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9. Auszug aus dem Urteil i.S. P. gegen ASGA Pensionskasse des Gewerbes, St. Gallen, und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden |
B 1/00 vom 29. Januar 2002 | |
Regeste |
Art. 122 und 141 f. ZGB; Art. 5 Abs. 2, Art. 25a FZG; Art. 73 BVG. |
- Schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Gültigkeit der Barauszahlung im Hinblick auf den Scheidungsprozess bejaht. | |
Sachverhalt | |
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In der Folge gelangte P. an den Eheschutzrichter mit dem Antrag, die Bank in Spanien sei anzuweisen, ihr die Hälfte des ihrem Ehemann ausbezahlten Guthabens aus der beruflichen Altersvorsorge zu übertragen, da ihr Ehemann ihre Unterschrift auf dem Gesuch um Barauszahlung gefälscht habe. Mit Verfügung vom 7. Juli 1998 wies der Bezirksgerichtspräsident die Bank in Spanien an, vom Konto des Ehemannes einen Betrag von Fr. 46'170.- oder einen entsprechenden Gegenwert in spanischen Peseten auf das Konto der Ehefrau zu übertragen. Die gestützt auf die eheschutzrichterliche Verfügung von der Bank verlangte Übertragung unterblieb jedoch. Am 10. Dezember 1998 leitete P. beim Vermittler des Kreises X. die Scheidungsklage ein. Ferner erstattete sie am 16. Dezember 1998 bei der Staatsanwaltschaft gegen ihren Ehemann Strafanzeige wegen ![]() | 2 |
B.- Am 12. März 1999 liess P. beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Klage gegen die Pensionskasse einreichen mit dem Antrag, es sei zuhanden des in der Scheidung zuständigen Scheidungsgerichts festzustellen, dass die Pensionskasse aufgrund der fehlenden Zustimmung der Klägerin die Austrittsleistung von Fr. 92'340.10 an ihren Ehemann am 28. Oktober 1997 zu Unrecht ausbezahlt habe. Ferner sei festzustellen, dass das Scheidungsgericht bestimmen könne, dass ein Teil der per Datum der Einreichung des Scheidungsbegehrens aufgelaufenen Austrittsleistung an die Vorsorgeeinrichtung der Klägerin zu übertragen sei. Im Weitern sei die Pensionskasse zu verpflichten, den im zu erwartenden Scheidungsurteil bestimmten Teil der Austrittsleistung auf die Vorsorgeeinrichtung der Klägerin zu übertragen. Schliesslich beantragte sie die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
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Mit Entscheid vom 17. August 1999 trat das Verwaltungsgericht auf die Klage nicht ein und wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab.
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C.- P. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei das Verwaltungsgericht zu verpflichten, auf die Feststellungsklage einzutreten. Im Weitern sei der Präsident der Vorinstanz zu verpflichten, ihr durch prozessleitende Verfügung vor dem Urteil in der Sache selbst die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung für das kantonale Verfahren zu gewähren. Schliesslich sei ihr für das letztinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren.
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Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und erläutert seine Praxis zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Die Pensionskasse lässt den Antrag stellen, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie vollumfänglich abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
1. a) Gemäss Art. 73 BVG bezeichnet jeder Kanton als letzte kantonale Instanz ein Gericht, das über die Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten ![]() | 7 |
b) Die Zuständigkeit der in Art. 73 BVG genannten Gerichte ist an zwei Voraussetzungen geknüpft:
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Zunächst ist in sachlicher Hinsicht erforderlich, dass die Streitigkeit die berufliche Vorsorge im engeren oder weiteren Sinn beschlägt. Das ist dann der Fall, wenn die Streitigkeit spezifisch den Rechtsbereich der beruflichen Vorsorge betrifft und das Vorsorgeverhältnis zwischen einem Anspruchsberechtigten und einer Vorsorgeeinrichtung zum Gegenstand hat. Im Wesentlichen geht es somit um Streitigkeiten betreffend Versicherungsleistungen, Freizügigkeitsleistungen (nunmehr Eintritts- und Austrittsleistungen) und Beiträge. Der Rechtsweg nach Art. 73 BVG steht dagegen nicht offen, wenn die Streitigkeit ihre rechtliche Grundlage nicht in der beruflichen Vorsorge hat, selbst wenn sie sich vorsorgerechtlich auswirkt.
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In persönlicher Hinsicht ist die Zuständigkeit nach Art. 73 BVG dadurch bestimmt, dass das Gesetz den Kreis der möglichen Verfahrensbeteiligten, welche Partei eines Berufsvorsorgeprozesses nach Art. 73 BVG sein können, auf die Vorsorgeeinrichtungen, die Arbeitgeber und die Anspruchsberechtigten beschränkt (BGE 127 V 35 Erw. 3b mit Hinweisen).
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Das von der Beschwerdeführerin am 10. Dezember 1998 anhängig gemachte Scheidungsverfahren ist bis zum Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts am 1. Januar 2000 noch nicht rechtskräftig erledigt worden. Damit findet auf den Scheidungsprozess der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 7b Abs. 1 SchlT ZGB das seit ![]() | 12 |
b) Art. 122 Abs. 1 ZGB räumt jedem Ehegatten Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ein, wenn ein Ehegatte oder beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehören und bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist. Dabei sind grundsätzlich sämtliche Ansprüche aus Vorsorgeverhältnissen zu teilen, die dem FZG unterstehen (THOMAS GEISER, Berufliche Vorsorge im neuen Scheidungsrecht, in: HAUSHEER [Hrsg.], Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, S. 65 N 2.20; HEINZ HAUSHEER, Die wesentlichen Neuerungen des neuen Scheidungsrechts, in: ZBJV 1999 S. 12 f.; HERMANN WALSER, Berufliche Vorsorge, in: Das neue Scheidungsrecht, Zürich 1999, S. 52), wie beispielsweise auch die mit der Barauszahlung aufgelöste beitragsfreie Versicherung der Beschwerdegegnerin (BAUMANN/LAUTERBURG, in: SCHWENZER [Hrsg.], Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N 45 f. zu Art. 122 ZGB; SCHNEIDER/BRUCHEZ, La prévoyance professionnelle et le divorce, in: Le nouveau droit du divorce, Lausanne 2000, S. 214 f.; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, S. 195 N 11 f.).
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Hat ein erwerbstätiger Ehegatte bereits einen Vorsorgefall erlebt oder können aus andern Gründen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge, die während der Ehe erworben worden sind, nicht geteilt werden, so steht dem anspruchsberechtigten Ehegatten nach Art. 124 Abs. 1 ZGB eine angemessene Entschädigung zu. Diese Norm schliesst nicht nur den Eintritt des Vorsorgefalles ein, sondern erfasst auch andere Vorgänge, deretwegen die Austrittsleistung nicht mehr geteilt werden kann, wie beispielsweise die während der Ehe vorgenommenen Barauszahlungen des Vorsorgeguthabens (BGE 127 III 437 Erw. 2b mit Hinweisen).
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c) Ist ein Anwendungsfall von Art. 122 ZGB gegeben und haben sich die Ehegatten über die Teilung der Austrittsleistungen sowie die Art der Durchführung der Teilung nicht geeinigt (vgl. Art. 141 Abs. 1 ZGB), so entscheidet das Scheidungsgericht gemäss Art. 142 Abs. 1 ZGB über das Verhältnis, in welchem die Austrittsleistungen zu teilen sind. Sobald dieser Entscheid über das Teilungsverhältnis rechtskräftig ist, überweist das Scheidungsgericht die Streitsache von Amtes wegen dem nach dem FZG zuständigen Gericht (Art. 142 Abs. 2 ZGB). Dementsprechend bestimmt der mit der Scheidungsrechtsrevision eingefügte Art. 25a FZG, dass bei Nichteinigung der Ehegatten über die zu übertragende Austrittsleistung das am Ort der Scheidung nach Art. 73 Abs. 1 BVG zuständige Gericht gestützt auf den vom Scheidungsgericht bestimmten Teilungsschlüssel die Teilung von Amtes wegen durchzuführen hat, nachdem ihm die Streitsache überwiesen worden ist (Abs. 1). Die Ehegatten und die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge haben in diesem Verfahren Parteistellung. Das Gericht setzt ihnen eine angemessene Frist, um Anträge zu stellen (Abs. 2).
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Mit den Art. 141/142 ZGB und Art. 25a FZG hat der Gesetzgeber die sachliche Zuständigkeit des Scheidungsgerichts mit dem Sozialversicherungsgericht koordiniert und auf eine neue Grundlage gestellt. Es wird danach unterschieden, ob hinsichtlich der Teilung der Austrittsleistungen zwischen den Ehegatten (und der beteiligten Vorsorgeeinrichtung, Art. 141 Abs. 1 ZGB) Einigkeit oder Uneinigkeit besteht. Lediglich bei Einigung kann das Scheidungsgericht über die konkrete Teilung der Austrittsleistungen auch in betraglicher Hinsicht selbst entscheiden, indem die Vereinbarung genehmigt und damit auch für die Vorsorgeeinrichtung verbindlich wird (Art. 141 Abs. 1 ZGB). Bei Nichteinigung der Parteien ist das Scheidungsgericht nur befugt, über das abstrakte Verhältnis der ![]() | 17 |
d) Nach dieser mit der Einführung des neuen Scheidungsrechts durch den Gesetzgeber getroffenen Koordination zwischen Scheidungs- und Sozialversicherungsgericht ist grundsätzlich die Zuständigkeit der Sozialversicherungsgerichte zur Beurteilung der Frage, ob während der Ehe eine gültige Barauszahlung durch die Vorsorgeeinrichtung erfolgt ist, zu bejahen (offen gelassen unter der bis 31. Dezember 1999 gültig gewesenen Rechtslage in BGE 125 V 165). Bei einer Austrittsleistung im Sinne von Art. 122 ZGB handelt es sich um einen selbstständigen Anspruch, der weder dem ehelichen Güterrecht noch dem ehelichen Unterhaltsrecht zugeordnet werden kann. Er bezweckt einen Ausgleich für die vorsorgerechtlichen Nachteile der während der Ehe erfolgten Aufgabenteilung und dient der wirtschaftlichen Selbstständigkeit jedes Ehegatten nach der Scheidung (bundesrätliche Botschaft, BBl 1996 I 100). Die Teilung der Austrittsleistung wird nach den Art. 22 bis 22c FZG durchgeführt, wobei im Falle der Nichteinigung die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 73 BVG vorgesehen ist (Art. 25a FZG). Ferner bleibt auch die geteilte Austrittsleistung dem beruflichen Vorsorgeschutz erhalten (Art. 22 Abs. 1, Art. 22b Abs. 2 FZG). Es handelt sich damit um Ansprüche aus Vorsorgeverhältnissen, die dem FZG unterstehen (WALSER, a.a.O., S. 52) und für die im Falle der Nichteinigung (Art. 142 ZGB, Art. 25a FZG) - abgesehen vom Teilungsschlüssel - das Sozialversicherungsgericht nach Art. 73 BVG sachlich zuständig ist. So wird insbesondere auch im Schrifttum die Zuständigkeit der Sozialversicherungsgerichte zur Beurteilung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Zustimmung nach Art. 5 Abs. 2 FZG bejaht (GEISER, Bemerkungen zum Verzicht auf den Versorgungsausgleich im neuen Scheidungsrecht [Art. 123 ZGB], in: ZBJV 2000 S. 104 Ziff. 6.3; CHRISTIAN ZÜND, Probleme im Zusammenhang mit der schriftlichen Zustimmung ![]() | 18 |
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Im Verfahren der ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege gemäss Art. 73 Abs. 1 BVG bildet u.a. ebenfalls Sachurteilsvoraussetzung, dass die klagende Partei an dem von ihr gestellten Rechtsbegehren ein Rechtsschutzinteresse hat. Wird ein Feststellungsbegehren gestellt, kann diesbezüglich ein Rechtsschutzinteresse nur bejaht werden, wenn die klagende Partei ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur an der verlangten Feststellung hat, dass bestimmte Rechte oder Pflichten bestehen oder nicht bestehen; nur wenn ein unmittelbares und aktuelles Interesse in diesem Sinne gegeben ist, sind Feststellungsbegehren im Verfahren nach Art. 73 Abs. 1 BVG zulässig (BGE 120 V 301 f. Erw. 2a, BGE 117 V 320 Erw. 1b, BGE 115 V 373 Erw. 3, je mit Hinweisen; SZS 1999 S. 156). An einem schutzwürdigen Interesse am Erlass eines Feststellungsentscheides fehlt es namentlich dann, wenn das Rechtsschutzinteresse der klagenden Partei durch ein rechtsgestaltendes Urteil gewahrt werden kann (BGE 120 V 302 Erw. 2a; SZS 1999 S. 156).
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b) Die Beschwerdeführerin hat am 10. Dezember 1998 beim Vermittler des Kreises X. die Scheidungsklage anhängig gemacht. In diesem (oder einem künftigen) Scheidungsverfahren kommt der Frage, ob die vor Anhängigmachung des Scheidungsverfahrens am 28. Oktober 1997 ausbezahlte Freizügigkeitsleistung mangels Zustimmung zu Unrecht erfolgt ist, entscheidende Bedeutung für einen allfälligen Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Austrittsleistung nach Art. 122 ZGB zu. Denn vom Anspruch nach Art. 122 ZGB können grundsätzlich Kapitalien nicht erfasst werden, die vor der Scheidung bar ausbezahlt worden sind und nicht mehr der Vorsorge zur Verfügung stehen (BGE 127 III 437 Erw. 2b; GEISER, a.a.O. in ZBJV 2000 S. 102; WALSER, a.a.O., S. 58 unten). In solchen Fällen kann dem Ehegatten des Vorsorgenehmers ausschliesslich über Art. 124 Abs. 1 ZGB eine angemessene Entschädigung für die entgangene Beteiligung an der nicht mehr vorhandenen ![]() | 21 |
c) Die Sache geht daher an das kantonale Gericht zurück, damit es auf die Klage, soweit die Gültigkeit der Zustimmung zur Barauszahlung in Frage steht, materiell eintrete. Hingegen ist es nicht Sache des Sozialversicherungsgerichts, über das zweite Feststellungsbegehren der Beschwerdeführerin zu befinden, wonach das Scheidungsgericht bestimmen könne, dass ein Teil der per Datum der Einreichung des Scheidungsbegehrens aufgelaufenen Austrittsleistung an die Vorsorgeeinrichtung der Beschwerdeführerin zu übertragen sei. Der Entscheid darüber liegt zunächst beim Scheidungsgericht, gestützt auf den Ausgang der Feststellungsklage vor dem Sozialversicherungsgericht (vgl. Art. 122 ZGB). Bei der Beurteilung des ersten Feststellungsbegehrens wird das kantonale Gericht auch noch zu prüfen haben, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin in das Verfahren einzubeziehen ist und ob die Akten des Strafverfahrens beizuziehen sind.
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