen, verzichtet die Arbeitslosenkasse auf eine Vernehmlassung.
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Auf die Vorbringen der Parteien wird in den nachstehenden Erwägungen Bezug genommen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Beitragszeit hat erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist für die Beitragszeit (zwei Jahre vor dem ersten Tag, für ![]() | 8 |
In Art. 11a AVIV legte der Bundesrat fest, dass die Versicherten das Ende der Erziehungsperiode selber bestimmen und es bis zum Zeitpunkt geltend machen können, in welchem das jüngste Kind das Alter von 16 Jahren erreicht (Abs. 1), und dass sie sich die Erziehungsperiode nur einmal als Beitragszeit anrechnen lassen können (Abs. 2). Nach der in ALV-Praxis 96/2 veröffentlichten Verwaltungsweisung des Bundesamtes war die Erziehungsperiode nur anrechenbar, wenn sie in der Rahmenfrist für die Beitragszeit mehr als 18 Monate gedauert hat. Gleichen Inhalts ist der auf den 1. Januar 1997 in Kraft gesetzte, vorliegend nicht anwendbare neue Art. 11a Abs. 2 AVIV.
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Von der Erfüllung der Beitragszeit ist befreit, wer innerhalb der Rahmenfrist während insgesamt mehr als 12 Monaten aus bestimmten, im Gesetz genannten Gründen nicht in einem Arbeitsverhältnis stand und deshalb die Beitragszeit nicht erfüllen konnte (Art. 14 Abs. 1 AVIG).
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Ebenfalls von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind Personen, die wegen Trennung oder Scheidung ihrer Ehe sowie aus weiteren im Gesetz genannten Gründen gezwungen sind, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern, falls das betreffende Ereignis höchstens ein Jahr zurückliegt (Art. 14 Abs. 2 AVIG).
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3. Eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit im Sinne von Art. 14 AVIG fällt im vorliegenden Fall ausser Betracht, da die Beschwerdegegnerin im April 1996, als sie Antrag auf Arbeitslosenentschädigung stellte, schon länger als ein Jahr geschieden war. Streitig und zu prüfen ist hingegen, ob sie in der vom 9. April 1994 bis 8. April 1996 dauernden Rahmenfrist für die Beitragszeit die gesetzliche Mindestbeitragszeit von sechs Monaten erfüllt hat. Da ![]() | 12 |
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5. Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des ![]() | 14 |
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Im Gesetzeswortlaut findet der Standpunkt des BWA somit keine Bestätigung.
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b) aa) Die bundesrätliche Botschaft zur 2. Teilrevision des Bundesgesetzes über die Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 29. November 1993, in deren Rahmen erstmals Erziehungszeiten als Beitragszeit angerechnet werden konnten, nannte als gesetzgeberisches Motiv die Behebung von Lücken im Versicherungsschutz, die sich daraus ergeben, dass Personen, die im Anschluss an die Erziehung eigener Kinder keine Arbeit finden, in der Regel keine genügende Beitragszeit in den letzten zwei Jahren vor Beginn der Arbeitslosigkeit nachweisen können (BBl 1994 I 345). Es wurde darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit der Erziehung von Kindern, die traditionellerweise von Frauen ausgeübt wird, eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat, welche Erkenntnis auch dem neuen Eherecht und der 10. AHV-Revision zu Grunde liegt. Gestützt auf Art. 4 Abs. 2 BV habe die Gesetzgebung indirekte Formen der Diskriminierung zu beheben, die sich als Folgen der traditionellen Rollenteilung ergeben können. Der Bundesrat schlug deshalb die Anrechnung der Erziehungszeiten als Beitragszeit vor, wie sie bereits für Militärdienstzeiten ausserhalb eines Arbeitsverhältnisses galt (BBl 1994 I 356).
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In den Räten konzentrierte sich die Debatte auf die Frage, ob die Erziehung von Kindern unter 16 Jahren bezüglich der Anrechnung ![]() | 18 |
bb) Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 13 Abs. 2bis AVIG wird deutlich, dass in Anerkennung des Wertes der unentgeltlichen - und meist von Frauen - geleisteten Betreuungsarbeit deren Diskriminierung im Bereich der Arbeitslosenversicherung durch Gleichstellung mit der beitragspflichtigen Erwerbsarbeit behoben werden sollte, dies indessen nur insoweit, als die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf Grund einer finanziellen Zwangslage erforderlich ist. Der Gesetzgeber wollte die Erziehungszeit gleich privilegiert behandelt wissen wie die Dienstleistung nach Art. 13 Abs. 2 lit. b AVIG (NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 182). Die gesetzgebenden Instanzen gingen wohl davon aus, dass als Regelfälle die Personen mit einer längeren Erziehungsperiode vor Beginn der Arbeitslosigkeit angesehen wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzgebenden Behörden den Anspruch auf diese Regelfälle beschränken wollten, finden sich jedoch nirgends. Im Gegenteil: Die vorstehend zitierte, unwidersprochen gebliebene Äusserung des Vertreters des Bundesamtes in der vorberatenden Ständeratskommission lässt darauf schliessen, dass Erziehungszeit nicht nur dann als Beitragszeit gelten sollte, wenn sie innerhalb der Rahmenfrist eine Mindestdauer erreicht, insbesondere 18 Monate gedauert hat, sodass das Erreichen einer genügenden Beitragszeit durch Erwerbsarbeit ausgeschlossen wäre.
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Der Standpunkt des BWA findet somit auch in der Entstehungsgeschichte von Art. 13 Abs. 2bis AVIG keine Stütze.
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Die Auffassung des BWA muss auf Grund der Gesetzessystematik als unzutreffend bezeichnet werden.
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8. a) Der Umstand, dass das Ende der Erziehungsperiode bei Beginn des geltend gemachten Anspruchs bereits über 20 Monate zurücklag, schadet der Beschwerdegegnerin nicht. Art. 14 Abs. 2 AVIG, welcher bestimmt, dass eine Befreiung von der Erfüllung der ![]() | 24 |
b) Bei der Berechnung der Beitragszeit sind Zeiten, während welcher eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde, und als Beitragszeit anrechenbare Perioden zusammenzuzählen (Art. 11 Abs. 2 und 3 AVIV; vgl. ARV 1993 Nr. 10 S. 93 f. Erw. 2c). Die Vorinstanz hat damit zu Recht erkannt, dass die Beschwerdegegnerin unter Anrechnung der innerhalb der Rahmenfrist für die Beitragszeit ausgeübten beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit von 3,68 Monaten und der Erziehungszeit von 3,71 Monaten die Mindestbeitragszeit von sechs Monaten erfüllt hat.
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