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10. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. BVG-Sammelstiftung Swiss Life gegen L. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_173/2009 vom 25. Januar 2010 |
Art. 2 Abs. 2 ZGB; Art. 41 Abs. 1 (in der bis Ende 2004 geltenden Fassung) resp. Art. 41 Abs. 2 BVG (in der seit 1. Januar 2005 in Kraft stehenden Fassung); Art. 130 Abs. 1 OR; Art. 66 Abs. 2 und 4 BVG; Art. 10 BVV 2; Fälligkeit und Verjährung rückwirkender Beitragsforderungen aus einem Vorsorgeverhältnis, das nach Bekanntwerden eines nicht angemeldeten Arbeitsverhältnisses nachträglich begründet wird. |
Hatte die Vorsorgeeinrichtung wegen einer unentschuldbaren Meldepflichtverletzung des Arbeitgebers keine Kenntnis vom Bestand einer versicherungspflichtigen Anstellung, so wird die Fälligkeit der Beitragsforderungen jedoch bis zur (anrechenbaren) Kenntnisnahme aufgeschoben (E. 4.1 und 4.2). Der Lauf der Verjährung nach Art. 41 Abs. 2 BVG beginnt indessen nur für Beitragsforderungen, die jünger als zehn Jahre sind; die weiter zurückliegenden sind absolut verjährt (E. 4.3). |
Anwendung auf den konkreten Fall (E. 5.1 und 5.2). Vorbehalt von Ersatzansprüchen (E. 5.3). |
Art. 73 BVG; berufsvorsorgerechtliche Zuständigkeit zur Beurteilung von Ersatzforderungen aus Nicht- oder Schlechterfüllung eines Anschlussvertrages. | |
Sachverhalt | |
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B. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die Klage ab; die geltend gemachten Forderungen seien verjährt (Entscheid vom 20. Januar 2009).
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C. Die Sammelstiftung führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit dieses über die Klage materiell entscheide. (...)
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L. lässt beantragen, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.2 Strittig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht erkannt hat, die klageweise geltend gemachte Beitragsnachforderung für die Beschäftigungsjahre 1985 bis 1995 sei verjährt. Forderungen auf periodische Beiträge und Leistungen verjähren nach fünf, andere nach zehn Jahren; die Art. 129 bis 142 OR sind anwendbar (Art. 41 Abs. 1 BVG [SR 831.40] in der bis Ende 2004 geltenden ![]() | 7 |
Erwägung 3 | |
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Zu beurteilen ist die Verjährungsfrage mit Bezug auf Prämienzahlungsansprüche, die rückwirkend für einen Zeitraum erhoben werden, während dessen die Vorsorgeeinrichtung offenbar keine Kenntnis vom individuellen Vorsorgeverhältnis hatte. In dieser Situation stellt sich zunächst die Frage, ob die Fälligkeit, mit welcher der Beginn der Verjährungsfrist einhergeht, bereits unmittelbar zu Beginn des jeweiligen Versicherungsjahrs (gemäss AVB) respektive nach Massgabe von Art. 66 Abs. 4 BVG eintritt, oder ob sie erst mit der effektiven Begründung des individuellen Versicherungsverhältnisses (nachträgliche Aufnahme des P. in die berufliche Vorsorge) zum Tragen kommen kann. Wenn ersteres zutrifft, stellt sich die weitere Frage, ob der Lauf der Verjährungsfrist unabhängig von der Kenntnis sämtlicher anspruchserheblicher Tatbestandselemente seitens der Beitragsgläubigerin beginnt.
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3.2 Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts und (ab 2007) der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts war der tatsächliche Bestand eines einschlägigen Rechtsverhältnisses für die Fälligkeit der auf vergangene Beschäftigungszeiten ![]() | 10 |
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3.2.2 Die Fälligkeit von Beitragsforderungen, die sich aus der nachträglichen Begründung eines individuellen Vorsorgeverhältnisses im Rahmen eines bestehenden Anschlussvertrages ergeben (vgl. zu den verschiedenen Rechtsverhältnissen HANSJÖRG SEILER, Der Anschlussvertrag an eine Personalvorsorgeeinrichtung: in: Liber amicorum für Moritz W. Kuhn, 2009, S. 376 ff.), trat nach bisheriger Praxis ebenfalls mit der Entstehung des Rechtsverhältnisses ein. So liess bei Ungewissheit über das Beitragsstatut erst der rechtskräftige Entscheid über die AHV-rechtliche Einstufung einer Person als Unselbständigerwerbende eine rückwirkende Beitragsforderung entstehen; die nachzuentrichtenden Beiträge wurden frühestens mit diesem Entscheid fällig (Urteil B 26/99 vom 9. August 2001 E. 2c; vgl. SZS 2002 S. 510). Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung hat das Eidg. Versicherungsgericht festgehalten, bei einem Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Qualifizierung einer Beschäftigung als Haupt- oder aber als Nebenerwerb - wovon abhing, ob die betreffende Person der obligatorischen beruflichen Vorsorge zu unterstellen war oder nicht - trete die Fälligkeit rückwirkender Beitragsforderungen erst mit Rechtskraft des Entscheides ein, die Erwerbstätigkeit sei als hauptberufliche zu betrachten: "Nel rinviare agli art. 129 a 142 CO, l'art. 41 LPP fa dipendere l'inizio della prescrizione dall'esigibilità del credito contributivo. Orbene, il credito contributivo può diventare esigibile solo se il lavoratore è stato correttamente annunciato all'istituto di previdenza. Solo a partire da tale ![]() | 12 |
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4.1 Nach der Rechtsprechung und mehrheitlichen Doktrin zu Art. 130 Abs. 1 OR tritt die Fälligkeit unabhängig davon ein, ob der Gläubiger von Forderung und Fälligkeit Kenntnis hat oder haben kann (BGE 126 III 278; BGE 119 II 216 E. 4a/aa S. 219; BGE 106 II 134 E. 2a S. 137; Urteil 9C_618/2007 vom 28. Januar 2008 E. 1.1.3; vgl. BGE 126 II 145 E. 2b S. 151; ROBERT K. DÄPPEN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 2007, N. 9 zu Art. 130 OR; STEPHEN V. BERTI, in: Zürcher ![]() | 15 |
4.2 Aus Sicht der Vorsorgeeinrichtung erscheint es als stossend, wenn der Lauf der Verjährung auch dann in Gang gesetzt wird, wenn ihr eine - zwar objektiv einklagbare - Forderung nicht bekannt ist und auch nicht bekannt sein kann (vgl. dazu JEAN-BENOÎT MEUWLY, La prescription des créances d'assurance privée [art. 46 al. 1 LCA] au regard de la dernière jurisprudence du Tribunal fédéral, AJP 2003 S. 315 ff.). Das Anliegen der Vorsorgeeinrichtung und der dahinter stehenden Versichertengemeinschaft, dass alle Beiträge zur Finanzierung der Vorsorgeleistungen reglementskonform bezahlt werden, steht dem Ziel der Rechtssicherheit gegenüber, wonach eine Forderung nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr durchsetzbar sein soll. Beim Ausgleich dieser Interessen muss der Schutzzweck des Rechtsinstituts der Verjährung im Auge behalten werden. Die Nichterheblichkeit der Kenntnis wird unter anderem damit begründet, die Verjährung sei vor allem zum Schutz des Schuldners geschaffen (PASCAL PICHONNAZ, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 4 zu Art. 130 OR). Dieser Schutz kann nach Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB) von demjenigen nicht in Anspruch genommen werden, der - aus eigenem, vorwerfbarem Verhalten - allein dafür verantwortlich ist, dass die Forderung der Gläubigerin verborgen geblieben ist. Die Berufung des Beitragsschuldners auf einen Eintritt der Fälligkeit vor erfolgter Kenntnisnahme wäre alsdann rechtsmissbräuchlich (Art. 2 Abs. 2 ZGB; BGE 131 II 265 E. 4.2 S. 267; THOMAS GÄCHTER, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, 2005, S. 4 ff.). Wenn der Schuldner die vorläufige Unkenntnis der Gläubigerin zu verantworten hatte, hängt der Eintritt der Fälligkeit somit ausnahmsweise von deren Wissen um die Grundlagen der Forderung ab. Da der Zeitpunkt, zu welchem sämtliche für die Bemessung der Beitragsforderung notwendigen Angaben vorliegen, auch von der Aufmerksamkeit der Vorsorgeeinrichtung abhängig ist, wirkt nicht erst die tatsächliche, sondern bereits die normativ anrechenbare - zumutbare - Kenntnis fristauslösend.
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4.3 Bei vorwerfbarem Verhalten des Schuldners erfolgt ein an sich zeitlich schrankenloser Aufschub der Fälligkeit der einzelnen periodischen Beitragsforderung bis zu dem Zeitpunkt, in welchem die Beitragsgläubigerin davon anrechenbare Kenntnis erlangt. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass - vergleichsweise - für (sekundäre) Ansprüche aus Vertragsverletzung eine subsidiäre Verjährungsfrist von zehn Jahren seit der Pflichtverletzung gilt (Art. 127 OR), für Deliktsansprüche eine ebenfalls zehnjährige absolute Frist (Art. 60 Abs. 1 OR), beginnend mit dem schädigenden Verhalten (SCHWENZER, a.a.O., S. 526 f. Rz. 84.14 und 84.18; vgl. BGE 126 II 145 E. 2b S. 151). Wenn nun die Durchsetzbarkeit der originären Beitragsforderung gegenüber dem Schuldner, der qualifiziert gegen die Meldepflicht verstossen hat, rückwirkend unbegrenzt möglich wäre, könnte dies mit der Verjährungsordnung insgesamt nicht vereinbart werden (vgl. MEUWLY, a.a.O., S. 319 ff.). Damit ist die insofern relative Verjährungsfrist von fünf Jahren nach (zumutbarer) Kenntnisnahme im Wege der Lückenfüllung (vgl. BGE 135 V 163 E. 5.3 S. 168; BGE 127 V 38 E. 4b/cc S. 41) um eine absolute Befristung zu ergänzen: Die einzelne Beitragsforderung verjährt auch bei Bejahung einer qualifizierten Meldepflichtverletzung und andauernd unverschuldet fehlender Kenntnis der Vorsorgeeinrichtung über den Beitragstatbestand jedenfalls zehn Jahre nach ihrem (virtuellen) Entstehen. Da die Fälligkeit bis zur Kenntnisnahme aufgeschoben ist, ![]() | 18 |
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5.2.1 Mit Empfang des Schreibens vom 26. Januar 1999 hatte die Sammelstiftung wohl erstmals Gelegenheit, von einem (möglichen) Vorsorgetatbestand Kenntnis zu nehmen. Trat die Fälligkeit im Januar 1999 ein, hat die Vorsorgeeinrichtung die Verjährung auf dem Weg der Betreibung (Erwirkung des Zahlungsbefehls vom 18. Juni 2002) vorerst rechtzeitig unterbrochen (Art. 41 Abs. 2 BVG [aArt. 41 Abs. 1 BVG] in Verbindung mit Art. 135 Ziff. 2 OR). Die Verjährung beginnt sodann mit jedem Betreibungsakt und - nach Klageerhebung - mit jeder gerichtlichen Handlung der Parteien und mit jeder Verfügung oder Entscheidung des Richters von neuem (Art. 137 Abs. 1 und Art. 138 Abs. 1 und 2 OR). Mit Blick auf die weiteren ![]() | 22 |
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5.3 Soweit originäre Beitragsforderungen verjährt sind, stellt sich die Anschlussfrage, ob die Voraussetzungen für sekundäre Ansprüche auf Schadenersatz aus Vertragsverletzung gegeben seien. Zur Annahme einer vertraglichen Schadenersatzpflicht bedarf es nicht wie beim Rechtsmissbrauch (oben E. 4.2) einer qualifizierten Meldepflichtverletzung, sondern genügt gegebenenfalls leichte Fahrlässigkeit (Art. 97 Abs. 1 und Art. 99 Abs. 1 OR; BGE 130 V 103 E. 3.3 S. 109 mit Hinweisen). Falls eine Vertragsverletzung während des gesamten Beschäftigungszeitraums (1985 bis 1995) andauerte, fallen - mit Blick auf die im Laufe des Jahres 2002 erfolgte Betreibung - unverjährte Ersatzansprüche für die (primär verjährten) Jahresprämien ab 1993 in Betracht (Art. 127 OR). Nach bisheriger Rechtsprechung oblag die Beurteilung von Ersatzforderungen aus Nicht- oder Schlechterfüllung eines Anschlussvertrages der Ziviljustiz (Urteil B 37/03 vom 10. März 2004 E. 2.3). Diese Kompetenzzuweisung erfolgte ursprünglich mit Blick auf den Umstand, ![]() | 24 |
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