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11. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Panorama Kranken- und Unfallversicherung gegen M. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_678/2009 vom 25. Februar 2010 | |
Regeste |
Art. 25 KVG; Art. 20 und 20a KLV; Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL; Anhang 2 KLV). |
Die Michiganschiene ist in der abschliessenden MiGeL nicht aufgeführt und kann auch keiner der dort enthaltenen Produktgruppen zugeordnet werden (E. 3). Die Schiene samt Anfertigungskosten (Zahntechniker) ist daher nicht kassenpflichtig; die eigentlichen Behandlungskosten dagegen sind gestützt auf Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG zu vergüten (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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B. Dagegen liess M., vertreten durch Dr. med. dent. X., Direktor der Klinik Y., Beschwerde erheben. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die Beschwerde gut und verpflichtete die Panorama Kranken- und Unfallversicherung unter Aufhebung des Einspracheentscheids vom 30. Juli 2008, M. Fr. 563.20 für die Behandlung mittels Michiganschiene zu bezahlen (Entscheid vom 18. Mai 2009).
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Panorama Kranken- und Unfallversicherung die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
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M. lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen, während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf deren Gutheissung schliesst.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin die Kosten der Therapie mittels Michiganschiene im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen hat. Dabei steht ![]() | 6 |
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Ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Nichtaufnahme eines Gegenstands oder Mittels in die MiGeL vor Gesetz und Verfassung standhält, hat sich das Bundesgericht praxisgemäss grösste Zurückhaltung zu ![]() | 9 |
Erwägung 2.3 | |
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3. Die als Pflichtleistung zur Diskussion stehende Michiganschiene ist unstrittig weder als einzelnes Produkt in der MiGeL aufgeführt noch kann sie einer der in der Liste erwähnten Produktgruppen zugeordnet werden. Dies wird von den Parteien nicht als gesetzes- oder verfassungswidrig gerügt. Uneins sind sie hinsichtlich der Rechtsfrage, ob die betreffende Schiene überhaupt als ein Mittel und Gegenstand im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG in Verbindung mit Art. 20a Abs. 1 KLV zu qualifizieren ist, für welche die Positivlistenpflicht gemäss MiGeL gilt (vorne E. 2.2), oder ob sie davon ausgenommen ist und gestützt auf Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG in Verbindung mit Art. 20a Abs. 2 KLV (vorne E. 2.3.2) - allenfalls gestützt auf Art. 25 Abs. 1 KVG (vorne E. 2.1) - als Pflichtleistung gemäss ![]() | 12 |
Erwägung 4 | |
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4.2.2 Die Michiganschiene ist eine durchsichtige, etwa 2 mm dicke Form aus durchsichtigem Kunststoff, die meistens auf die Zähne des Oberkiefers aufgesetzt wird. Sie wird in der Regel nachts getragen und verhindert, dass die Zähne durch das mechanische Abtragen von Zahnsubstanz zerstört werden. Durch das Aufbeissen auf die Schiene wird häufig auch eine Entspannung der Muskulatur erreicht, ![]() | 16 |
4.2.3 Indem die Michiganschiene der Krankheitsbehandlung dient und von der versicherten Person ohne Weiteres selbst angewandt werden kann (E. 4.2.2), erfüllt sie jedenfalls zwei der drei Begriffsmerkmale der Mittel und Gegenstände im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG in Verbindung mit Art. 20 KLV. Daran ändert nichts, dass sie individuell durch den Zahnarzt angepasst und im Zahntechniklabor hergestellt wird; auch andere Mittel und Gegenstände im Sinne der genannten Bestimmungen werden fachmännisch nach Mass angefertigt (z.B. Orthesen, Hörgeräte, Sehhilfen). Entscheidend ist, dass Endverbraucher der Mittel und Gegenstände gemäss Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG stets die Patientin/der Patient ist und diese(r) das Produkt schliesslich allein oder mit Hilfe einer nichtberuflich mitwirkenden Person anwenden kann, was auf die Michiganschiene zweifellos zutrifft. Fraglich bleibt einzig, ob die Schiene vorliegend deshalb nicht unter die gesetzliche Definition der Mittel und Gegenstände fällt, weil sie der versicherten Person nicht auf ärztliche Anordnung von einer Abgabestelle nach Art. 55 KVV (vgl. vorne E. 4.2.1), sondern direkt vom Zahnarzt selber abgegeben wird. Dies ist zu verneinen (so - implizit - auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 101/03 vom 22. Juli 2004 E. 4): Mit dem Verweis in Art. 20 KLV auf die Abgabestellen nach Art. 55 KVV wird gesetzgeberisch klargestellt und soll gewährleistet sein, dass die Versicherung nur die von gesetzlich zugelassenen Leistungserbringern abgegebenen Mittel und Gegenstände vergütet. Die Ausgabe über die nach Art. 35 Abs. 2 lit. g und Art. 38 KVG in Verbindung mit Art. 55 KVV zugelassenen Abgabestellen - worunter verschiedenste Institutionen wie Apotheken, Drogerien, Fachgeschäfte etc. fallen können (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 79/98 vom 4. Juli 2001 E. 4a) - bildet dabei den Regelfall und ist als solcher ![]() | 17 |
Nach dem Gesagten ist die Michiganschiene als Mittel und Gegenstand im Sinne des Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG in Verbindung mit Art. 20 KLV zu qualifizieren, womit sie grundsätzlich der Listenpflicht gemäss Art. 20a Abs. 1 KLV untersteht. Die obligatorische Kostenübernahme für dieses Produkt gestützt auf Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG fällt damit ausser Betracht, da die Tatbestände Art. 25 Abs. 2 lit. a und b KVG sich in Bezug auf ein- und dasselbe Leistungselement als Rechtsgrund der Leistungspflicht gegenseitig ausschliessen.
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4.3.1 Nach dem bis Ende Juli 2007 in Kraft gestandenen aArt. 20 KLV waren nur die in den Körper implantierten Mittel und Gegenstände nicht listenpflichtig (vorne E. 2.3.1); alle andern der Behandlung und Untersuchung dienenden Mittel und Gegenstände waren nach der gesetzlichen Konzeption ausschliesslich nach Massgabe der rechtsprechungsgemäss abschliessenden MiGeL vergütungspflichtig (vorne E. 2.2). Gestützt auf diese Rechtslage hatte das Eidg. ![]() | 20 |
Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb hinsichtlich der Positivlistenpflicht der Michiganschiene nach der Rechtslage bis Ende Juli 2007 im Ergebnis hätte anders entschieden werden können als im erwähnten Urteil betreffend SERENOX-Schiene, zumal auch die Michiganschiene unstrittig kein Implantat im Sinne der Sonderregelung des aArt. 20 Abs. 2 KLV (und Art. 20a Abs. 2 KLV) ist und sie sich hinsichtlich Herstellung, Art und Beschaffenheit mit der SERENOX-Schiene durchaus vergleichen lässt. Die unterschiedlichen therapeutischen Zielsetzungen der beiden Produkte ändern daran nichts; die therapeutische Stossrichtung ist wohl wichtiges Kriterium für die Abgrenzung der zahnärztlichen Behandlungen nach Art. 31 KVG von den ärztlichen Behandlungen des Zahnarztes nach Art. 25 KVG (BGE 128 V 143); für die Frage der Positivlistenpflicht im Rahmen des Art. 25 KVG ist sie jedoch nicht massgebend.
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4.3.2 Nicht zu beurteilen hatte das Bundesgericht bis anhin, ob die Michiganschiene unter der Herrschaft des seit 1. August 2007 geltenden Art. 20a Abs. 2 KLV (vorne E. 2.3.2) neu unter die Mittel und Gegenstände zu subsumieren ist, die von den Leistungserbringern nach Art. 35 Absatz 2 KVG im Rahmen ihrer Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung verwendet werden und als solche nicht in der MiGeL aufgeführt sind, wovon ![]() | 22 |
4.3.2.1 Während die listenpflichtigen Mittel und Gegenstände im Sinne des Art. 20 und 20a Abs. 1 KLV solche sind, die von der versicherten Person selbst angewendet werden (vgl. vorne E. 4.2.1), spricht der Wortlaut des Art. 20a Abs. 2 KLV von Mitteln und Gegenständen, die der Leistungserbringer im Rahmen seiner Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung verwendet. Welche konkreten Mittel und Gegenstände darunter fallen können, ist dem Text nicht zu entnehmen, und es sind keine Materialien des Verordnungsgebers ersichtlich, welche hierüber beispielhaft näheren Aufschluss geben könnten. Auch das BAG äussert sich in der Vernehmlassung nicht dazu. Es wird sich vorab um solche Mittel und Gegenstände handeln, die für eine fachgerechte Durchführung der ärztlichen Behandlung unabdingbar sind; die Frage bedarf jedoch keiner abschliessenden Prüfung. Ausschlaggebend ist, dass Art. 20a Abs. 2 KLV die Abgrenzung der nicht listenpflichtigen von den (gemäss Art. 20 und 20a Abs. 1 KLV) listenpflichtigen Mitteln und Gegenständen danach trifft, wer das betreffende Gerät/Objekt braucht resp. anwendet oder verwendet. Im Falle der Mittel und Gegenstände nach Art. 20a Abs. 2 KLV ist dies - abgesehen von den Körperimplantaten, die hier nicht zur Diskussion stehen (vorne E. 4.2 in fine) - nach dem eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der Bestimmung ausschliesslich der Leistungsbringer nach Art. 35 Abs. 2 KVG. Ein Gegenstand, welcher ab einem bestimmten Behandlungszeitpunkt durch die versicherte Person selber (allenfalls mit Hilfe einer nichtberuflich mitwirkenden Person; vgl. Art. 20 KLV) angewendet und genutzt wird, fällt definitionsgemäss aus dem Geltungsbereich der Bestimmung heraus. Es bestehen keinerlei triftige Gründe zur Annahme, dass diese grammatikalische Auslegung nicht den wahren Sinngehalt der Vorschrift wiedergibt, was ein Abweichen vom Normtext rechtfertigen könnte (vgl. BGE 133 II 263 ![]() | 23 |
4.3.2.2 Soweit Vorinstanz und Beschwerdegegnerin aus dem Umstand, dass die MiGeL generell keine Produkte der Zahnheilkunde wie Schienen, Spangen, Prothesen, etc. enthält, für diesen Bereich einen im Gesetz nicht enthaltenen Nichtlistenpflicht-Tatbestand sui generis ableiten, kann dem nicht gefolgt werden: Das Fehlen der Zahnprodukte in der MiGeL liegt vorab in der gesetzlichen Grundkonzeption begründet, welche vom Regelfall ausgeht, dass der Zahnarzt zahnärztliche Behandlungen im engeren Sinne (vgl. BGE 128 V 143 E. 4b S. 145) durchführt, welche nur unter eng umschriebenen Voraussetzungen gemäss Art. 31 KVG in Verbindung mit Art. 17 KLV kassenpflichtig sind und auf die somit die Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG und Art. 20 ff. KLV von vornherein nicht anwendbar sind. Für den hier zu beurteilenden Fall der ärztlichen Behandlung durch einen Zahnarzt lassen sich daraus keine Schlüsse ziehen; namentlich kann nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe die Produkte der Zahnheilkunde generell, wie vorgebracht wird, aus Gründen administrativer Vereinfachung von der Listenpflicht ausnehmen wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Zahnarzt, soweit er ausnahmsweise eine ärztliche resp. arztäquivalente Behandlung durchführt, hinsichtlich der gesetzlichen Vergütungspflicht den Ärzten gleichgestellt ist: Die Gleichstellung gilt zum einen mit Bezug auf ![]() | 24 |
5. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Michiganschiene - als ein derzeit nicht in der MiGeL aufgeführter Gegenstand im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG - durch die obligatorische Krankenversicherung hat. Da der hier umstrittene Rechnungsbetrag in der Höhe von Fr. 563.20 nach Lage der Akten allein die spezifischen ![]() | 25 |
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