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21. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. D. gegen Vorsorgestiftung der schweizerischen Landwirtschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
B 134/06 vom 12. März 2008 | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 4 BVG; Vorbezug und Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals. | |
Sachverhalt | |
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B. Am 6. März 2006 liess D. beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage gegen die Vorsorgestiftung der schweizerischen Landwirtschaft einreichen mit dem Rechtsbegehren, diese sei zu verpflichten, ihm die Austrittsleistung im Betrag von Fr. 321'573.-, zuzüglich Zinsen seit 31. Dezember 2005, bar auszubezahlen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, mit den Investitionen längerfristig seine Existenz und damit auch den weiteren Aufbau seiner Altersvorsorge zu sichern. Das Gesetz verhindere eine Barauszahlung für werterhaltende Investitionen nicht. Das ![]() | 2 |
C. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D. den Antrag auf Barauszahlung erneuern.
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Die Vorsorgestiftung und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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"Selbstständigerwerbende haben ausserdem die Möglichkeit, sich ausschliesslich bei einer Vorsorgeeinrichtung im Bereich der weitergehenden Vorsorge, insbesondere auch bei einer Vorsorgeeinrichtung, die nicht im Register für berufliche Vorsorge eingetragen ist, zu versichern. In diesem Fall finden die Absätze 1 und 2 keine Anwendung."
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Art. 4 Abs. 4 BVG lautet wie folgt:
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"Die von den Selbstständigerwerbenden geleisteten Beiträge und Einlagen in die Vorsorgeeinrichtung müssen dauernd der beruflichen Vorsorge dienen."
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"I contributi e i conferimenti degli indipendenti all'istituto di previdenza devono essere devoluti durevolmente alla previdenza professionale."
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"Selbstständigerwerbende, welche gemäss Art. 4 Absatz 3 BVG freiwillig versichert sind, können von ihrer Vorsorgeeinrichtung einen einmaligen Vorbezug bis zur Höhe ihrer Austrittsleistung für Investitionen in den Betrieb verlangen. Ein solcher Vorbezug kann bis 3 Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen geltend gemacht werden. Die Art. 30c Absätze 4 und 5 und 79b Absätze 3 und 4 BVG sowie Art. 5, 6, 7, 11, 13 und 14 WEFV sind sinngemäss anwendbar."
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Im Bericht zur Vernehmlassung wurde dazu erläutert, die Gesetzesrevision habe Art. 4 Abs. 3 BVG eingeführt, nach dem Selbstständigerwerbende eine überobligatorische Vorsorge betreiben können, ohne gleichzeitig eine Vorsorge aufzubauen, welche die Mindestbestimmungen des BVG erfülle. Als Ergänzung dazu werde in Abs. 4 jedoch festgehalten, dass die Beiträge der Selbstständigerwerbenden dauernd der beruflichen Vorsorge dienen müssen und nicht jederzeit auf Grund der selbstständigen Erwerbstätigkeit bar ausbezahlt werden können. Davon soll jedoch eine Ausnahme gemacht werden können für eine einmalige Investition in den eigenen Betrieb, da es für die Vorsorge des Selbstständigerwerbenden unter Umständen langfristig wichtig sei, den Wert seines Betriebes zu erhalten. Solche Investitionen könnten jedoch nur bis spätestens drei Jahre vor dem Entstehen des Anspruchs auf Altersleistungen gewährt werden.
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Eine derartige Bestimmung fand nie Eingang in die BVV 2. Aus der "Synthese der Resultate des Vernehmlassungsverfahrens" in den Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 83 vom 16. Juni 2005 lässt sich dazu erfahren, dass die erdrückende Mehrheit der Kantone mit einzelnen Verbänden und Parteien einen solchen Artikel missbilligten, weil er im Widerspruch zu Art. 4 ![]() | 15 |
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4.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 128 I 34 E. 3b S. 40). Es können auch die Gesetzesmaterialien beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Richter damit weiterhelfen (BGE 132 III 707 E. 2 S. 710).
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Die Vorarbeiten sind für die Gesetzesinterpretation weder verbindlich noch für die Auslegung unmittelbar entscheidend; denn ein Gesetz entfaltet ein eigenständiges, vom Willen des Gesetzgebers unabhängiges Dasein, sobald es in Kraft getreten ist. Insbesondere sind Äusserungen von Stellen oder Personen, die bei der Vorbereitung mitgewirkt haben, nicht massgebend, wenn sie im Gesetzestext nicht selber zum Ausdruck kommen. Das gilt selbst für ![]() | 18 |
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"Zu Absatz 4: Hier geht es um die Zweckgebundenheit der Vorsorgemittel bei der freiwilligen Versicherung. Es ist ja so, dass die Selbstständigerwerbenden jederzeit aus ihrer Vorsorgeeinrichtung austreten und die bedingungslose Barauszahlung der Freizügigkeitsleistung verlangen können. Das wird aufgrund eines Entscheides des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes so gehandhabt. In einem solchen Fall wird die Kapitalauszahlung oft dem Konsum zugeführt, einem Konsum, der mit der Vorsorge, also mit dem Grundsatz der beruflichen Vorsorge, nichts zu tun hat. Das sind offensichtliche Missbräuche. Das mag für diejenigen, die nur darauf aus sind, solche Lücken zu nutzen, interessant sein. Aber es geht nicht an, dass der Gesetzgeber solchen Missbräuchen Vorschub leistet. Solche Alibiaustritte mit Barauszahlungen werden allein aus Gründen der Steuereinsparung gemacht. Das geht nicht an. Eine dauernde und ausschliessliche Zweckgebundenheit der in der Vorsorgeeinrichtung geleisteten Mittel ist bei einem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung nicht mehr gegeben.
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Es geht allerdings auch nicht darum, es den Selbstständigerwerbenden zu verunmöglichen, Wohneigentumseinlagen oder betriebsbezogene werterhaltende Investitionen zu tätigen. Das möchte ich hier deutlich sagen; ich bin ja auch ein Selbstständigerwerbender, nicht wahr? Ich glaube, im Sinne der Vorsorge können solche Massnahmen auch mit diesem neuen Artikel getroffen werden. Aber es geht wirklich darum, Missbräuche, die hier offensichtlich stattfinden, zu verhindern." (AB 2003 N 624)
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Nach Ansicht der Vorinstanz ist der Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 BVG klar; auch die von Selbstständigerwerbenden geleisteten Beiträge und Einlagen in Vorsorgeeinrichtungen müssten dauernd im System der beruflichen Vorsorge bleiben; es sei unbestritten, dass die Mittel der beruflichen Vorsorge zweckgebunden sind. Dem diene nicht zuletzt das Freizügigkeitsgesetz, das auch das Ziel verfolge, den erworbenen Vorsorgeschutz zu erhalten: Austrittsleistungen seien an die neue Vorsorgeeinrichtung zu überweisen (Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1993 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [Freizügigkeitsgesetz, FZG; SR 831.42]). Wenn keine solche Einrichtung bestehe, sei der Vorsorgeschutz in einer Form zu erhalten, welche die Mittel ausschliesslich und unwiderruflich der Vorsorge widmet (Art. 4 Abs. 1 FZG in Verbindung mit Art. 10 der Verordnung vom 3. Oktober 1994 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [Freizügigkeitsverordnung, FZV; SR 831.425]). Gebe der Versicherte keine Instruktionen, werde das Geld der Auffangeinrichtung überwiesen (Art. 4 Abs. 2 FZG). In Sonderfällen wie der Wohneigentumsförderung oder der Teilung der Austrittsleistungen infolge Scheidung seien Vorschriften zur Sicherung des Vorsorgezweckes erlassen worden (Art. 30e BVG und Art. 22 Abs. 1 FZG). Die einzige Ausnahme, bei welcher die Mittel der Vorsorge "bar" ausbezahlt werden, sei in Art. 5 Abs. 1 FZG sehr restriktiv geregelt. Zusammenfassend gelte, dass diejenigen Mittel, die der beruflichen Vorsorge zugingen, grundsätzlich dem System erhalten bleiben. Anders wäre auch die steuerrechtliche Förderung der Beitrags- und Einlagenzahlungen (vgl. Verordnung vom 13. November 1985 über die steuerliche Abzugsberechtigung für Beiträge an anerkannte Vorsorgeformen [BVV 3; SR 831.461.3]) nicht zu rechtfertigen.
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Mit dem neuen Abs. 4 von Art. 4 BVG habe man das durch die Rechtsprechung ermöglichte Schlupfloch bei den ![]() | 24 |
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STAUFFER (a.a.O., S. 198 Rz. 518) vertritt zu Art. 4 Abs. 4 BVG die Auffassung, für alle von Selbstständigen geleisteten Beiträge und Einlagen in Vorsorgeeinrichtungen gelte seit der 1. BVG-Revision, dass diese dauernd der beruflichen Vorsorge dienen müssen. Diese erst im Differenzbereinigungsverfahren vom Nationalrat aufgenommene Bestimmung solle verhindern, dass durch einen Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung zweckgebundene Vorsorgemittel abgezogen werden können, was als Missbrauch erachtet werde. Die Möglichkeit, Vorsorgemittel unter Berufung darauf, als Selbstständigerwerbender nicht dem Obligatorium zu unterstehen, jederzeit bar zu beziehen, bestehe nicht mehr weiter. Mittel, die ein Selbstständigerwerbender in eine Vorsorgeeinrichtung eingebracht hat, könnten nicht mehr vor Erreichen eines Leistungsfalls oder nur bei Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit infolge ![]() | 26 |
In der Tat unterbreitete die Eidg. Steuerverwaltung der SGK-N an der Sitzung vom 2. Mai 2003 einen Bericht zur freiwilligen Versicherung (Art. 4 BVG), namentlich zur Zweckgebundenheit der Vorsorgemittel. Um Alibi-Austritte mit Barauszahlungen allein im Hinblick auf Steuereinsparungen zu vermeiden und solche Zweckentfremdungen zu unterbinden, wurde folgender neuer Art. 4 Abs. 4 BVG vorgeschlagen:
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"Die von den Selbstständigerwerbenden geleisteten Beiträge und Einlagen in die Vorsorgeeinrichtung müssen dauernd und ausschliesslich der beruflichen Vorsorge dienen."
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Die Kommission war sich einig, dass auch Selbstständigerwerbende Mittel für Wohneigentum und Investitionen im Betrieb aus der beruflichen Vorsorge nutzen können. Der Missbrauch durch zweckwidrige Verwendung für Konsumgüter usw. sollte bekämpft werden. In der SGK-N wurde darauf hingewiesen, dass man sich in der Sache einig sei. Wichtig sei, dass der Präsident im Nationalrat im Namen der Kommission ein klärendes Wort spricht. Ein Gesetz basiere auf den begleitenden Materialien, in welche auch die Voten im Ratsplenum Eingang finden. Der Präsident werde genau erläutern können, was gemeint ist und was nicht. Es könne nicht der Sinn sein, dass einem Bauern und einem Gewerbetreibenden plötzlich Einschränkungen, welche die Kommission gar nicht will, auferlegt würden. Dies lasse sich mit einer sauberen Erklärung, die zu Protokoll geht, auffangen, ohne dass noch an vielen Gesetzen "herumgebastelt" werden müsse. Des Weitern wurde aus den Reihen der Kommission noch die Streichung des Wortes "ausschliesslich" im Entwurf beantragt, weil die Bauern und Gewerbetreibenden befürchteten, dass man jede Form des Einsatzes solcher Mittel unterbinden würde. Gleichzeitig sollte der Missbrauch aber verhindert werden. Die SGK-N nahm den Antrag auf Streichung des Wortes "ausschliesslich" an.
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4.4 Die SGK-N war sich bewusst, dass der Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 BVG Ausnahmen für Investitionen nicht entgegenstehen sollte. Der Nationalrat stimmte Art. 4 Abs. 4 BVG in der vorgeschlagenen Fassung gemäss dem von der Kommission verlangten Votum des Kommissionspräsidenten im Plenum ohne Widerspruch zu. Auch die SGK-S pflichtete bei, der Ständerat selbst nahm diese Bestimmung ebenfalls an. Diese Umstände sind für die Ermittlung ![]() | 30 |
Dass dies der Wille des Gesetzgebers ist, ergibt sich zwar aus keiner sprachlichen Version des Wortlautes von Art. 4 Abs. 4 BVG, jedoch klar aus dem Werdegang der Gesetzgebung. In die gleiche Richtung deutet, dass sich das BSV entsprechend dem Gang des Gesetzgebungsprozesses anschickte, eine Verordnungsbestimmung zu entwerfen, die mit dem Votum des Kommissionspräsidenten in Einklang steht. Der Umstand, dass sich der Bundesrat ans Werk machte, die Norm des Art. 4 Abs. 4 BVG mit dem erwähnten neuen Art. 32a BVV 2 zu konkretisieren, der den Vorbezug der Austrittsleistung für Investitionen geregelt hätte, belegt eindrücklich, dass er selber mit der Verwaltung eine gesetzliche Grundlage für diese Lösung erblickte und spricht ebenfalls für eine vom kantonalen Gericht abweichende Interpretation von Art. 4 Abs. 4 BVG. Von einem Versehen beim Votum des Kommissionspräsidenten kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz keine Rede sein, hat doch die SGK-N ganz bewusst im Hinblick auf die Materialien und eine Protokollerklärung ihres Präsidenten darauf verzichtet, noch weiter an vielen Gesetzen "herumzubasteln", wie sich ein ![]() | 31 |
Im Übrigen scheint der Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 BVG nur auf den ersten Blick einer Auslegung im Sinne der vorstehenden Erwägungen nicht zugänglich zu sein. Der Wortlaut stellt indessen nicht schon die Norm dar, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz, das eine sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis, fordert (BGE 133 III 175 E. 3.3.1 S. 178). Der Regelungsabsicht des Gesetzgebers beim Erlass von Art. 4 Abs. 4 BVG, die berufliche Vorsorge eines selbstständigerwerbenden, freiwillig Versicherten dauernd abzusichern, steht nicht entgegen, in klar bestimmten Schranken, z.B. für Betriebsinvestitionen, den Vorbezug und die Barauszahlung von Beiträgen sowie Einlagen in die Vorsorgeeinrichtung zuzulassen. Die Bestimmung ist interpretationsbedürftig und nicht so absolut gewollt, wie sie geschriebenes Gesetz geworden ist. Vorbezüge oder Barauszahlungen sind in einem beschränkten Rahmen zugelassen, wenn sie dem Kerngehalt von Art. 4 Abs. 4 BVG nicht völlig widersprechen. Dies kam auch an einer Sitzung der SGK-N vom 30./31. Januar 2002 zum Ausdruck.
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