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Informationen zum Dokument  BGE 130 V 97  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 3.3
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16. Auszug aus dem Urteil i.S. A. gegen IV-Stelle des Kantons Thurgau und AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau
 
 
I 383/03 vom 6. Januar 2004
 
 
Regeste
 
Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG; Art. 27 und 27bis IVV: Ermittlung des Rentenbeginns bei Nicht- und Teilerwerbstätigen.  
 
BGE 130 V, 97 (98)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 3
 
3.1 Der Rentenanspruch nach Art. 28 IVG entsteht gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG bei langdauernder Krankheit frühestens in dem Zeitpunkt, in dem die versicherte Person während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen ist. Die Regelung des Rentenbeginns knüpft damit an die Umschreibung der Voraussetzungen des Rentenanspruchs in Art. 28 IVG an. Laut Abs. 1 und 1bis dieser Bestimmung hat ein Versicherter Anspruch auf eine Rente, wenn er zu mindestens 40 % invalid ist. Als Invalidität gilt die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit (vgl. Art. 4 Abs. 1 IVG). Bei Nichterwerbstätigen wird der Erwerbsunfähigkeit die Unmöglichkeit, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen, gleichgestellt (Art. 5 Abs. 1 IVG). Die Bemessung der Invalidität erfolgt bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), bei nichterwerbstätigen Versicherten durch einen Betätigungsvergleich nach der spezifischen Methode (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 IVV) und bei teilerwerbstätigen Versicherten nach der gemischten Methode, einer Kombination von Einkommens- und Betätigungsvergleich (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27bis IVV). Die Bezugnahme auf den "Rentenanspruch nach Artikel 28" in Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG weist darauf hin, dass bei der Bestimmung des Rentenbeginns der jeweiligen Invaliditätsbemessungsmethode Rechnung zu tragen ist.
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BGE 130 V, 97 (99)3.2 Die Rechtsprechung hat die Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 IVG definiert als "Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich" (BGE 105 V 159 Erw. 2a, BGE 97 V 231 Erw. 2; vgl. Art. 6 ATSG). Bei erwerbstätigen Versicherten wird diese Einbusse ohne Rücksicht darauf bestimmt, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf das erzielbare Einkommen auswirkt. Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zur für die Bemessung des Invaliditätsgrades massgebenden Erwerbsunfähigkeit, welche umschrieben wurde als "die Unfähigkeit, auf dem gesamten in Frage kommenden Arbeitsmarkt und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen die verbliebene Arbeitsfähigkeit wirtschaftlich zu verwerten" (BGE 97 V 231 Erw. 2). Während bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit ausserdem die Schadenminderungspflicht (vgl. dazu BGE 123 V 233 Erw. 3c, BGE 117 V 278 Erw. 2b, je mit Hinweisen; AHI 2001 S. 282 f. Erw. 5a/aa) u.a. in dem Sinne eine erhebliche Rolle spielt, als von der versicherten Person im Rahmen des Zumutbaren verlangt wird, eine andere als die angestammte Tätigkeit auszuüben, sofern sich dadurch die verbleibende Arbeitsfähigkeit finanziell besser verwerten lässt (BGE 113 V 28 Erw. 4a mit Hinweisen), bildet einzig der bisherige Beruf den Bezugspunkt der für den Rentenbeginn relevanten Arbeitsunfähigkeit (BGE 121 V 274 Erw. 6b/cc; Urteile S. vom 23. Oktober 2003, I 392/02, Erw. 4.2.2, und G. vom 8. April 2002, I 305/00, Erw. 3). Diese ist auf der Grundlage der medizinischen Stellungnahmen zu beurteilen. Die Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG entspricht somit bei Erwerbstätigen der medizinisch festgestellten Einschränkung im bisherigen Beruf.
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Erwägung 3.3
 
3.3.1 Bei nicht erwerbstätigen Versicherten wird für die Bemessung der Invalidität darauf abgestellt, in welchem Masse sie behindert sind, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 27 Abs. 1 IVV). Als Aufgabenbereich der im Haushalt tätigen Versicherten gilt die übliche Tätigkeit im Haushalt sowie die Erziehung der Kinder (Art. 27 Abs. 2 IVV). Die Invaliditätsbemessung erfolgt im Regelfall durch eine Abklärung vor Ort, deren Inhalt sich nach den durch die Rechtsprechung für gesetzes- und verordnungskonform erklärten (bezüglich früherer Fassungen AHI 1997 S. 291 Erw. 4a, ZAK 1986 S. 235 Erw. 2d; für die seit 1. Januar 2000 geltende Regelung Urteile S. vom 28. Februar 2003, I 685/02, BGE 130 V, 97 (100)Erw. 3.2, und S. vom 4. September 2001, I 175/01, Erw. 5a) Weisungen des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) (Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH] gültig ab 1. Januar 2000, Rz 3090 ff.) richtet. Da die Invalidität nicht in der durch den Gesundheitsschaden verursachten Erwerbsunfähigkeit, sondern in der gesundheitsbedingten Einschränkung im Haushaltsbereich besteht, ist auch der Rentenbeginn mit Blick auf diesen Bereich zu bestimmen. Dies entspricht der bereits zitierten Rechtsprechung (BGE 105 V 159 Erw. 2a, BGE 97 V 231 Erw. 2), welche die für Art. 29 Abs. 1 IVG massgebende Arbeitsunfähigkeit bei Nichterwerbstätigen umschrieben hat als "Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Aufgabenbereich". Damit stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage diese Einbusse zu beurteilen ist.
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3.3.2 Im erwerblichen Bereich lassen sich die Arbeitsunfähigkeit, definiert als die medizinisch festgestellte Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf, und die Erwerbsunfähigkeit, definiert als Unfähigkeit, die verbleibende Arbeitsfähigkeit wirtschaftlich zu verwerten, ohne Schwierigkeiten unterscheiden. Demgegenüber liegt bei Nichterwerbstätigen die Überlegung nahe, durch den für die Invaliditätsbemessung vorzunehmenden Betätigungsvergleich, insbesondere wenn dieser im Rahmen einer Haushaltsabklärung erfolgt, werde nichts anderes ermittelt als die auch für den Rentenbeginn massgebende Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Aufgabenbereich, und die durch den Abklärungsbericht festgestellte Einschränkung sei deshalb mit der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG identisch. Einen Anhaltspunkt für diese These liefert auch die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zur ausserordentlichen Bemessungsmethode bei Erwerbstätigen. Das Gericht hat dazu sinngemäss erwogen, im Gegensatz zur spezifischen Methode werde der Invaliditätsgrad nicht direkt aus der Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen abgeleitet, sondern es sei, da es gelte, die Erwerbsunfähigkeit zu ermitteln, zusätzlich eine erwerbliche Gewichtung vorzunehmen (ständige Rechtsprechung seit BGE 104 V 138 Erw. 2c, zuletzt BGE 128 V 31 Erw. 1 mit Hinweisen). Daraus kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, durch die spezifische Methode werde generell die Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Aufgabenbereich und damit gleichzeitig mit dem Invaliditätsgrad auch die BGE 130 V, 97 (101)für den Rentenbeginn massgebende Arbeitsunfähigkeit ermittelt. Vielmehr gilt es zu beachten, dass sowohl das Gesetz in Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG durch die Bezugnahme auf den "Rentenanspruch nach Artikel 28" (IVG) als auch die Rechtsprechung (BGE 105 V 159 Erw. 2a, BGE 97 V 231 Erw. 2) durch die Definition der Arbeitsunfähigkeit als "Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich" unabhängig von der Invaliditätsbemessungsmethode von einem grundsätzlich einheitlichen Rentenbeginn ausgehen. Deshalb und im Lichte des Gebotes der Rechtsgleichheit und einer kohärenten Rechtsprechung ist der Rentenbeginn bei Nicht- oder Teilerwerbstätigen, soweit eine Übertragung sinnvollerweise möglich ist, nach analogen Kriterien festzulegen wie bei Erwerbstätigen.
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3.3.3 Der Unterschied zwischen der Erwerbsunfähigkeit und der Arbeitsunfähigkeit im erwerblichen Bereich liegt nach dem Gesagten (Erw. 3.2 hievor) einerseits in der gegebenen oder fehlenden Relevanz der finanziellen Auswirkungen der gesundheitlich bedingten Beeinträchtigung. Diesem Umstand kommt bei Nichterwerbstätigen keine Bedeutung zu. Andererseits spielt bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit der Grundsatz der Schadenminderungspflicht eine erhebliche Rolle, während sich die Arbeitsunfähigkeit auf der Basis der medizinischen Stellungnahmen unter vergleichsweise geringer Gewichtung dieses Aspektes bestimmt. Auch bei der Bemessung der Invalidität von im Haushalt tätigen Versicherten ist die Schadenminderungspflicht von erheblicher Relevanz. Nach der Rechtsprechung hat die versicherte Person Verhaltensweisen zu entwickeln, welche die Auswirkungen der Behinderung im hauswirtschaftlichen Bereich reduzieren und ihr eine möglichst vollständige und unabhängige Erledigung der Haushaltsarbeiten ermöglichen. Der Umstand, dass diese Arbeiten nur mühsam und mit höherem Zeitaufwand bewältigt werden können, begründet nicht ohne weiteres eine Invalidität. Zudem wird eine Unterstützung durch Familienangehörige vorausgesetzt, welche weiter geht als im Gesundheitsfall (ZAK 1984 S. 139 f. Erw. 5; nicht veröffentlichtes Urteil C. vom 8. November 1993, I 407/92; Urteile S. vom 28. Februar 2003, I 685/02, Erw. 3.2, und S. vom 4. September 2001, I 175/01, Erw. 5b). Mit Blick auf die bezüglich des Rentenbeginns anzustrebende Gleichbehandlung von erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Versicherten rechtfertigt es sich nicht, diese Gesichtspunkte auch in die Bestimmung des Begriffs BGE 130 V, 97 (102)der Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG einfliessen zu lassen. Deshalb kann für die Beurteilung der Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Aufgabenbereich nicht von den Ergebnissen der Haushaltsabklärung ausgegangen werden. Diese Einbusse ist stattdessen - analog zur Arbeitsunfähigkeit bei Erwerbstätigen - auf der Basis medizinischer Stellungnahmen zu beurteilen. Daraus sollte hervorgehen, ab wann und inwieweit die versicherte Person in ihrer Arbeitsfähigkeit (definiert als funktionelles Leistungsvermögen) im Haushaltsbereich eingeschränkt war. Diese Lösung entspricht auch der Verwaltungspraxis gemäss Randziffer 2025 des vom BSV herausgegebenen Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit (KSIH).
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3.4 Wäre die versicherte Person ohne Gesundheitsschaden teilweise erwerbstätig und daneben im Haushalt beschäftigt, gelangt die gemischte Methode nach Art. 27bis IVV zur Anwendung. Danach ist die Invalidität unter Einbezug sowohl der Teilerwerbstätigkeit als auch des Haushalts- oder sonstigen Aufgabenbereichs festzusetzen. Der für den erwerblichen Bereich resultierende Invaliditätsgrad ist dabei mit demjenigen Prozentsatz zu multiplizieren, welcher der an einem Vollpensum gemessenen teilweisen Erwerbstätigkeit entspricht, die spezifische Arbeitsunfähigkeit im Aufgabenbereich mit der verbleibenden Differenz zu 100 % (vgl. BGE 125 V 149 f. Erw. 2b mit Hinweisen). Die für den Rentenbeginn massgebende Arbeitsunfähigkeit ist - wiederum entsprechend der Bezugnahme in Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG auf den "Rentenanspruch nach Artikel 28", welcher auch die im Rahmen der gemischten Methode ermittelte Invalidität erfasst - in analoger Weise festzulegen. Dies bedeutet, dass für den erwerblichen Anteil die Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf und für den Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich die diesbezügliche Arbeitsunfähigkeit zu ermitteln ist, wobei die medizinischen Stellungnahmen als Grundlage dienen. Die resultierenden Werte sind entsprechend der Invaliditätsbemessung nach der spezifischen Methode mit dem auf den jeweiligen Bereich entfallenden Prozentsatz zu gewichten und anschliessend zu addieren. Dadurch ergibt sich die für die Bestimmung des Rentenbeginns gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG massgebende Arbeitsunfähigkeit.
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