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Informationen zum Dokument  BGE 133 V 133  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
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19. Auszug aus dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts i.S. Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen gegen S. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
C 94/06 vom 23. November 2006
 
 
Regeste
 
Art. 71a Abs. 1 und Art. 71d Abs. 2 AVIG; Art. 95e Abs. 2 AVIV: Verlängerung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug.  
 
BGE 133 V, 133 (133)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
2.3 Dies trifft auf den Beschwerdegegner zu: Er erhielt besondere Taggelder zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Damit gründete er eine GmbH, in welcher er Gesellschafter war und sich selbst als Geschäftsführer anstellte. In dieser Funktion war er arbeitgeberähnliche Person und bezog AHV-rechtlich Lohn, von welchem er die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge BGE 133 V, 133 (134)abrechnete, übte also eine beitragswirksame Tätigkeit aus. In der Folge scheiterte er mit seinem Projekt und wollte erneut Arbeitslosentaggelder zum versicherten Verdienst der alten Rahmenfrist beziehen. Gestützt auf Art. 95e Abs. 2 AVIV ist ihm die Erstreckung dieser Rahmenfrist verwehrt worden.
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2.4.2 Gesetzliche Grundlage für den umstrittenen Art. 95e Abs. 2 AVIV sind die Vorschriften über die besonderen Taggelder zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gemäss Art. 71 ff. AVIG. Aus der Botschaft zu diesen Bestimmungen (BBl 1994 I 363) lässt sich zur hier streitigen Problematik nichts gewinnen. In BGE 126 V 213 f. E. 2b hat das Eidgenössische Versicherungsgericht jedoch festgehalten, dass für die Beurteilung der Frage, ob eine versicherte Person eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 71a Abs. 1 AVIG aufnehmen will, nicht allein das AHV-beitragsrechtliche Statut massgebend sein kann. Sonst würde es letztlich von der - aus welchen Gründen auch immer - gewählten Rechtsform der Firma abhängen, ob diese Person als selbstständigerwerbende qualifiziert wird und damit in den Genuss der Leistungen zur Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit kommen kann. Als unterstützungswürdig im Sinne der Art. 71a ff. AVIG sind auch Bestrebungen einer versicherten Person zu betrachten, die ihr in einer von ihr mitzugründenden Firma, bei der sie wesentlich mitbeteiligt ist, die Stellung einer arbeitgeberähnlichen Person verschaffen. Eine solche Betrachtungsweise drängt sich umso mehr auf, als ansonsten in häufig vorkommenden Fällen, in welchen eine arbeitslose Person Allein- oder Hauptaktionär der von ihr im Hinblick auf die Verselbstständigung gegründeten und beherrschten Firma ist, diese nicht in den Genuss von besonderen Taggeldern käme, obwohl von einer Gesetzesumgehung nicht die Rede sein kann, wenn sie sich z.B. aus Gründen der Haftungsbeschränkung in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft konstituiert hat. Die BGE 133 V, 133 (135)Gleichbehandlung von Arbeitgeber und arbeitgeberähnlicher Person ist dem Arbeitslosenversicherungsrecht im Übrigen nicht fremd, haben doch - wie die Arbeitgeber selbst - auch Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten, nach Art. 31 Abs. 3 lit. c, Art. 42 Abs. 3 und Art. 51 Abs. 2 AVIG keinen Anspruch auf Kurzarbeits-, Schlechtwetter- sowie Insolvenzentschädigung, und in bestimmten Fallkonstellationen auch keinen solchen auf Arbeitslosenentschädigung (BGE 123 V 237 ff. E. 7b/bb). Somit steht fest, dass die besonderen Taggelder zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit sowohl Arbeitgebern als auch arbeitgeberähnlichen Personen zu Gute kommen können (vgl. ferner AGNES LEU, Die arbeitsmarktlichen Massnahmen im Rahmen der Arbeitslosenversicherung in der Schweiz, Diss. Zürich 2005, S. 157).
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Das Ziel der Beendigung der Arbeitslosigkeit lässt sich auf verschiedene Weise erreichen. So kann eine Einzelfirma gegründet werden, in welcher die versicherte Person selbstständig erwerbstätig wird. Es kommt aber auch die Möglichkeit in Frage, eine Kapitalgesellschaft zu gründen, in welcher die versicherte Person in arbeitgeberähnlicher Stellung tätig wird. Die Entscheidung, ob eine Einzelfirma oder eine Kapitalgesellschaft gewählt wird, hängt von verschiedenen Gesichtspunkten ab, etwa von haftpflichtrechtlichen, betriebsökonomischen oder steuerlichen Aspekten. Dies sind alles dem Arbeitslosenversicherungsrecht sachfremde Kriterien. AHV-rechtlich betrachtet, hat die Wahl jedoch entscheidende BGE 133 V, 133 (136)Auswirkungen: bei einer Kapitalgesellschaft wird die versicherte Person in arbeitgeberähnlicher Stellung tätig und nimmt somit eine beitragswirksame Arbeit auf, in einer Einzelfirma hingegen wird sie selbstständig und entrichtet daher keine Beiträge an die Arbeitslosenversicherung.
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2.5 Indem Art. 95e Abs. 2 AVIV die Verlängerung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug auf vier Jahre nur bei nicht beitragswirksamer Erwerbstätigkeit zulässt, werden arbeitgeberähnliche Personen, die eine Kapitalgesellschaft gegründet haben, gegenüber den in einer Einzelfirma selbstständig Erwerbstätigen benachteiligt. Die Selbstständigerwerbenden können, obwohl sie keinerlei Beiträge an die Arbeitslosenversicherung mehr entrichten, im Falle des Scheiterns von der Verlängerung der Rahmenfrist profitieren und den Maximalanspruch an Taggeldern zum letzten, in der Regel höheren versicherten Verdienst beziehen. Demgegenüber soll arbeitgeberähnlichen Personen, obwohl sie über ihre Kapitalgesellschaft weiterhin Beiträge an die Arbeitslosenversicherung abliefern, keine Verlängerung der Rahmenfrist eingeräumt werden. Auf diese Weise werden Personen, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung zahlen, schlechter gestellt als Personen, die gar nichts (mehr) abliefern. Ein derartiges Ergebnis widerspricht dem Sinn der gesetzlichen Grundlage, welche sowohl selbstständigerwerbende als auch arbeitgeberähnliche Personen gleichermassen fördern und für das auf sich genommene Risiko des Scheiterns absichern wollte.
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2.6 Es ist zwar denkbar, dass arbeitgeberähnliche Personen dadurch, dass sie eine neue Rahmenfrist eröffnen können, im Unterschied zu Selbstständigerwerbenden insgesamt über eine längere Zeitspanne Arbeitslosenentschädigung beziehen können. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn die Höchstzahl an Taggeldern in der alten Rahmenfrist schon fast erschöpft wurde. Denn auch bei einer vierjährigen Rahmenfrist darf nach Art. 71d Abs. 2 Satz 2 AVIG die Höchstzahl der Taggelder nach Art. 27 AVIG nicht überschritten werden. War diese Höchstzahl vor Aufnahme der selbstständigen bzw. arbeitgeberähnlichen Tätigkeit schon beinahe erreicht, können mit der Verlängerung nur noch wenige zusätzliche Taggelder nachbezogen werden. Indessen ist zu beachten, dass der versicherte Verdienst in der neuen Rahmenfrist in den meisten Fällen deutlich unter demjenigen der ursprünglichen Rahmenfrist zu liegen kommt. Wer eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnimmt, kann anfänglich nicht mit hohen Einnahmen rechnen, und wer mit BGE 133 V, 133 (137)dieser Tätigkeit innerhalb relativ kurzer Zeit scheitert, dürfte in der Regel nur wenige Einkünfte verdient haben, so dass der neue versicherte Verdienst entsprechend klein ausfällt. Der vorliegende Fall zeigt dies exemplarisch auf, kam doch der neue versicherte Verdienst weit unter der Hälfte des ursprünglichen zu liegen. Die Eröffnung einer neuen Rahmenfrist dürfte daher für arbeitgeberähnliche Personen auch finanziell in der Mehrheit der Fälle eine schlechtere Lösung darstellen als die Verlängerung der alten Rahmenfrist.
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