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42. Urteil vom 29. Juni 1999 i.S. Krankenkasse Hermes gegen P. und Versicherungsgericht des Kantons Wallis | |
Regeste |
Art. 102 Ziff. 5 BV; Art. 7 Abs. 1 und 2 sowie Art. 96 KVG; Art. 9 Abs. 3 KVV. | |
Sachverhalt | |
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Am 27. März 1998 verfügte die Kasse, die Kündigung werde auf das Ende desjenigen Monats eingetragen, in dem sämtliche Ausstände bezahlt seien. Am 30. März 1998 beglich P. den Prämienrückstand der Monate Juli bis September 1997. Mit Einsprache vom 24. April 1998 beantragte er die Anerkennung der Kündigung auf den 31. Dezember 1997 und sicherte die Zahlung allfälliger Ausstände zu. Am 27. Mai 1998 erbrachte er eine letzte Geldleistung. Im Einspracheentscheid vom 5. Juni 1998 hielt die Kasse - unter Hinweis darauf, dass die Prämien für das vierte Quartal 1997 erst am 20. März 1998 (auf dem Betreibungsweg), der Selbstbehalt von Fr. 23.40 erst am 29. Mai 1998 und die Prämien für das Jahr 1998 überhaupt noch nicht beglichen worden seien - an der Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses bis zum Ende des Monats, in dem sämtliche ausstehenden Prämien und Kostenbeteiligungen bezahlt seien, fest.
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B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonale Versicherungsgericht des Wallis gut, soweit es darauf eintrat, indem es P. unter Aufhebung des Einspracheentscheides vom 5. Juni 1998 den Wechsel des Krankenversicherers per 31. Dezember 1997 gestattete und feststellte, für die obligatorische Grundversicherung des Jahres 1998 seien der Krankenkasse Hermes keine Prämien geschuldet (Entscheid vom 7. Oktober 1998).
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P. schliesst auf Abweisung, das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Vollstreckung der finanziellen Verpflichtungen der Versicherten gegenüber dem Versicherer (Prämien gemäss Art. 61 ff. KVG und Kostenbeteiligung nach Art. 64 KVG) sowie die Folgen der Nichterfüllung sind weder formellgesetzlich geregelt noch beauftragt das Gesetz den Bundesrat, hierzu und zum Wechsel des Versicherers nähere Bestimmungen zu erlassen. Nach Art. 96 KVG ist der Bundesrat aber mit dem Gesetzesvollzug beauftragt; er erlässt die Ausführungsbestimmungen.
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b) Die Beschwerdeführerin hält die fragliche Verordnungsbestimmung für gesetzmässig. Sie beruft sich dabei auf den in Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG statuierten Grundsatz der Gegenseitigkeit und Gleichbehandlung der Versicherten, der bedeute, dass die Versicherten als Gegenleistung für den ![]() | 11 |
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EUGSTER erblickt im Bereich der Sanktionen beim Prämienzahlungsverzug eine echte Lücke und erachtet den Eingriff in Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG zu deren effizienten Behebung als notwendig, da sich sonst eine säumige Person durch einen Versichererwechsel der Leistungssperre oder einer möglichen Verrechnung von Leistungsansprüchen mit ausstehenden Prämien entziehen könnte. Der Eingriff müsse indessen im Einzelfall verhältnismässig sein und sei insbesondere nur zulässig, wenn er sich zur Sicherstellung eines lückenlosen Versicherungsschutzes als notwendig erweise. Säumnis im Sinne von Art. 9 Abs. 3 KVV sei bei Verzug anzunehmen, was eine rechtzeitige Mahnung vor Ablauf des Kündigungstermins verlange; Kostenbeteiligungen, die kurz vor oder gar erst nach dem Kündigungstermin fällig werden, könnten demnach nicht zum Anlass für eine Verweigerung des Versichererwechsels genommen werden. Ferner habe der Versicherer die versicherte Person vor Ablauf des Kündigungstermins auf die Unzulässigkeit des Versichererwechsels bei weiterer Säumnis hinzuweisen (EUGSTER, a.a.O., Rz. 39 und Fn. 77, 78 sowie Fn. 827).
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DUC wirft die Frage der Gesetzmässigkeit von Art. 9 KVV im Hinblick auf das ![]() | 14 |
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Das Verbot des Versichererwechsels im Säumnisfall stellt eine verwaltungsrechtliche Sanktion dar, mit der die Erfüllung der Pflicht zur Prämienzahlung und Kostenbeteiligung gemäss Art. 62 ff. KVG erzwungen werden soll (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 235 Rz. 913).
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b) Zu den wichtigsten Zielen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 gehören die Einführung des Krankenpflegeversicherungsobligatoriums und die Eindämmung der Kostensteigerung im Gesundheitswesen, der unter anderem durch den Wettbewerb unter den Versicherern begegnet werden soll. Im System der Mehrfachträgerschaft des Versicherungsobligatoriums gewährleisten verschiedene Bestimmungen die rechtliche und faktische Freiheit des Versichererwechsels. Faktische Freiheit besteht etwa durch die Unabhängigkeit der Prämienhöhe vom Eintrittsalter (Art. 61 KVG). Art. 7 KVG regelt die rechtliche Freiheit des Versichererwechsels einerseits durch Statuierung von Kündigungsfristen und -terminen (Abs. 1 und 2), anderseits durch die Bestimmung, dass das Versicherungsverhältnis nur bei Bestätigung eines neuen ![]() | 17 |
c) Vorerst ist zu prüfen, ob Art. 7 KVG dahingehend zu verstehen ist, dass weiter gehende als in dieser Bestimmung enthaltene Kündigungseinschränkungen unzulässig sind, weil die gesetzgebenden Behörden diesbezüglich qualifiziert geschwiegen haben, womit jede Lückenfüllung gesetzwidrig wäre.
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Das Verbot des Versichererwechsels bei Säumnis - bis zur Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen - gemäss Art. 9 Abs. 3 KVV widerspricht offensichtlich dem Gesetzeszweck der Vermeidung von Versicherungslücken (Art. 7 Abs. 5 KVG) nicht (sondern birgt vielmehr das Risiko der Doppelversicherung in sich). Es steht hingegen in einem Spannungsverhältnis zu der bei Berücksichtigung von Fristen und Terminen gewährleisteten Kündigungsfreiheit gemäss Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG.
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Nachdem die Frage der Gesetzmässigkeit von Art. 9 Abs. 3 KVV in RKUV 1997 Nr. KV 12 S. 298 nicht aufgeworfen worden war, hatte sich das Eidg. Versicherungsgericht hinsichtlich Einschränkungen der Kündigungsfreiheit bisher nur zur Gesetzmässigkeit von Art. 94 Abs. 2 KVV zu äussern, wonach bei einer Versicherung mit wählbarer Franchise der Wechsel zu einem anderen Versicherer frühestens ein Jahr nach dem Beitritt zu dieser besonderen Versicherungsform, unter Einhaltung der in Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG festgesetzten Kündigungsfristen auf das Ende eines Kalenderjahres möglich ist. Das Gericht erachtete die Verordnungsbestimmung als gesetzmässig; der Bundesrat habe die ihm in Art. 62 Abs. 2 KVG delegierte Befugnis zur Zulassung weiterer Versicherungsformen nicht überschritten, zumal eine längere Versicherungsdauer wegen der Eigenart dieser Versicherungsform erforderlich sei (RKUV 1998 Nr. KV 39 S. 378 Erw. 3c). Art. 7 KVG schliesst damit weiter gehende Kündigungsbeschränkungen nicht von vornherein aus.
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6. a) Zu entscheiden ist aber vorliegend, ob der Bundesrat zum Zwecke der Vollstreckung der Prämienzahlungs- und Kostenbeteiligungspflicht der Versicherten deren Kündigungsfreiheit einschränken durfte. Wie bereits ![]() | 21 |
b) Die Kompetenz des Bundesrates zum Erlass von Vollziehungsverordnungen ist in der allgemeinen, von Art. 102 Ziff. 5 BV eingeräumten Vollzugskompetenz enthalten (HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 27 Rz. 110). Art. 96 KVG wiederholt diese Vollzugskompetenz, indem er den Bundesrat mit dem Erlass der Ausführungsbestimmungen beauftragt. Fraglich ist, ob der Bundesrat mit der Regelung in Art. 9 Abs. 3 KVV im Rahmen der Gesetzesausführung geblieben ist.
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Ausführungsverordnungen sollen Gesetzesbestimmungen verdeutlichen, soweit nötig das Verfahren regeln und (echte) Lücken ausfüllen. Sie dürfen nicht im Vergleich zum Gesetz zusätzliche Beschränkungen auferlegen, selbst wenn diese mit dem Gesetzeszweck im Einklang stehen; Ansprüche, die aus dem Gesetz hervorgehen, kann eine Vollzugsverordnung nicht beseitigen (GYGI, a.a.O., S. 93 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 27 Rz. 109).
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c) Die Erfüllung der Prämienzahlungs- und der Kostenbeteiligungspflicht durch die Versicherten ist für die Finanzierung der Krankenpflegeversicherung (Art. 60 ff. KVG) und damit den Gesetzesvollzug unentbehrlich. Hinsichtlich der Sanktionen, mit denen die Erfüllung dieser verwaltungsrechtlichen Pflichten erzwungen wird (HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 235 ff.), bestimmt Art. 88 Abs. 2 KVG, dass die gemäss Art. 88 Abs. 1 KVG vollstreckbaren Verfügungen und Einspracheentscheide, die auf Geldzahlung (oder Sicherheitsleistung) gerichtet sind, vollstreckbaren Urteilen im Sinne von Art. 80 SchKG gleichstehen. Nach dem Willen der gesetzgebenden Instanzen haben die Versicherer ihre Geldforderungen auf dem Weg der Zwangsvollstreckung gemäss SchKG durchzusetzen. Weitere Formen des Verwaltungszwangs sind formellgesetzlich nicht vorgesehen.
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Im Hinblick auf die Möglichkeit der Vollstreckung gemäss SchKG weist die gesetzliche Ordnung keine echte Lücke auf, die mit einer Vollziehungsverordnung gefüllt werden müsste. Das Fehlen weiterer ![]() | 25 |
d) Kasse und BSV erblicken die erforderliche gesetzliche Grundlage im Grundsatz der Gegenseitigkeit, der gemäss Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG auch im neuen Recht gilt. Tatsächlich erachtete das Eidg. Versicherungsgericht die in Kassenstatuten vorgesehene Leistungseinstellung für die Dauer des Prämienverzugs als mit dem Gegenseitigkeitsprinzip vereinbar (BGE 111 V 318; RKUV 1990 Nr. K 847 S. 252). Diese Frage ist hier für das neue Recht nicht zu entscheiden. Die vorliegend zu beurteilende Sanktion unterscheidet sich jedenfalls wesentlich von der Leistungssperre bei Prämienverzug, die einen Rückbehalt der Leistung bis zum Erbringen der Gegenleistung bedeutet. Bei der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Prämienverzug fehlt es an diesem sachlichen Zusammenhang, und es ist nicht einzusehen, inwiefern die Fortdauer des Versicherungsverhältnisses säumiger Versicherter die Gleichbehandlung der Versicherten gewährleistet. Das Gegenseitigkeitsprinzip reicht nicht als gesetzliche Grundlage jeglicher verwaltungsrechtlicher Sanktion aus.
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e) Inwieweit Sanktionen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, ist in der Doktrin umstritten. So wird die Auffassung vertreten, es sei keine gesetzliche Grundlage erforderlich, wenn die Sanktion nur eine Verpflichtung darstelle, die an die Stelle derjenigen trete, welche die Pflichtigen nicht erfüllt hätten, um zum selben Resultat zu gelangen (z.B. verfügter Abbruch einer Baute und Abbruch auf dem Weg der Ersatzvornahme); anders verhalte es sich aber, wenn die Sanktion eine neue Verpflichtung begründe, welche nicht darauf hinziele, den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen (MOOR, Droit administratif, Bd. II, S. 65 ff.; HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 237 Rz. 918).
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f) Das Verbot des Versichererwechsels gemäss Art. 9 Abs. 3 KVV dürfte am ehesten als administrativer Rechtsnachteil zu qualifizieren sein, indem die säumigen Versicherten bis zur Erfüllung ihrer Pflichten das Kündigungsrecht verlieren. Hiefür wäre eine formellgesetzliche Grundlage erforderlich. Die Frage der Einordnung kann aber vorliegend offen bleiben. Entscheidend ist nämlich, dass die verordnungsmässige Sanktionsbestimmung das in Art. 7 Abs. 1 und 2 KVG statuierte Recht, unter Einhaltung der entsprechenden Fristen und Termine den Versicherer zu wechseln, einschränkt, obwohl das Gesetz die nähere Regelung der Vollstreckung der Kassenforderungen nicht an den Bundesrat delegiert hat.
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Da das KUVG die Regelung des Kündigungsrechts der statutarischen Bestimmung der Kassen überliess, hat der Hinweis des Bundesamtes auf den vergleichbaren Art. 7 Abs. 2 Vo III zum KUVG - dessen Gesetzmässigkeit vom Eidg. Versicherungsgericht nie zu beurteilen war - unter dem neuen Recht keine durchdringende Bedeutung.
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Zufolge Fehlens einer Delegationsnorm überschreitet somit der streitige Art. 9 Abs. 3 KVV den einer Vollziehungsbestimmung gesetzten Rahmen, wie das kantonale Gericht zu Recht entschieden hat.
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