BGE 129 V 327 | |||
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49. Auszug aus dem Urteil i.S. 1. H., 2. T., Erben der W., gegen Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich |
C 290/00 vom 25. Februar 2003 | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 3 AVIG; Art. 12 Abs. 1 AVIV; Art. 8 Abs. 1, Art. 9 BV: Erfüllung der Beitragszeit nach freiwilliger vorzeitiger Pensionierung. | |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
Erwägung 1.2 | |
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"1 Versicherten, die vor Erreichung des Rentenalters der AHV pensioniert worden sind, wird nur jene beitragspflichtige Beschäftigung als Beitragszeit angerechnet, die sie nach der Pensionierung ausgeübt haben.
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2 Absatz 1 gilt nicht, wenn der Versicherte:
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a. aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von zwingenden Regelungen im Rahmen der beruflichen Vorsorge vorzeitig pensioniert wurde und
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b. einen Anspruch auf Altersleistungen erwirbt, der geringer ist als die Entschädigung, die ihm nach Artikel 22 AVIG zustünde.
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3 Als Altersleistungen gelten Leistungen der obligatorischen und weitergehenden beruflichen Vorsorge."
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Erwägung 3 | |
3.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zu Recht nicht behauptet, Art. 12 Abs. 2 AVIV, der einen Ausnahmetatbestand von Art. 12 Abs. 1 AVIV darstellt und dessen lit. a und b - wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat - kumulativ erfüllt sein müssten (BGE 123 V 146 Erw. 4b), sei anwendbar. Die Versicherte hat infolge ihrer Kündigung des Arbeitsvertrages, des Erreichens der reglementarischen Altersgrenze für eine vorzeitige Pensionierung und ihres Begehrens eine Altersrente erhalten. Dabei wurde sie weder aus wirtschaftlichen Gründen noch aufgrund von zwingenden Regelungen im Rahmen der beruflichen Vorsorge im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV vorzeitig pensioniert. Vielmehr erfolgte die vorzeitige Pensionierung freiwillig, was für die Unterstellung unter Art. 12 Abs. 1 AVIV ausschlaggebend ist (BGE 126 V 396 unten mit Hinweis auf THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 191; vgl. auch HANS-ULRICH STAUFFER, Vorzeitige Pensionierung, Abgangsentschädigung und Berufliche Vorsorge für Arbeitslose, in: SZS 1998 S. 282). Die Versicherte machte nämlich von der ihr im Vorsorgereglement (Ziff. 2.2.6.) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Ausrichtung einer Altersleistung und damit ihre vorzeitige Pensionierung zu verlangen, während es ihr freigestanden hätte, es bei einer Freizügigkeitsleistung bewenden zu lassen (Ziff. 4.1. des Reglements; gemäss Art. 2 Abs. 1 FZG Austrittsleistung), wodurch sie nicht vorzeitig pensioniert worden wäre (vgl. Plädoyer 2002/6 S. 69 Erw. 5c). Da die Versicherte unter Art. 12 Abs. 1 AVIV fällt, wonach nur nach der vorzeitigen Pensionierung ausgeübte beitragspflichtige Beschäftigungen als Beitragszeiten angerechnet werden, bestand während des zur Diskussion stehenden Zeitraums von Oktober 1998 bis März 1999 mangels Erfüllung der sechsmonatigen Beitragszeit gemäss Art. 13 Abs. 1 AVIG kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, sofern sich die so ausgelegte Verordnungsbestimmung des Art. 12 AVIV nicht als gesetz- und/oder verfassungswidrig erweist.
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4.1 Nach der Rechtsprechung kann das Eidgenössische Versicherungsgericht Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbstständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es in erster Linie, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern Gründen gesetz- oder verfassungswidrig sind. Es kann jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom Bundesrat verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen das in Art. 9 BV verankerte Willkürverbot, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt oder sinn- oder zwecklos ist, bzw. gegen das in Art. 8 Abs. 1 BV festgeschriebene Gebot der rechtsgleichen Behandlung, wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt, oder Unterscheidungen unterlässt, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen (BGE 128 II 40 Erw. 3b, 252 Erw. 3.3, BGE 128 IV 180 Erw. 2.1, BGE 128 V 98 Erw. 5a, 105 Erw. 6a, je mit Hinweisen; RKUV 2002 Nr. KV 196 S. 11 Erw. 3c/aa mit Hinweisen; zur Anwendbarkeit der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Bundesverfassung in vor diesem Zeitpunkt erlassene Verfügungen betreffenden Verfahren BGE 126 V 71 Erw. 4a mit Hinweis).
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Demgegenüber bringt der beschwerdeführerische Rechtsvertreter unter Berufung auf GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, N 41 ff. zu Art. 13, vor, Art. 13 Abs. 3 AVIG erlaube eine abweichende Regelung nur zur Verhinderung eines ungerechtfertigten gleichzeitigen Bezuges von Pensionskassenleistungen auf der einen und von Arbeitslosenentschädigung auf der andern Seite, nicht aber zur Verhinderung eines gleichzeitigen Bezuges der beiden Leistungsarten schlechthin. Art. 12 Abs. 1 AVIV könne nicht völlig unabhängig von der Höhe der Rente aus der zweiten Säule zum Tragen kommen. In Anbetracht der winzigen Rente der Versicherten, die ihre Stelle aus gesundheitlichen Gründen habe aufgeben müssen, könne nicht von einem ungerechtfertigten Doppelbezug im Sinne des Gesetzes gesprochen werden. Vielmehr führe die buchstabengetreue Anwendung der Verordnung zu einem offensichtlich gesetzwidrigen Ergebnis. Die Verordnung treffe mit ihrer absoluten Formulierung Unterscheidungen, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich sei. Es sei deshalb nicht von der Verordnung, sondern vom Gesetz auszugehen.
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4.3 Art. 12 Abs. 3 des bundesrätlichen Entwurfs zum AVIG lautete (BBl 1980 III 652): "Zur Verhinderung eines ungerechtfertigten gleichzeitigen Bezuges von Pensionskassenleistungen und Arbeitslosenentschädigung kann der Bundesrat die Anrechnung von Beitragszeiten abweichend ordnen für Personen, die vor Erreichung des Rentenalters der AHV pensioniert wurden, jedoch weiterhin als Arbeitnehmer tätig sein wollen." In der dazugehörigen Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 wird diesbezüglich erläutert (BBl 1980 III 563): "Absatz 3 bietet die Rechtsgrundlage dafür, dass unter Umständen auf dem Verordnungswege für vorzeitig Pensionierte strengere Anforderungen an die vorgängige Beitragspflicht gestellt werden können. Es soll damit verhindert werden, dass diese unmittelbar im Anschluss an ihre Pensionierung zusätzlich zur Pension noch Arbeitslosenentschädigung beziehen können, ohne dass sie ihre weitere Vermittlungsfähigkeit und vor allem Vermittlungswilligkeit unter Beweis stellen." Mit dieser Bestimmung war somit eine Regelung gemeint, die für einen bestimmten Personenkreis den gleichzeitigen Bezug von Pensionskassenleistungen und Arbeitslosenentschädigung nicht von der Höhe der Rente der beruflichen Vorsorge abhängig macht, sondern bis zum Nachweis der weiteren Vermittlungsfähigkeit schlechthin ausschliesst. Als ungerechtfertigt sollte demnach für diese Versicherten nicht ein einen bestimmten Betrag übersteigender Leistungsbezug, sondern der Doppelbezug ohne vorgängigen Nachweis der Vermittlungsfähigkeit gelten. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, verwarf die nationalrätliche Kommission einen Antrag, Art. 12 Abs. 3 des Entwurfs zugunsten einer Überversicherungsbestimmung zu streichen, und folgte dem Entwurf des Bundesrates (S. 20 des Protokolls über die Sitzung vom 27./28. Oktober 1980 und S. 21 f. des Protokolls über die Sitzung vom 24./25. November 1980). Auch die ständerätliche Kommission stimmte Art. 12 Abs. 3 des bundesrätlichen Vorschlags zu (S. 15 f. des Protokolls über die Sitzung vom 17./18. August 1981). Sowohl National- als auch Ständerat nahmen in Übereinstimmung mit dem Antrag der jeweiligen Kommission den vom Bundesrat vorgeschlagenen Art. 12 Abs. 3 an (Amtl. Bull. 1981 N 623; Amtl. Bull. 1982 S 129 f.). Dieser wurde als Art. 13 Abs. 3 AVIG in seinem ursprünglichen Wortlaut zum Gesetz (AS 1982 2188). In der am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen heutigen Fassung dieser Bestimmung (AS 1996 275 und 293) ist nach wie vor von der "Verhinderung eines ungerechtfertigten gleichzeitigen Bezuges" und davon die Rede, dass der Bundesrat die "Anrechnung von Beitragszeiten" vor Erreichen des AHV-Rentenalters pensionierter Personen abweichend regeln kann, weshalb sich die aufgrund der Gesetzesmaterialien angestellten Überlegungen zur alten ohne weiteres auf die neue Fassung übertragen lassen.
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4.5 Es stellt sich indessen die Frage, ob die in Art. 12 AVIV erfolgte Umschreibung des von dieser speziellen Regelung betroffenen Personenkreises gegen das Gleichbehandlungsgebot oder das Willkürverbot und damit gegen die Bundesverfassung verstösst. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen vorzeitig Pensionierter im Grundsatz nicht zu beanstanden ist. Vielmehr ist sie - abgesehen davon, dass das Gleichbehandlungsprinzip auch gebietet, in den relevanten Punkten Ungleiches ungleich zu behandeln (BGE 129 V 111 Erw. 1.2.2, BGE 127 I 192 Erw. 5 Ingress, 209 Erw. 3f/aa, BGE 125 I 4 Erw. 2b/aa, 178 Erw. 6b) - durch den Art. 13 Abs. 3 AVIG zugrunde liegenden Zweck der Sicherung der Vermittlungsfähigkeit (vgl. BGE 126 V 397 Erw. 3b/bb) und die Botschaft, wonach diese Delegationsnorm die Rechtsgrundlage dafür bildet, dass "unter Umständen" auf dem Verordnungsweg für vorzeitig Pensionierte strengere Anforderungen an die vorgängige Beitragspflicht gestellt werden können (BBl 1980 III 563), vorgezeichnet. Dabei ist eine Unterscheidung nach dem Grund der vorzeitigen Pensionierung sinnvoll. Sie ist im Übrigen schon in der Delegationsnorm angelegt, nachdem der Gesetzgeber, wie die zitierten Materialien zeigen, davon ausgegangen ist, dass sich die Frage, ob der gleichzeitige Bezug von Altersleistungen der beruflichen Vorsorge und Arbeitslosenentschädigung gerechtfertigt ist, für einen bestimmten Personenkreis nicht nach der Höhe der Leistungen beurteilt.
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4.6 Es bleibt daher einzig zu prüfen, ob es willkürlich ist oder eine rechtsungleiche Behandlung darstellt, eine Person, welche die Ausrichtung einer Altersrente der beruflichen Vorsorge beantragt, obwohl sie sich nach dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung auch für eine Austrittsleistung entscheiden könnte, nach Art. 12 Abs. 1 AVIV anders zu behandeln als eine Person, die im Sinne von Art. 12 Abs. 2 AVIV aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von zwingenden Regelungen im Rahmen der beruflichen Vorsorge vorzeitig pensioniert wird. Diesbezüglich fällt auf, dass bei den Gegenstand von Art. 12 Abs. 2 AVIV bildenden Personengruppen die vorzeitige Pensionierung aufgrund objektiver Umstände erfolgt, ohne dass der betroffenen Person eine Alternative offen steht. Demgegenüber führt die versicherte Person in der hier interessierenden Situation die vorzeitige Pensionierung freiwillig herbei, indem sie sich nicht für eine Austritts-, sondern für eine Altersleistung entscheidet. Es ist im Rahmen der dem Eidgenössischen Versicherungsgericht zustehenden Kognition nicht zu beanstanden, dass der Bundesrat dafür hielt, eine solche Person habe anders als die unter Art. 12 Abs. 2 AVIV fallenden Versicherten durch eine nach der Pensionierung erfolgende Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung ihre Vermittlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Wenn eine Person freiwillig Altersleistungen der zweiten Säule bezieht, liegen nämlich Zweifel an der Vermittlungsfähigkeit näher als bei einer Person, die aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund zwingender Regelungen im Rahmen der beruflichen Vorsorge und damit aufgrund ausserhalb ihrer Person liegender Umstände im Sinne von Art. 12 Abs. 2 AVIV zur vorzeitigen Pensionierung gezwungen wird; denn die Wahl einer Altersleistung stellt immerhin ein Indiz für die Absicht dar, sich aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen, was erst recht gilt, wenn eine Stelle aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wird. Soweit darin von Personen, die sich durch die Wahl einer Alters- statt einer Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge freiwillig vorzeitig pensionieren lassen, die Erfüllung der Beitragszeit durch eine nach der Pensionierung ausgeübte beitragspflichtige Beschäftigung verlangt wird, kann demnach nicht gesagt werden, die streitige Verordnungsbestimmung lasse sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen, sei sinn- oder zwecklos oder treffe rechtliche Unterscheidungen, für die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lasse. Da es folglich auch an einer Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung oder des Willkürverbots fehlt, ist die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit von Art. 12 AVIV diesbezüglich zu bejahen.
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