BGE 126 V 384 | |||
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63. Urteil vom 25. September 2000 i.S. M. gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | |
Regeste |
Art. 8 Abs. 1 lit. e, Art. 13 Abs. 1 und 2, Art. 14 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AVIG: Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit. | |
Sachverhalt | |
A.- M. bezog während einer ersten Rahmenfrist für den Leistungsbezug ab 3. November 1997 Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Vom 1. Februar bis 13. August 1998 war er bei der Firma H. AG erwerbstätig. Danach bezog er wiederum Taggelder. Mit Verfügung vom 9. Dezember 1999 verneinte die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab Beginn der am 3. November 1999 zu eröffnenden zweiten Rahmenfrist, weil M. weder die Mindestbeitragszeit von 12 Monaten mit 6,493 Beitragsmonaten erfüllt habe noch von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sei.
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B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn ab (Entscheid vom 30. März 2000).
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C.- M. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien ihm ab 3. November 1999 Taggelder der Arbeitslosenversicherung zuzusprechen.
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Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft reicht keine Vernehmlassung ein.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Nach Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG hat Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wer die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist. Die Beitragszeit hat laut Art. 13 Abs. 1 AVIG erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist für die Beitragszeit (zwei Jahre vor dem ersten Tag, für den sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; Art. 9 Abs. 2 und 3 AVIG) während mindestens sechs Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Satz 1). Wird eine versicherte Person innert dreier Jahre nach Ablauf der Rahmenfrist für den Leistungsbezug erneut arbeitslos, so muss sie eine Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten aufweisen (Satz 2, in Kraft seit 1. Januar 1998). Diese längere Mindestbeitragszeit haben auch versicherte Personen zu erfüllen, die bei Ablauf der ersten Rahmenfrist für den Leistungsbezug arbeitslos sind (BGE 125 V 355).
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b) Der Beschwerdeführer, welchem ab 3. November 1997 eine erste Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet worden war, hat in der vom 3. November 1997 bis 2. November 1999 dauernden Rahmenfrist für die Beitragszeit lediglich vom 1. Februar bis 13. August 1998 als kaufmännischer Angestellter (Buchhaltung/Inkasso) bei der Firma H. AG eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Mangels anrechenbarer Zeiten ohne Beschäftigung gemäss Art. 13 Abs. 2 AVIG haben Vorinstanz und Verwaltung demnach zu Recht festgestellt, dass die hier massgebliche ausserordentliche Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten nicht erfüllt ist. Insofern der Beschwerdeführer einwendet, er habe vor dem Beginn der Frist für den Beitragsbezug am 3. November 1997 während Jahren Beiträge geleistet, ist dies irrelevant.
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a) Nach Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG ist von der Erfüllung der Beitragszeit befreit, wer innerhalb der Rahmenfrist während insgesamt mehr als zwölf Monaten wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft nicht in einem Arbeitsverhältnis stand und deshalb die Beitragszeit nicht erfüllen konnte.
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Ebenfalls von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind Personen, die wegen Trennung oder Scheidung ihrer Ehe, wegen Invalidität oder Todes des Ehegatten oder aus ähnlichen Gründen oder wegen Wegfalls einer Invalidenrente gezwungen sind, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern. Diese Regel gilt nicht, wenn das betreffende Ereignis mehr als ein Jahr zurückliegt (Art. 14 Abs. 2 AVIG).
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b) Gemäss der in BGE 121 V 336 publizierten Rechtsprechung bezieht sich Art. 14 Abs. 1 AVIG dem Wortlaut nach auf versicherte Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis standen und deshalb durch die dort genannten Gründe an der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung gehindert worden sind. Es muss somit ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung der Beitragszeit und dem gesetzlich umschriebenen Hinderungsgrund bestehen. Um kausal für die fehlende Beitragszeit zu sein, muss das Hindernis zudem während mehr als zwölf Monaten bestanden haben. Denn bei kürzerer Verhinderung bleibt der versicherten Person während der zweijährigen Rahmenfrist genügend Zeit, um eine ausreichende beitragspflichtige Beschäftigung auszuüben. Da eine Teilzeitbeschäftigung hinsichtlich der Erfüllung der Beitragszeit einer Vollzeitbeschäftigung gleichgestellt ist (Art. 11 Abs. 4 Satz 1 AVIV), liegt die erforderliche Kausalität zudem nur vor, wenn es der versicherten Person aus einem der in Art. 14 Abs. 1 lit. a-c AVIG genannten Gründe auch nicht möglich und zumutbar ist, ein Teilzeitarbeitsverhältnis einzugehen. Denn bei genügender Beitragszeit, d.h. wenn die versicherte Person innerhalb der Rahmenfrist während der gesetzlich geforderten Zeit eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG), kommt die Befreiungsregelung grundsätzlich nicht zum Zuge (BGE 121 V 342 f. Erw. 5b).
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Nach der Rechtsprechung (ARV 1995 Nr. 29 S. 169 f. Erw. 4b/bb) können sich jene Personen auf den Befreiungsgrund des Wegfalls einer Invalidenrente nach Art. 14 Abs. 2 AVIG berufen, die bisher als Invalide nicht arbeitsfähig waren, deren Zustand sich aber derart verbessert hat, dass ihre Rente gestrichen oder wesentlich reduziert werden muss, wodurch der Betroffene zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gezwungen ist (Botschaft des Bundesrates zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) vom 2. Juli 1980, BBl 1980 III 565; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, N 39 zu Art. 14). Grundsätzlich kann somit lediglich der Wegfall oder die Herabsetzung einer Invalidenrente als für eine wirtschaftliche Notlage kausal anerkannt werden.
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c) Hinsichtlich der Rechtswirkungen der unveränderten Ausrichtung einer ganzen Invalidenrente über den Beginn der zweiten zu eröffnenden Rahmenfrist für den Beitragsbezug hinaus ist nach den Regeln über die Auslegung der Gesetze zu verfahren. Demnach ist das Gesetz in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt.
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Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 125 II 196 Erw. 3a, 244 Erw. 5a, BGE 125 V 130 Erw. 5, 180 Erw. 2a, je mit Hinweisen).
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aa) Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 AVIG weist in allen drei amtssprachlichen Fassungen (Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. März 1986 über die Gesetzessammlungen und das Bundesblatt; SR 170.512) nach dem gewöhnlichen Sprachverständnis darauf hin, dass der Tatbestand der Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit gegeben ist, wenn die versicherte Person aus einem der dort genannten Gründe mit Blick auf die zweite zu eröffnende Rahmenfrist während insgesamt mehr als zwölf Monaten nicht in einem Arbeitsverhältnis stand und deshalb die Beitragszeit nicht erfüllen konnte. Einer rentenbegründenden Invalidität liegt sehr oft lang andauernde Krankheit zu Grunde (Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG; BGE 111 V 21). Die in Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG umschriebenen Hinderungsgründe Krankheit und Unfall sprechen so besehen eher dafür, die unveränderte Ausrichtung einer Invalidenrente über den Beginn einer zweiten zu eröffnenden Rahmenfrist hinaus ebenfalls als Befreiungsgrund zu qualifizieren. Mit Blick darauf, dass der Gesetzestext an Hinderungsgründen wohl Krankheit und Unfall erwähnt, nicht aber Invalidität oder die Ausrichtung einer Invalidenrente, liegt kein klarer und eindeutiger Wortlaut vor, weshalb die Auslegung fortzusetzen ist.
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bb) Sinn und Zweck des Art. 14 AVIG besteht darin, bestimmten Personengruppen aus sozialen Gründen angesichts der fehlenden freiwilligen Versicherungsmöglichkeit auch ohne vorgängige Beitragszeit Versicherungsschutz zu gewähren (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 194; GERHARDS, a.a.O., N 5 zu Art. 14). Dies wird durch die bundesrätliche Botschaft zum AVIG vom 2. Juli 1980 bestätigt (BBl 1980 III 564 f.), welche ihrerseits hervorhebt, dass gewisse Personengruppen ohne vorgängige Beitragszeit gedeckt werden, wenn sie vor Eintritt der Arbeitslosigkeit an der Ausübung einer Arbeitnehmertätigkeit verhindert waren. Im Vergleich zum ersten Entwurf sei der Kreis der so Begünstigten weiter umschrieben worden, weil die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung nicht mehr vorgesehen sei. Wird einer Person wegen ihrer Erwerbsunfähigkeit über den Beginn der zweiten zu eröffnenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug hinaus unverändert eine ganze Invalidenrente zugesprochen, fehlt es mit Blick auf den Normzweck an einem sachlichen Grund, diese von der Erfüllung der Beitragszeit zu befreien, zumal die durch die Invalidenversicherung rentenmässig entschädigte Erwerbsunfähigkeit arbeitslosenversicherungsrechtlich Vermittlungsunfähigkeit zur Folge haben kann (Art. 15 Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 15 AVIV): Die beiden Versicherungszweige sind nicht komplementär in dem Sinne, dass sich die vom Erwerbsleben ausgeschlossene versicherte Person in jedem Fall entweder auf Invalidität oder aber auf Arbeitslosigkeit berufen könnte. Wer trotz eines schweren Gesundheitsschadens invalidenversicherungsrechtlich nicht in rentenbegründendem Masse erwerbsunfähig ist, kann gleichwohl arbeitslosenversicherungsrechtlich gesehen vermittlungsunfähig sein. Andererseits schliesst der Bezug einer ganzen Invalidenrente die Vermittlungsfähigkeit nicht grundsätzlich aus (ARV 1998 Nr. 5 S. 28).
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cc) Die normunmittelbaren Auslegungskriterien führen daher zum Schluss, dass eine Person, die wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft während insgesamt mehr als zwölf Monaten nicht in einem Arbeitsverhältnis stand, sich dennoch nicht auf den Befreiungsgrund von Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG berufen kann, sofern und soweit sie über den Beginn der zweiten zu eröffnenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug hinaus unverändert eine vorher entstandene Invalidenrente bezieht. War in der Rahmenfrist für die Beitragszeit eine erhebliche, verwertbare Restarbeitsfähigkeit verblieben, hat die versicherte Person sich insoweit (in der Rahmenfrist für die Beitragszeit) über eine entsprechende beitragspflichtige Beschäftigung auszuweisen.
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3. Mit Blick auf die im Raum stehende rückwirkende Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab 1. November 1998 ergibt sich Folgendes: Auf Grund der Akten ist davon auszugehen, dass im massgebenden Zeitpunkt der zu eröffnenden (zweiten) Rahmenfrist (3. November 1999) weiterhin und unverändert eine ganze Invalidenrente ausgerichtet wird. Insoweit scheidet nach dem Gesagten ein Befreiungsgrund gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 AVIG aus. Soweit andererseits der Beschwerdeführer in der Rahmenfrist für die Beitragszeit (von 3. November 1997 bis 2. November 1999), sei es während der invalidenversicherungsrechtlichen Wartefrist (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG), sei es ab Rentenbeginn am 1. November 1998 (Art. 29 Abs. 2 IVG), über eine Restarbeitsfähigkeit verfügt haben sollte, hätte er die Beitragszeit nach Art. 13 AVIG zu erfüllen. Das trifft, wie dargetan (Erw. 1b), ebenfalls nicht zu. Es ist daher im Ergebnis rechtens, wenn Arbeitslosenkasse und kantonales Gericht den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 3. November 1999 verneint haben.
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