![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
54. Urteil i.S. Z. gegen IV-Stelle Schwyz und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz |
I 155/02 vom 25. Juni 2003 | |
Regeste |
Art. 7 Abs. 1 IVG: Kürzung der Leistungen. |
In analoger Anwendung der Praxis der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt ist der Umfang der Kürzung auch im Bereich der Invalidenversicherung von der Blutalkoholkonzentration abhängig. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Am 28. Mai 1999 meldete sich Z. zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Schwyz richtete ihm vom 1. Mai 1998 bis zum 31. August 1999 eine halbe einfache Invalidenrente aus (Verfügung vom 12. Februar 2000) und übernahm für die Zeit vom 6. August 1999 bis zum 31. Juli 2000 die Mehrkosten der erstmaligen beruflichen Ausbildung zum Heizungsmonteur (Verfügung vom 29. Oktober 1999). Nach Abschluss der Ausbildung war Z. als Heizungsmonteur beim bisherigen Arbeitgeber angestellt, wobei er eine Leistung von etwa 50% erzielte. Mit Verfügung vom 4. Oktober 2001 sprach ihm die IV-Stelle ab 1. August 2000 erneut eine halbe einfache Invalidenrente zu, welche sie wegen Grobfahrlässigkeit um 30% kürzte.
| 2 |
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher Z. die Zusprechung einer ungekürzten Rente beantragte, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 16. Januar 2002 ab.
| 3 |
C.- Z. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei ihm eine ungekürzte halbe Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Kürzung auf 10% herabzusetzen.
| 4 |
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und die IV-Stelle beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Stellungnahme.
| 5 |
6 | |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
7 | |
Erwägung 2 | |
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 1 IVG können Geldleistungen dauernd oder vorübergehend verweigert, gekürzt oder entzogen werden, wenn der Versicherte die Invalidität vorsätzlich oder grobfahrlässig oder bei der Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt oder verschlimmert hat. Auf Grund des direkt anwendbaren Art. 32 Ziff. 1 lit. e des Übereinkommens Nr. 128 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und Art. 68 lit. f der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit (EOSS) sind Leistungskürzungen wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls allerdings ausgeschlossen (BGE 119 V 171 ff.). Dagegen bleibt die Kürzung oder Verweigerung von Leistungen wegen absichtlicher Herbeiführung der Invalidität oder Herbeiführung der Invalidität bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens zulässig, soweit sie Leistungen an den anspruchsberechtigten Versicherten zum Gegenstand hat (BGE 120 V 226 Erw. 2a, BGE 119 V 244 Erw. 3). Wie in der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 37 Abs. 3 UVG), aber anders als in der Militärversicherung (Art. 65 Abs. 2 MVG), setzt die Bestimmung die Erfüllung eines objektiven Straftatbestandes und nicht notwendigerweise Absicht oder Grobfahrlässigkeit voraus. Der Unfall muss nicht zwingend schuldhaft herbeigeführt worden sein; es genügt, wenn er bei (anlässlich) der Begehung eines ![]() | 8 |
9 | |
Erwägung 3 | |
3.1 Laut Rapport der Kantonspolizei vom 10. Mai 1997 hat sich der Unfall ereignet, als der Versicherte mit einem entwendeten Personenwagen ohne gültigen Führerausweis (bzw. ohne das erforderliche Mindestalter von 18 Jahren erreicht zu haben) in angetrunkenem Zustand, unangegurtet und mit überhöhter Geschwindigkeit in einer leichten Linkskurve geradeaus fuhr, worauf das Fahrzeug einen Holzzaun durchschlug und ins angrenzende Wiesland geschleudert wurde. Er hat damit u.a. die Straftatbestände von Art. 91 Abs. 1 SVG (Fahren in angetrunkenem Zustand) und Art. 94 Ziff. 1 SVG (Entwendung zum Gebrauch) erfüllt, wofür das Gesetz Gefängnis oder Busse als Strafe vorsieht. Nach der Legaldefinition von Art. 9 Abs. 2 StGB handelt es sich dabei um Vergehen, welche nicht nur strafbar sind, wenn sie vorsätzlich, sondern auch wenn sie fahrlässig begangen werden (Art. 100 Ziff. 1 SVG). Der Beschwerdeführer hat den Unfall demnach im Sinne von Art. 7 Abs. 1 IVG bei der Ausübung eines Vergehens herbeigeführt. Entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat auch der Tatbestand von Art. 94 Ziff. 1 SVG als erfüllt zu gelten. Der privilegierte Tatbestand von Satz 2 dieser Bestimmung gelangt nur zur Anwendung, wenn der Fahrzeugführer über einen gültigen Führerausweis verfügt (HANS SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 19. Dezember 1958, Bern 1964, S. 245 f.; HARRY KALT, Die Entwendung zum Gebrauch nach ![]() | 10 |
3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Voraussetzungen für eine Leistungskürzung seien nicht gegeben, weil gemäss Art. 66bis StGB von einer Bestrafung abgesehen worden sei und er nie der Verletzung von Art. 91 Abs. 1 bzw. Art. 94 Ziff. 1 SVG schuldig gesprochen worden sei. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist nicht erforderlich, dass ein Strafentscheid vorliegt, und es ist gegebenenfalls Sache der Verwaltung und des Sozialversicherungsrichters, selbstständig zu prüfen, ob eine für die Leistungskürzung oder -verweigerung relevante strafbare Handlung vorliegt (vgl. BGE 120 V 224 ff.). Zum andern bedeutet die im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 66bis StGB verfügte Einstellung des Strafverfahrens nicht, dass sich der Beschwerdeführer keiner Vergehen im Sinne von Art. 91 Abs. 1 und Art. 94 Ziff. 1 SVG schuldig gemacht hat. Nach Art. 66bis Abs. 1 StGB sieht die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung ab, wenn der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen ist, dass eine Strafe unangemessen wäre. Dabei ist zunächst die Strafe ohne Berücksichtigung der Auswirkungen der Tat für den Täter zuzumessen und alsdann gegen die - eine unmittelbare Folge seiner Tat darstellende - Betroffenheit des Täters abzuwägen (BGE 121 IV 175 Erw. 2d mit Hinweisen; vgl. auch STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937; Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, S. 304 ff.). In jedem Anwendungsfall von Art. 66bis StGB geht die zuständige Behörde somit notwendigerweise von einem strafrechtlichen Verschulden aus (Urteil des Bundesgerichts vom 20. Mai 1997, 6S.388/1993). Im vorliegenden Fall hat der Jugendanwalt denn auch festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer durch die Verletzung verschiedener Verkehrsregeln pflichtwidrig verhalten hat, er durch die unmittelbaren Folgen seines Fehlverhaltens aber derart betroffen ist, dass eine Bestrafung unangemessen wäre. Dass der Versicherte unbestrittenermassen Straftatbestände erfüllt hat, welche als Vergehen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 StGB gelten, genügt für eine Leistungskürzung gemäss Art. 7 Abs. 1 IVG (vgl. zu Art. 37 UVG: ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Leistungskürzung oder -verweigerung gemäss Art. 37-39 UVG, Diss. Freiburg 1993, S. 167). Wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung zu Recht feststellt, ![]() | 11 |
12 | |
Laut Bericht des Instituts für Rechtsmedizin Y. wies der Versicherte im Zeitpunkt der Probeentnahme (1 h 15 min nach dem Unfall) eine Blutalkoholkonzentration von 1,38 bis 1,53 %o auf, was einen Mittelwert von 1,45 %o ergibt. Nach der von der Vorinstanz zitierten Literatur (RUDOLF HAURI-BIONDA, Fahrfähigkeit, in: Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich, Zürich 1994, Anhang 3; WOLFGANG SCHWERD [Hrsg.], Kurzgefasstes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen, Köln 1975, S. 118; derselbe, Rechtsmedizin, Lehrbuch für Mediziner und Juristen, 5. Aufl., Köln 1992, S. 120; vgl. auch die etwas abweichende Einteilung und ![]() ![]() | 13 |
14 | |
Der beim Beschwerdeführer festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,38 bis 1,53 %o entspricht ein Kürzungssatz von 30%, wovon auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht abzugehen ist. Einerseits vermag zwar das jugendliche Alter des Versicherten im Unfallzeitpunkt das Verschulden in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Anderseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich das Verschulden des Beschwerdeführers nicht auf das Fahren in angetrunkenem Zustand beschränkt, sondern dadurch qualifiziert ist, dass er ein Fahrzeug zum Gebrauch entwendet hat und über keinen gültigen Führerausweis verfügte, was mangels entsprechender Fahrpraxis geeignet war, das Unfallrisiko zu erhöhen. Insgesamt ist die Kürzung von 30% daher als angemessen zu betrachten, was zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch im Eventualbegehren um Herabsetzung der Leistungskürzung führt.
| 15 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |