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44. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen R. (I 686/05) und R. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich (I 698/05), und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich |
I 686/05 + I 698/05 vom 14. Juli 2006 | |
Regeste |
Art. 44 ATSG; Art. 59 Abs. 3 IVG; Art. 69 Abs. 2 und Art. 72bis IVV: Mitwirkungsrechte bei Begutachtung in Medizinischer Abklärungsstelle (MEDAS). | |
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Erwägung 2 | |
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2.4 Gemäss Art. 49 Abs. 1 ATSG hat der Versicherungsträger über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu erlassen. Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1 ATSG fallen, können in einem formlosen Verfahren behandelt werden (Art. 51 ATSG). Die betroffene Person kann den Erlass einer Verfügung verlangen (Art. 51 Abs. 2 ATSG). Gegen Verfügungen kann innerhalb von 30 Tagen ![]() | 4 |
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2.6 Mit der Verfügung vom 1. April 2005 wurde dem Versicherten nur die Gutachterstelle genannt, ohne anzugeben, welche Fachärzte an der Begutachtung mitwirken würden. Er konnte daher ![]() | 6 |
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3. Nach dem unter der Überschrift "Verfügbare Dienste" stehenden Art. 59 Abs. 3 IVG können die IV-Stellen Spezialisten der privaten Invalidenhilfe, Experten, medizinische und berufliche Abklärungsstellen sowie Dienste anderer Sozialversicherungsträger beiziehen. Sind die versicherungsmässigen Voraussetzungen erfüllt, so beschafft sich die IV-Stelle gemäss Art. 69 Abs. 2 IVV die erforderlichen Unterlagen, insbesondere über den Gesundheitszustand, die Tätigkeit, die Arbeits- und Eingliederungsfähigkeit des Versicherten sowie die Zweckmässigkeit bestimmter Eingliederungsmassnahmen. Zu diesem Zwecke können Berichte und Auskünfte verlangt, Gutachten eingeholt, Abklärungen an Ort und Stelle vorgenommen sowie Spezialisten der öffentlichen oder privaten Invalidenhilfe beigezogen werden. Laut Art. 72bis IVV trifft das Bundesamt mit Spitälern oder anderen geeigneten Stellen Vereinbarungen über die Errichtung von medizinischen Abklärungsstellen, welche die zur Beurteilung von Leistungsansprüchen erforderlichen ärztlichen Untersuchungen vornehmen. Es regelt Organisation und Aufgaben dieser Stellen und die Kostenvergütung. Somit ![]() | 8 |
Erwägung 4 | |
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[4.2-4.4 Argumentation der Vorinstanz sowie Standpunkte des BSV und des Versicherten]
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(Auslegung des Gesetzes; vgl. BGE 131 I 396 Erw. 3.2, BGE 131 II 368 Erw. 4.2 und 703 Erw. 4.1, BGE 131 V 93 Erw. 4.1, BGE 131 V 176 Erw. 3.1, 292 Erw. 5.2, 439 Erw. 6.1, BGE 130 II 211 Erw. 5.1, BGE 128 I 292 Erw. 2.4, BGE 124 II 376 f. Erw. 5 und 6a)
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Erwägung 6 | |
6.1 Nach dem Wortlaut von Art. 44 Satz 1 ATSG hat der Versicherungsträger der versicherten Person die Namen bekannt zu geben, wenn ein Gutachten "einer oder eines unabhängigen Sachverständigen" ("un expert indépendant", "un perito indipendente") eingeholt wird. Laut Satz 2 dieser Bestimmung kann die versicherte Person "den Gutachter" ("l'expert", "il perito") aus triftigen Gründen ablehnen. Gemäss IV-Rundschreiben Nr. 200 des BSV vom 18. Mai 2004 findet aufgrund des Wortlautes des Gesetzes Art. 44 ATSG nur in denjenigen Fällen Anwendung, in denen ein Gutachten bei einem oder einer Sachverständigen und somit bei einer natürlichen Person, nicht aber bei einer Institution wie der MEDAS in Auftrag gegeben wird. Indem im zweiten Satz von Art. 44 ATSG (in der deutschsprachigen Fassung) nicht mehr ![]() | 13 |
6.2 Sodann muss es sich nach dem Wortlaut von Art. 44 ATSG um einen "unabhängigen" ("indépendant", "indipendente") Sachverständigen handeln. Nach dem erwähnten IV-Rundschreiben Nr. 200 vom 18. Mai 2004 schliesst die Formulierung "unabhängiger Sachverständiger" verwaltungsinterne Personen aus. Zur Begründung wird auf ANDREAS FREIVOGEL (Zu den Verfahrensbestimmungen des ATSG, in: SCHAFFHAUSER/KIESER [Hrsg.], Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], St. Gallen 2003, S. 89) verwiesen. Gemäss diesem ist als Auslegungshilfe BGE 123 V 331 beizuziehen. Danach seien "unabhängige Sachverständige" Drittpersonen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse zur Aufklärung des Sachverhalts beigezogen werden. Keine unabhängigen Sachverständigen in diesem Sinne seien dagegen verwaltungsinterne Personen, die eine Verfügung treffen oder vorbereiten (FREIVOGEL, a.a.O., S. 101). Nach dieser Lehrmeinung kommt Unabhängigkeit dem verwaltungsexternen Sachverständigen zu. Demgegenüber vertritt KIESER (ATSG-Kommentar, N 6 f. zu Art. 44) die Auffassung, der Gesetzgeber habe mit dem Begriff der Unabhängigkeit nicht die Stellung des Gutachters (versicherungsintern oder -extern) gemeint, sondern dessen Unabhängigkeit. Die Anwendung von Art. 44 ATSG auf MEDAS-Gutachten hat KIESER im Rahmen eines Podiumsgesprächs befürwortet (vgl. Unhaltbare Zustände bei den MEDAS, in: Plädoyer 2003/4 S. 9). ![]() | 14 |
Erwägung 7 | |
7.1 Die Gesetzesmaterialien enthalten keine klaren Aussagen hinsichtlich der Frage, ob Art. 44 ATSG auf Medizinische Abklärungsstellen Anwendung findet. Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit ging im Bericht vom 26. März 1999 zur Parlamentarischen Initiative Sozialversicherungsrecht davon aus, dass die Invalidenversicherung im Bereich Gutachten ein "geschlossenes System" hat. Art. 44 ATSG (damals noch Art. 52 des Entwurfs) könne dazu führen, dass dieses System in Einzelfällen durchbrochen werde. Die Kommission sah aber im Interesse der einheitlichen Anwendung des ATSG keine Abweichung im IVG vor (BBl 1999 4602). Nach Ansicht des BSV kann dies nur bedeuten, dass Art. 44 ATSG in der Invalidenversicherung nur zur Anwendung kommen soll, wenn gleich wie in der Unfall- und der Militärversicherung ein einzelner Arzt oder eine Ärztin als Sachverständige mit einem Gutachten beauftragt werden, nicht hingegen, wenn der Auftrag beispielsweise an eine MEDAS geht. Das "geschlossene System" bezieht sich jedoch auf den Kreis der Gutachter (MEDAS), nicht auf das dabei zu beachtende Verfahren. Nach der damals geltenden Rechtsordnung (vgl. BGE 125 V 401) wurde bezüglich der Mitwirkungsrechte, die nun durch Art. 44 (Art. 52 des Entwurfs) ATSG geregelt sind, nicht zwischen Gutachten unterschieden, die von natürlichen Personen erstellt werden, und solchen, mit denen eine Abklärungsstelle betraut wurde. Sie waren altrechtlich in beiden Fällen nicht zu gewähren. Die Durchbrechung des "geschlossenen Systems" kann daher nur so gemeint sein, dass durch die Einräumung von ![]() | 15 |
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7.3 Sinn und Zweck von Art. 44 ATSG ist es somit, die Mitwirkungsrechte der Versicherten einheitlich auszugestalten. Die Bestimmung steht im 2. Abschnitt "Sozialversicherungsverfahren" des 4. Kapitels "Allgemeine Verfahrensbestimmungen". Die Bekanntgabe der Namen dient dem Ziel, das Abklärungsverfahren der Sozialversicherer derart zu vereinheitlichen, dass dieses nicht im Nachhinein wegen formeller Mängel in Zweifel gezogen und das Gutachten nachträglich wegen gesetzlicher Ausstands- und Ablehnungsgründe in der Person des Gutachters als beweisuntauglich erklärt werden muss. Die Nichtbeachtung der Ausstandspflicht stellt in der Regel eine schwerwiegende Verletzung der Verfahrensvorschriften dar und hat deshalb ungeachtet der materiellen Interessenlage die Aufhebung des unter Mitwirkung einer ausstandspflichtigen Person gefassten Entscheids zur Folge (KÖLZ/BOSSHART/ Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N 7 zu § 5a). Aus verfahrensökonomischen Gründen ist es daher angebracht, über den Ausstand möglichst vorab und nicht erst zusammen mit dem Entscheid in der Sache zu befinden. Die Geltendmachung von Ausstandsgründen, ![]() | 17 |
Erwägung 8 | |
8.1 Es liegt jedoch nicht nur im Interesse der versicherten Person, allenfalls vor der Begutachtung Ablehnungsgründe geltend machen zu können. Auch für die Versicherungsträger erweist es sich als vorteilhaft, wenn sie darüber befinden können, bevor der in der ![]() | 18 |
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8.4 Art. 44 ATSG regelt den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Namen der sachverständigen Personen nicht ausdrücklich. Vom Normzweck her ist jedoch von einer vorgängigen Mitteilung auszugehen. Denn nur so wird gewährleistet, dass die Mitwirkungsrechte ihre Funktion erfüllen (KIESER, ATSG-Kommentar, N 10 zu ![]() | 21 |
9. Die IV-Stellen werden somit künftig im Sinne von BGE 132 V 93 in Form einer einfachen Mitteilung an die versicherte Person ein MEDAS-Gutachten anordnen. Dabei handelt es sich um einen Realakt und nicht um eine beschwerdefähige Verfügung. Sind der IV-Stelle die Namen der begutachtenden Personen aufgrund der besonderen Situation bei den MEDAS zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, wird sie dies der versicherten Person mitteilen mit dem Hinweis, dass ihr diese zu einem späteren Zeitpunkt direkt von der Begutachtungsstelle genannt würden und sie dannzumal allfällige Einwendungen der IV-Stelle gegenüber geltend machen könne. Die MEDAS wird alsdann zusammen mit dem konkreten Aufgebot oder rechtzeitig, bevor sie das Gutachten an die Hand nimmt, die Namen der mit dem Begutachtungsauftrag befassten Fachärzte und ihre fachliche Qualifikation bekannt geben. Allfällige Einwendungen wird die versicherte Person jedoch nicht gegenüber dieser, ![]() | 22 |
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