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38. Auszug aus dem Urteil i.S. Staatssekretariat für Wirtschaft gegen R. und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern |
C 249/04 vom 29. August 2005 | |
Regeste |
Art. 14 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AVIG; Art. 13 Abs. 1bis AVIV: Kumulation von Tatbeständen für eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit. | |
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Erwägung 1 | |
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2. Im angefochtenen Einspracheentscheid verneinte die Kasse den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, weil die Versicherte in der zweijährigen Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 17. Februar 2002 bis 16. Februar 2004 weder eine Beitragszeit von mindestens 12 Monaten ausweisen konnte, noch ein Grund zur Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit vorlag. Es stellte sich somit die ![]() | 3 |
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2.3 Demgegenüber argumentiert das seco, der Gesetzgeber habe tatsächlich für bestimmte Personengruppen auch ohne vorgängige Beitragszeit einen Versicherungsschutz gewollt. Die Befreiungstatbestände seien als Ausnahmeklausel jedoch grundsätzlich restriktiv auszulegen und im Verhältnis zur Beitragszeit subsidiär. Eine Kumulation der Befreiungstatbestände von Art. 14 Abs. 1 mit denjenigen von Abs. 2 AVIG falle ausser Betracht, weil im Fall von Art. 14 Abs. 2 AVIG an ein bestimmtes Ereignis angeknüpft werde. Der Schutzgedanke dieser Bestimmung bezwecke die Abfederung eines unerwarteten, zeitlich nicht voraussehbaren Ereignisses. Den Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 14 Abs. 2 AVIG liege eine andere Kausalität als den Befreiungstatbeständen gemäss Art. 14 Abs. 1 AVIG zu Grunde, weshalb die Kumulation nicht der gesetzgeberischen Absicht entsprechen könne. Im Weiteren seien mit dem seit 1. Juli 2003 neu geltenden Absatz 1bis von Art. 13 AVIV die "ähnlichen Gründe" unter Art. 14 Abs. 2 AVIG konkretisiert worden, indem beim Grund des Wegfalls der Betreuung von Pflegebedürftigen drei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Namentlich müsse ![]() | 7 |
2.4 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Zunächst ist festzuhalten, dass eine Kumulation der Befreiungsgründe nicht mit der Begründung ausser Betracht fallen kann, lediglich im Fall von Art. 14 Abs. 2 AVIG werde an ein bestimmtes, notwendigerweise zeitlich nicht voraussehbares Ereignis angeknüpft. Obwohl dies zutrifft, ist für die Erfüllung der gestellten Anforderungen sowohl gemäss Abs. 1 als auch nach Abs. 2 des Art. 14 AVIG das Vorliegen der einzelnen Kausalkomponenten massgebend. Dabei muss beim Befreiungsgrund nach Abs. 1 ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung der Beitragszeit und der Krankheit, im Fall von Abs. 2 zwischen dem Wegfall der Betreuung einer pflegebedürftigen Person und der finanziellen Notwendigkeit, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, gegeben sein (BGE 125 V 124 Erw. 2a). Insofern ist nicht einzusehen, aus welchem Grund nach der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung die Kumulation auszuschliessen wäre, weil den Befreiungstatbeständen beider Bestimmungen unterschiedliche Kausalitäten zu Grunde liegen würden. Es trifft zwar zu, dass bei den Befreiungstatbeständen nach Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 AVIG unterschiedliche Wertungsanforderungen an die Kausalitätsfrage zu stellen sind. So wird im Rahmen von Art. 14 Abs. 2 AVIG kein strikter Kausalitätsnachweis im naturwissenschaftlichen Sinne verlangt, da ein solcher kaum je erbracht werden könnte. Vernünftigerweise ist der erforderliche Kausalzusammenhang in diesem Fall bereits zu bejahen, wenn es glaubwürdig und nachvollziehbar erscheint, dass der Entschluss des Versicherten, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, in dem als Befreiungsgrund in Frage kommenden Ereignis mit begründet liegt (BGE 121 V 344 Erw. 5c/bb mit Hinweis). Dies ändert allerdings nichts daran, dass auch im Fall einer Kumulation der zwei in Frage stehenden Befreiungsgründe zunächst für jeden einzelnen Tatbestand die Erfüllung der Voraussetzung des spezifischen ![]() | 8 |
Ferner ist zu beachten, dass der ab 1. Juli 2003 geltende Abs. 1bis von Art. 13 AVIV neu die Voraussetzung einer Mindestdauer stellt, indem die Betreuung der pflegebedürftigen Person mehr als ein Jahr gedauert haben muss. Art. 13 Abs. 1bis AVIV erscheint systemfremd, soweit in lit. c eine Betreuung von mehr als einem Jahr verlangt wird, Art. 14 Abs. 2 AVIG ansonsten aber Tatbestände zum Gegenstand hat, die nicht die Erfüllung bestimmter Mindestfristen voraussetzen, sondern an ein bestimmtes Ereignis anknüpfen. Insbesondere wird keine Mindestdauer der Ehe verlangt, deren Scheidung dazu führt, dass der Ehegatte eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss. Gleiches gilt für die Ehedauer im Fall des Todes des Ehegatten. Die auf Art. 14 Abs. 2 AVIG gestützte Ausführungsbestimmung müsste somit nicht zwingend eine Mindestbetreuungsdauer vorsehen. Anderseits entspricht es dem Wesen des Art. 14 AVIG als Ausnahmebestimmung, dass der Verordnungsgeber die "ähnlichen Gründe" gemäss Art. 14 Abs. 2 AVIG eng umschrieben und das zeitliche Element aufgenommen hat, weshalb denn auch nicht gesagt werden könnte, Art. 13 Abs. 1bis AVIV sei gesetzwidrig. Durch die Voraussetzung einer Mindestdauer unterscheidet sich der Befreiungsgrund von Art. 14 Abs. 2 AVIG von demjenigen des Art. 14 Abs. 1 AVIG jedoch nicht, schreibt Letzterer doch ebenfalls und generell vor, die versicherte Person müsse aus den unter lit. a, b und c genannten Gründen während insgesamt mehr als zwölf Monaten nicht in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben. Dies führt dazu, dass die im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 AVIG geltende rechtsprechungsmässige Überlegung, bei kürzerer als zwölf Monate dauernder Verhinderung bleibe dem Versicherten während der zweijährigen Rahmenfrist genügend Zeit, um eine ausreichende beitragspflichtige ![]() | 9 |
2.5 Nach dem Gesagten ist die Kumulationsmöglichkeit der Befreiungstatbestände der Krankheit gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG und des Wegfalls der Betreuung einer pflegebedürftigen Person im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG sowie Art. 13 Abs. 1bis AVIV zu bejahen. Es gibt keine hinreichende gesetzliche Grundlage, um die Kumulation der beiden hier in Frage stehenden Befreiungstatbestände mittels Verwaltungsweisung auszuschliessen. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck von Art. 14 AVIG legen diese Betrachtungsweise zwingend nahe. Rz B148 des Kreisschreibens des seco über die Arbeitslosenentschädigung, gültig ab 1. Januar 2003, ist somit gesetzwidrig.
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