Art. 37 Abs. 1, Art. 44 und 61 lit. a ATSG: Anspruch auf Verbeiständung anlässlich einer medizinischen Untersuchung.
| |
Sachverhalt
| |
A. Die 1971 geborene D. meldete sich am 5. Oktober 1998 erstmals zum Bezug von Leistungen bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich ermittelte einen Invaliditätsgrad von 28 % und wies das Ersuchen mit Verfügung vom 26. August 1999 ab. In der Folge eines erneuten Leistungsbegehrens beauftragte die IV-Stelle die MEDAS mit einer polydisziplinären Begutachtung, was der Versicherten über ihren Rechtsvertreter mit Schreiben vom 12. November 2004 eröffnet wurde. Dieser antwortete der IV-Stelle mit Schreiben vom 18. November 2004, dass er seine Klientin zur Untersuchung durch den Gutachter und seine Konsiliarärzte begleiten werde. Dieses Ansinnen lehnte PD Dr. med. Y., Chefarzt der Begutachtungsstelle, kategorisch ab. Der Gutachterauftrag werde unter dieser Voraussetzung nicht angenommen. Die IV-Stelle verpflichtete D. in der Folge mit Verfügung vom 5. Januar 2005 sich zwecks Abklärung eines Anspruchs auf Leistungen der Invalidenversicherung einer Untersuchung durch die MEDAS zu unterziehen. Nicht aus dem Dispositiv, wohl aber aus den Erwägungen ging hervor, dass die Anwesenheit des Rechtsvertreters bei der Begutachtung nicht zulässig sei.
| 1 |
B. D. liess mit dem Antrag, die Verbeiständung der Versicherten bei der bevorstehenden Begutachtung sei zuzulassen, beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde erheben. Mit Entscheid vom 30. Juni 2005 wies dieses die Beschwerde ab (...).
| 2 |
C. D. erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Verbeiständung bei der angeordneten Begutachtung sei zuzulassen (...).
| 3 |
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.
| 4 |
Aus den Erwägungen:
| |
| 5 |
3.1 Die Vorinstanz begründete ihren Entscheid mit dem Verweis auf einen solchen vom 3. November 2004, dem die gleiche Sach- und Rechtslage zugrunde lag, und wo sie diese Frage unter Hinweis auf BGE 119 Ia 260 verneint hatte. In jenem Urteil, in welchem es um einen fürsorgerischen Freiheitsentzug ging, hat das Bundesgericht ausgeführt, der in Art. 397f Abs. 2 ZGB vorgesehene Rechtsbeistand der betroffenen Person müsse nicht zwingend in jedem Verfahrensstadium anwesend sein. Es könne - gerade in ausgesprochen persönlichkeitsbezogenen Angelegenheiten - durchaus verantwortbar oder gar erforderlich sein, eine Person ohne Gegenwart ihres Rechtsvertreters oder Beistandes anzuhören, um ein möglichst unverfälschtes Bild ihrer Persönlichkeit zu erhalten. Erforderlich, aber auch genügend sei, wenn die Partei nachträglich in das Gutachten Einblick und dazu Stellung nehmen könne. Die dazu in der Literatur von JOST GROSS (in AJP 1994 S. 505 f.), später auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Verfahren 27154/95, Rec. 2001-III S. 21) geäusserte Kritik, galt insbesondere der Personalunion von Gutachter und Fachrichter und nicht dem Ausschluss des Rechtsvertreters bei der Begutachtung.
| 6 |
| 7 |
3.3 Nach Art. 37 Abs. 1 ATSG, der gemäss Art. 1 IVG auch im Verfahren vor der IV-Stelle gilt, kann sich die Partei, wenn sie nicht persönlich zu handeln hat, jederzeit vertreten oder verbeiständen lassen (frz. "se faire assister", ital. "farsi patrocinare"). Die Befugnis, sich vertreten oder verbeiständen zu lassen, hängt mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör zusammen (BGE 119 Ia 261 Erw. 6a; Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 29. September 1994 [1P.210/1994 Erw. 3]): Die Partei ist Subjekt in einem sie betreffenden Verwaltungsverfahren (BGE 116 Ia 99 Erw. 3) und hat deshalb das Recht, am Verfahren teilzunehmen und sich dazu zu äussern (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 42 ATSG). Sie kann dieses Recht selber wahrnehmen oder durch einen Vertreter wahrnehmen lassen oder sich dabei durch einen Beistand unterstützen beziehungsweise begleiten lassen. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde Beweismassnahmen durchführt, an denen die Partei kraft ihrer Parteiqualität teilnehmen kann. Ein grundsätzlicher Anspruch auf Teilnahme besteht insbesondere bei Zeugeneinvernahmen und Augenscheinen (Art. 18 VwVG in Verbindung mit Art. 55 ATSG; BGE 121 V 152 f. Erw. 4, BGE 119 V 211 f. Erw. 3, BGE 119 Ia 262 Erw. 6, BGE 116 Ia 99 f. Erw. 3; MICHELE ALBERTINI, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Bern 2000, S. 352 ff.). Demnach besteht selbstverständlich ein Anspruch darauf, sich bei derartigen Beweismassnahmen vertreten oder verbeiständen zu lassen.
| 8 |
3.4 Hingegen haben die Parteien nach der Rechtsprechung keinen Anspruch darauf, an einer durch einen Sachverständigen durchgeführten Begutachtung teilzunehmen (BGE 119 Ia 262 Erw. 6c, BGE 99 Ia 47 Erw. 3). So hat das Bundesgericht auch entschieden, dass im Rahmen eines Strafverfahrens Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht verletzt wird, wenn der Verteidiger an der Abnahme einer Schriftprobe nicht anwesend sein konnte (Urteil vom 14. September 1999 [1P.405/1999 Erw. 3d]).
| 9 |
3.5 Diese Differenzierung zwischen Verhandlung vor einem Gericht oder einer Behörde einerseits und einer Begutachtung durch Experten andererseits rechtfertigt sich insbesondere dann, wenn die Partei in einem Verfahren selber Gegenstand der Beweismassnahme ist, namentlich wenn es darum geht, den Gesundheitszustand der betroffenen Person abzuklären. Dabei ist diese Person - anders als etwa bei einem Augenschein, wo es darum geht, unter Mitwirkung der Parteien das Augenscheinsobjekt zu betrachten und zu würdigen - nicht in erster Linie als Verfahrenspartei beteiligt, die sich zum Begutachtungsobjekt äussert, sondern sie wird selber begutachtet (BGE 122 II 469 Erw. 4c). Es geht darum, dem medizinischen Begutachter eine möglichst objektive Beurteilung zu ermöglichen, was bedingt, dass diejenigen Rahmenbedingungen zu schaffen sind, die aus wissenschaftlicher Sicht am ehesten geeignet sind, eine solche Beurteilung zu ermöglichen (BGE 119 Ia 262 Erw. 6c). Es muss eine Interaktion zwischen der begutachtenden und der zu begutachtenden Person stattfinden (HANS-JAKOB MOSIMANN [Hrsg.], Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, Zürich 2001, S. 255 ff., 256 f.). Die Begutachtung soll möglichst ohne äussere Einflussnahmen vorgenommen werden (MEYER-BLASER, Das medizinische Gutachten aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht, in: SIEGEL/FISCHER [Hrsg.], Die neurologische Begutachtung, Zürich 2004, S. 91 ff., 107; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 16. Juli 2001, Erw. 4a, 5P.164/2001). Die Anwesenheit eines Rechtsbeistandes wäre diesem Zweck nicht dienlich: Dessen Aufgabe ist es, die Interessen seiner Klientschaft möglichst zu wahren. Er kann zu diesem Zweck auch einseitige Ansichten vertreten und entsprechend im Verfahren intervenieren. Eine solche Intervention verträgt sich indessen nicht mit der wissenschaftlichen Begutachtung, wo es - ähnlich wie bei einer Zeugeneinvernahme, bei welcher sich der Zeuge auch nicht verbeiständen lassen kann - darum geht, dem Gutachter ein möglichst unverfälschtes und wahrheitsgetreues Bild zu verschaffen.
| 10 |
3.6 Würde man der zu begutachtenden Person das Recht zugestehen, auch während der Begutachtung ihre Rechte als Verfahrenspartei wahrzunehmen (selber oder mit Hilfe eines Rechtsbeistandes), so müsste dieses Recht aus Gründen der Waffengleichheit selbstverständlich auch allfälligen weiteren Parteien zugestanden werden, seien das der Versicherer oder interessierte Dritte, wie beispielsweise die Pensionskasse (RKUV 2000 Nr. U 389 S. 299, U 391/99; nicht veröffentlichtes Urteil vom 12. November 1997 Erw. 2b, U 198/97). Auch diese könnten somit bei der Begutachtung anwesend sein und entsprechend mitwirken. Sie müssten die gleichen Rechte haben wie der Vertreter der zu begutachtenden Person, könnten also beispielsweise Ergänzungsfragen und Anträge zur Vornahme weiterer Untersuchungen stellen. Die Möglichkeit der Anwesenheit der Parteivertreter ist indessen nutzlos, wenn die Untersuchung nicht unter der Leitung einer übergeordneten, den "Augenschein an der Person" leitenden Behörde steht, welche über die Anträge der Parteivertreter zu entscheiden hätte. Die Begutachtung würde dadurch den Charakter einer kontradiktorischen Parteiverhandlung erhalten. Dies ist gerade nicht der Sinn einer Begutachtung. Da die Regelung, ob der Vertreter der zu begutachtenden Partei bei der Expertise anwesend sein darf, im Verwaltungs- und Rechtsmittelverfahren nicht gegensätzlich sein darf, müsste im Rechtsmittelverfahren die als "Augenschein" verstandene ärztliche Untersuchung durch die Rechtsmittelinstanz, das heisst zumindest durch den Instruktionsrichter, eventuell auch in Anwesenheit des ganzen Spruchkörpers, geleitet werden. Dies könnte, namentlich bei psychiatrischen Begutachtungen, mit den Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde der zu begutachtenden Person in Konflikt treten. Zudem wäre das Resultat einer entsprechenden Begutachtung fragwürdig. Damit ist offensichtlich, dass verfahrensrechtlich die Differenzierung zwischen einer Verhandlung - allenfalls mit Beweisabnahme - vor einer Behörde einerseits und der Begutachtung durch einen Experten andererseits, gerechtfertigt ist. Die anders lautende Meinungsäusserung von KIESER (ATSG-Kommentar, N 7 zu Art. 37) setzt sich mit dem grundlegenden Unterschied zwischen Begutachtung und Verfahrensbeteiligung nicht auseinander und kann daher nicht überzeugen.
| 11 |
| 12 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). | |