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82. Urteil i.S. IV-Stelle des Kantons Aargau gegen Schweizerische Bundesbahnen SBB, betreffend D., und Versicherungsgericht des Kantons Aargau |
I 202/04 vom 11. Oktober 2004 | |
Regeste |
Art. 52 Abs. 1, Art. 59 ATSG; Art. 103 lit. a OG: Einsprachelegitimation. |
Legitimation von Drittpersonen, insbesondere des Arbeitgebers, im Allgemeinen (Erw. 3.4-3.6). |
Der Arbeitgeber ist nicht bereits deshalb legitimiert, gegen die einen Rentenanspruch verneinende Verfügung der IV-Stelle Einsprache zu erheben, weil die Zusprechung einer Rente seine Lohnfortzahlungspflicht reduzieren würde oder er die Drittauszahlung verlangen könnte (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B. In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 24. März 2004).
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C. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt die IV-Stelle das Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben.
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Die SBB schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung beantragt.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Die Beschwerdegegnerin macht in der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift sowie in ihrer Vernehmlassung und der zusätzlichen Stellungnahme vom 12. August 2004 geltend, sie sei gemäss Gesamtarbeitsvertrag verpflichtet, bei Arbeitsverhinderung wegen ![]() | 6 |
Erwägung 3 | |
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3.2 Gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG kann gegen Verfügungen, mit Ausnahme der prozess- und verfahrensleitenden Entscheide, Einsprache erhoben werden. Wer dazu legitimiert ist, lässt sich der Norm nicht entnehmen. Aus dem Grundsatz der Einheit des ![]() | 8 |
3.3 Nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde. Das rechtliche oder auch bloss tatsächliche Interesse braucht somit mit dem Interesse, das durch die von der Beschwerde führenden Person als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass die Person durch die angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht (BGE 127 V 3 Erw. 1b, BGE 127 V 82 ![]() | 9 |
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3.5 Bei der Beurteilung der Intensität der Betroffenheit ist danach zu unterscheiden, ob das Rechtsmittel gegen eine den Verfügungsadressaten begünstigende Verfügung gerichtet ist (Drittbeschwerde "contra Adressat", vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 158 f.; HÄNER, a.a.O., S. 327 Rz 711 ff.), oder ob es, wie vorliegend, zu dessen Gunsten erhoben werden soll (Drittbeschwerde "pro Adressat"; GYGI, a.a.O., S. 161 f.; HÄNER, a.a.O., S. 351 Rz 761 ff.). Wenn im letzteren Fall der Verfügungsadressat selbst kein Rechtsmittel ergreift, kommt die Legitimation des Dritten ausserhalb förmlicher gesetzlicher Anerkennung nur in Betracht, wenn der Dritte ein selbstständiges, eigenes Rechtsschutzinteresse an der Beschwerdeführung für sich in Anspruch nehmen kann (nicht ![]() | 11 |
Der Umstand, dass jemand Gläubiger des Verfügungsadressaten ist, genügt bei der Drittbeschwerde "pro Adressat" nicht, um das schutzwürdige Interesse und damit die Beschwerdelegitimation zu begründen (BGE 101 V 123 Erw. 1b; ZAK 1979 S. 123 Erw. 2b; nicht veröffentlichtes Urteil C. des Bundesgerichts vom 26. Oktober 1995, 2A.309/1993). Ein faktisches (wirtschaftliches) Interesse an einer Abänderung der Verfügung ist diesfalls zwar gegeben. Die notwendige Beziehungsnähe liegt jedoch nur vor, wenn der Drittperson durch die streitige Verfügung ein unmittelbarer Nachteil entsteht (BGE 125 V 343 Erw. 4a mit Hinweisen). Die Gläubigereigenschaft allein reicht dafür nicht aus. Aus dem selben Grund verneinte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Beschwerdebefugnis eines Privatversicherers gegen die Leistungen verweigernde Verfügung der obligatorischen Unfallversicherung. Es erwog, der Umstand, dass der Privatversicherer durch einen Entscheid anderen Inhalts in die Lage versetzt würde, seine Leistungen zu kürzen, stelle lediglich eine Reflexwirkung der an die versicherte Person gerichteten Verfügung des Unfallversicherers dar. Die erforderliche unmittelbare nachteilige Auswirkung auf die Situation des Privatversicherers sei deshalb nicht gegeben (BGE 125 V 345 oben Erw. 4d).
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3.6 Die Rechtsmittellegitimation des Arbeitgebers zu Gunsten des Arbeitnehmers wurde im Bereich der Arbeitslosenversicherung bejaht für den Fall, dass jener, wenn die streitige Verfügung Bestand haben sollte, während einer Arbeitsunterbrechung zur Lohnzahlung verpflichtet wäre (ARV 1979 Nr. 22 S. 113, Nr. 25 S. 124). Mit Bezug auf die obligatorische Unfallversicherung erkannte das Eidgenössische Versicherungsgericht, der Arbeitgeber, welcher einen Teil der Versicherungsprämien bezahlt und nach einem Unfall den Lohn vorgeschossen habe, sei durch eine Verfügung, welche dem verunfallten Arbeitnehmer die Versicherteneigenschaft abspricht oder einen Leistungsanspruch verneint, offensichtlich betroffen und habe ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung (BGE 106 V 222 Erw. 1; RKUV 1989 Nr. U 73 S. 239 Erw. 1b). In BGE 120 V 39 Erw. 2b war die Frage zu entscheiden, ob die Arbeitgeberin befugt ![]() | 13 |
Erwägung 4 | |
4.1 Falls der Versicherte eine Rente der Invalidenversicherung zugesprochen erhält, wird die Beschwerdegegnerin von ihrer Pflicht zur Lohnfortzahlung teilweise befreit. Diese Rechtsfolge ist gesamtarbeitsvertraglich vorgesehen und würde (in anderem Rahmen) auch von Gesetzes wegen eintreten (Art. 324b OR ist bei Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung anwendbar, sofern die Erwerbseinbusse direkt auf die Invalidität zurückgeht [nicht veröffentlichtes Urteil S. des Bundesgerichts vom 28. April 1998, 4C.499/1997]). Laut der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung genügt dieses wirtschaftliche Interesse jedoch bei einer Drittbeschwerde "pro Adressat" für sich allein nicht, um die Legitimation zu begründen, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass der Beschwerdegegnerin aus der streitigen Verfügung ein unmittelbarer Nachteil erwächst. Die zitierten, die Legitimation des Arbeitgebers bejahenden Urteile begründeten dieses Ergebnis einerseits mit den direkten Auswirkungen des Entscheids auf seine Leistungspflicht gegenüber der versicherten Person und andererseits mit dem ![]() | 14 |
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Nach der Rechtsprechung ist ein Arbeitgeber, dessen Gesuch um Drittauszahlung einer Rente abgelehnt wurde, berechtigt, gegen ![]() | 16 |
4.3 Die Legitimation, einen bestimmten Anspruch auf dem Rechtsmittelweg geltend zu machen, steht in einem engen Zusammenhang mit der Befugnis, die versicherte Person bei der Verwaltung zum Bezug der entsprechenden Leistung anzumelden. Nach dem Grundsatz der Einheit des Prozesses vermittelt das im Rahmen von Art. 103 lit. a OG (und den damit inhaltsgleichen Normen) erforderliche Rechtsschutzinteresse auch bereits den Anspruch auf Erlass einer Verfügung (GYGI, a.a.O., S. 153). Ist eine Person berechtigt, die Anmeldung vorzunehmen, kommt ihr deshalb regelmässig auch die Legitimation zu, den streitigen Anspruch im Verwaltungsprozess selbstständig zu verfolgen (BGE 120 V 438 Erw. 2a mit Hinweisen). Gemäss dem seit 1. Januar 1984 in Kraft stehenden Art. 66 Abs. 1 IVV sind zur Geltendmachung des Anspruchs befugt: Der Versicherte, sein gesetzlicher Vertreter sowie Behörden oder Dritte, die den Versicherten regelmässig unterstützen oder dauernd betreuen. Behörden und Dritte, welche diese Voraussetzungen erfüllen, können auch die entsprechenden Entscheide auf dem Rechtsmittelweg weiterziehen (nicht veröffentlichtes Urteil P. vom 22. August 1995, I 32/95). Die Erfüllung der gesamtarbeitsvertraglich statuierten Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Lohnfortzahlung stellt jedoch keine regelmässige Unterstützung im Sinne von Art. 66 Abs. 1 IVV dar. Die Beschwerdegegnerin war demzufolge nach den invalidenversicherungsrechtlichen Bestimmungen nicht befugt, den ![]() | 17 |
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5. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die Legitimation der Beschwerdegegnerin zur Erhebung einer Einsprache gegen die Verfügung vom 20. Juni 2003 zu Unrecht bejaht. Ihr Entscheid ist dementsprechend aufzuheben. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 OG). Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
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