BGE 135 V 201 | |||
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26. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_502/2007 vom 26. März 2009 | |
Regeste |
Art. 8, 17 und 53 ATSG; Art. 28 IVG; Auswirkungen der Rechtsprechung zur somatoformen Schmerzstörung (BGE 130 V 352) auf laufende Renten. |
Die mit BGE 130 V 352 begründete Rechtsprechung bildet keinen Grund für die Herabsetzung oder Aufhebung einer laufenden Rente unter dem Titel der Anpassung an geänderte Rechtsgrundlagen (E. 7). | |
Sachverhalt | |
A. Mit Verfügung vom 14. Februar 2003 sprach die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, der 1965 geborenen S. für die Zeit ab 1. Oktober 1999 eine ganze Rente zu. Sie stützte sich dabei insbesondere auf ein Gutachten des medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002. Der ermittelte Invaliditätsgrad betrug 100 %.
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Im Rahmen einer Rentenrevision holte die IV-Stelle Berichte von Dr. med. R., Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 13. Dezember 2004 und Dr. med. H., Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 26. März 2005 ein. Ausserdem nahm sie ein dem Unfallversicherer erstattetes Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005 zu den Akten. Anschliessend setzte die IV-Stelle mit Verfügung vom 7. Juli 2005 die laufende ganze Rente mit Wirkung ab 1. September 2005 auf eine halbe Rente herab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 fest.
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C. S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr - in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids und des Einspracheentscheids - ab 1. September 2005 weiterhin eine ganze Rente auszurichten; eventuell sei die Sache zur ergänzenden Abklärung und anschliessenden Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Im gleichen Sinn äussert sich das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV).
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Mit ergänzender Stellungnahme vom 24. Januar 2008 bekräftigt die Beschwerdeführerin ihren Standpunkt.
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D. Das Bundesgericht hat am 26. März 2009 eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
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4.3 Die Vorinstanz hält fest, zwischen dem Erlass der Verfügung vom 14. Februar 2003 und dem Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 habe sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nicht erheblich verändert. Die unterschiedlichen Aussagen zur Arbeitsfähigkeit im Gutachten des medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002 einerseits und im Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005 andererseits beruhten vielmehr auf einer abweichenden Einschätzung des gleichgebliebenen Sachverhalts. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398; Urteil des ehemaligen Eidg. Versicherungsgerichts I 692/06 vom 19. Dezember 2006 E. 3.1) und damit für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich. Sie lässt sich nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnen. Ebenso wenig beruht sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG. Für die Beurteilung der Beschwerde ist damit von einer gegenüber der seinerzeitigen Leistungszusprechung aus medizinischer Sicht im Wesentlichen unverändert gebliebenen Situation auszugehen. Ebenso wenig enthält der kantonale Entscheid Hinweise darauf, dass sich der rechtlich relevante Sachverhalt in anderer Weise verändert haben könnte. Die Vorinstanz hat den die Rente herabsetzenden Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 vielmehr mit einer Begründung bestätigt, welche rechtlicher Natur ist.
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Erwägung 5 | |
5.1 Ein Konflikt zwischen der aktuellen Rechtslage und einer früher erlassenen, in formelle Rechtskraft erwachsenen Verfügung über eine Dauerleistung kann in vier Konstellationen entstehen (BGE 127 V 10 E. 4b S. 13 f.; BGE 115 V 308 E. 4a S. 312 ff.; URS MÜLLER, Die materiellen Voraussetzungen der Rentenrevision in der Invalidenversicherung, 2003, S. 91 ff.; RUDOLF RÜEDI, Die Verfügungsanpassung als Grundfigur von Invalidenrentenrevisionen, in: Die Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, 1999, S. 9 ff., 12 f.; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Instrumente zur Korrektur der Sozialversicherungsverfügung, in: Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, 1996, S. 263 ff., 277 ff.; ULRICH MEYER-BLASER, Die Abänderung formell rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen in der Sozialversicherung, ZBl 95/1994 S. 337 ff., 348 ff.): Eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung (anfängliche tatsächliche Unrichtigkeit) lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen durch eine prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG [SR 830.1]) korrigieren. Tritt nach dem Erlass einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung eine anspruchsrelevante Änderung des Sachverhalts ein (nachträgliche tatsächliche Unrichtigkeit), hat gegebenenfalls eine Anpassung im Rahmen einer Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG stattzufinden. Falls die Verfügung auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht (anfängliche rechtliche Unrichtigkeit), ist ein Rückkommen unter dem Titel der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) zu prüfen. Nicht gesetzlich geregelt ist der Tatbestand der nachträglichen rechtlichen Unrichtigkeit infolge einer nach dem Verfügungserlass eintretenden Änderung der massgebenden Rechtsgrundlagen (dazu E. 6 hiernach).
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Erwägung 6 | |
Erwägung 6.1 | |
6.1.1 Nach der Rechtsprechung zum Sozialversicherungsrecht sind ursprünglich fehlerfreie Verfügungen über Dauerleistungen unter Vorbehalt anders lautender Übergangsbestimmungen sowie allfälliger wohlerworbener Rechte grundsätzlich an Änderungen der Rechtslage anzupassen, welche aus einem Eingriff des Gesetzgebers resultieren (BGE 121 V 157 E. 4a S. 161 f.). Demgegenüber bildet eine geänderte Gerichts- oder Verwaltungspraxis im Prinzip keinen Anlass, in eine laufende, auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhende Dauerleistung einzugreifen (BGE 129 V 200 E. 1.2 S. 202; BGE 121 V 157 E. 4a S. 162; BGE 120 V 128 E. 3c S. 132; BGE 119 V 410 E. 3b S. 413; BGE 115 V 308 E. 4a/dd S. 314; BGE 112 V 371 E. 2b S. 372 f.; Urteil 9C_439/2007 vom 28. Februar 2008 E. 3.2 am Ende). Sie kann aber ausnahmsweise zur Abänderung einer rechtskräftigen Verfügung (mit Wirkung für die Zukunft) führen, wenn die neue Praxis in einem solchen Masse allgemeine Verbreitung erfährt, dass ihre Nichtbefolgung als Verstoss gegen das Gleichheitsgebot erschiene, insbesondere wenn die alte Praxis nur in Bezug auf eine einzige versicherte Person oder eine geringe Zahl von Versicherten beibehalten würde (BGE 129 V 200 E. 1.2 S. 202; BGE 121 V 157 E. 4a S. 162; BGE 120 V 128 E. 3c S. 132; BGE 119 V 410 E. 3b S. 413; BGE 115 V 308 E. 4a/dd S. 314; BGE 112 V 387 E. 3c S. 394; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 10, C 222/99 E. 3b). Ein solches Vorgehen drängt sich namentlich dann auf, wenn das Festhalten an der ursprünglichen Verfügung aus Sicht der neuen Rechtspraxis schlechterdings nicht mehr vertretbar ist und diese eine so allgemeine Verbreitung findet, dass ihre Nichtbeachtung in einem einzelnen Fall als dessen stossende Privilegierung (oder Diskriminierung) und als Verletzung des Gleichbehandlungsgebots erscheint (SVR 1995 IV Nr. 60 S. 171 S. 173, I 382/94 E. 4a).
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6.1.2.1 In Anwendung der dargelegten Grundsätze hat das Eidg. Versicherungsgericht verschiedentlich die Anpassung einer rechtskräftigen Verfügung über eine Dauerleistung an eine zwischenzeitlich geänderte, für die betroffene Person günstigere Gerichts- oder Verwaltungspraxis zugelassen. So hielt das Gericht in BGE 121 V 157 E. 4c S. 162 f. fest, eine unter einer früheren Gerichtspraxis festgelegte Erwerbsunfähigkeitsrente der Militärversicherung sei an die im Jahr 1984 geänderte Praxis anzupassen, welche die kumulative Entschädigung von Erwerbsunfähigkeit und Integritätsverlust zulässt. Die gegenteilige Lösung schaffe krasse Ungleichheiten. Ebenfalls bejaht wurde die Anwendbarkeit einer neuen Verwaltungspraxis, welche in bestimmten Fällen einen zuvor nicht anerkannten Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung entstehen liess, auf bereits rechtskräftig entschiedene Fälle (SVR 2001 IV Nr. 4 S. 9, C 222/99 E. 4). Im gleichen Sinne entschied das Gericht im Zusammenhang mit der zunächst verneinten, später jedoch bejahten (BGE 119 V 171) unmittelbaren Anwendbarkeit der internationalrechtlichen Bestimmungen über die eingeschränkte Zulässigkeit einer Leistungskürzung wegen Selbstverschuldens (BGE 120 V 128 E. 4 S. 132 f.; BGE 119 V 410 E. 3c S. 413 f.; SVR 1995 IV Nr. 60 S. 171 und 173, I 382/94 E. 4).
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Zu Lasten des betroffenen Versicherten schützte das Eidg. Versicherungsgericht die Anpassung einer Integritätsrente, deren Berechnung noch auf einer früheren, mit den Urteilen EVGE 1966 S. 148 und EVGE 1968 S. 88 als unzutreffend qualifizierten Praxis basierte, an die neu massgebenden Grundsätze (BGE 112 V 387 E. 3c S. 394, bestätigt in BGE 115 V 308 ff.).
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6.1.2.2 Abgelehnt hat es die Rechtsprechung, eine formell rechtskräftige Verfügung mit Blick auf die Urteile über die Rundung des Invaliditätsgrades zu Lasten der versicherten Person abzuändern (Urteil 9C_439/2007 vom 28. Februar 2008 bezüglich BGE 130 V 121; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 16/02 vom 21. März 2002 bezüglich BGE 127 V 129). In den Urteilen des Eidg. Versicherungsgerichts U 102/89 vom 5. März 1990 E. 5c, nicht publ. in: BGE 116 V 62, und U 114/90 vom 16. März 1992 E. 3d, lehnte es das Gericht ebenfalls ab, infolge der mit BGE 115 V 133 präzisierten Rechtsprechung zum adäquaten Kausalzusammenhang bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall auf rechtskräftige Verfügungen zurückzukommen. Im Urteil M 13/89 vom 30. Oktober 1989 entschied das Eidg. Versicherungsgericht, die in BGE 112 V 387 bejahte Zulässigkeit einer Anpassung beziehe sich nur auf reine Integritätsrenten, nicht dagegen auf so genannte gemischte Renten. Ein Eingriff in ein Dauerrechtsverhältnis zu Lasten der versicherten Person gestützt auf eine neue Rechtspraxis komme nur in Betracht, wenn es besonders krasse, stossende Leistungszusprachen zu korrigieren gelte.
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6.2 Nach der Praxis der öffentlichrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts ist der Widerruf von Verfügungen über Dauerrechtsverhältnisse wegen unrichtiger Sachverhaltsfeststellung, fehlerhafter Rechtsanwendung oder nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage zulässig, sofern wichtige öffentliche Interessen berührt sind (BGE 127 II 306 E. 7a S. 314; Urteil 1A_229/2008 vom 18. August 2008 E. 4.2). Fehlen positivrechtliche Bestimmungen über die Möglichkeit der Änderung einer Verfügung, so ist über diese anhand einer Interessenabwägung zu befinden, bei welcher das Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz gegenüberzustellen ist (BGE 127 II 306 E. 7a S. 314; BGE 121 II 273 E. 1a/aa; BGE 106 Ib 252 E. 2b S. 256; BGE 103 Ib 241 E. 3b S. 244; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 207 Ziff. 997a; TOBIAS JAAG, Staats- und Verwaltungsrecht des Kantons Zürich, 3. Aufl. 2005, S. 130 Ziff. 1914; PIERRE MOOR, Droit administratif II, Les actes administratifs et leur contrôle, 2. Aufl. 2002, S. 338; BLAISE KNAPP, Précis de droit administratif, 4. Aufl. 1991, S. 270 Ziff. 1271 und S. 272 Ziff. 1282; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, 1990, Nr. 45 S. 138 f.; FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, 1986, S. 307 ff.). Eine blosse Praxisänderung kann dort Anlass zur Umgestaltung von dauernden Rechtsverhältnissen geben, wo besonders wichtige öffentliche Interessen, wie Polizeigüter, auf dem Spiele stehen (BGE 127 II 306 E. 7a S. 313; BGE 106 Ib 252 E. 2b S. 256; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 140; GYGI, a.a.O., S. 310, mit weiteren Hinweisen). Konkret erklärte das Gericht - letztlich allerdings primär gestützt auf eine Änderung des positiven Rechts - die Anpassung der Genehmigungsverfügung für das Betriebsreglement eines Flugfeldes zu Lasten der Betreiberin für zulässig (BGE 127 II 306 E. 7c S. 315 f.). Im gleichen Sinn entschied es bezüglich des Entzugs eines Kollektivfahrzeugausweises für Motorfahrzeughändler aufgrund einer geänderten, sachgerechten, strengeren Handhabung der Bewilligungsvoraussetzungen (BGE 106 Ib 252 E. 2b S. 255 f.).
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6.3.1 Mehrheitlich wird die Rechtsprechung ohne inhaltliche Stellungnahme wiedergegeben (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 207 f. Ziff. 999; TSCHANNEN/ZIMMERLI, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 275 Ziff. 47; MÜLLER, a.a.O., S. 110 Ziff. 404; MOOR, a.a.O., S. 347; RÜEDI, a.a.O., S. 9 ff., 23; MEYER-BLASER, a.a.O., S. 337 ff., 350; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 140).
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6.3.4 Ein Teil der Lehre hält im Sinne einer Kritik fest, die Praxis zum Sozialversicherungsrecht lasse eine konkrete Interessenabwägung im Einzelfall vermissen (so insbesondere PETER SALADIN, Wiedererwägung und Widerruf formell rechtskräftiger Verfügungen, Die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts im Vergleich zur Praxis des Bundesgerichts in Lausanne, in: Sozialversicherungsrecht im Wandel, Festschrift 75 Jahre Eidgenössisches Versicherungsgericht, 1992, 113 ff., 130; ähnlich KIESER, Die Abänderung der formell rechtskräftigen Verfügung nach der Rechtsprechung des EVG, SZS 1991 S. 132 ff., 141 mit weiteren Hinweisen in Fn. 64). Eine neuere, sich auf die vorliegende Problematik beziehende Publikation (BRUNNER/BIRKHÄUSER, Somatoforme Schmerzstörung - Gedanken zur Rechtsprechung und deren Folgen für die Praxis, insbesondere mit Blick auf die Rentenrevision, BJM 2007 S. 169 ff., 202) knüpft an die durch die Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen an, verlangt aber darüber hinaus eine sorgfältige Güterabwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der rechtsgleichen Anwendung des Rechts und denjenigen der Rentenbezüger an der weiteren Ausrichtung der einmal zugesprochenen Rente. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob die Anpassung der Rente verhältnismässig ist.
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6.4 Die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und - bei Anpassungen zu Lasten der versicherten Person - des Vertrauens auf die Weitergewährung einmal zugesprochener staatlicher Leistungen können mit dem öffentlichen Interesse an einer gesetzmässigen und sachlich vertretbaren Durchführung der Versicherung in ein Spannungsverhältnis treten. Dieser Konflikt ist durch eine wertende Abwägung der betroffenen Interessen zu lösen (BGE 115 V 308 E. 4b S. 316). Auch die Gerichtspraxis zum Sozialversicherungsrecht beruht somit letztlich auf einer Interessenabwägung (in diesem Sinn auch, bezogen auf die Rechtsprechung zur Wiedererwägung, ANDRÉ GRISEL, L'apport du Tribunal fédéral des assurances au développement du droit public, in: Mélanges Alexandre Berenstein, 1989, S. 437 ff., 449). Da eine Rechtsprechungsänderung im Sozialversicherungsrecht oft eine Vielzahl von Fällen beschlägt, welche in Bezug auf die konkreten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich gleich gelagert sind, kommt dem Gebot rechtsgleicher Behandlung der von einer allfälligen Rentenanpassung betroffenen Personen erhebliches Gewicht zu. Dieser Gesichtspunkt spricht dagegen, in jedem einzelnen Fall die konkreten, individuellen Auswirkungen einer Anpassung heranzuziehen. So ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum ein Versicherter, welcher im Vertrauen auf die laufende Rente eine teurere Wohnung gemietet hat (so das Beispiel bei SALADIN, a.a.O., S. 130), von einer Herabsetzung ausgenommen werden sollte, während ein sparsamer Versicherter diese hinzunehmen hätte. Die "typische" sozialversicherungsrechtliche Ausgangslage verlangt vielmehr eine einheitliche Lösung für alle betroffenen Personen. In diesem Zusammenhang kommt bei Rentenaufhebungen oder -herabsetzungen, wo zusätzlich zum Aspekt der Rechtssicherheit auch jener des erweckten Vertrauens eine Rolle spielt, in aller Regel den für eine Weiterausrichtung sprechenden Aspekten mehr Gewicht zu als der Gleichbehandlung der Rentenbezüger mit Personen, welche noch keine Rente beziehen, sondern eine solche erst beantragt haben. Um eine Anpassung zu rechtfertigen, genügt es - entgegen der auf die verkürzte Formulierung in BGE 121 V 157 E. 4a S. 162 gestützten Auffassung von BSV und Vorinstanz - nicht, dass die geänderte Rechtsprechung allgemeine Verbreitung findet, denn dies trifft bei einer bundesgerichtlichen Praxisänderung im Bereich des Sozialversicherungsrechts regelmässig zu. Liesse man die allgemeine Verbreitung genügen, würde daher die Anwendung der neuen Praxis auf laufende, rechtskräftig festgelegte Dauerleistungen zur Regel. Diese Konsequenz wäre sachlich nicht gerechtfertigt. Sie entspricht auch nicht der bisherigen Judikatur, welche durchwegs den Ausnahmecharakter einer derartigen Anpassung betont hat. Um eine solche zu begründen, müssen zusätzlich zur allgemeinen Verbreitung der neuen Praxis qualifizierende Elemente gegeben sein, welche deren Nichtanwendung auf laufende Leistungen unter dem Aspekt der Rechtsgleichheit als stossend erscheinen liessen. Ein derartiges Element liegt vor, wenn die frühere Praxis nur noch auf einige wenige Personen Anwendung findet, so dass diese als privilegiert (oder diskriminiert) erscheinen, sowie wenn sich die damalige Leistungszusprechung aus der Sicht der neuen Praxis schlechterdings nicht mehr vertreten lässt (vgl. E. 6.1). Diese Praxis entspricht im Ergebnis weitgehend jener der öffentlichrechtlichen Abteilungen, welche einen Eingriff in ein Dauerverhältnis aufgrund einer Praxisänderung nur zulässt, wenn besonders wichtige öffentliche Interessen betroffen sind (E. 6.2). Es besteht kein Anlass, die vorstehend zusammengefasste sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung zu ändern.
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Erwägung 7.1 | |
7.1.1 Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich bereits in BGE 102 V 165 zur invalidisierenden Wirkung eines psychischen Gesundheitsschadens geäussert. Wie das Gericht damals festhielt, gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, nicht als IV-rechtlich relevant, wobei das Ausmass des Erforderlichen (respektive Forderbaren) weitgehend objektiv bestimmt werden muss. Es ist somit festzustellen, ob und in welchem Masse ein Versicherter infolge seines geistigen Gesundheitsschadens auf dem ihm nach seinen Fähigkeiten offenstehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann. Dabei kommt es darauf an, welche Tätigkeit ihm zugemutet werden darf. Zur Annahme einer durch einen geistigen Gesundheitsschaden verursachten Erwerbsunfähigkeit genügt es also nicht, dass der Versicherte nicht hinreichend erwerbstätig ist; entscheidend ist vielmehr, ob anzunehmen sei, die Verwertung der Arbeitsfähigkeit sei ihm sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder - als alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft untragbar (BGE 102 V 166 f.).
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7.1.2 Im Zuge einer in den 90er Jahren einsetzenden Entwicklung hat die invalidenversicherungsrechtliche Bedeutung somatoformer Schmerzstörungen deutlich zugenommen (vgl. KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, Im Graubereich zwischen Körper, Psyche und sozialen Schwierigkeiten, Schweizerische Medizinische Wochenschrift 1997 S. 1380 ff., 1380 f.; PETER ROSATTI, De la sinistrose aux troubles somatoformes, in: L'expertise médicale, 2002, S. 81 ff., 86). Die entsprechende Diagnose - namentlich auch jene der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) - sagt als solche wenig über die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person aus (vgl. BGE 130 V 396 E. 6.2.3 S. 402 mit Hinweisen). Die psychiatrische Lehre in Deutschland entwickelte jedoch Kriterien für die Prognosestellung (KLAUS FOERSTER, Begutachtung und Erwerbsfähigkeit bei Patienten mit psychogenen Störungen, SZS 1996 S. 486 ff., 498) sowie für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit (FOERSTER, Psychiatrische Begutachtung im Sozialrecht, in: Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. 2000, S. 509, 511; vgl. auch KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, a.a.O., S. 1434 f. mit Hinweis auf die grundlegende Arbeit von WINCKLER und FOERSTER). Die Kriterien wurden durch die Lehre in das schweizerische Recht eingeführt (HANS-JAKOB MOSIMANN, Somatoforme Störungen: Gerichte und [psychiatrische] Gutachten, SZS 1999 S. 1 ff. und 105 ff.) und anschliessend durch das Eidg. Versicherungsgericht übernommen (Urteil I 554/98 vom 19. Januar 2000 E. 2c, auszugsweise in: AHI 2000 S. 149, 152 f.). Diese Rechtsprechung, welche keine Abkehr von den in BGE 102 V 165 formulierten Grundsätzen, sondern deren Anwendung auf die Diagnose "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" darstellt, fand auch Eingang in die Verwaltungspraxis. Das BSV hielt im IV-Rundschreiben Nr. 180 vom 27. Mai 2003 (Neufassung von Rz. 1017 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH], gültig ab 1. Juli 2003) fest, die somatoforme Schmerzstörung wirke sich in der Regel ohne psychiatrische Komorbidität nicht auf die Arbeitsfähigkeit aus; eine Willensanstrengung zur Verwertung der Arbeitsfähigkeit wäre zumutbar. Ausschlaggebend sei, ob die versicherte Person aufgrund objektiver Befunde nicht oder nur in beschränktem Umfang arbeiten könne.
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Erwägung 7.2 | |
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7.2.2 Unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebots (Art. 8 Abs. 1 BV) drängt sich eine gerichtliche Anpassung, wie dargelegt, insbesondere dann auf, wenn die auf die alte Praxis gestützten Verfügungen nur mehr für einzelne wenige Versicherte gelten (BGE 129 V 200 E. 1.2 S. 202; BGE 120 V 128 E. 3c S. 132; BGE 119 V 410 E. 3b S. 413; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 10, C 222/99 E. 3b). Dies trifft hier nicht zu: Angesichts der hohen Verbreitung der Diagnose "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" seit Anfang der 90er Jahre (E. 7.1.2 hiervor) würde sich die Frage nach der Anpassung einer überaus grossen Zahl laufender Renten stellen. Die Verwaltung wäre aufgrund des Rechtsgleichheitsgebots gehalten, alle derartigen Fälle einer Überprüfung zu unterziehen. Diese könnte sich inhaltlich nicht auf wenige Gesichtspunkte beschränken, sondern es müssten in jedem Einzelfall die in BGE 130 V 352 formulierten, differenzierten Kriterien geprüft werden. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit wäre überdies dem bisherigen, berechtigterweise erfolgten Rentenbezug und der dadurch entstandenen Situation angemessen Rechnung zu tragen. In der Lehre wird diesbezüglich verlangt, es sei eine sorgfältige Güterabwägung vorzunehmen und auf dieser Basis zu beurteilen, ob eine Anpassung im konkreten Fall als verhältnismässig erscheint (vgl. BRUNNER/BIRKHÄUSER, a.a.O., S. 202). Zur Diskussion steht somit die Beurteilung zahlreicher Fälle, welche aufwändige Überprüfungen erfordert und deren Ergebnis ungewiss ist. Unter diesen Umständen sind die vorstehend wiedergegebenen (E. 6.4), engen Voraussetzungen für die Anwendung einer geänderten Praxis auf laufende, rechtskräftig festgelegte Leistungen durch die Gerichte nicht erfüllt. Dies gilt umso mehr, weil sich mit Blick auf den Grundsatz "Eingliederung vor Rente" zusätzlich die Frage stellt, ob ein allfälliger Rentenentzug mit einem Programm zur Wiedereingliederung der Betroffenen verbunden werden müsste. In dieser Konstellation wäre es Sache des Gesetzgebers, die Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung laufender Renten - einschliesslich allfälliger flankierender Massnahmen - vorzusehen und den dafür geltenden Massstab festzulegen, falls er dies für angezeigt erachten sollte.
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7.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 352 keinen hinreichenden Anlass bildet, um unter dem Titel der Anpassung an eine geänderte Gerichtspraxis auf Renten zurückzukommen, welche zu einem früheren Zeitpunkt mittels formell rechtskräftiger Verfügung zugesprochen wurden. Die Beschwerde ist dementsprechend gutzuheissen, und der kantonale Entscheid sowie der Einspracheentscheid sind aufzuheben. Da sich die gerichtliche Prüfung auf den Zeitraum bis zum Erlass des Einspracheentscheids vom 6. Februar 2006 zu beschränken hat (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220), ist nicht zu entscheiden, ob die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Änderung von Art. 7 Abs. 2 ATSG allenfalls eine Anpassung laufender Renten rechtfertigt.
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