BGE 129 V 90 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
13. Auszug aus dem Urteil i.S. R. gegen CSS Versicherung und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern |
K 60/00 vom 18. Oktober 2002 | |
Regeste |
Art. 61 KVG; Art. 163 Abs. 1, Art. 166 Abs. 1 und 3 ZGB: Haftung des einen Ehegatten für Beitragsschulden des andern gegenüber dessen Krankenversicherer. | |
Aus den Erwägungen: | |
1 | |
Nach der geltenden Rechtsprechung gehören der Abschluss der Krankenpflegeversicherung und der Wechsel des Versicherers zu den laufenden Bedürfnissen der Familie im Sinne von Art. 166 Abs. 1 ZGB (BGE 110 V 312 Erw. 3; RKUV 1993 Nr. K 914 S. 86 Erw. 2b/aa). Die Ehegatten haften daher für die Prämien unabhängig vom Güterstand solidarisch (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 337), wobei die solidarische Haftung nur eintreten kann, sofern das der Beitragsforderung zugrunde liegende Versicherungsverhältnis während des ehelichen Zusammenlebens oder im Hinblick auf familiäre Bedürfnisse begründet worden ist (BGE 119 V 21 Erw. 4 und 5).
| 2 |
3 | |
3.1 Nach herrschender Lehre erfasst der Unterhalt nach Art. 163 Abs. 1 ZGB als Haushaltskosten alle grundlegenden Bedürfnisse, insbesondere auch die Versicherungen (Kranken-, Unfall-, Lebens-, Haftpflichtversicherungen) (HAUSHERR/REUSSER/GEISER, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht [Berner Kommentar], Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Das Familienrecht: Art. 159-180 ZGB, 2. Aufl., Bern 1999, N 9 zu Art. 163). Zu diesem Unterhaltsbedarf gehören somit die Versicherungen und die Beiträge von Ehefrau und Ehemann an Sozialversicherungen im weitesten Sinn, namentlich die Prämien für Krankenkassen (FRANZ HASENBÖHLER, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht [Basler Kommentar], Zivilgesetzbuch I, Art. 1-359 ZGB, Basel 1996, N 8 und 11 zu Art. 163; BRÄM/HASENBÖHLER, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [Zürcher Kommentar], Das Familienrecht, Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Art. 159, Art. 163-168 ZGB, 3. Aufl., Zürich 1993, N 34 zu Art. 163; DESCHENAUX/STEINAUER/BADDELEY, Les effets du mariage, Bern 2000, S. 219 N 473). Stellen könnte sich lediglich die - vorliegend unerhebliche - Frage, ob die obligatorische soziale Krankenversicherung (Grundversicherung) als ausreichend anzusehen ist, oder ob - angesichts der Prämienhöhe - Zusatzversicherungen in den Unterhaltskosten eingeschlossen sind (HAUSHERR/REUSSER/GEISER, a.a.O., N 16 ff. zu Art. 163 und N 54 zu Art. 166; DESCHENAUX/STEINAUER/BADDELEY, a.a.O, S. 193 N 400 und S. 220 N 473; HAUSHEER/GEISER/KOBEL, Das Eherecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 2000, S. 60 N 08.06).
| 4 |
Auch die Frage, ob der Abschluss einer Krankenversicherung den laufenden Bedürfnissen der Familie im Sinne von Art. 166 Abs. 1 ZGB zuzuordnen ist, wird nach herrschender Lehre bejaht (HASENBÖHLER, Basler Kommentar, a.a.O., N 7 zu Art. 166; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 4. Aufl., Bern 2000, S. 191 N 18.07). Der Radius des laufenden Familienbedarfs erstreckt sich namentlich auf die Versicherung der Familienmitglieder bei einer Krankenkasse (BRÄM/HASENBÖHLER, a.a.O., N 39 zu Art. 166). Die Bedürfnisse der Familie nach Art. 166 Abs. 1 ZGB betreffen zwar den Unterhalt gemäss Art. 163 ZGB. Diesem kommt aber eine umfassendere Bedeutung zu (BGE 119 V 24 f. Erw. 6). So bedeutet der Unterhalt nach Art. 163 ZGB auf alle Fälle die obere Begrenzung für die Bedürfnisse der Familie. Der Abschluss von Versicherungen für die Familienmitglieder (insbesondere Krankenversicherung) und die entsprechenden Prämien gehören daher zu den Bedürfnissen der Familie gemäss Art. 166 ZGB im Sinne der Gewährleistung einer ausreichenden Grundversorgung (HAUSHERR/REUSSER/GEISER, a.a.O, N 38, 39a und 40 zu Art. 166). Diesbezüglich wollte der Reformgesetzgeber von Art. 166 Abs. 3 ZGB die Haftung spiegelbildlich zur Vertretungsbefugnis regeln und in beiden Bereichen die Gleichstellung der Ehegatten verwirklichen. Er hat deshalb neu eine primäre und gleichrangige Haftung der Ehegatten eingeführt. Jeder von ihnen verpflichtet durch sein rechtsgeschäftliches Handeln sowohl sich persönlich als auch den anderen. Diese Solidarhaftung wird bereits bei Vorhandensein der objektiven Voraussetzungen gemäss Art. 166 Abs. 1 oder 2 ZGB ausgelöst, unabhängig davon, in wessen Namen der handelnde Ehegatte tätig wurde, und ohne Rücksicht darauf, ob der Dritte vom Verheiratetsein seines Vertragspartners wusste oder nicht (HASENBÖHLER, Basler Kommentar, a.a.O., N 19 zu Art. 166).
| 5 |
3.2 Gemäss Vorinstanz würde die Anwendung der in BGE 119 V 16 publizierten Rechtsprechung nach Einführung des Obligatoriums unter Umständen zu einer ungleichen Behandlung der Versicherten führen. Wenn eine versicherte Person nach dem 1. Januar 1996 heirate und nach der Eheschliessung bei der gleichen Krankenkasse bleibe, hafte der Ehepartner nicht für Prämien des anderen Ehegatten, die nach der Heirat fällig wurden. Dagegen sei der Ehegatte solidarisch haftbar, wenn der andere Ehegatte nach der Heirat den Krankenversicherer wechsle. Dass die Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung das gesamte Familieneinkommen tangieren - und damit beide Ehegatten für die Prämien der obligatorischen Versicherung solidarisch haften -, könne auch aus der Regelung betreffend Prämienverbilligung geschlossen werden. Das Krankenversicherungsgesetz sehe eine Prämienverbilligung für Versicherte in bescheidenen Verhältnissen vor (Art. 65 KVG). Davon sollen der Versicherte und seine Familienangehörigen profitieren. Für die Auszahlung von Prämienverbilligung sei nicht relevant, ob die Kassenmitgliedschaft während des Zusammenlebens oder im Hinblick auf die Heirat erlangt wurde. Massgebend seien vielmehr die finanziellen Verhältnisse, insbesondere das steuerbare Einkommen einer Familie. Werde die ganze Familie mit Prämienverbilligungen begünstigt, unabhängig vom Zeitpunkt, in dem das Versicherungsverhältnis begründet wurde, seien ebenfalls die Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung als Auslage für die laufenden Bedürfnisse der Familie, unbeachtlich des Zeitpunktes des Abschlusses des Versicherungsverhältnisses, zu betrachten. Schliesslich sei zu beachten, dass die Beiträge von Ehefrau und Ehemann an Sozialversicherungen zum Unterhaltsbedarf nach Art. 163 ZGB gehören.
| 6 |
7 | |
Daraus folgt, dass die solidarische Haftung des für Beitragsschulden belangten Ehegatten im Sinne von Art. 166 Abs. 1 und 3 ZGB nach Einführung der obligatorischen Krankenversicherung ungeachtet dessen eintritt, ob das der Beitragsforderung zugrunde liegende Versicherungsverhältnis während des ehelichen Zusammenlebens oder im Hinblick auf familiäre Bedürfnisse begründet worden ist.
| 8 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |