BGE 130 V 492 | |||
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73. Urteil i.S. Staatssekretariat für Wirtschaft gegen Q. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich |
C 102/02 vom 18. Juni 2004 | |
Regeste |
Art. 8 Abs. 1 lit. e, Art. 13 Abs. 1 AVIG; Art. 11 Abs. 3 AVIV: Anrechenbare Beitragszeit. | |
Sachverhalt | |
A. Q. bezog in einer ersten bis 8. September 2000 dauernden Leistungsrahmenfrist Arbeitslosenentschädigung. Am 23. Februar 2001 meldete er sich erneut zum Taggeldbezug ab 13. Februar 2001 an. Mit Verfügung vom 28. Juli 2001 lehnte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich das Leistungsbegehren mit der Begründung ab, die Anspruchsvoraussetzung der erfüllten Beitragszeit sei nicht gegeben und ein Befreiungsgrund liege nicht vor.
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B. Die von Q. hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. März 2002 in dem Sinne gut, dass es in Bejahung der Anspruchsvoraussetzung der erfüllten Beitragszeit die Verfügung vom 28. Juli 2001 aufhob und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückwies, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu befinde.
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C. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.
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Q. lässt sinngemäss die Abweisung des Rechtsmittels beantragen, während die Arbeitslosenkasse unter Verweisung auf die Ausführungen des seco auf eine Stellungnahme verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Erwägung 2 | |
2.1 Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setzt laut Art. 8 Abs. 1 AVIG unter anderm voraus, dass der Versicherte einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (lit. b) und die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist (lit. e). Die Beitragszeit hat erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist für die Beitragszeit (Art. 9 Abs. 3 AVIG) während mindestens sechs Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Wird ein Versicherter innert dreier Jahre nach Ablauf der Rahmenfrist für den Leistungsbezug erneut arbeitslos, so muss er eine Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten aufweisen (Art. 13 Abs. 1 AVIG).
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Erwägung 3 | |
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Diese Berechnung hat das kantonale Gericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (BGE 112 V 226 Erw. 2d sowie Urteil B. vom 16. Januar 2002 [C 263/01]) korrigiert, indem es für die angebrochenen Kalendermonate (vgl. zu diesem Begriff BGE 121 V 171 Erw. 2c/bb am Ende) August und Dezember 1999 sowie Juni 2000 zusätzliche Beitragszeiten entsprechend dem Lohnzuschlag von 8, BGE 121 V 33 % als Abgeltung für den Ferienanspruch berücksichtigte. Daraus resultieren weitere 0,159 Beitragsmonate (0,0833 x [0,793 (August 1999) + 0,606 (Dezember 1999) + 0,513 (Juni 2000)]). Dies ergibt insgesamt eine Beitragszeit von 12,072 Monaten, somit mehr als die vom Gesetz geforderten zwölf Monate (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 AVIG).
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Die Aufsichtsbehörde bringt vor, die vorinstanzliche Umrechnung der Ferienentschädigung in Beitragszeit habe eine Besserstellung derjenigen Arbeitnehmer zur Folge, die im Stundenlohn angestellt seien. Das sei mit dem Gesetz nicht vereinbar. Die vom kantonalen Gericht angewendete Rechtsprechung sei nicht (mehr) richtig. BGE 112 V 226 sei noch unter altem Recht ergangen, als die Nichtanrechenbarkeit des durch die Ferienentschädigung gedeckten Arbeitsausfalles gegolten habe (vgl. Art. 11 Abs. 4 AVIG in der bis 31. Dezember 1991 gültig gewesenen Fassung sowie nachstehende Erw. 4.2.2).
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Erwägung 4 | |
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Erwägung 4.2 | |
4.2.1 In BGE 112 V 226 Erw. 2d äusserte sich das Eidgenössische Versicherungsgericht zur Bedeutung der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Zuschlages zum Stunden- oder Monatslohn für den versicherten Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG), die Beitragszeit (Art. 13 Abs. 1 AVIG) sowie den anrechenbaren Arbeitsausfall (Art. 11 Abs. 4 AVIG). Es bestätigte die Rechtsprechung gemäss BGE 111 V 249 Erw. 3b, wonach die Ferienentschädigung Bestandteil des versicherten Verdienstes bildet. Bezug nehmend auf Art. 11 Abs. 3 AVIV sodann führte das Eidgenössische Versicherungsgericht aus, dass im Anwendungsfall zu ermitteln ist, auf welchen Betrag sich die Ferienentschädigung in Franken beziffert und wie viele Ferientage oder -wochen damit abgegolten werden. Durch die Zahl der abgegoltenen Ferientage erhöht sich einerseits unter anderm die anzurechnende Beitragszeit. Anderseits ist nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses der Arbeitsausfall - unter Vorbehalt von Art. 9 AVIV - für jene Tage nicht anrechenbar, die bereits durch die Ferienentschädigung abgegolten sind.
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4.2.4 In BGE 123 V 70 änderte das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung gemäss BGE 111 V 249 Erw. 3b dahin gehend, dass im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Lohnzuschlages resp. bei "Verzicht auf den Realbezug" die Ferienentschädigung nicht zum versicherten Verdienst nach Art. 23 Abs. 1 AVIG gehört. Zur Begründung führte das Gericht u.a. aus, die geltende Praxis bevorzuge Versicherte mit Lohnanspruch während den Ferien gegenüber denjenigen, die - ob im Monats- oder im Stundenlohn entlöhnt - ihr Ferienguthaben real bezögen. Sodann enthalte das Gesetz zur Sicherung des mit den Ferien verfolgten Erholungszwecks ein absolut zwingendes Verbot ihrer Abgeltung (Art. 329d Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 361 OR). Abweichungen davon lasse die Praxis nur mit äusserster Zurückhaltung bei unregelmässigem oder sehr kurzem Arbeitseinsatz zu. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des dem AVIG eigenen Grundgedankens, wonach die Arbeitslosenversicherung nur für eine normale übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten soll, lasse sich der Einbezug der Ferienentschädigung in den versicherten Verdienst auch nicht damit rechtfertigen, es handle sich um massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung. Daran anknüpfend führte das Eidgenössische Versicherungsgericht weiter aus: "Immerhin gilt es im Falle der Ferienabgeltung mit Blick auf die anzurechnende Beitragszeit (Art. 13 Abs. 1 AVIG) - nach wie vor (vgl. BGE 112 V 226) - zu ermitteln, wie viele Ferientage oder -wochen damit vergütet werden. Diese Umrechnung erweist sich nicht zuletzt aus Sicht des Abgeltungsverbotes als folgerichtig und dem Schutzbedürfnis des Versicherten vollauf genügend, ohne dass es des direkten Einbezugs der Ferienentschädigung in den versicherten Verdienst bedürfte" (BGE 123 V 73 f. Erw. 5b und c).
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In BGE 125 V 42 präzisierte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Rechtsprechung in BGE 123 V 70 in dem Sinne, dass im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Lohnzuschlages die Ferienentschädigung als versicherter Verdienst derjenigen Monate angerechnet wird, in denen Ferien, zusammenhängend oder an einzelnen Tagen, tatsächlich bezogen werden. "Mit BGE 123 V 70 sollte nur jenen Versicherten der Einbezug der lohnprozentualen Entschädigung in den versicherten Verdienst versagt werden, die überhaupt nicht freinehmen, sondern ohne freie Tage ein volles Arbeitspensum erfüllen" (BGE 125 V 49 Erw. 6c). Im konkret zu beurteilenden Fall hatte die am Recht stehende Versicherte während der Dauer des Arbeitsverhältnisses insgesamt mehr freie Tage bezogen, als mit der Ferienentschädigung von 8,33 Lohnprozenten gedeckt waren. Dementsprechend war der zusätzlich zum Grundlohn ausbezahlte Zuschlag zur Abgeltung des Ferienanspruchs ohne weiteres in den versicherten Verdienst einzubeziehen (BGE 125 V 49 f. Erw. 6d und 8).
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Erwägung 4.3 | |
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4.3.2 Im Weitern kann die mit BGE 112 V 226 Erw. 2d begründete und seither mehrmals bestätigte Rechtsprechung lediglich Sachverhalte betreffen, wo während des oder der in Frage stehenden Arbeitsverhältnisse keine Betriebsferien waren und der oder die Versicherte an keinem betriebsüblichen Arbeitstag beschäftigungsfrei war. Auf Grund der Bedeutung der formalen Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Ermittlung der Beitragszeit (BGE 125 V 45 Erw. 3c, BGE 122 V 252 Erw. 3c) sodann beschränkt sich ihr Anwendungsbereich auf angebrochene Monate (Art. 11 Abs. 2 AVIV; vgl. BGE 125 V 47 oben, BGE 121 V 175 Erw. 4c/dd).
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4.4.2 Mit der Rechtsprechung (BGE 112 V 220 und seitherige Urteile) werden Versicherte, deren Ferienanspruch in Form eines Lohnzuschlages abgegolten wurde, so gestellt, wie wenn sie während der Dauer des Arbeitsverhältnisses im Umfang der entschädigten Tage oder Wochen effektiv Ferien bezogen hätten, welche ihnen im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 AVIV als Beitragszeit nach Art. 13 Abs. 1 AVIG angerechnet werden. Diese von der Aufsichtsbehörde als gesetzwidrig erachtete Praxis widerspricht in zweierlei Hinsicht dem Gleichbehandlungsgebot. Zum einen benachteiligt sie alle jene Versicherten, deren Arbeitsverhältnisse innerhalb der Beitragsrahmenfrist lediglich volle Kalendermonate umfassten und die wegen der Art der Tätigkeit und/oder aus zeitlichen Gründen (Dringlichkeit) keine oder nicht alle Ferien beziehen konnten. Bei diesen Versicherten wird die Beitragszeit nach Art. 11 Abs. 1 AVIV ermittelt, was die Anrechnung von in welcher Form auch immer abgegoltenen nicht bezogenen Ferien zum Vornherein ausschliesst (Erw. 4.3.2). Schlechter gestellt werden zum andern Versicherte mit vereinbartem Lohnanspruch während den Ferien, welche aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen indessen effektiv keine oder nicht alle Ferien beziehen konnten. Wenn und soweit sie hiefür entschädigt wurden, führt dies nicht durch entsprechende Umrechnung in Ferientage oder -wochen zu zusätzlichen Beitragszeiten im Sinne von Art. 13 Abs. 1 AVIG (ARV 2000 Nr. 17 S. 87 Erw. 2b; vgl. auch BGE 123 V 74 oben).
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Die dargelegte ungleiche Behandlung wird dadurch akzentuiert, dass in Bezug auf die Anrechenbarkeit von Ferienentschädigung beim versicherten Verdienst (Art. 23 Abs. 1 AVIG) nicht nach der Form der Abgeltung (einmalige Zahlung, Lohnzuschlag) differenziert und auch nicht nach den Gründen für den Nichtbezug der Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gefragt wird. Gleiches liesse sich im Übrigen auch für Art. 11 Abs. 4 AVIG sagen.
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