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12. Urteil i.S. J. gegen Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen |
K 151/00 vom 9. Dezember 2002 | |
Regeste |
Art. 25, Art. 27, Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG; Art. 19a, Art. 19a Abs. 2 Ziff. 22 KLV: Zahnärztliche Behandlung, die durch ein Geburtsgebrechen bedingt ist. | |
Sachverhalt | |
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Am 19. Mai 1998 ersuchte Dr. med. dent. I. die Concordia um Kostengutsprache für eine Behandlung der Versicherten. Bei einer Restbezahnung im Oberkiefer 13, 15 und im Unterkiefer 45 bis 35, 37 war eine Oberkieferimplantation mit distalen Ausgleichsimplantaten vorgesehen, darin bestehend, dass nach Bisshebung auf 1 - 2 Zähnen eine zwölfgliedrige Brücke im Oberkiefer mit sechs Implantaten angebracht wird. Die Kosten wurden auf Fr. 13'850.90 veranschlagt. Im Gesuch wurde als Therapieerwägung auch eine Umstellungsosteotomie des Unterkiefers mit nachfolgender Eingliederung einer Oberkiefer-Teilprothese erwähnt, doch wurde dazu bemerkt, dass die Versicherte nach Beratung durch einen Kieferchirurgen einen solchen Eingriff unter anderem wegen der Gefahr einer Verletzung des Nervus alveolaris inferior ablehne.
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Nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes Prof. Dr. H., Chefarzt der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie des Spitals X., lehnte die Concordia die Kostenübernahme mit Verfügung vom 25. August 1998 ab. Mit Einspracheentscheid vom 14. Oktober 1998 hielt sie nach nochmaliger Konsultation ihres Vertrauenszahnarztes an ihrem Standpunkt fest.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt J. wiederum beantragen, die Concordia sei zu verpflichten, die Behandlungskosten zur Wiederherstellung der fehlenden Kaueinheiten im Oberkiefer durch eine zwölfgliedrige Brücke sowie sechs Implantate zu bezahlen, eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Durchführung eines Beweisverfahrens zurückzuweisen.
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Die Concordia schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Nach Abschluss des Schriftenwechsels lässt J. einen Bericht des Dr. med. dent. I. vom 23. Dezember 2000 zu den Akten geben.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung äussert sich auf Aufforderung hin mit Schreiben vom 8. April 2002 zur Gesetzmässigkeit von Art. 19a KLV.
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Im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs bezüglich der neuen Eingaben nimmt die Concordia zum nachträglich aufgelegten Bericht des Dr. med. dent. I. Stellung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
Erwägung 1 | |
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Die zahnärztlichen Leistungen sind in der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG).
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2.1 Die Krankenkasse verneinte eine Leistungspflicht im Wesentlichen mit der Begründung, die geplante Massnahme sei weder auf die Beseitigung noch auf die Linderung des Geburtsgebrechens gerichtet. Vorgesehen sei nicht eine kieferorthopädische oder kieferchirurgische Korrektur der mandibulären Prognathie, sondern eine Wiederherstellung der fehlenden Kaueinheiten im Oberkiefer durch eine zwölfgliedrige Brücke mit Implantaten. Durch die negative ![]() | 15 |
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2.3 Die Beschwerdeführerin hält demgegenüber dafür, dass das neue Krankenversicherungsgesetz Massnahmen nach den Methoden der Odontologie als Pflichtleistung nicht mehr ausschliesse. Die Unterteilung in Pflichtleistung und Nichtpflichtleistung erfolge heute bei zahnärztlichen Behandlungen ausschliesslich nach dem Katalog von Art. 17 ff. KLV, indem die dort aufgeführten Diagnosen ![]() | 17 |
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Diese Begründung erstaunt insofern, als die Vorinstanz in Erwägung 3a ihres Entscheides die Bestimmung des Art. 19a KLV ausdrücklich nennt und ihren Inhalt dahin umschreibt, dass die Versicherung die "Kosten der zahnärztlichen Behandlungen" zu übernehmen hat, die durch ein Geburtsgebrechen wie die Prognathia inferior congenita bedingt sind. Nachdem sie das Vorliegen eines Geburtsgebrechens, die Kausalität zwischen dem Geburtsgebrechen und der Kauunfähigkeit sowie die Behandlungsbedürftigkeit bejaht hat, erscheint als unverständlich, dass sie die Leistungspflicht der Krankenkasse nach dieser Bestimmung nicht weiter untersucht hat, sondern davon ausgegangen ist, für eine zahnärztliche Behandlung sei eine Leistungspflicht ohnehin nicht gegeben. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz ist so zu verstehen, dass Art. 19a KLV entweder nicht weiter beachtet wurde oder aber dass dieser Bestimmung, ohne dies näher zu begründen, die Anwendung versagt wurde. Dies veranlasst das Eidgenössische Versicherungsgericht, die Bestimmung des Art. 19a KLV auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen.
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4. Was die Regelung der Übernahme von Kosten für zahnärztliche Behandlungen anbelangt, fällt zunächst auf, dass die Bestimmung des Art. 19a KLV erst nachträglich in die Krankenpflege-Leistungsverordnung aufgenommen worden ist. Während diese Verordnung mit den von Anbeginn enthaltenen Art. 17 bis 19 wie auch die Verordnung über die Krankenversicherung im Jahre 1995 so rechtzeitig erlassen worden sind, dass sie zusammen mit dem Hauptteil der Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung am 1. Januar 1996 in Kraft treten konnten, wurde Art. 19a erst am 13. Dezember 1996 mit In-Kraft-Treten auf den 1. Januar 1997 in die Krankenpflege-Leistungsverordnung eingefügt. Am Bundesgesetz war vorgängig keine Änderung vorgenommen worden, welche an der rechtlichen Ausgangslage für die departementale Ergänzung etwas geändert hätte. In der Stellungnahme des dazu eingeladenen Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) finden sich ![]() | 20 |
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5.1 Wenn sich das BSV bezüglich Gesetzmässigkeit von Art. 19a Abs. 2 KLV auch auf Art. 27 KVG beruft, ist darauf hinzuweisen, dass der Zweck von Art. 27 KVG darin liegt, bei Geburtsgebrechen die Leistungspflicht der Invalidenversicherung durch diejenige der Krankenversicherung abzulösen (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 153). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Hürde für eine Leistungspflicht der Invalidenversicherung nach Art. 13 IVG niedrig ist. Grund dafür ist, dass bei der Schaffung der Invalidenversicherung hier "in einem schmalen Bereich eine Art von Krankenversicherung" eingebaut worden ist (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 294), dies gleichsam als Ersatz für die damals nicht obligatorische Krankenversicherung (vgl. Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung ![]() | 22 |
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5.4 Wenn das BSV in seiner Vernehmlassung ausführt, der Tatbestand "Geburtsgebrechen nach Absatz 2" (Art. 19a Abs. 1 KLV) sei in der schweren, nicht vermeidbaren Erkrankung des Kausystems nach Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG enthalten und somit davon ausgeht, die Liste in Art. 19a Abs. 2 KLV enthalte nur Geburtsgebrechen, welche die Voraussetzung des Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG ![]() | 25 |
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6.2.1 Die Wirksamkeit der von Dr. med. dent. I. vorgeschlagenen Behandlung ist nicht in Frage gestellt. Die Massnahme ist geeignet, ![]() | 29 |
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6.2.3 Bestritten ist vor allem die Wirtschaftlichkeit der Behandlung, weil durch sie die Prognathia inferior congenita nicht behoben werde und die ungünstigen Auswirkungen derselben auf die Zähne und den Zahnersatz bestehen bleiben würden. Die Tatsache, dass der Zahnersatz im Oberkiefer mittels einer zwölfgliedrigen Brücke mit Implantaten ungünstigen Belastungsverhältnissen und damit der Gefahr eines erhöhten Verschleisses ausgesetzt ist, vermag die Versicherte nicht zu widerlegen. Dies allein bedeutet aber nicht, dass die Behandlung deswegen unwirtschaftlich wäre. Die Beschwerdeführerin legt dar, dass die Operation der Unterkieferosteotomie mit nachfolgender Eingliederung einer Teilprothese im Oberkiefer Kosten in der Grössenordnung von Fr. 25'000.- bis 30'000.- verursachen würde. Die Beschwerdegegnerin widerspricht dieser Kostenschätzung, obwohl sie dazu dank ihrer Vertrauensärzte fachlich in der Lage wäre, nicht. Dr. med. dent. I. weist sodann auf wissenschaftliche Untersuchungen hin, wonach die Unterkieferosteotomie öfters zu Rückfällen führt, und er gibt auch zu bedenken, dass die Instandhaltung der Oberkiefer-Teilprothese nicht zu unterschätzende Kosten verursacht. Stellt man die Kosten von Fr. 13'850.90 gemäss Kostengutsprachegesuch mit den geschätzten Kosten der Unterkieferosteotomie mit Eingliederung einer Teilprothese im Oberkiefer in der Grössenordnung von Fr. 25'000.- bis 30'000.- unter Berücksichtigung der Kosten für allfällige Rückfälle in Vergleich, so erscheinen die Ersteren nicht in einem ungünstigen Verhältnis zum Nutzen, der damit erzielt wird, dies selbst dann nicht, wenn die Dauer, während welcher die Massnahme Bestand hat, wegen der nicht so idealen Ausgangslage etwas kürzer sein sollte. Ist demnach die Massnahme mit den niedrigeren Kosten als wirtschaftlich zu qualifizieren, so ist nicht mehr zu prüfen, ob die Unterkieferosteotomie mit Eingliederung einer Teilprothese im Oberkiefer überhaupt zumutbar wäre.
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