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51. Urteil vom 28. September 2001 i. S. J. gegen Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG; Art. 17 (Ingress) und Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV: Zahnärztliche Behandlung von Parodontopathien. | |
Sachverhalt | |
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B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 7. April 1998 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt J. wiederum die Übernahme der Zahnbehandlungskosten durch die Concordia beantragen.
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Die Concordia schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragt sinngemäss ebenfalls deren Abweisung.
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D.- Am 28. März 2000 hat das Eidg. Versicherungsgericht eine Expertengruppe mit der Erstellung eines zahnmedizinischen Grundsatzgutachtens beauftragt. Das vorliegende Verfahren wurde deshalb mit Verfügung vom 3. April 2000 sistiert. Das Grundsatzgutachten ging am 31. Oktober 2000 beim Gericht ein und wurde am 16. Februar 2001 mit den Experten erörtert. Am 21. April 2001 erstellten die Experten einen Ergänzungsbericht.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt (Art. 31 ![]() | 8 |
b) Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV hat das Departement in der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) zu jedem der erwähnten Unterabsätze von Art. 31 Abs. 1 KVG einen eigenen Artikel erlassen, nämlich zu lit. a den Art. 17 KLV, zu lit. b den Art. 18 KLV und zu lit. c den Art. 19 KLV. In Art. 17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems aufgezählt, deren Behandlungskosten von der obligatorischen Krankenversicherung zu übernehmen sind. In Art. 18 KLV werden die schweren Allgemeinerkrankungen und ihre Folgen aufgelistet, die zu zahnärztlicher Behandlung führen können und deren Kosten von der obligatorischen Krankenversicherung zu tragen sind. Hier müssen die Allgemeinerkrankungen oder ihre Folgen schwer sein, nicht hingegen die dadurch bedingte Erkrankung des Kausystems. In Art. 19 KLV schliesslich hat das Departement die schweren Allgemeinerkrankungen aufgezählt, bei denen die zahnärztliche Massnahme notwendiger Bestandteil der Behandlung darstellt.
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a) Die Krankenkasse verneint von vornherein jegliche Leistungspflicht gestützt auf das KVG, da sie gemäss Art. 19 KLV nur diejenigen Kosten einer zahnärztlichen Behandlung zu übernehmen habe, die vorgängig einer Strahlen- oder Chemotherapie notwendig seien, die Zahnsanierung der Beschwerdeführerin jedoch nach Durchführung der Chemotherapie nötig geworden sei. Art. 18 KLV erwähne sodann weder das Mammakarzinom noch die Chemotherapie als schwere Allgemeinerkrankung beziehungsweise konsekutive Behandlung.
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Die Beschwerdeführerin hat im vorinstanzlichen Verfahren zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht, Art. 19 lit. c KLV sei gesetzwidrig. Diese Bestimmung erkläre die Kosten der zahnärztlichen Behandlung nur bei vorgängiger Chemotherapie zur Pflichtleistung, während das Gesetz in Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG die Kosten für eine zahnärztliche Behandlung ausdrücklich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung auferlege, wenn diese durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt sei. Die Vorinstanz schliesslich hat darauf hingewiesen, dass ![]() | 12 |
Trotz der Ausführungen der Vorinstanz, dass eine allfällige Gesetzwidrigkeit nicht in Art. 19 KLV, sondern allenfalls in Art. 18 KLV zu suchen wäre, hält die Versicherte im Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren an ihrer Auffassung fest.
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b) Im Ergebnis hat die Vorinstanz zunächst zu Recht festgestellt, dass eine Anwendung von Art. 19 KLV in der vorliegend anwendbaren, bis Ende 1998 gültigen Fassung ausser Betracht fällt. Zwar wurden bereits dieser Bestimmung nicht nur vorausgehende zahnärztliche Behandlungen, sondern generell die gesamte zahnärztliche Versorgung, die zur Behandlung einer in der Verordnungsbestimmung erwähnten schweren Allgemeinerkrankung notwendig war, zugeordnet (vgl. BGE 124 V 199 Erw. 2d; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherungsrechtliche Aspekte der zahnärztlichen Behandlung nach Art. 31 Abs. 1 KVG, in: LAMal - KVG, Recueil de travaux en l'honneur de la société suisse de droit des assurances, Lausanne 1997, S. 243); doch fällt der vorliegende Sachverhalt auch nicht unter diesen weiter gefassten Anwendungsbereich des Art. 19 KLV. Der Vollständigkeit halber kann darauf hingewiesen werden, dass der Wortlaut von Art. 19 KLV per 1. Januar 1999 entsprechend geändert worden ist, was auf den konkreten Fall jedoch keine Auswirkungen hat. Bezüglich Art. 18 KLV hat das kantonale Gericht sodann zutreffend ausgeführt, dass in dieser Bestimmung maligne Leiden von der Art, wie sie bei der Beschwerdeführerin zu behandeln waren, nicht als schwere Allgemeinerkrankung aufgeführt sind, welche selbst oder ihre Folgen eine zahnärztliche Behandlung notwendig machen. Die Aussage der Gerichts bezog sich auf die bis Ende 1998 gültig gewesene Fassung der ![]() | 14 |
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Art. 17 Erkrankungen des Kausystems
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Die Versicherung übernimmt die Kosten der zahnärztlichen Behandlungen, die durch eine der folgenden schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems bedingt sind (Art. 31 Abs. 1 Bst. a KVG). Voraussetzung ist, dass das Leiden Krankheitswert erreicht; die Behandlung ist nur so weit von der Versicherung zu übernehmen, wie es der Krankheitswert des Leidens notwendig macht:
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a. Erkrankungen der Zähne:
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1. Idiopathisches internes Zahngranulom,
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2. Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit Krankheitswert
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(z.B. Abszess, Zyste);
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b. Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontopathien):
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1. Präpubertäre Parodontitis,
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2. Juvenile, progressive Parodontitis,
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3. Irreversible Nebenwirkungen von Medikamenten;
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1. Gutartige Tumore im Kiefer- und Schleimhautbereich und tumorähnliche Veränderungen,
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2. Maligne Tumore im Gesichts-, Kiefer- und Halsbereich,
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3. Osteopathien der Kiefer,
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4. Zysten (ohne Zusammenhang mit Zahnelementen),
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5. Osteomyelitis der Kiefer;
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d. Erkrankungen des Kiefergelenks und des Bewegungsapparates:
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1. Kiefergelenksarthrose,
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2. Ankylose,
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3. Kondylus- und Diskusluxation;
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e. Erkrankungen der Kieferhöhle:
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1. In die Kieferhöhle dislozierter Zahn oder Zahnteil,
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2. Mund-Antrumfistel;
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f. Dysgnathien, die zu folgenden Störungen mit Krankheitswert führen:
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1. Schlafapnoesyndrom,
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2. Schwere Störungen des Schluckens,
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3. Schwere Schädel-Gesichts-Asymmetrien.
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b) Die Umschreibung der Erkrankungen in Art. 17 KLV ist unterschiedlich. So begnügt sich der Verordnungsgeber teils mit einzelnen Krankheitsbezeichnungen wie etwa der Kiefergelenksarthrose (Art. 17 lit. d Ziff. 1 KLV) oder der Mund-Antrumfistel (Art. 17 lit. e Ziff. 2 KLV), teils verwendet er Umschreibungen wie in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV, wo ihm die Begriffe "Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen" für sich allein zu unbestimmt erscheinen, sodass er nur solche darunter verstanden wissen will, die "Krankheitswert (z.B. Abszess, Zyste)" erreichen. Damit stellt sich die Frage, ob dieser Krankheitswert ein anderer ist als jener Krankheitswert, der nach Art. 17 KLV zur allgemeinen Voraussetzung dafür erhoben wird, dass die in dieser Bestimmung aufgezählten Erkrankungen in den Leistungsbereich der sozialen Krankenversicherung fallen. Weiter ist danach zu fragen, ob der Krankheitswert, wie er in Art. 17 KLV allgemein oder in dessen lit. a Ziff. 2 bei verlagerten und überzähligen Zähnen und Zahnkeimen verwendet wird, mit dem in Art. 2 Abs. 1 KVG definierten Begriff der Krankheit übereinstimmt.
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5. Das Gericht hat dazu die von zwei verschiedenen Berufsgruppen zur Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung im Sinne von Art. 31 KVG herausgegebenen Leitfäden zu Rate gezogen (Atlas der Erkrankungen mit Auswirkungen auf das Kausystem [SSO-Atlas], herausgegeben von der Schweizerischen ![]() | 44 |
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b) Das Gericht sieht keinen Grund, im Krankheitswert, der nach Art. 17 KLV bei allen darin aufgeführten Erkrankungen erreicht sein muss, damit die Behandlung der Leistungspflicht unterliegt, etwas anderes zu erblicken. Auch hier dient der Begriff der Abgrenzung. Er drückt das Mass der Schwere der Erkrankung als Voraussetzung ![]() | 46 |
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Die dargelegte Interpretation führt zu einem vernünftigen Sinn. Zudem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass nach ![]() | 48 |
8. Fallen somit zahnärztliche Behandlungen von Paradontopathien als Folge von irreversiblen Nebenwirkungen von Medikamenten grundsätzlich unter die Pflichtleistungen der obligatorischen Krankenversicherung, so hat die Kasse im Sinne der Erwägungen abzuklären, ob und inwieweit die Parodontopathie sowie die Zahnextraktion der Beschwerdeführerin als Folge der Chemotherapie ihres malignen Leidens gemäss Art. 17 lit. b Ziff. 3 KLV zu betrachten sind. Nach Prüfung der Voraussetzungen der Kausalität und der Irreversibilität wird sie über ihre Leistungen neu zu verfügen haben, wobei zu beachten ist, dass sich der Umfang einer allfälligen Leistungspflicht in jedem Fall nach den Grundsätzen der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu richten hat (Art. 32 Abs. 1 KVG).
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