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26. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. L. gegen IV-Stelle des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_972/2009 vom 27. Mai 2010 | |
Regeste |
Art. 31 IVG; Art. 17 Abs. 1 ATSG; Rentenrevision. | |
Sachverhalt | |
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A.a Die 1959 geborene L. meldete sich am 25. Februar 2003 unter Hinweis auf seit einem Unfall vom 5. Dezember 2001 bestehende Kniebeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen (nachfolgend: IV-Stelle) klärte die Verhältnisse in beruflich-erwerblicher und medizinischer Hinsicht ab, wobei sie insbesondere Berichte des Hausarztes Dr. med. B., Facharzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 18. März und 8. Oktober 2003 sowie des Kreisarztes der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Dr. med. O., Orthopädische Chirurgie FMH, vom 16. Mai 2003 einholte und die Erstellung eines Gutachtens bei Dr. med. F., Oberarzt, Fachstelle für Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, veranlasste, welches am 2. Juli 2003 ausgefertigt wurde. Gestützt darauf sprach sie L. mit Verfügungen vom 20. August/5. November 2004 rückwirkend ab 1. Januar 2003 eine ganze Invalidenrente zu.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 21. Oktober 2009 ab.
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C. L. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr weiterhin eine ganze Invalidenrente auszurichten.
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Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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5.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der ![]() | 9 |
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Erwägung 5.3 | |
5.3.1 Was das historische Auslegungselement anbelangt, kommt diesem im vorliegenden Kontext, da Art. 31 IVG erst mit der 5. IV-Revision auf 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, erhöhter Stellenwert ![]() ![]() | 11 |
Erwägung 5.3.2 | |
5.3.2.1 Obgleich der Bundesrat in seinen Erläuterungen insbesondere bezüglich der erhöhten Erwerbstätigkeit auf eine Unterscheidung zwischen dadurch real erzieltem oder hypothetisch zugemutetem Erwerbseinkommen verzichtet, geht daraus doch deutlich hervor, dass die neue Regelung darauf abzielt, den bisherigen "falschen" Anreiz des Verzichts auf eine vollständige Ausnutzung der Erwerbsmöglichkeiten infolge einer durch die Kürzung oder den Wegfall der Rente drohenden finanziellen Schlechterstellung bzw. der jedenfalls nicht eintretenden Besserstellung zu verhindern. Im Zentrum der Neuerung stand der Gedanke, die erhöhte Anstrengung im Sinne des persönlichen Einsatzes der Rentenbezügerin oder des -bezügers, die ihnen verbliebene Restarbeitsfähigkeit möglichst optimal zu verwerten, nicht durch eine damit einhergehende Reduktion der Rentenleistungen gleichsam zu "bestrafen". Vor dem Hintergrund der bundesrätlichen Ausführungen ist mit dem BSV in dessen Vernehmlassung vom 7. April 2010 davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 31 IVG und den darin im Rahmen von revisionsrechtlichen Neuüberprüfungen von Renten vorgesehenen Einkommensfreigrenzen die (Re-)Integration der versicherten Personen in den realen Arbeitsmarkt in dem Sinne nicht mehr "sanktionieren", sondern fördern - und dergestalt ein "neues" Anreizsystem schaffen - wollte, als die Betroffenen in bestimmten Konstellationen nicht länger mit der sofortigen Kürzung der Rente zu rechnen haben. Gelangte diese Vorgehensweise auch in Revisionsfällen zur Anwendung, in welchem der Rentenbezügerin oder dem -bezüger ein bloss hypothetisches Invalideneinkommen auf der Basis der grundsätzlich ![]() | 12 |
5.3.2.2 Im Sinne eines legislatorischen Ausblicks gilt es das Augenmerk auch auf die aktuell im Gange befindliche 6. IV-Revision zu richten, anlässlich derer der Bundesrat im Rahmen eines ersten Massnahmenpaketes u.a. die Streichung des Abs. 2 von Art. 31 IVG sowie die Einführung einer Übergangsleistung bei Arbeitsunfähigkeit vorschlägt (vgl. Botschaft vom 24. Februar 2010 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 2010 1817 ff., insb. 1896 ff. und 1941 ff., insb. 1946). Für den hier zu beurteilenden Kontext massgeblich sind dabei die bundesrätlichen Erläuterungen (vgl. BBl 2010 1896), wonach Art. 31 IVG eingeführt worden sei, um Rentenbezügerinnen und -bezüger, die ihr Erwerbseinkommen erhöhten, nicht mehr durch überproportionale Verluste von Leistungen zu bestrafen. In Anlehnung an die Regelung bei den Ergänzungsleistungen (Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG) sei in Art. 31 IVG ein Mechanismus verankert worden, nach welchem Einkommensverbesserungen nicht bzw. nicht sogleich zu einer Rentenrevision führten. Für die Rentenbezügerinnen und -bezüger entstehe damit tatsächlich ein gewisser positiver finanzieller Anreiz, da für die Invaliditätsbemessung nur ein Teil des zusätzlichen Einkommens angerechnet werde und sie dadurch die Rente trotz gesteigerten Erwerbseinkommens oft behalten könnten. Im Folgenden ortet der Bundesrat indes namentlich mit Blick auf Abs. 2 der Bestimmung umsetzungstechnische Probleme und die Gefahr von damit bewirkten Ungleichbehandlungen, da der solcherart ermittelte Invaliditätsgrad nicht dem effektiven Invaliditätsgrad (Erwerbsunfähigkeit nach Art. 7 ATSG) entspreche. Art. 31 Abs. 1 IVG, welcher vor allem bei tiefen Einkommen einen minimalen finanziellen Anreiz biete, wird demgegenüber als in der Umsetzung unproblematisch - und deshalb beizubehalten - bewertet. Der nach dem bundesrätlichen Entwurf neu zu schaffende Art. 32 Abs. 1 lit. c IVG sieht sodann vor, dass eine versicherte Person Anspruch auf eine Übergangsleistung in Form einer Rente haben soll, wenn sie vor Herabsetzung oder Aufhebung ![]() | 13 |
Auch aus einer rein entstehungsgeschichtlichen Optik ist der vom BSV vertretenen rechtlichen Auffassung somit der Vorzug zu geben.
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5.5 Unter dem Gesichtspunkt einer systematischen Auslegung gilt es namentlich, das Verhältnis des Art. 31 IVG zu Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG zu berücksichtigen, welch letzterer Bestimmung die revisionsrechtliche IV-Norm nachgebildet ist (vgl. E. 5.3 hievor). Danach sind Erwerbseinkünfte nicht im vollen Betrag, sondern nur privilegiert einnahmenseitig anrechenbar, d.h. es wird ein fixer Betrag abgezogen und vom Rest werden zwei Drittel angerechnet. Begründet wird diese Besonderheit damit, dass das Interesse, weiterhin eine bescheidene Erwerbstätigkeit auszuüben, nicht gelähmt werden dürfe (Botschaft vom 21. September 1964 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und ![]() | 16 |
Auch dieser Blickwinkel bekräftigt somit ohne weiteres die Betrachtungsweise des BSV.
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Erwägung 5.6 | |
5.6.1 Zusammenfassend ergibt sich auf Grund einer entstehungsgeschichtlichen (und zugleich zeitgemässen), teleologischen sowie systematischen Auslegung, dass Art. 31 IVG nur auf Rentenrevisionsfälle Anwendung findet, in der die betroffene Person ihre Restarbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich verwertet und dadurch - durch erneute Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Erweiterung des bisherigen Arbeitspensums - ein entsprechendes Einkommen erwirtschaftet. Nicht heranzuziehen ist die Bestimmung demgegenüber in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem der Rentenbezügerin im Rahmen des Einkommensvergleichs lediglich ein hypothetisches, auf der Basis von Tabellenlöhnen ermitteltes (erhöhtes) Invalideneinkommen angerechnet wird. Diese Lesart entspricht überdies dem in allen Sprachregelungen insoweit übereinstimmenden Wortlaut, auch wenn die deutschsprachige Fassung eine darüber hinausgehende Interpretation grundsätzlich zuliesse. Schliesslich stösst die Schlussfolgerung, soweit erkennbar, auch im ![]() | 18 |
5.6.2 Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände vermögen keine andere Sichtweise zu bewirken. Unbehelflich ist insbesondere das Vorbringen, es stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes dar, diejenigen Rentenbezügerinnen und -bezüger, welche ihr Invalideneinkommen auf reale Art erhöhten, besserzustellen als Versicherte, denen ein hypothetischer Invalidenverdienst angerechnet werde und die sich, da nicht in den Genuss der in Art. 31 IVG normierten Rechtswohltat gelangend, durch die Herabsetzung ihrer Rente gleichsam gezwungen sähen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. diese zu erweitern. Wie aus den vorstehenden Erwägungen deutlich wird, beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Einführung der Bestimmung gerade die "Belohnung" derjenigen IV- Rentnerinnen und -Rentner - durch Milderung der Rentenreduktion -, welche sich freiwillig wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Würde der Beschwerdeführerin ohne Ausschöpfung des ihr grundsätzlich zumutbaren erwerblichen Leistungsvermögens das in Art. 31 IVG vorgesehene rentenrevisionsrechtliche Privileg zugestanden, schaffte dies vielmehr, worauf hievor bereits hingewiesen wurde, einen gegenteiligen, gerade nicht gewollten Anreiz. Wie vorzugehen wäre bzw. ob Art. 31 IVG Anwendung finden würde, wenn eine betroffenen Person ihr vorerst hypothetisches Invalideneinkommen zu einem späteren Zeitpunkt in ein faktisch erzieltes "umwandeln" könnte, bedarf hier keiner weiteren Ausführungen. Ebenso wenig braucht an dieser Stelle auf andere, sich bei Anwendung des Art. 31 IVG in gewissen Konstellationen allenfalls ergebende Problemstellungen näher eingegangen zu werden (etwa aufeinanderfolgende Revisionen [Vergleichsbasis für das Invalideneinkommen einer nachfolgenden Revision], Frage der absoluten - nicht relativen - Grenze, bloss vorübergehende Veränderungen, Ungleichbehandlung der Nichterwerbstätigen, Verhältnis IV-/UV-Invalidenrente im Revisionsfall; dazu im Detail KIESER, a.a.O., S. 10; LOCHER, a.a.O., S. 299 f.). Schliesslich erweisen sich in Anbetracht des Ausgangs des Verfahrens auch Erwägungen zur Frage, auf welchen Teil des ![]() | 19 |
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