BGE 133 V 569 | |||
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72. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. P. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich sowie Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
H 161/06 vom 6. August 2007 | |
Regeste |
Art. 43bis Abs. 5 AHVG; Art. 66bis Abs. 1 AHVV; Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 3 IVG; Art. 37 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 lit. e, Art. 38 IVV; Art. 8 Abs. 1 und 2 BV. |
Soweit der Bundesrat in Art. 66bis Abs. 1 AHVV bei der Bemessung der Hilflosigkeit den Bedarf an lebenspraktischer Begleitung im Bereich der AHV unberücksichtigt lässt, verstösst diese Regelung weder gegen das verfassungsmässige Gleichbehandlungsgebot oder das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 1 und 2 BV) noch gegen das Gesetz (Art. 43bis Abs. 5 AHVG; E. 5.5). | |
Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 5 | |
5.1 Das Bundesgericht kann - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbstständigen) Bundesratsverordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft das Bundesgericht, ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnisse gehalten hat. Wird dem Bundesrat ein sehr weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ist dieser für das Bundesgericht verbindlich. Es darf in diesem Fall nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern hat sich auf die Kontrolle zu beschränken, ob dessen Regelung den Rahmen der ihm im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist. Dabei kann es namentlich prüfen, ob sich eine Verordnungsbestimmung auf ernsthafte Gründe stützt oder Art. 9 BV widerspricht, weil sie sinn- oder zwecklos ist, rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen fehlt, oder Unterscheidungen unterlässt, die richtigerweise hätten getroffen werden sollen. Für die Zweckmässigkeit der angeordneten Massnahme trägt der Bundesrat die Verantwortung; es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sich zu deren wirtschaftlichen oder politischen Sachgerechtigkeit zu äussern (BGE 128 II 34 E. 3b S. 40 f.; BGE 127 II 184 E. 5a S. 190, BGE 127 II 238 E. 8a S. 259, je mit Hinweisen).
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Erwägung 5.3 | |
5.3.1 Die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Hilflosenentschädigung waren im Bereich der AHV und der IV seit ihrer Einführung für Bezügerinnen und Bezüger von Altersrenten im Rahmen der 7. AHV-Revision (vorher bestand lediglich eine Besitzstandsgarantie für Bezüger einer Hilflosenentschädigung der IV) unterschiedlich ausgestaltet: Nach Art. 43bis AHVG in der am 1. Januar 1969 in Kraft getretenen Fassung (AS 1969 S. 117) hatten AHV-Rentenbezügerinnen und -bezüger lediglich bei schwerer Hilflosigkeit und nach Ablauf einer Karenzfrist von 360 Tagen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Die darin begründete Benachteiligung der AHV-Rentnerinnen und -Rentner gegenüber Bezügerinnen und Bezügern von Invalidenrenten wurde bewusst in Kauf genommen und damit gerechtfertigt, dass die meisten alten Leute mehr oder weniger pflegebedürftig würden, es aber nicht Sache der AHV sein könne, in Fällen leichter Altershilflosigkeit Leistungen zu erbringen, die "praktisch einer allgemeinen Erhöhung der Altersrenten gleichkäme" (Botschaft zur 7. AHV-Revision vom 4. März 1968, BBl 1968 I 637; Antwort des Bundesrates vom 7. September 1988 auf eine Einfache Anfrage von Nationalrat Longet vom 23. Juni 1988 [Geschäfts-Nr. 88.682], AB 1988 N 1541). Mit der 10. AHV-Revision wurde auch Altersrentnerinnen und -rentnern mit mittlerer Hilflosigkeit ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung eingeräumt (Art. 43bis Abs. 1 AHVG in der am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Form; AS 1996 S. 2479). Eine Ausdehnung auf leicht hilflose AHV-Rentnerinnen und -Rentner lehnte man indes als zu weit gehend ab, da "zahlreiche Altersrentner früher oder später eine dauernde persönliche Überwachung benötigen und somit als leicht hilflos betrachtet werden müssen" (Botschaft des Bundesrates zur 10. AHV-Revision, BBl 1990 II S. 54).
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5.3.2 Der Anspruch auf lebenspraktische Begleitung wurde im Rahmen der 4. IV-Revision eingeführt mit dem Ziel, Menschen mit psychischen oder leichten geistigen Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (Botschaft vom 21. Februar 2001, BBl 2001 S. 3245 f.), mithin erst nach dem Erlass von Art. 43bis AHVG in der heute geltenden Fassung gemäss ATSG. Die Anspruchsberechtigung in der AHV sollte mit dieser Neuerung nicht verändert werden ("In der AHV wird die Hilflosenentschädigung umbenannt, im Übrigen jedoch unverändert beibehalten"; Botschaft, a.a.O., S. 3249; "in der AHV wird lediglich der Begriff [...] ersetzt. Im Übrigen erfolgt in der AHV keine materielle Änderung. Der Anspruch und die Höhe der Leistung bleiben unverändert"; Botschaft, a.a.O., S. 3301). Dass mit der Einführung der lebenspraktischen Begleitung (neue) Ungleichheiten entstehen, war dem Gesetzgeber bewusst. So führte beispielsweise Nationalrätin Egerszegy-Obrist in der nationalrätlichen Sitzung vom 13. Dezember 2001 (AB 2001 N 1953) aus: "Es werden mit dieser Ausweitung aber auch Ungerechtigkeiten geschaffen - Ungerechtigkeiten gegenüber den Menschen mit gleichen psychischen oder geistigen Symptomen im AHV-Alter, etwa gegenüber den vielen Alzheimer-Patienten. Wer vor dem Erreichen des Rentenalters eine Assistenzentschädigung für psychische und leichte geistige Leiden erhält, wird denselben Betrag auch weiter beziehen können, während altersdemente Patienten beim selben Krankheitsgrad keine oder viel geringere Leistungen erhalten." Dennoch hielten die Räte an der Einführung der lebenspraktischen Begleitung fest und stimmten auch den im Rahmen der 4. IV-Revision vorgenommenen Änderungen des AHVG zu (Ziff. 3 des Anhangs zum Entwurf, BBl 2001 S. 3339 ff.; AB 2001 N 1974; 2002 N 1906 [Differenzbereinigung]; AB 2002 S 779).
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5.5 Soweit die Versicherte vorbringen lässt, Art. 66bis Abs. 1 AHVV verstosse gegen das in Art. 8 Abs. 2 BV verankerte Gleichbehandlungsgebot, dringt sie ebenfalls nicht durch. Zwar trifft es zu, dass dem Eintritt der Hilflosigkeit ein gewisses Zufallsmoment anhaftet. Dieser Umstand allein kann indessen nicht genügen, um unter Berufung auf das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot AHV-Rentenbezügern dieselben Leistungen zuzusprechen wie Leistungsbezügerinnen und -bezügern der Invalidenversicherung. Zum einen würde damit der Begriff des Besitzstandes überstrapaziert, welcher grundsätzlich nicht weiter reicht, als der zu wahrende gesetzliche Anspruch (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 42/96 vom 26. Mai 1998, E. 5b, publ. in: AHI 1999 S. 45 ff.). Sodann handelt es sich bei den Hilflosenentschädigungen gemäss Art. 43bis Abs. 4 AHVG um Leistungen der AHV und nicht um solche der Invalidenversicherung. Versicherte, welche erstmals nach Erreichen des Rentenalters eine Hilflosenentschädigung erhalten, dürfen somit den Bezügerinnen und Bezügern von Hilflosenentschädigungen der Invalidenversicherung nicht gleichgestellt werden (vgl. BGE 102 V 4 E. 1 in fine S. 7). Dass die unter die Besitzstandsgarantie fallenden Versicherten gegenüber denjenigen, die erst nach Vollendung des 65. bzw. 62. Altersjahres hilflos werden, bevorzugt werden, trifft zu. Dabei handelt es sich indessen um eine Auswirkung des gemäss Art. 190 BV für das Bundesgericht verbindlichen gesetzgeberischen Willens, den leicht oder mittelschwer hilflosen Invaliden nach Erreichen des AHV-Rentenalters die vorher erworbene Leistung zusichern (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 32/89 vom 29. Juni 1989, E. 2c, publ. in: ZAK 1990 S. 135).
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