BGE 129 V 345 | |||
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51. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen E. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich |
H 300/02 vom 23. Mai 2003 | |
Regeste |
Art. 16 AHVG; Art. 41bis AHVV: Verwirkungsfrist für Verzugszinsen auf ausstehenden AHV/IV/EO-Beiträgen. | |
Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
4.1 Gestützt auf die geltende Rechtsprechung (vgl. BGE 125 V 399 Erw. 3a mit Hinweisen, BGE 119 V 240 Erw. 5e, BGE 111 V 97 Erw. 5d) gehen sämtliche Verfahrensbeteiligten zu Recht davon aus, dass auch die Geltendmachung der Verzugszinsforderung auf AHV/IV/EO-Beiträgen einer Verwirkung unterliegt. An diesem Grundsatz ist festzuhalten. Nicht in Frage zu stellen ist auch der Beginn des Fristenlaufes ab Zahlung der letzten Beitragsrate (BGE 119 V 239 ff. Erw. 5d/bb, BGE 111 V 98 Erw. 5d; vgl. zum massgebenden Zahlungszeitpunkt AHI 2003 S. 143). Die daran anschliessende Frage nach der Länge der Verwirkungsfrist stellt sich - methodologisch oder rechtsanwendungstechnisch betrachtet - als Schliessung einer - im Sinne der traditionellen, immer noch herrschenden Lückeneinteilung (vgl. dazu BGE 128 I 42 Erw. 3b mit Hinweisen) - echten Gesetzeslücke (dazu BGE 126 V 122 Erw. 2c mit Hinweis) dar. Denn weder die gesetzlichen und verordnungsmässigen Grundlagen - denen zur Verwirkung der Verzugszinsforderung nichts zu entnehmen ist - noch der allgemeine Rechtsgrundsatz, wonach Verzugszinsforderungen grundsätzlich der Verwirkung unterliegen, enthalten eine Aussage darüber, wie die Dauer dieser Verwirkungsfrist zu bemessen ist. Das Gericht hat daher - mangels Gewohnheitsrecht - nach der Regel zu entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung (Art. 1 Abs. 3 ZGB). Als Mittel zur Schliessung der echten Lücke fällt unter Umständen der Analogieschluss in Betracht (ARTHUR MEIER-HAYOZ, Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht [Berner Kommentar], Bd I/1, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Einleitung: Artikel 1-10 ZGB, Bern 1962, N 346 zu Art. 1; DAVID DÜRR, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [Zürcher Kommentar], Bd I/1, Einleitung: Art. 1-7 ZGB, 3. Aufl., Zürich 1998, N 525 zu Art. 1). Der Analogieschluss drängt sich im hier interessierenden Kontext deswegen auf, weil das positive Recht für andere sozialversicherungsrechtliche Forderungen leistungs-, beitrags- und schadenersatzrechtlicher Natur Verwirkungsfristen vorsieht. Der Analogieschluss setzt jedoch hinreichend gleich gelagerte Verhältnisse voraus (BGE 129 V 30 Erw. 2.2 mit Hinweisen). Die Analogie hat somit zu berücksichtigen, dass jener Regelungszusammenhang, für den eine Vorschrift im positiven Recht existiert, und jene Thematik, welche durch das Fehlen einer gesetzlichen Norm gekennzeichnet ist und für die sich die Frage der analogieweisen Heranziehung der anderen Regel stellt, hinreichende sachliche Gemeinsamkeiten aufweisen müssen.
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Erwägung 4.2 | |
4.2.1 Die zeitliche Begrenzung von Rechten findet sich im Privatrecht wie im öffentlichen Recht. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Verwirkung oder Verjährung der Verzugszinsforderung auch und vorab im Privatrecht. Die gesetzliche Verzugszinsregelung in Art. 104 f. OR enthält hinsichtlich der Verjährung der Verzugszinsforderung keine positive Normierung. Lehre und Rechtsprechung bejahen den Grundsatz, wonach auch die Verzugszinsforderung der Verjährung unterliegt (BGE 52 II 217 Erw. 2, vgl. auch BGE 78 II 149 Erw. 3a), jedoch sind die Auffassungen über die Dauer der Verjährungsfrist nicht einheitlich: Das Bundesgericht hat in BGE 52 II 217 Erw. 2 gestützt auf Art. 133 OR entschieden, dass Verzugszinsen der Verjährungsfrist des Hauptanspruches unterliegen; dieser im Urteil A. des Bundesgerichts vom 18. Oktober 2001 (4C.206/2001) bestätigten Auffassung folgt - allerdings ohne Verweis auf die Rechtsprechung und ohne Begründung - PIERRE ENGEL (Traité des obligations en droit suisse, 2. Aufl., Bern 1997, S. 807). Nach STEPHEN V. BERTI (Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [Zürcher Kommentar], Bd. V/1h, Obligationenrecht, Das Erlöschen der Obligationen, Art. 127-142 OR, 3. Aufl., Zürich 2002, N 14 zu Art. 128) fallen Verzugszinsen im Sinne von Art. 104 OR nicht unter den Begriff der Kapitalzinsen, für die, abweichend von der Grundregel des Art. 127 OR (zehn Jahre), gemäss Art. 128 Ziff. 1 OR eine fünfjährige Verjährungsfrist gilt, wenn sie periodisch fällig werden. Abgesehen von KARL SPIRO (Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I: Die Verjährung der Forderungen, Bern 1975, § 273), der die Verzugszinsen unter die Fünfjahresfrist des Art. 128 Ziff. 1 OR subsumiert, sowie diesem folgend FABIAN CANTIENI (Verzugsschaden bei Geldschulden, Diss. Zürich 1996, S. 163 f.), spricht sich die zivilrechtliche Doktrin weit überwiegend für die zehnjährige Verjährungsfrist für Verzugszinsen aus (ROLF H. WEBER, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht [Berner Kommentar], Bd VI/1, Obligationenrecht, allgemeine Bestimmungen, Vorbemerkungen und Kommentar zu Art. 68-96 OR, Bern 1983, N 112 zu Art. 73 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. auch CANTIENI, a.a.O., S. 163 Fn 6); dies hat auch das Handelsgericht des Kantons Zürich im Entscheid vom 12. Oktober 1964 (ZR 1965 S. 242, Nr. 147 in fine allerdings unter Verweis auf BGE 52 II 217 Erw. 2) gemacht.
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Da dem Verzugszins sowohl im Privat- (z.B. EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, 2. Aufl., Zürich 1988, S. 361 f.) wie im Sozialversicherungsrecht (z.B. AHI 1995 S. 80 Erw. 4b in fine) die Funktion eines Vorteilsausgleichs wegen verspäteter Zahlung der Hauptschuld zukommt, besteht eine hinreichende sachliche Gemeinsamkeit für die analoge Anwendung der privatrechtlichen Regelung (vgl. Erw. 4.1 in fine hievor). So sind denn auch keine Gründe ersichtlich, weshalb die Verzugszinsproblematik im Bereich der Sozialversicherung anders als im Privatrecht gelöst werden sollte, wobei in dieser Hinsicht die unterschiedliche Dauer der jeweiligen Verjährungs- und Verwirkungsfristen nicht massgebend ist, da nur der Grundsatz (die Massgeblichkeit der Frist des jeweiligen Hauptanspruches oder der jeweils ordentlichen Frist), nicht aber die privatrechtliche Ordnung als solche, analog herangezogen wird.
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4.2.2 Privatrechtlich richtet sich die Verjährungsfrist der Verzugszinsen gemäss BGE 52 II 217 Erw. 2 (unter Hinweis auf Art. 133 OR) nach dem Hauptanspruch oder dauert gemäss der herrschenden Lehrmeinung in Anwendung der ordentlichen Verjährungsfrist zehn Jahre (vgl. Erw. 4.2.1 hievor); dies führt im Hinblick auf die Sozialversicherung zu einer Verwirkungsfrist von fünf Jahren, da vorliegend sowohl die Verwirkungsfrist für den Hauptanspruch (die Beitragserhebung; Art. 16 Abs. 1 AHVG) wie auch die ordentliche Verwirkungsfrist (vgl. die ab 1. Januar 2003 geltende Kodifikation in Art. 24 Abs. 1 ATSG sowie THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, § 5 N 37) jeweils fünf Jahre betragen; die ordentliche fünfjährige Verwirkungsfrist bildet in dieser Hinsicht das sozialversicherungsrechtliche Pendant zur zehnjährigen ordentlichen Verjährungsfrist im Privatrecht: Denn ebenso wie die privatrechtliche Verjährung dem Rechtsfrieden dient (vgl. BUCHER, a.a.O., S. 444), nimmt die Verwirkung das spezifisch öffentlich-rechtliche Bedürfnis, zwischen Staat (oder Versicherer) und Betroffenem Rechtsfrieden eintreten zu lassen (BGE 111 V 97 Erw. 5d), wahr. Die Dauer der Verwirkungsfrist für Verzugszinsforderungen auf Beitragsforderungen beträgt somit fünf Jahre; dies - in analoger Anwendung der Regelung des Art. 133 OR sowie der privatrechtlichen Rechtsprechung (BGE 52 II 217 Erw. 2) - nach Massgabe der Verwirkungsfrist für die materielle Forderung, sodass die Verzugszinsforderung keine längere Verwirkungsfrist als die Hauptforderung aufweist. Damit ist der Standpunkt des Beschwerde führenden Bundesamtes - im Ergebnis - begründet.
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