BGE 126 V 1 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
1. Auszug aus dem Urteil vom 24. Januar 2000 i. S. B. gegen Ausgleichskasse Promea und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 29sexies Abs. 1 AHVG: Erziehungsgutschriften. |
Er hat daher Anspruch auf Erziehungsgutschriften für die Zeit, während welcher das Kind in seiner Obhut gelebt hat. | |
Aus den Erwägungen: | |
2. In BGE 125 V 245 hat das Eidg. Versicherungsgericht dargelegt, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften nicht auf Pflegekindverhältnisse ausdehnen wollte und der Anspruch grundsätzlich davon abhängig ist, dass der Versicherte über eines oder mehrere Kinder die elterliche Gewalt im Sinne von Art. 296 ff. ZGB ausgeübt hat. Nach diesen Bestimmungen haben Pflegeeltern keine elterliche Gewalt, sondern lediglich die Befugnis, die leiblichen Eltern in der elterlichen Gewalt zu vertreten, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben angezeigt ist (Art. 300 Abs. 1 ZGB). Eine Ausnahme von der Voraussetzung der elterlichen Gewalt sieht das AHVG lediglich insofern vor, als der Bundesrat Vorschriften über die Anrechnung von Erziehungsgutschriften u.a. für den Fall erlassen kann, dass Eltern Kinder unter ihrer Obhut haben, ohne die elterliche Gewalt über sie auszuüben (Art. 29sexies Abs. 1 lit. a AHVG). Die vom Bundesrat gestützt hierauf erlassene Bestimmung von Art. 52e AHVV beschränkt sich darauf, einen Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften auch für Jahre vorzusehen, in denen Eltern Kinder in ihrer Obhut hatten, ohne dass ihnen die elterliche Gewalt zustand. Geregelt wird damit der Fall, dass den leiblichen Eltern, Stief- oder Adoptiveltern die elterliche Gewalt entzogen wurde, die Kinder jedoch einem Elternteil zur Pflege und Erziehung überlassen werden (Art. 311 ff. ZGB; vgl. hiezu BGE 112 II 21 Erw. 5).
| 1 |
2 | |
b) Gemäss Art. 29sexies Abs. 1 AHVG werden den Versicherten Erziehungsgutschriften für Jahre angerechnet, in welchen sie die elterliche Gewalt über eines oder mehrere Kinder ausgeübt haben, die das 16. Altersjahr noch nicht erreicht haben. Der Begriff der elterlichen Gewalt ist im Sinne von Art. 296 ff. ZGB zu verstehen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes und den Materialien beruht der Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften grundsätzlich auf einem Kindesverhältnis im Sinne von Art. 252 ff. ZGB. Anspruchsberechtigt sind daher nicht nur die leiblichen Eltern, sondern auch Adoptiveltern, nicht dagegen die Pflegeeltern (BGE 125 V 246 Erw. 2a).
| 3 |
Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Meinung folgt aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht, dass ein Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften auch dann besteht, wenn ein Kind in der Obhut (Pflege und Erziehung) eines Vormundes steht.
| 4 |
Anderseits schliesst das Gesetz einen solchen Anspruch auch nicht aus. Zwar knüpft Art. 29sexies Abs. 1 AHVG an ein Kindesverhältnis an, setzt ein solches jedoch nicht ausdrücklich voraus. Massgebendes Abgrenzungskriterium bildet die elterliche Gewalt. Unter diesem Gesichtspunkt ist aber nicht von vornherein auszuschliessen, dass ein Anspruch auf Erziehungsgutschriften auch dann gegeben ist, wenn das nach Art. 368 Abs. 1 ZGB bevormundete Kind in der Obhut eines Vormundes steht, welchem nach Art. 405 Abs. 2 ZGB, unter Vorbehalt der Mitwirkung der Vormundschaftsbehörde, die gleichen Rechte zustehen wie den Eltern. Es liegt diesbezüglich auch kein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vor, wie es für den Anspruch auf Erziehungsgutschriften bei Pflegeverhältnissen anzunehmen ist (BGE 125 V 248 Erw. 3).
| 5 |
4. a) Nach Auffassung der Vorinstanz lässt es der klare Wille des Gesetzgebers nicht zu, der Beschwerdeführerin, welche nicht die elterliche Gewalt über ihren Neffen innegehabt und zudem ein Kostgeld erhalten habe, Erziehungsgutschriften anzurechnen. Das Bundesamt für Sozialversicherung hält dem zu Recht entgegen, dass - im Gegensatz zu den Pflegeeltern, welche lediglich die Befugnis haben, die Eltern in der elterlichen Gewalt zu vertreten, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben angezeigt ist (Art. 300 Abs. 1 ZGB) - dem Vormund bei Unmündigkeit des Bevormundeten grundsätzlich die gleichen Rechte wie den Eltern zustehen, unter Vorbehalt der Mitwirkung der vormundschaftlichen Behörden (Art. 405 Abs. 2 ZGB). Aus Sinn und Zweck dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Vormundschaft die elterliche Gewalt ersetzt und der Vormund (als Elternersatz) auch für den Aufgabenbereich der Eltern einzustehen hat, soweit dieser nicht unmittelbar von einer besonderen Beziehungsnähe oder dem rechtlichen Kindesverhältnis abhängig ist (AFFOLTER, in: Kommentar zum schweiz. Privatrecht, N 4 zu Art. 405 ZGB). Der Vormund hat zwar nicht die elterliche Gewalt, verfügt jedoch über Befugnisse, welche der elterlichen Gewalt gleichkommen. Er übt diese nicht bloss vertretungsweise, sondern grundsätzlich selbstständig aus, weil die elterliche Gewalt den leiblichen Eltern entzogen worden ist oder aus anderen Gründen (insbesondere wegen des Todes) nicht mehr ausgeübt werden kann. Lebt das Kind - wie im vorliegenden Fall - auch faktisch in der Obhut des Vormundes, so verhält es sich nicht wesentlich anders, als wenn das Kind unter der elterlichen Gewalt der leiblichen Eltern oder eines Elternteils als alleinigen Inhabers der elterlichen Gewalt steht. Anderseits besteht gegenüber einem einfachen Pflegekindverhältnis insofern ein wesentlicher Unterschied, als der Vormund die Rechte und Pflichten des Kindes grundsätzlich selbstständig und nicht wie die Pflegeeltern neben dem Inhaber oder den Inhabern der elterlichen Gewalt (oder einem Vormund) wahrnimmt. Damit entfällt auch die Gefahr eines doppelten Anspruchs auf Erziehungsgutschriften, wie sie der Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Pflegekindverhältnisse von der Anspruchsberechtigung verhindern wollte (Amtl. Bull. 1994 S 550). Insgesamt rechtfertigt es sich daher, den Vormund, welcher ein unmündiges Kind in seiner persönlichen Obhut hat, dem Inhaber der elterlichen Gewalt im Sinne von Art. 29sexies Abs. 1 AHVG gleichzustellen. Dementsprechend ist sein Anspruch auf Erziehungsgutschriften zu bejahen, so lange das nach Art. 368 Abs. 1 ZGB bevormundete Kind in seiner Obhut gelebt hat.
| 6 |
b) Nach dem Gesagten hat die Beschwerdeführerin für die Jahre ab 1969 (Art. 52f AHVV) Anspruch auf Erziehungsgutschriften nach Art. 29sexies AHVG. Hieran ändert nichts, dass die Beschwerdeführerin vom leiblichen Vater des Kindes vorübergehend ein Kostgeld bezogen hat. So werden auch bei geschiedenen Frauen Erziehungsgutschriften unabhängig davon angerechnet, ob und gegebenenfalls inwieweit der geschiedene Mann zu Unterhaltsbeiträgen verpflichtet war.
| 7 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |