BGE 134 V 88 | |||
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13. Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt gegen M. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
C 283/06 vom 16. Januar 2008 | |
Regeste |
Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG; Insolvenzentschädigung. | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.a Der 1962 geborene M. war seit 17. März 2004 als Maurer für die X. GmbH tätig. Am 18. Mai 2004 löste er das Arbeitsverhältnis infolge Annahmeverzugs der Arbeitgeberin mit sofortiger Wirkung auf. Auf seine Lohnklage hin verurteilte das Gewerbliche Schiedsgericht die Gesellschaft am 6. Dezember 2004 zur Zahlung von Fr. 7'667.30 zuzüglich Zins zu 5 % seit 18. Mai 2004 sowie von Fr. 70.- für die Kosten des Zahlungsbefehls in der Betreibung Nr. (...) des Betreibungsamtes Y., und der Rechtsvorschlag in dieser Betreibung wurde in vollem Umfang aufgehoben. Am 5. Januar 2005 wurde der X. GmbH auf seine Veranlassung hin der Konkurs angedroht.
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Am 10. März 2005 stellte M. Antrag auf Insolvenzentschädigung bezüglich Lohnforderungen für die Zeit vom 17. März bis 18. Mai 2004 im Betrag von Fr. 7'667.30. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt lehnte die Ausrichtung von Insolvenzentschädigung ab (Verfügung vom 8. April 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 20. April 2005).
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A.b Auf ein weiteres Konkursbegehren vom 28. April 2005 hin teilte das Zivilgericht M. am 9. August 2005 mit, dass der Schuldnerin die Anzeige zur Konkursverhandlung vom 7. Juli 2005 nicht zugestellt werden konnte. Am 7. Oktober 2005 erfolgte die Ediktalzitation der Schuldnerin durch das Zivilgericht auf den 20. Oktober 2005.
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Den am 14. Juli 2005 wiederholt gestellten Antrag des M. auf Insolvenzentschädigung bezüglich Lohnforderungen für die Zeit vom 17. März bis 18. Mai 2004 im Betrag von Fr. 7'667.30 lehnte die Kasse erneut ab (Verfügung vom 8. November 2005). Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 30. Januar 2006).
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B. Dagegen liess M. Beschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm eine Insolvenzentschädigung zu gewähren. In Gutheissung der Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt den Einspracheentscheid vom 30. Januar 2006 auf und wies die Sache zur weiteren Bearbeitung an die Arbeitslosenkasse zurück (Entscheid vom 1. November 2006).
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C. Vertreten durch das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Basel-Stadt, Kantonale Amtsstelle für Arbeitslosenversicherung, führt die Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid vom 1. November 2006 sei aufzuheben.
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M. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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- Konkurseröffnung über den Arbeitgeber (Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG), oder
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- Nichteröffnung des Konkurses, weil sich infolge offensichtlicher Überschuldung des Arbeitgebers kein Gläubiger bereit findet, die Kosten vorzuschiessen (Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG), oder
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- Stellung des Pfändungsbegehrens durch den Arbeitnehmer für Lohnforderungen (Art. 51 Abs. 1 lit. c AVIG), oder
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- Bewilligung der Nachlassstundung (Art. 58 AVIG), oder
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- richterlicher Konkursaufschub (Art. 58 AVIG).
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Erwägung 3 | |
3.1 Das kantonale Gericht geht davon aus, dass der Versicherte das Konkursbegehren nicht zurückgezogen habe, um die X. GmbH vor dem Konkurs zu bewahren, um ihr noch einmal eine Chance zu geben. Zur Konkurseröffnung sei es nur deshalb nicht gekommen, weil der Beschwerdegegner befürchtet habe, für die Verfahrenskosten aufkommen zu müssen. Das Stadium der Konkursandrohung sei überschritten worden, womit Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG erfüllt sei.
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Erwägung 5 | |
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5.2 Gemäss BGE 131 V 196 setzt Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG im Sinne einer doppelten Kausalität voraus, dass die Nichteröffnung des Konkurses einzig durch das Fehlen der Bereitschaft der Gläubiger bedingt ist, die Kosten für das Konkursverfahren vorzuschiessen; der Grund für diese mangelnde Bereitschaft liegt in der offensichtlichen Überschuldung des Arbeitgebers (JEAN-FRITZ STÖCKLI, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG III, Basel 1998, N. 20 zu Art. 51 AVIG; URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 72). Gefordert ist dabei, dass das zwangsvollstreckungsrechtliche Verfahren jedenfalls das Stadium der Konkursandrohung überschritten hat (so BURGHERR, a.a.O., S. 73; nach STÖCKLI, a.a.O., N. 20 zu Art. 51 AVIG, ist der Tag des formellen Nichteintretens auf das Konkursbegehren der massgebende Zeitpunkt; auch der Bundesrat ist in seiner Botschaft zu einer Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vom 23. August 1989 davon ausgegangen, dass das gestellte Konkursbegehren eine der Voraussetzungen für den Bezug von Insolvenzentschädigung bildet, wie sein Hinweis auf aArt. 169 Abs. 2 SchKG zeigt [BBl 1989 III 400]). Das (damals zuständige) Eidg. Versicherungsgericht hat im zitierten Urteil offengelassen, ob es genügt, dass die beteiligten Gläubiger im Anschluss an die Konkursandrohung wegen offensichtlicher Überschuldung des Arbeitgebers darauf verzichten, ein Konkursbegehren zu stellen, oder ob Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG tatsächlich ein gestelltes Konkursbegehren voraussetzt, weil das Zwangsvollstreckungsverfahren im zu beurteilenden Fall nicht einmal bis zur Konkursandrohung gediehen war (BGE 131 V 196 E. 4.1.2 S. 198).
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Erwägung 6 | |
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6.2 Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG setzt unter anderem voraus, dass der Konkurs nur deswegen nicht eröffnet wird, weil sich kein Gläubiger bereit findet, die Kosten vorzuschiessen. Damit sich ein Gläubiger in einem konkreten Fall entscheiden kann, ob er gewillt ist, einen Kostenvorschuss im Hinblick auf die Konkurseröffnung zu leisten, muss er überhaupt erst vor diese Wahl gestellt worden sein. Mit anderen Worten ergibt sich allein schon aus der Gesetzesbestimmung, dass das Konkursverfahren bis ins Stadium nach Erlass einer Kostenvorschussverfügung durch das Konkursgericht gediehen sein muss, um den Anspruch auf Insolvenzentschädigung entstehen zu lassen. Die Botschaft stellt auf nichts anderes ab, wenn darin ausgeführt wird, der Bezug von Insolvenzentschädigung solle möglich sein, wenn weder der Versicherte noch ein dritter Gläubiger bereit ist, den Kostenvorschuss zu leisten (BBl 1989 III 400). Dieser Zeitpunkt ist entgegen BURGHERR (a.a.O., S. 73) nicht schon dann erreicht, wenn die beteiligten Gläubiger im Anschluss an die Konkursandrohung auf ein Konkursbegehren verzichten. Wie bereits in BGE 131 V 196 angemerkt, ist es durchaus sinnvoll, aus insolvenzentschädigungsrechtlichem Gesichtswinkel ein fortgeschrittenes Zwangsvollstreckungsverfahren vorauszusetzen, weil bekanntlich viele Schuldner erst unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Konkurseröffnung ihren Zahlungspflichten nachkommen. Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG belässt es beim Erfordernis des nicht geleisteten Kostenvorschusses (aus Gründen der offensichtlichen Überschuldung des Arbeitgebers). Eine gerichtliche Nichteintretensverfügung auf das Konkursbegehren wird nicht verlangt. Soweit die Weisung des SECO (AM/ALV-Praxis 2004/1 Blatt 14) "das formelle Nichteintreten des Konkursgerichtes auf das Konkursbegehren bzw. den Nichteröffnungsbeschluss des Konkurses" zum anspruchsbegründenden Erfordernis erklärt, steht sie demnach nicht im Einklang mit dem Gesetz. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Lehre die Nichtleistung des dem Gläubiger gemäss Art. 169 SchKG auferlegten Kostenvorschusses dem Rückzug des Konkursbegehrens gleichgestellt ist (PHILIPPE NORDMANN, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG II, Basel 1998, N. 6 zu Art. 167 SchKG mit Hinweis). Ein gerichtliches Nichteintreten oder ein schriftlicher Nichteröffnungsbeschluss dürfen - ohne gesetzliche Notwendigkeit - bereits deshalb nicht Anspruchsvoraussetzung bilden, weil die Zusprechung von Insolvenzentschädigung nicht davon abhängen darf, ob, je nach Praxis des Konkursgerichts, einerseits bei Nichtleistung des Kostenvorschusses innert Frist und anderseits beim Rückzug des Konkursbegehrens im Einzelfall ein Nichteintreten auf das Konkursbegehren erfolgt, ob etwa ein förmlicher Abschreibungsbeschluss ergeht oder ob das Verfahren formlos erledigt wird. Einziges verlässliches Kriterium bildet die Nichtleistung der Konkurskaution nach Ergehen der gerichtlichen Kostenvorschussverfügung. Entgegen der Weisung des SECO ist mit einem Nichteintretensentscheid im Hinblick auf die Offensichtlichkeit der Überschuldung des Arbeitgebers nichts gewonnen. Der Arbeitslosenkasse kann ebenfalls nicht beigepflichtet werden, soweit sie davon ausgeht, dass sich die Rechtssicherheit (Beweisbarkeit) mit einem solchen Erfordernis erhöhe. Denn das Konkursgericht hat nicht zu untersuchen, weshalb der Gläubiger das Konkursbegehren zurückgezogen (NORDMANN, a.a.O., N. 6 zu Art. 167 SchKG) oder den verfügten Kostenvorschuss nicht bezahlt hat. Der einzige (gerichtliche) Hinweis auf die offensichtliche Überschuldung des Arbeitgebers ergibt sich in diesem Verfahrensstadium aus dem Umstand, dass das Konkursgericht vor der Eröffnung des Konkurses eine Konkurskaution verlangt. Mit dem Abwarten oder Erzwingen eines Nichteintretens auf das Konkursbegehren oder eines Nichteröffnungsbeschlusses lassen sich keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich des Anspruchs auf Insolvenzentschädigung gewinnen. Denn so oder anders muss bei der Prüfung dieses Anspruchs unabhängig von der Erledigungsweise im zwangsvollstreckungsrechtlichen Verfahren geprüft werden, ob zwischen der offensichtlichen Überschuldung des Arbeitgebers und der Nichtleistung des Kostenvorschusses ein direkter Zusammenhang anzunehmen ist.
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7. Im vorliegenden Fall wurde der Anspruch auf Insolvenzentschädigung mit Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 20. April 2005 abgelehnt. Dieser Einspracheentscheid ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Im Anschluss daran hat der Versicherte allerdings weitere Bemühungen im Zwangsvollstreckungsverfahren vorgenommen. Wie sich aus dem Schreiben des Zivilgerichts vom 9. August 2005 ergibt, liess er unter anderem am 28. April 2005 erneut ein Konkursbegehren stellen. Auf Grund der lückenhaften Aktenlage lässt sich allerdings nicht feststellen, ob das Konkursgericht auf dieses Konkursbegehren hin eine Kostenvorschussverfügung erlassen hat. Nicht klar ist auch, ob und allenfalls in welcher Form der Versicherte auf sein Konkursbegehren zurückgekommen ist und ob er das Konkursbegehren im weiteren Verlauf nochmals erneuert hat. Die Angelegenheit geht daher an die Arbeitslosenkasse zurück, damit sie abkläre, ob das Zwangsvollstreckungsverfahren nach dem 20. April 2005 zu irgendeinem Zeitpunkt das Stadium erreicht hat, in welchem der Versicherte oder andere Gläubiger auf die konkursrichterliche Kostenvorschussverfügung hin - durch Rückzug des Konkursbegehrens oder durch Verstreichenlassen der Frist für die Leistung der Konkurskaution - von einer Bezahlung des Kostenvorschusses für die Konkurseröffnung wegen der offensichtlichen Überschuldung der X. GmbH abgesehen haben. Sollte dies zutreffen, wird die Verwaltung die weiteren Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug von Insolvenzentschädigung abzuklären haben. Sie wird alsdann gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse eine neue Verfügung erlassen.
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