BGE 137 V 210 | |||
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28. Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. D. gegen IV-Stelle des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_243/2010 vom 28. Juni 2011 |
Art. 29 Abs. 1 und 2, Art. 30 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG; Art. 59 Abs. 3 IVG; Art. 72bis IVV (in Kraft bis 31. März 2011); Einholung von Administrativ- und Gerichtsgutachten bei Medizinischen Abklärungsstellen (MEDAS); Wahrung eines fairen Verwaltungs- und Beschwerdeverfahrens. |
Grundlagen (E. 1). |
Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der gestützt auf das Rechtsgutachten Müller/Reich erhobenen Rügen (E. 2). |
Verfassungs- und konventionsrechtlich gebotene Korrektive auf administrativer Ebene (E. 3). |
Verfassungs- und konventionsrechtlich gebotene Korrektive auf gerichtlicher (erstinstanzlicher) Ebene (E. 4). |
Umsetzung des Urteils (E. 5). |
Fallerledigung (E. 6). |
Kosten- und Entschädigungsfolgen (E. 7). | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.a Die 1968 geborene D. erlitt als Folge eines Verkehrsunfalls im Sommer 2003 - der vom Ehemann gelenkte Personenwagen kam von der Strasse ab und überschlug sich - verschiedene Verletzungen im Bereich von Kopf und Hals sowie der linken Hand. In ihrer Tätigkeit als Betriebsmitarbeiterin in einer Kantine war sie zunächst vollständig arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber löste die Anstellung auf Ende 2003 auf. Am 20. August 2004 meldete sich D. unter Hinweis auf die Unfallfolgen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die Klinik S. erstattete am 9. Januar 2007 im Auftrag der obligatorischen Unfallversicherung ein interdisziplinäres Gutachten. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend: IV-Stelle) erhielt Gelegenheit, Gutachterfragen zu stellen. Gestützt auf die Akten, auf eigene Untersuchungen sowie auf eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) diagnostizierten die Sachverständigen Prof. A. (Neuropsychiatrie), Prof. O. (Neurologie) und Dr. E. (Neurophysiologie) einen Status nach indirekter und direkter kraniozervikaler Verletzung, myofasziale Symptome im Rahmen eines kraniozervikalen Beschleunigungstraumas (entsprechend einem zervikobrachialen bzw. zervikozephalen Syndrom) sowie eine affektive Störung mit Symptomen eines mittelschweren depressiven Syndroms und einer Angststörung mit Anteilen einer Agoraphobie (im Sinne einer Residualsymptomatik aus einer posttraumatischen Belastungsstörung). Die Leistungsfähigkeit sei in erster Linie wegen der - als wahrscheinlich anhaltend bezeichneten - psychischen Beeinträchtigung mindestens um drei Viertel vermindert; eine gegenseitige Beeinflussung der somatischen und psychischen Beschwerden führe dazu, dass eine Berufstätigkeit kaum mehr zumutbar erscheine. Der obligatorische Unfallversicherer sprach D. mit Verfügung vom 20. Juni 2007 eine Invalidenrente auf der Grundlage einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit und eine Entschädigung für einen Integritätsschaden von 70 Prozent zu.
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A.b Am 1. Juni 2007 teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, es sei eine weitere medizinische Abklärung durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) notwendig. Ein Briefwechsel zwischen der IV-Stelle und der Versicherten ergab keine Einigung über die Notwendigkeit der Begutachtung, worauf die Verwaltung D. zu entsprechenden ärztlichen Untersuchungen aufbot. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die dagegen eingereichte Rechtsverweigerungsbeschwerde ab (Entscheid vom 21. Dezember 2007). Die Versicherte zog dieses Erkenntnis an das Bundesgericht weiter und machte geltend, es sei auf der Grundlage der vorhandenen medizinischen Akten über den Rentenanspruch zu befinden. Das Bundesgericht erwog, die Anordnung einer Begutachtung stelle nach der Rechtsprechung keine Verfügung dar. Einwendungen materieller Natur seien im Rahmen der Beweiswürdigung zu behandeln. Die IV-Stelle verfüge bei der von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts über ein erhebliches Ermessen. Die Verwaltung habe dieses - mit Blick auf die konkreten Umstände und angesichts der grossen Tragweite einer allfälligen Rentenzusprechung an die erst 40-jährige Versicherte - nicht offensichtlich verletzt, als sie eine weitere medizinische Begutachtung anordnete, weil der Regionale Ärztliche Dienst (RAD) im Gutachten der Klinik S. widersprüchliche oder nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen erkannte. Im Weiteren seien Einwendungen gegen die Zumutbarkeit der Begutachtung gegebenenfalls im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der (bei andauerndem Widerstand der Versicherten) im Mahn- und Bedenkzeitverfahren nach Art. 43 Abs. 3 ATSG (SR 830.1) zu erlassenden materiellen Verfügung zu behandeln (Urteil 9C_157/2008 vom 20. März 2008).
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A.c Im Frühsommer 2008 nahm die MEDAS eine polydisziplinäre Begutachtung vor. Die Expertise vom 18. Juli 2008 stützt sich insbesondere auf zwei Teilgutachten neurologischer (Dr. N.) sowie psychiatrischer (Frau Dr. B.) Richtung. Eine neurologische Diagnose wurde nicht gestellt; das myofasziale zervikogene Schmerzsyndrom gehe in der orthopädischen Diagnose (rezidivierende Beschwerden der Wirbelsäule bei Fehlstatik, Haltungsinsuffizienz, muskulärem Hartspann, verschmächtigter Rumpf- und verkürzter Ischiokruralmuskulatur) auf. Die Psychiaterin fand eine generalisierte Angststörung und stellte einen Schmerzmittelabusus fest; Letzterer führe wohl zu geklagten Symptomen wie Vergesslichkeit, zeitweiliger Orientierungslosigkeit, Gereiztheit und Lärmempfindlichkeit. Eine relevante depressive Symptomatik sei nicht mehr nachweisbar. Keine der gestellten Diagnosen wirke sich auf die Arbeitsfähigkeit aus.
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Mit Verfügung vom 21. Januar 2009 lehnte die IV-Stelle mangels eines invalidisierenden Leidens die Ansprüche auf berufliche Eingliederungsmassnahmen und Invalidenrente ab.
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B. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die hiergegen erhobene Beschwerde ab. Es erwog im Wesentlichen, dem MEDAS-Gutachten komme höherer Beweiswert zu als dem Gutachten der Klinik S. Letztes sei zwar umfassend, überzeuge aber in seinen - widersprüchlichen - Schlussfolgerungen zur Arbeitsfähigkeit nicht. Keiner der Einwände der Beschwerdeführerin gegen das Gutachten der MEDAS (Abhängigkeit im Verhältnis zur Invalidenversicherung, fehlender FMH-Titel der Zusatzgutachter, Verständigungsschwierigkeiten bei der Untersuchung, nur knappe Bezugnahme auf die Vorakten, unangemessenes Verhalten der psychiatrischen Konsiliarsachverständigen gegenüber der Probandin) dringe durch. Die Beschwerdeführerin sei mithin seit Frühjahr 2004 in der Lage, einer leichten bis mittelschweren Arbeit nachzugehen. Der Einkommensvergleich führe zu einem nicht leistungsbegründenden Invaliditätsgrad von rund zwei Prozent (Entscheid vom 5. Februar 2010).
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C.
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C.a
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C.a.a D. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese sei anzuweisen, ein unabhängiges Obergutachten einzuholen, welches der Neubeurteilung zugrundezulegen sei. Dabei sei der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu geben, sich zu den Gutachtervorschlägen des kantonalen Gerichts zu äussern oder diesem eigene Vorschläge zu unterbreiten.
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C.a.b Die Beschwerdeführerin bringt dem Bundesgericht am 1. September 2010 eine Aufsichtsbeschwerde vom 25. Juni 2010 der Rechtsberatungsstelle UP für Unfallopfer und Patienten beim Eidg. Departement des Innern (EDI) gegen das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) zur Kenntnis.
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C.b Die IV-Stelle verzichtet auf eine Beschwerdeantwort. Das BSV nimmt am 28. Oktober 2010 ausführlich Stellung und reicht eine Dokumentation zum Gutachtenwesen in der Invalidenversicherung ein, nachdem es mit instruktionsrichterlicher Anfrage vom 28. Juni 2010 hinsichtlich verschiedener Punkte (unter anderem pauschale Entschädigung der MEDAS, Sachverständigenauswahl, Sicherung von Qualität und Unabhängigkeit der Abklärungsstellen) sowie der ins Recht gelegten Aufsichtsbeschwerde an das EDI (Schreiben des Bundesgerichts vom 6. September 2010) zur Vernehmlassung aufgefordert worden war.
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C.c Die Beschwerdeführerin repliziert mit Eingabe vom 16. Dezember 2010 zur Stellungnahme des BSV. Dieses lässt sich hierzu vernehmen (Schreiben vom 10. Januar 2011).
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C.d Mit instruktionsrichterlicher Anfrage vom 13. Dezember 2010 werden alle über einen Vertrag mit dem BSV verfügenden Medizinischen Abklärungsstellen ersucht, über statistische Daten (betreffend Zusammensetzung der Auftraggeber und attestierte Arbeitsunfähigkeiten) sowie über Massnahmen der Qualitätssicherung Auskunft zu erteilen.
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C.e In ihrer Stellungnahme zu den Ergebnissen der instruktionsrichterlichen Erhebung (Schreiben vom 4. März 2011 mit beigelegter synoptischer Darstellung der gemachten Angaben) erneuert die Beschwerdeführerin die gestellten Begehren (Eingabe vom 8. April 2011). Die IV-Stelle und das BSV verzichten darauf, sich dazu zu äussern. Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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C.f Die I. und die II. sozialrechtliche Abteilung haben zu folgenden Rechtsfragen ein Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 BGG durchgeführt:
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1. Soll die Rechtsprechung gemäss BGE 132 V 93 dahingehend geändert werden, dass die Anordnung einer Administrativbegutachtung mittels Zwischenverfügung ergeht, die beim kantonalen Sozialversicherungsgericht (bzw. Bundesverwaltungsgericht) integral anfechtbar ist?
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(dazu unten E. 3.4.2.6);
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2. Soll die Rechtsprechung gemäss BGE 133 V 446 dahingehend geändert werden, dass der versicherten Person vorgängig der Begutachtung über Art. 44 ATSG hinaus die Mitwirkungsrechte nach Art. 55 ATSG in Verbindung mit Art. 19 VwVG und Art. 57 ff. BZP zustehen?
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(dazu unten E. 3.4.2.9);
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3. Soll die Rechtsprechung, wonach das (kantonale) Gericht prinzipiell die freie Wahl hat, bei festgestellter Abklärungsbedürftigkeit die Sache an den Versicherungsträger zurückzuweisen oder aber selber zur Herstellung der Spruchreife zu schreiten (vgl. statt vieler ARV 1997 S. 85, C 85/95 E. 5d mit Hinweisen; Urteil H 355/99 vom 11. April 2000 E. 3b), dahingehend geändert werden, dass das angerufene Gericht grundsätzlich selber eine medizinische Begutachtung anordnet, statt die Sache an den Versicherer zurückzuweisen?
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(dazu unten E. 4.4.1.3).
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Die beiden sozialrechtlichen Abteilungen haben diese Rechtsfragen einstimmig bejaht (Anfrage der II. sozialrechtlichen Abteilung vom 23. Mai 2011; Antwort der I. sozialrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 2011).
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 1 | |
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Erwägung 1.2 | |
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Ständiger und damit wichtigster medizinischer Ansprechpartner in der täglichen Arbeit sind für die IV-Stellen die RAD, welche ihnen nach Art. 59 Abs. 2bis IVG zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruches zur Verfügung stehen (Satz 1); die RAD setzen die für die Invalidenversicherung nach Art. 6 ATSG massgebende funktionelle Leistungsfähigkeit der Versicherten fest, eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder Tätigkeit im Aufgabenbereich auszuüben (Satz 2); sie sind in ihrem medizinischen Sachentscheid im Einzelfall unabhängig (Satz 3; vgl. auch die Ausführungsbestimmungen in den Art. 47-49 IVV [SR 831.201], insbesondere die Anforderung, wonach die RAD von den IV-Stellen in personeller Hinsicht getrennt sein müssen). Der Beweiswert von RAD-Berichten nach Art. 49 Abs. 2 IVV ist mit jenem von externen medizinischen Sachverständigengutachten (BGE 125 V 351 E. 3b/bb S. 353) vergleichbar, sofern sie den von der Rechtsprechung umschriebenen Anforderungen an ein ärztliches Gutachten genügen (SVR 2009 IV Nr. 56 S. 174, 9C_323/2009 E. 4.3.2). Die IV-Stellen werden aber stets externe (meist polydisziplinäre) Gutachten einholen, wenn der ausgeprägt interdisziplinäre Charakter einer medizinischen Problemlage dies gebietet, wenn der RAD nicht über die fachlichen Ressourcen verfügt, um eine sich stellende Frage beantworten zu können, sowie wenn zwischen RAD-Bericht und allgemeinem Tenor im medizinischen Dossier eine Differenz besteht, welche nicht offensichtlich auf unterschiedlichen versicherungsmedizinischen Prämissen (vgl. SVR 2007 IV Nr. 33 S. 117, I 738/05 E. 5.2) beruht.
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Das BSV hat mit derzeit achtzehn Medizinischen Begutachtungsstellen Rahmenvereinbarungen im Sinne von Art. 72bis IVV abgeschlossen (in alphabetischer Reihenfolge):
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ABI Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel;
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Academy of Swiss Insurance Medicine (asim) Begutachtung, Universitätsspital Basel;
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Begutachtungszentrum BL (BEGAZ) GmbH, Binningen;
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Centre d'Expertise Médicale (CEMed), Nyon;
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Clinique CORELA, Centre d'Observation Médicale de l'Assurance Invalidité, Genf;
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Clinique romande de réadaptation, Sitten;
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Etablissements publics pour l'intégration (EPI), Centre d'expertise médicale, Genf;
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MEDAS Inselspital Bern;
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MEDAS Interlaken GmbH, Unterseen;
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MEDAS Oberaargau AG, Langenthal;
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MEDAS Ostschweiz, St. Gallen;
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MEDAS Zentralschweiz, Luzern;
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Medizinisches Zentrum Römerhof (MZR), Zürich;
| 41 |
Policlinique Médicale Universitaire (PMU), Centre d'expertises médicales (CEM), Lausanne;
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Servizio Accertamento Medico (SAM), Ospedale Regionale Bellinzona e Valli, Bellinzona;
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Swiss Medical Assessment- and Business-Center (SMAB) AG, Bern;
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Zentrum für versicherungsmedizinische Begutachtung (ZVMB) GmbH, Bern.
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Die Vereinbarungen enthalten im Wesentlichen übereinstimmende Abmachungen. Inhaltlich unterscheiden sie sich in der Regel einzig hinsichtlich der Anzahl der Gutachten, zu deren Erstellung sich die beauftragten Stellen verpflichten. Die Bestimmungen lauten (in der deutschsprachigen Version) folgendermassen:
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1. Die Beauftragte führt im Auftrag des BSV bzw. der IV-Stellen polydisziplinäre medizinische Gutachten durch. Polydisziplinäre Gutachten enthalten mindestens drei unterschiedliche Expertisen, wobei die Bearbeitung des Gesamtgutachtens durch einen dritten ärztlichen Gutachter einen Teil davon darstellt.
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Der Begutachtungsauftrag beginnt ab Eingang der schriftlichen Auftragserteilung durch die jeweilige IV-Stelle und endet mit der Ablieferung eines schriftlichen Gutachtens unter Einhaltung der formalen Qualitätsvorgaben. Die Aktenbeschaffung ist Sache der auftraggebenden IV-Stelle. Die Beauftragte ist berechtigt, unvollständige Dossiers zur Aktenvervollständigung an die auftraggebende IV-Stelle zurückzuschicken.
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2. Die Begutachtungen werden auf das medizinisch Notwendige beschränkt. Dabei werden das aktuelle wissenschaftliche Krankheitsverständnis und die relevante Rechtsprechung berücksichtigt. Sie bezwecken
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- die Erhebung medizinischer Befunde sowie das Beschreiben der Diagnose(n) und der funktionellen Leistungsfähigkeit;
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- die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der versicherten Person aus ärztlicher Sicht, gestützt auf die von den Gutachtern erhobenen Befunde in der bisher oder zuletzt ausgeübten Tätigkeit sowie in anderen den medizinischen Befunden angepassten Tätigkeiten;
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- die Auskunft über medizinisch zumutbare Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit (durch medizinische, berufliche Massnahmen und/oder Hilfsmittel) und deren Realisierbarkeit im Hinblick auf die Eingliederung.
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3. Die Pauschale für ein polydisziplinäres Gutachten beträgt CHF 9'000.-.
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4. Eine einmalige Aufwandsentschädigung von CHF 1'500.- wird vergütet, wenn ein aufgebotener Versicherter unentschuldigt nicht zur Begutachtung erscheint oder wenn der vom Versicherten bestätigte Termin weniger als 30 Tage vor dem vereinbarten Untersuchungsdatum annulliert wird. (...)
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5. Die Beauftragte verpflichtet sich, mindestens ... polydisziplinäre Gutachten pro Jahr durchzuführen.
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57 | |
7. Erweist sich ein Gutachten als formal mangelhaft und nicht gemäss Auftrag erstellt, so schickt es die IV-Stelle der Beauftragten innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Eingang zur kostenlosen Überarbeitung zurück. Das Gutachten wird innert 10 Arbeitstagen ab Eingang beim Beauftragten überarbeitet und wieder an die IV-Stelle weitergeleitet.
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8. Die Abklärungsergebnisse sind mit den Versicherten in geeigneter Form besprochen. Versicherte, denen die abendliche Rückkehr an ihren Wohnort nicht möglich oder nicht zumutbar ist, werden einfach und zweckmässig untergebracht. Für die Unterbringung des Versicherten werden keine zusätzlichen Kosten vergütet.
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9. Die Beauftragte führt eine fortlaufende Qualitätskontrolle der Tätigkeit ihrer Mitarbeiter sowie ihrer Gutachten durch. Die Qualitätsanforderungen im Anhang bilden eine entsprechende Grundlage.
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10. Das BSV führt regelmässig formale Qualitätskontrollen der polydisziplinären Gutachten durch.
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11. Die Beauftragte teilt bei Änderungen dem BSV unverzüglich die Namen der Trägerschaft und der ärztlichen Leitung mit.
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12. Die begutachtenden Medizinalpersonen besitzen eine in der Schweiz anerkannte Facharztausbildung. Sie nehmen zudem regelmässig an versicherungsmedizinischen Fortbildungen teil.
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13. Die Beauftragte ist gegenüber dem BSV oder den IV-Stellen nicht weisungsgebunden und erstellt die Gutachten nach bestem ärztlichen Wissen und Gewissen entsprechend dem anerkannten Wissenstand der Medizin.
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14. Der vorliegende Vertrag ersetzt den bisher bestehenden Vertrag mit allen Anhängen zwischen der Beauftragten und dem BSV vollständig.
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15. Der Vertrag wird auf unbefristete Zeit abgeschlossen.
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16. Er kann mit eingeschriebenem Brief unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten auf den 30. Juni oder den 31. Dezember von einer Vertragspartei gekündigt werden. (...)
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17. Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien werden durch das zuständige kantonale Schiedsgericht am Geschäftssitz der Trägerschaft der Beauftragten nach Artikel 27bis IVG erledigt.
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18. Dieser Vertrag tritt per ... in Kraft.
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Beilage-Anhang über Qualitätsanforderungen
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Der Anhang, auf den in den Vereinbarungen verwiesen wird, hat folgenden Wortlaut:
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Qualitätsanforderungen hinsichtlich des (juristischen) Beweiswertes eines Gutachtens
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Der Bericht soll
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- Für die streitigen Belange umfassend sein
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- Auf allseitigen Untersuchungen beruhen
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- Die geklagten Beschwerden der versicherten Person (vP) berücksichtigen
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- In Kenntnis der Vorakten abgegeben werden
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- In der Darstellung der medizinischen Zusammenhänge einleuchtend sein
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- In der Beurteilung der medizinischen Situation nachvollziehbar sein
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- Abweichende Aussagen in den Akten eingehend diskutieren und begründen
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- Schlussfolgerungen mit versicherungsmedizinisch begründeten Stellungnahmen des Experten aufweisen.
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(BGE 122 V 160 E. 1c mit Hinweisen; vgl. auch Ulrich Meyer-Blaser, Die Rechtspflege in der Sozialversicherung, in: Basler juristische Mitteilungen [BJM], 1989, S. 30 ff.)
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Anforderungen hinsichtlich Gliederung des Gutachtens
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Das Gutachten besteht aus mindestens folgenden 8 Abschnitten:
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A Grundlagen
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B Vorgeschichte gemäss Aktenlage
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C Eigene Befragung (Anamnese)
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D Untersuchung
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E Diagnosen/Differenzialdiagnosen
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F Versicherungsmedizinische Beurteilung
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G Synthese
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H Beantwortung der Fragen
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(G. Riemer-Kafka, Universität Luzern (Hrsg.), Versicherungsmedizinische Gutachten, Ein interdisziplinärer juristisch-medizinischer Leitfaden, 2007 [...])
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Die unteraufgeführte Statistik ist unaufgefordert quartalsweise in elektronischer Form (EXCEL) [Adresse beim BSV] zuzustellen.
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- Versicherten-Nr.
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- Auftraggebende IV-Stelle
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- Poststempel/Eingangsdatum
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- Daten der verschiedenen Untersuchungen
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- Toxikologische Untersuchungen
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- Versanddatum an die IV-Stelle
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102 | |
- Bei Nichterscheinen: Datum des versäumten Untersuchungstermins, sowie Datum der Annullierung bzw. Vermerk 'unentschuldigt nicht erschienen'.
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104 | |
(...)
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106 | |
1.2.5 In seiner Vernehmlassung vom 28. Oktober 2010 wies das Bundesamt darauf hin, im Unterschied zu früheren Jahren sei heute ein Gutachtenmarkt vorhanden. Um auch formell eine eindeutige Unabhängigkeit der MEDAS zum Ausdruck zu bringen, sei man dazu übergegangen, keine organisatorischen Vorgaben mehr in die Vereinbarungen aufzunehmen und nur noch die beiden essentialia negotii Preis und Leistung zu regeln. Aus dem gleichen Grund sei beabsichtigt, Art. 72bis IVV ersatzlos zu streichen. Der Kontakt zu den MEDAS beschränke sich im Allgemeinen auf Tarifverhandlungen. Mit dieser Bestimmung sei ursprünglich - aus einem akuten Bedürfnis der Invalidenversicherung nach medizinischen Abklärungsstellen - ein Sonderfall geschaffen worden zur allgemeinen Tarifvertragskompetenz gemäss Art. 27 IVG und Art. 24 Abs. 2 IVV. Mit Art. 72bis IVV habe ein Markt geschaffen werden sollen, damit geeignete Stellen gegründet würden. Dementsprechend habe dannzumal eine bedeutend engere Beziehung zwischen MEDAS und IV bestanden. Dieser Markt sei heute jedoch auch ohne aktives Zutun seitens des BSV vorhanden, zumal die Nachfrage nach polydisziplinären Gutachten auch seitens von Unfall- oder Haftpflichtversicherern sehr gross geworden sei. Nicht zuletzt im Hinblick auf eine möglichst grosse Unabhängigkeit der Begutachtungsstellen habe sich das BSV deshalb in den letzten Jahren in keiner Weise mehr aktiv bei der Errichtung von MEDAS beteiligt und schon gar keine Fragen der Organisation oder der Aufgaben mit diesen Stellen geregelt. Voraussetzung und Grundlage für den Abschluss eines Tarifvertrages seien die rechtsprechungsgemässen Anforderungen an die Gutachten. Wie die heutige Diskussion zeige, könnte diese Zurückhaltung des BSV ihren Teil zur Akzeptanz von MEDAS-Begutachtungen beigetragen haben. Die "Sonderbestimmung in Art. 72bis IVV" habe in der Diskussion über eine Abhängigkeit der MEDAS von der Invalidenversicherung dazu geführt, dass das BSV in die Rolle einer Aufsichtsbehörde über die MEDAS gedrängt worden sei. Das Bundesamt sei im Rahmen von Tarifvereinbarungen grundsätzlich nur für die Festlegung des Tarifes (zwecks administrativer Vereinfachung im Rahmen eines Massengeschäftes) und der damit verbundenen Sicherstellung einer qualitativ hochstehenden Leistung verantwortlich; in keiner Weise nehme es eine Aufsichtsfunktion gegenüber den MEDAS wahr. Deswegen sei die fragliche Bestimmung nunmehr aufzuheben; die allgemeine Tarifvertragskompetenz nach Art. 27 IVG und Art. 24 Abs. 2 IVV reiche aus.
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Die achtzehn MEDAS nahmen nach Angaben des BSV in den letzten Jahren 3079 (2006), 4814 (2007), 4869 (2008) und 4146 (2009) Begutachtungen vor (nicht angetretene Untersuchungen nicht berücksichtigt). Die Pauschale für ein Gutachten beträgt in der Invalidenversicherung gemäss für alle MEDAS identischer Vereinbarung 9'000 Franken (Stand Ende 2010). Der Pauschalbeitrag orientiert sich am Arzttarif TARMED zur Verrechnung ambulanter Leistungen (1x Hauptgutachter, Gutachten Kategorie D, Untersuchungsklasse 4, Schlussbesprechung UK1; 3x Teilgutachter, Gutachten Kategorie D, Untersuchungsklasse 3). Sofern die versicherte Person nicht zur Begutachtung erscheint (sogenannte "no shows") oder der Auftrag weniger als 30 Tage vor dem vereinbarten Termin annulliert wird, erhält die MEDAS pauschal 1'500 Franken. Einschliesslich dieser Ausfallentschädigungen entstanden der Invalidenversicherung im Zusammenhang mit den MEDAS Kosten in Höhe von 27,9 Mio. (2006), 43,7 Mio. (2007), 44,2 Mio. (2008), 37,6 Mio. (2009) und 28,7 Mio. (2010, bis 3. Quartal) Franken.
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Erwägung 1.3 | |
109 | |
110 | |
1.3.3 Unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Abhängigkeit führen nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung der regelmässige Beizug eines Gutachters oder einer Begutachtungsinstitution durch den Versicherungsträger, die Anzahl der beim selben Arzt in Auftrag gegebenen Gutachten und Berichte sowie das daraus resultierende Honorarvolumen für sich allein genommen nicht zum Ausstand (SVR 2009 UV Nr. 32 S. 111, 8C_509/2008 E. 6; SVR 2008 IV Nr. 22 S. 69, 9C_67/2007 E. 2; RKUV 1999 S. 193, U 212/97 E. 2a/bb). Hinsichtlich der MEDAS als Institution gilt sinngemäss ohnehin, dass sich ein Ausstandsbegehren stets nur gegen Personen und nicht gegen Behörden richten kann; nur die für eine Behörde tätigen Personen, nicht die Behörde als solche, können befangen sein (SVR 2010 IV Nr. 2 S. 3, 9C_500/2009 E. 2.1; Urteil 9C_603/2010 vom 6. Oktober 2010 E. 5.2).
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Im Rahmen einer administrativen Sachverhaltsabklärung liegt selbst dann kein formeller Ausstandsgrund vor, wenn von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der MEDAS von der Invalidenversicherung auszugehen wäre; denn ein Ausstandsgrund ist nicht schon deswegen gegeben, weil jemand Aufgaben für die Verwaltung erfüllt, sondern erst bei persönlicher Befangenheit (SVR 2010 IV Nr. 66 S. 199, 9C_304/2010 E. 2.2).
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113 | |
1.4 Auch wenn ein Mangel an Neutralität des Sachverständigen unter bestimmten Umständen eine Verletzung des fairen Verfahrens (und der Waffengleichheit als dessen Teilgehalt) bedeuten kann, enthält Art. 6 Ziff. 1 EMRK hinsichtlich des Sachverständigenbeweises weder eine Unabhängigkeitsgarantie, wie sie für Gerichte gilt, noch eine Vorschrift über die Expertenauswahl (Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] Sara Lind Eggertsdòttir gegen Island vom 5. Juli 2007 §§ 44 und 47; vgl. auch die Urteile Bönisch gegen Österreich vom 6. Mai 1985, Serie A Bd. 92 §§ 30 ff., und Brandstetter gegen Österreich vom 28. August 1991, Serie A Bd. 211 § 44; CHRISTOPH GRABENWARTER, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 631). So begründet der Umstand, dass Sachverständige bei einer der Verfahrensparteien angestellt sind, allein noch keinen Verstoss gegen das Gebot eines fairen Verfahrens (Urteil Shulepova gegen Russland vom 11. Dezember 2008 § 62). Der EGMR hat die institutionelle Ordnung und die Beweisgrundsätze des Abklärungsverfahrens der Invalidenversicherung denn auch nie beanstandet (Nichtzulassungsentscheid 33957/96 vom 22. Juni 1999, in: VPB 2000 Nr. 138 S. 1341, betreffend BGE 122 V 157). Ebenso wenig Anstoss genommen haben die Strassburger Organe an der Rechtsprechung, die ein abschliessendes Abstellen auf MEDAS-Gutachten erlaubt (bereits erwähnter Nichtzulassungsentscheid der EKMR 39759/98 vom 20. April 1998, in: VPB 1998 Nr. 95 S. 917, betreffend BGE 123 V 175). Kann das Verfahren insgesamt als fair qualifiziert werden, so bedeutet auch die Ablehnung des Antrages einer Partei auf Einholung eines Gerichtsgutachtens über einen streitigen Sachverhalt keine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Urteil des EGMR H. gegen Frankreich vom 24. Oktober 1989, Serie A Bd. 162 §§ 61 ff.).
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Unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit ist es somit grundsätzlich zulässig, dass ein Gericht auf die vom Versicherungsträger korrekt erhobenen Beweise abstellt und auf ein eigenes Beweisverfahren verzichtet, sofern das rechtliche Gehör in allen seinen Teilaspekten gewahrt bleibt (BGE 135 V 465 E. 4.3.2 S. 469). Ebenso wenig erfordert der Anspruch auf Zugang zu einer unabhängigen gerichtlichen Instanz im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK, deren Überprüfungsbefugnis auch den Sachverhalt umfasst, dass anlässlich einer gerichtlichen Überprüfung in jedem Fall ein Gerichtsgutachten eingeholt wird.
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116 | |
Erwägung 2.1 | |
117 | |
Erwägung 2.1.2 | |
2.1.2.1 Auch der Grundsatz der prozessualen Chancengleichheit ("Waffengleichheit") ist Ausdruck des Fairnessgebots. Er betrifft den Anspruch der versicherten Person, nicht in eine prozessuale Lage versetzt zu werden, aus der heraus sie keine vernünftige Chance hat, ihre Sache dem Gericht zu unterbreiten, ohne gegenüber der anderen Partei klar benachteiligt zu sein (BGE 135 V 465 E. 4.3.1 S. 469 in fine mit Hinweis auf die Urteile des EGMR Steel und Morris gegen Vereinigtes Königreich vom 15. Mai 2005, Recueil CourEDH 2005-II S. 45 § 62, und Yvon gegen Frankreich vom 24. April 2003, Recueil CourEDH 2003-V S. 29 § 31; RENÉ WIEDERKEHR, Fairness als Verfassungsgrundsatz, 2006, S. 25 ff.). Dieses formale Prinzip ist schon dann verletzt, wenn eine Partei bevorteilt wird; nicht notwendig ist, dass die Gegenpartei dadurch tatsächlich einen Nachteil erleidet (Urteil 1P.14/2005 vom 28. Februar 2005 E. 3.4, mit Hinweis auf MARK VILLIGER, Handbuch der EMRK, 2. Aufl. 1999, Rz. 480). Das Gebot der Waffengleichheit gebietet jedoch "keinen umfassenden Ausgleich verfahrensspezifischer Unterschiede in der Rollenverteilung" (so - in einem strafprozessrechtlichen Zusammenhang - das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 2044/07 vom 15. Januar 2009, Absatz-Nr. 78).
| 118 |
2.1.2.2 Im vorliegend interessierenden Zusammenhang hat das Bundesgericht aus dem Prinzip der Waffengleichheit über eine formale Gleichheit der prozessualen Rechtspositionen der Prozessparteien hinaus auch eine durch das Gericht zu verwirklichende materielle Gleichwertigkeit der Parteien im Sinne einer prozessualen Chancengleichheit abgeleitet. Im Verfahren um Sozialversicherungsleistungen besteht ein relativ hohes Mass an Ungleichheit der Beteiligten (zu Gunsten der Verwaltung), indem einer versicherten Person mit oftmals nur geringen finanziellen Mitteln eine spezialisierte Fachverwaltung mit erheblichen Ressourcen, besonders ausgebildeten Sachbearbeitern und juristischen und medizinischen Fachpersonen gegenübersteht (BGE 135 V 465 E. 4.3.6). Im deutschen Sozialversicherungsprozess muss - als Ausgleich dafür, dass die Versicherungsträger im Verwaltungsverfahren in der Regel Ärzte ihrer Wahl beiziehen - auf Antrag des Versicherten hin unter bestimmten Voraussetzungen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden (§ 109 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]; BLEY, in: Gesamtkommentar Sozialversicherung, SGG, Baumeister und andere [Hrsg.], 1994, S. 922 ad § 109 SGG); ein solches (gerichtliches) Gutachten hat nicht grundsätzlich einen geringeren Beweiswert, wenn es vom behandelnden Arzt erstattet worden ist. Die Beurteilung der Kostenübernahmepflicht erfolgt nicht allein nach dem Ausgang des Rechtsstreits, sondern entscheidend danach, ob das Gutachten zur weiteren Sachaufklärung beigetragen hat (STEFFEN ROLLER, in: Handkommentar zum Sozialgerichtsgesetz, Lüdtke [Hrsg.], 3. Aufl. 2009, N. 1 ff. ad § 109 SGG; KLAUS NIESEL, Der Sozialgerichtsprozess, 2. Aufl. 1991, S. 55 ff.).
| 119 |
2.1.2.3 Werden strukturelle Nachteile festgestellt, von welchen Leistungsansprecher der Sozialversicherung typischerweise betroffen sind, bedarf es gegebenenfalls struktureller Korrektive. Prozessuale Chancengleichheit darf aber nicht dahin missverstanden werden, gestützt auf das Fairnessgebot könnten prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden, um die objektive materielle Rechtsstellung im Einzelfall zu verbessern; Waffengleichheit meint nicht Gleichwertigkeit der materiellen Erfolgschancen (vgl. für das deutsche Recht: AXEL TSCHENTSCHER, Indienstnahme der Gerichte für die Effizienz der Verwaltung, in: Funktionen und Kontrolle der Gewalten, Demel und andere [Hrsg.], Giessen 2001, S. 176).
| 120 |
2.1.2.4 Das aus der Bundesverfassung und aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessende Gebot des fairen Verfahrens muss im Verlauf des funktionellen Instanzenzuges insgesamt eingehalten werden. In diesem Sinne entfaltet Art. 6 Ziff. 1 EMRK Vorwirkungen auf das der gerichtlichen Instanz vorgelagerte Verwaltungsverfahren (ULRICH MEYER-BLASER, Der Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK] auf das schweizerische Sozialversicherungsrecht, ZSR113/1994 I S. 389 ff., insbesondere S. 401; vgl. oben E. 1.4). Die Beurteilung der Waffengleichheit und Verfahrensfairness kann also nicht nach der Ausgestaltung einer Ebene - Administrativ-, erst- oder zweitinstanzliches Beschwerdeverfahren - allein beurteilt werden. In der erforderlichen Gesamtbetrachtung - insbesondere zur Beurteilung der Frage, wie mit Administrativgutachten im gerichtlichen Prozess im Lichte verfassungs- und konventionsrechtlicher Gehörs-, Beteiligungs- und Fairnessanforderungen umzugehen sei - spielt eine wichtige Rolle, inwieweit Parteirechte im vorangegangenen Verwaltungsverfahren verwirklicht worden sind.
| 121 |
2.1.3 Im Verwaltungsverfahren müssen Personen, die Entscheidungen über Rechte und Pflichten zu treffen oder vorzubereiten haben, darunter auch Sachverständige, in den Ausstand treten, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse haben oder aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnten (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 36 Abs. 1 ATSG; vgl. auch Art. 10 Abs. 1 VwVG und Art. 34 BGG i.V.m. Art. 19 VwVG und Art. 58 Abs. 1 BZP; BGE 120 V 357 E. 3a S. 364). Im gerichtlichen Verfahren hat nach Art. 30 Abs. 1 BV jede Person unter anderem Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. Die durch Verfassung und Konvention gewährleistete Unabhängigkeit des Gerichts als Staatsorgan stellt sicher, dass der privaten Partei im Verwaltungsprozess kein Nachteil erwächst, wenn der Staat (gegebenenfalls in Form der dezentralisierten mittelbaren Staatsverwaltung) prozessual Gegenpartei ist. Das Gericht zieht Sachverständige bei, soweit zur Aufklärung des Sachverhaltes besondere Fachkenntnisse erforderlich sind (vgl. Art. 57 Abs. 1 Satz 1 BZP). Da Gutachten wegen dieser Hilfsfunktion oft ein bestimmendes Element des rechtlichen Erkenntnisses bilden, müssen medizinische Sachverständige grundsätzlich gleichermassen unabhängig und unparteilich sein wie die Richterinnen und Richter (vgl. BGE 132 V 93 E. 7.1 S. 109; BGE 120 V 357 E. 3b in fine S. 367; LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 422). Sichergestellt werden soll dadurch, dass ein Gutachten nicht durch sachfremde, ausserhalb des Verfahrens liegende Umstände beeinflusst wird (vgl. BGE 134 I 238 E. 2.1 S. 240). Diese elementare rechtsstaatliche Anforderung gilt auch für medizinische Administrativgutachten, sobald sie die Grundlage für die verfügungsweise Entscheidung über einen geltend gemachten Rechtsanspruch bilden, und erst recht, wenn sie im anschliessenden Beschwerdeverfahren als Basis gerichtlicher Beurteilung verwendet werden. Die formelle Natur der Verletzung des Anspruchs auf einen unabhängigen Experten führt dazu, dass ein Gutachten, das die erforderlichen Attribute nicht aufweist, als Beweismittel auszuschliessen ist, unabhängig davon, wie es sich mit den materiellen Einwendungen tatsächlich verhält (BGE 125 II 541 E. 4d S. 546; BGE 120 V 357 E. 3b in fine S. 367).
| 122 |
Erwägung 2.2 | |
123 | |
2.2.2 Das Bundesgericht hat in BGE 136 V 376 dargelegt, dass diese Kritik im Ansatz unzutreffend ist, weil sie die verfassungs- und gesetzesrechtlichen Grundlagen der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege ausblendet. Danach handelt die IV-Stelle im Verwaltungsverfahren nicht als Partei, sondern als zur Neutralität und Objektivität verpflichtetes Organ des Gesetzesvollzugs. Solange kein Beschwerdeverfahren angehoben ist, läuft ein Einparteienverfahren mit dem Leistungsgesuchssteller als Partei und der IV-Stelle als Behörde, welche nach den Grundsätzen des Amtsbetriebes die Herrschaft über das Verfahren innehat. Nach dem Übergang zum Anfechtungsstreitverfahren wird die Verwaltung zwar im prozessualen Sinne zur Partei; sie bleibt lite pendente indessen weiterhin an die rechtsstaatlichen Grundsätze (Art. 5 BV) gebundenes, der Objektivität und Neutralität verpflichtetes Organ. Daher hat sie nicht auch im materiellen Sinn Parteieigenschaft. Von dieser Rechtslage geht die Judikatur über die Beweiskraft versicherungsmedizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351; BGE 122 V 157) aus. Sind formell einwandfreie und materiell schlüssige (das heisst beweistaugliche und beweiskräftige) medizinische Entscheidungsgrundlagen des Versicherungsträgers (Administrativgutachten) vorhanden, so besteht daher nach der Rechtsprechung kein Anspruch auf eine gerichtliche Expertise (BGE 135 V 465 E. 4 S. 467). Gemäss der Rechtsauffassung, wie sie in der gesetzlichen Ordnung über die Amtsermittlungspflicht des Sozialversicherungsträgers zum Ausdruck kommt, wird Beweis über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche schwergewichtig auf der Stufe des Administrativverfahrens geführt, nicht im gerichtlichen Prozess. Hierin liegt eine Grundentscheidung des Gesetzgebers, deren Abänderung im formellen Gesetz vollzogen werden müsste (vgl. Art. 164 Abs. 1 lit. e-g BV). Die Verwaltung ist aufgrund von Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG immer dann zur Beschwerde berechtigt, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann. Aus der formellen Parteieigenschaft der Durchführungsstelle im gerichtlichen Prozess bzw. der Legitimation zur Erhebung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann offensichtlich nicht gefolgert werden, auch die Beweiserhebungen der IV-Stelle im (vorausgehenden) nichtstreitigen Verfahren bis zum Verfügungserlass seien Handlungen einer (formellen) Partei, womit das spätere gerichtliche Abstellen hierauf gegen die Verfassung oder die EMRK verstiesse (E. 1.3.2).
| 124 |
125 | |
2.2.3.1 In einer grundlegenden rechtsvergleichenden Studie des Münchner Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht (REINHARD/KRUSE/VON MAYDELL, Rechtsvergleich, in: Invaliditätssicherung im Rechtsvergleich, Baden-Baden 1998) findet sich zur Frage, in welcher organisatorischen Form die Sachverständigen arbeiten, Folgendes:
| 126 |
"Eine Variante besteht darin, dass sie in Diensten des Leistungsträgers stehen (z.B. Spanien, Niederlande). Dies muss jedoch eine gewisse sachliche Unabhängigkeit nicht ausschliessen. Eine andere Variante kann sein, dass eine auch organisatorisch unabhängige Institution geschaffen wird bzw. besteht, die in der Art eines assessment centers (...) über das Vorliegen von Invalidität entscheidet, bevor dann das Verfahren beim und vom Leistungsträger abgeschlossen wird. Schliesslich kommt die fallweise Hinzuziehung frei praktizierender Sachverständiger in Betracht. Die beiden letztgenannten Lösungen bieten sich insbesondere dann an, wenn man ohnehin den Sachverständigen eine eigenständige, nicht lediglich 'zuarbeitende' Rolle zugedacht hat. Sie werfen allerdings - trotz eines auf den ersten Blick in eine andere Richtung deutenden Anscheins - ebenfalls die Frage nach der Unabhängigkeit der Sachverständigen auf. Denn diese können einerseits ungeachtet ihrer organisatorischen Selbständigkeit vom Leistungsträger (z.B. wirtschaftlich) abhängig sein; andererseits ist - je nach nationaler 'Marktsituation' - aber durchaus auch eine Abhängigkeit vom betroffenen Anspruchsteller möglich, wenn dieser, wie z.B. in den USA, das Recht zur Auswahl von Sachverständigen hat. In einer solchen Konstellation besteht die Gefahr, dass 'Gefälligkeitsgutachten' erstellt werden" (a.a.O., S. 740).
| 127 |
2.2.3.2 Österreich
| 128 |
Nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) stellt der Sozialversicherungsträger die medizinischen Leistungsvoraussetzungen fest, indem er Untersuchungen in einer Krankenanstalt anordnet oder, wie in der Unfallversicherung üblich, Abklärungen durch angestellte Ärzte vornehmen lässt (§ 366 Abs. 1 ASVG; OTMAR NIEDERBERGER, Die Kritik aus Sicht des Versicherers, in: Möglichkeiten und Grenzen der medizinischen Begutachtung, Murer [Hrsg.], 2010, S. 140).
| 129 |
2.2.3.3 Frankreich
| 130 |
In der Invaliditätsversicherung der französischen sécurité sociale liegt die Entscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Invaliditätskriterien allein beim médecin conseil (Kassenarzt, Vertrauensarzt, medizinischer Dienst des Versicherungsträgers). Dessen Stellungnahme bindet die Kassen, wenn sie einen medizinischen Charakter aufweist. Die auf die Dezentralisierung bei der Feststel-lung der Invalidität zurückzuführende Monopolstellung des über eine spezielle Ausbildung verfügenden médecin conseil ist im Prinzip keiner Kontrollinstanz unterworfen. Unter den médecins conseil wird, vor allem zum Zweck einer Gleichbehandlung der Antragsteller, ein Informationsaustausch gepflegt. Der begutachtende Arzt kann den fachlichen Rat anderer Experten, so zum Beispiel von Psychiatern, einholen (OTTO KAUFMANN, Landesbericht Frankreich, in: Reinhard/Kruse/von Maydell [Hrsg.], a.a.O., S. 170 und 179 f.).
| 131 |
Nach dem französischen Code de la sécurité sociale darf ein Gerichtsgutachten weder bei einem behandelnden Arzt noch bei einem solchen, der für den Sozialversicherungsträger eine ständige Funktion ausübt, in Auftrag gegeben werden (Art. R. 143-34). Diese Vorschrift ist vor dem Hintergrund von Art. L. 141-2 zu verstehen, wonach die gutachtliche Schlussfolgerung (avis technique) für die Parteien verbindlich ist, wenn sie von einem Sachverständigen stammt, der vom behandelnden Arzt und dem médecin conseil gemeinsam ernannt, oder, bei andauernder Uneinigkeit, von einer Aufsichtsbehörde aus dem Kreis der auf einer entsprechenden Liste aufgeführten Experten ausgewählt worden ist (Art. R. 141-1). Dabei handelt es sich um ein gesondertes Verfahren, welches ein Streitverfahren verhindern helfen soll (JEAN-PIERRE LABORDE, Droit de la sécurité sociale, 2005, S. 230). Der Richter selber ist nicht auswahlbefugt (JEAN-PIERRE CHAUCHARD, Droit de la sécurité sociale, 4. Aufl. 2005, S. 274 Fn. 98). Angesichts der bindenden Wirkung der regelgerecht zustandegekommenen, klaren und eindeutigen Schlussfolgerungen eines Gutachtens kommt diese Ordnung einem "medizinischen Schiedsspruch" ( arbitrage médical ) gleich (JEAN-JACQUES DUPEYROUX, Droit de la sécurité sociale, 15. Aufl. 2005, S. 568 f. Rz. 781). Wurde keine neue Begutachtung verlangt, kann auch das Gericht von solchen Schlussfolgerungen nicht abweichen (PATRICK MORVAN, Droit de la protection sociale, 4. Aufl. 2009, S. 478 f. Rz. 713 f.; FRANCIS KESSLER, Droit de la protection sociale, 2. Aufl. 2005, S. 616).
| 132 |
2.2.3.4 Italien
| 133 |
Der Versicherungsträger der italienischen Rentenversicherung, der Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS), bei welchem ein grosser Teil der Arbeitnehmer des privaten Sektors pflichtversichert ist, entscheidet, ob die vom Versicherten beigebrachten Gesundheitszeugnisse oder die bereits bei ihm vorhandenen Unterlagen für eine Entscheidung über die Leistungsbewilligung (in deren Rahmen auch über die Feststellung der gesundheitlichen Beeinträchtigung befunden wird) ausreichen. Ist eine weitere Abklärung erforderlich, so wird der Gesundheitszustand der versicherten Person in vom INPS unterhaltenen Ambulatorien, gegebenenfalls auch durch von diesen herangezogene externe Spezialisten, begutachtet. Das rechtsmedizinische Gutachten mündet in einen Entscheidungsvorschlag an den Versicherungsträger (EVA-MARIA HOHNERLEIN, Landesbericht Italien, in: Reinhard/Kruse/von Maydell [Hrsg.], a.a.O., S. 240, 273 f. und 294). In der Praxis ist häufig ein besonderes Verfahren anzutreffen, in dem eine Begutachtung durch einen INPS-eigenen Arztund einen von der versicherten Person selbst benannten Arzt durchgeführt wird, die sich als collegiale medica (ärztliche Schiedsstelle) auf einen gemeinsamen Befund einigen (HOHNERLEIN, a.a.O., S. 294; vgl. E. 3.1.3.1).
| 134 |
135 | |
Träger der holländischen Invaliditätssicherung sind die sogenannten Betriebsvereinigungen, Körperschaften des öffentlichen Rechts, die von den Sozialpartnern für einen oder mehrere Sektoren der Wirtschaft errichtet werden. Das Sozialversicherungsorganisationsgesetz überträgt ihnen die Verantwortung für das gesamte Leistungsgeschehen vom erstmaligen Auftreten einer Arbeitsunfähigkeit über die medizinische und berufskundliche Feststellung der Erwerbsunfähigkeit bis zur Einleitung von Reintegrationsmassnahmen. Die Feststellung des medizinischen Befunds erfolgt durch den Versicherungsarzt der Betriebsvereinigung, einen Facharzt für Versicherungsmedizin (UTE KÖTTER, Landesbericht Die Niederlande, in: Reinhard/Kruse/von Maydell [Hrsg.], a.a.O., S. 348 f. und 353).
| 136 |
2.2.3.6 Spanien
| 137 |
In der spanischen Seguridad Social erarbeitet ein Arzt der den Provinzdirektionen der Spanischen Sozialversicherungsanstalt (Instituto Nacional de Seguridad Social, INSS) unterstehenden Equipos de Valoración de Incapacidades (EVI) unter Berücksichtigung anderer ärztlicher Unterlagen einen Gutachtensvorschlag mit einem medizinischen Synthesebericht. Die Provinzdirektion des INSS ist ermächtigt, mit spezialisierten Zentren und Einrichtungen Vereinbarungen über die Erstellung ergänzender Gutachten, Berichte oder Nachweise zu treffen (HANS-JOACHIM REINHARD, Landesbericht Spanien, in: Reinhard/Kruse/von Maydell [Hrsg.], a.a.O., S. 517 f. und 541).
| 138 |
139 | |
Unter diesen Umständen kann das Gebot der Verfahrensfairness nicht allein durch den Umstand verletzt sein, dass gutachtliche und andere medizinische Erkenntnisse aus dem Administrativverfahren die wesentliche tatsachenbezogene Entscheidungsgrundlage für die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungsaktes bilden. Die Konzeption, wonach ein Gericht auf die vom Versicherungsträger korrekt erhobenen Beweise abstellen und auf ein eigenes Beweisverfahren verzichten darf, bleibt grundsätzlich vereinbar mit Völker- und Bundesrecht (BGE 135 V 465 E. 4.3.2 S. 469). Aus der Rechtsvergleichung ergibt sich keine im europäischen Raum allgemein anerkannte einheitliche Rechtsauffassung, dass über streitige Sozialleistungen nur aufgrund eines gerichtlichen Beweisverfahrens abschliessend entschieden werden dürfte (unten E. 4.3). Eine andere Frage ist, wie es sich verhält, wenn ein Gericht die ursprüngliche Beweisgrundlage einmal verworfen hat (dazu unten E. 4.4).
| 140 |
2.4 Zu prüfen ist weiter der Einwand im Rechtsgutachten MÜLLER/REICH, im Ertragspotential ihrer Tätigkeit in Verbindung mit dem Wissen um die Zielvorgabe der Invalidenversicherung, den Rentenbestand zu senken, liege eine potentielle Gefährdung der inneren Unabhängigkeit der externen Gutachter. Auch wenn die Neutralität und Objektivität des Versicherungsträgers und, von diesem abgeleitet, der externen Gutachter gesetzlich angelegt ist (oben E. 2.2), so gewährleistet dieser Rechtsumstand in der Tat - namentlich mit Blick auf die ungleiche Ressourcenverteilung (vgl. BGE 135 V 465 E. 4.3.1 S. 468; oben E. 2.1.2.2) - nicht zwangsläufig auch faktisch, dass im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren die Argumente und Beweise beider Seiten annähernd gleich viel Gewicht erhalten. Die oben behandelten funktionellen Gegebenheiten entkräften als solche nicht jede Besorgnis, die Spiesse im Verfahren zur Ermittlung des Leistungsanspruchs in der Invalidenversicherung könnten im Laufe der letzten Jahre ungleich lang geworden sein, was zunächst unter dem Aspekt der Verfahrensgrundrechte problematisch wäre. Auch dürfen in der Erhebung und Würdigung von (medizinischen) Tatsachen dialektische Elemente nicht vernachlässigt werden, weil sie die Richtigkeit des Ergebnisses begünstigen können. Daher wurde mit der durchgeführten Instruktion, insbesondere der Anfrage an die MEDAS vom 13. Dezember 2010, den wichtigsten systemischen Gegebenheiten nachgegangen, welche die rechtlich gewährleistete Unabhängigkeit der MEDAS in Frage stellen könnten mit der Folge, dass strukturelle Ungleichheiten in eine verfassungs- oder konventionsrechtlich zu beanstandende Waffenungleichheit umzuschlagen drohen.
| 141 |
142 | |
Die naheliegende Vorkehr, die MEDAS gleichmässig mit Aufträgen zu versehen, scheitert von vornherein an deren sehr unterschiedlichen Grösse. Das BSV hielt die MEDAS in den vergangenen Jahren regelmässig an, ihre Kapazitäten zu erhöhen, was bei einigen Instituten erhebliche Investitionen auslöste. Der Umstand, dass den Instituten im Gegenzug keine Planungssicherheit gewährleistet werden konnte, ist grundsätzlich geeignet, die wirtschaftliche Abhängigkeit von den IV-Stellen zu verstärken. Dass die achtzehn MEDAS, wie aufgrund ihrer gesetzlichen Aufgabe von vornherein anzunehmen war, tatsächlich von der Invalidenversicherung wirtschaftlich abhängig sind, hat sich aufgrund der Antworten auf die instruktionsrichterliche Anfrage vom 13. Dezember 2010 klar bestätigt. Danach liegt der Median der Anteile (Durchschnittswerte der letzten fünf bis sechs Jahre bzw. der in diesen Zeitraum fallenden Aktivitätsjahre) von Aufträgen der IV-Stellen im Bereich von 85 bis 90 Prozent (Daten von fünfzehn MEDAS waren diesbezüglich verwertbar).
| 143 |
2.4.2 Aufgrund der für alle MEDAS und für alle polydisziplinären Gutachten vereinbarten identischen Auftragspauschale besteht systemimmanent die Gefahr eines Fehlanreizes in qualitativer Hinsicht, weil eine möglichst einfache Erledigung Kapazitäten für weitere (pauschal entschädigte) Begutachtungen schafft. Das Fehlen einer Abstufung für leichtere und schwierigere Fälle in der geltenden Entschädigungsregelung birgt das Risiko in sich, dass der Versicherungsträger nicht, wie in Art. 43 Abs. 1 ATSG ausdrücklich vorgeschrieben, alle notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vornimmt respektive von den beauftragten Abklärungsstellen alle entscheidungserheblichen Angaben in der erforderlichen Qualität erhält; man denke etwa an besondere diagnostische Vorkehren, welche den Aussagegehalt des Gutachtens wesentlich erhöhen. Zum Problem trägt auch bei, dass Zusatzaufwendungen wie Dolmetscherentschädigungen in der Pauschale bereits enthalten sind.
| 144 |
145 | |
2.4.4 Potentielle Risiken für sachfremde Einflüsse auf die gutachterliche Unabhängigkeit und auf die Gutachtenergebnisse können zur eigentlichen Gefährdung werden, falls die Auftragsvergabe an externe Gutachterstellen und der Umgang mit erstatteten Expertisen durch eine nicht rechtlich determinierte Zielorientierung überlagert werden sollte. Die 4. und 5. Revision des IVG sowie der (am 18. März 2011 in der Schlussabstimmung beider Räte verabschiedete) erste Teil der 6. IVG-Revision verfolgen wesentlich das Ziel einer Reduktion des Rentenbestandes, um das finanzielle Gleichgewicht der Invalidenversicherung wiederherzustellen (vgl. dazu die Botschaft vom 24. Februar 2010 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket], BBl 2010 1831 ff. Ziff. 1.1.2 und 1839 ff. Ziff. 1.3.1). Für die gutachtliche Praxis bedeutet dies, dass die versicherungsmedizinischen Prämissen der Begutachtung entsprechend den veränderten gesetzlichen Vorgaben modifiziert werden müssen. Unzulässig ist eine zielorientierte Steuerung von medizinischen Feststellungsprozessen (beispielsweise bei der Auswahl der Experten) hingegen, wenn sie sachfremd erscheint, weil sie nicht im Zusammenhang von (geänderter) Rechtsgrundlage und versicherungsmedizinischer Umsetzung im Rahmen anerkannter medizinischer Erkenntnisse erfolgt. Dabei ist nicht entscheidend, ob eine (bewusst) ergebnisgesteuerte Auftragsvergabe in signifikantem Ausmass tatsächlich vorkommt. Es genügt, wenn - aufgrund der dargestellten systemischen Einfallstore für Gefährdungen der Unabhängigkeit - ein ernstzunehmendes Risiko und damit eine objektiv begründete Befürchtung besteht, die Gutachterstellen könnten sich, jedenfalls in gutachtlichen Zweifels- und Ermessensbereichen, nicht allein von fachlichen Gesichtspunkten, sondern eben auch von den (vermeintlichen) Erwartungen der Auftraggeberschaft leiten lassen (für Deutschland: FRANKE/GAGEL, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 2009, S. 46 f.; zum Druck, dem Gutachterinnen und Gutachter bisweilen ausgesetzt sind, Forschungsbericht Nr. 4/08 des BSV [Der Einsatz von Beschwerdevalidierungstests in der IV-Abklärung], S. XII, 53 und 65; zur markant unterschiedlichen Akzeptanz der Gutachtenqualität durch Primär-[Auftraggeber] und Sekundärnutzer CHRISTIAN A. LUDWIG, Gutachtenqualität im Unfallversicherungsbereich, SUVA Med. Mitteilungen Nr. 77/2006 S. 11 f.; zur Problematik der second opinion und des "Gutachtershopping" SVR 2007 UV Nr. 33 S. 111, U 571/06 E. 4.2).
| 146 |
147 | |
In Betracht fallen zunächst direkt an der Gutachtenserstellung ansetzende Massnahmen wie die Formulierung qualitätsbezogener Leitlinien, welche Vollständigkeit und sachgerechten Ablauf der Begutachtung sicherstellen. In seiner Vernehmlassung weist das BSV auf verschiedene Vorkehrungen zur Qualitätssicherung hin, die bereits auf den Weg gebracht worden sind. Ein Projekt betrifft in der Tat die Verbesserung der Qualität von Gutachten mittels standardisierten Leitlinien. Weiter unterstützt das Bundesamt verschiedene Initiativen zur Aus- und Weiterbildung im medizinischen Gutachterwesen und fördert die Forschung, etwa im Rahmen einer Qualitätsanalyse medizinischer Gutachten. Im Hinblick auf neue Tarifverträge mit den MEDAS werden Zulassungskriterien erarbeitet. In diesem Zusammenhang ist das BSV nach eigenen Angaben bestrebt, die statistischen Grundlagen hinsichtlich der MEDAS-Begutachtungen zu verbessern. Dies allein genügt indessen nicht. Denn der Rechtsanwender ist mangels ausreichender Fachkenntnisse nicht immer in der Lage, in formal korrekt abgefassten Gutachten objektiv-fachliche Mängel zu erfassen. Das Ziel, möglichst beweistaugliche gutachtliche Aussagen zu erhalten, muss daher notgedrungen auch indirekt, durch Modifikationen der verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen, verfolgt werden.
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Die besondere Bedeutung der Verfahrensgarantien im Zusammenhang mit der Einholung und Würdigung medizinischer Gutachten ist daran zu ermessen, dass diese den Leistungsentscheid prägen, gerade weil sie aufgrund ihrer Fachspezifität faktisch vorentscheidenden Charakter haben. Das Bedürfnis nach einer entsprechenden Sicherung durch geeignete Ausgestaltung des Verfahrens wird verstärkt durch die grosse Streubreite der Möglichkeiten, einen Fall zu beurteilen, und die dementsprechend geringe Vorbestimmtheit der Ergebnisse (vgl. dazu die Studie von DICKMANN/BROOCKS, Das psychiatrische Gutachten im Rentenverfahren - wie reliabel-, in: Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2007, S. 397 ff.; MICHAEL PHILIPP, Zur Bedeutung der objektivierten Beschwerdeschilderung für die psychiatrische Rentenbegutachtung, Der Medizinische Sachverständige, 2010, S. 181 ff.; ERICH BÄR, Grenzen der Objektivität im Bereich der medizinischen Begutachtung, in: Festschrift für Erwin Murer zum 65. Geburtstag, Riemer-Kafka/Rumo-Jungo [Hrsg.], 2010, S. 14; GERHARD EBNER, Die besonderen Probleme der psychiatrischen Leistungseinschätzung, in: Möglichkeiten und Grenzen der medizinischen Begutachtung, Murer [Hrsg.], 2010, S. 209 ff.; JÖRG JEGER, Die Kritik an Anwaltschaft und Versicherer aus der Sicht des medizinischen Gutachters, ebenda S. 188; SUSANNE BOLLINGER, Der Beweiswert psychiatrischer Gutachten in der Invalidenversicherung, Jusletter 31. Januar 2011, Fn. 58; LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 431; vgl. auch KARSTEN GAEDE, Fairness als Teilhabe - Das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäss Art. 6 EMRK, 2005, S. 658). Diesen Umständen ist prozessrechtlich in ähnlicher Weise Rechnung zu tragen, wie eine ausgeprägte Unbestimmtheit von Normen durch verfahrensrechtliche Garantien kompensiert werden soll (BGE 132 I 49 E. 6.2 S. 58; BGE 128 I 327 E. 4.2 S. 339; BGE 127 V 431 E. 2b/cc S. 435).
| 149 |
Erwägung 3 | |
Erwägung 3.1 | |
150 | |
3.1.2 Konventions- und verfassungsrechtliche Anforderungen gebieten, dass die auf den erwähnten tarifvertraglichen Grundlagen (E. 1.2.2) beruhende Zuweisungspraxis modifiziert wird. Die Befürchtung des BSV, eine zentrale Zuweisungsstelle könnte "zu einem Flaschenhals im Abklärungsverfahren" werden, scheint nicht stichhaltig; der mit einem wirksamen Belastungsausgleich einhergehende Zeitgewinn dürfte die Behandlungsfristen bei der Zuweisungsstelle bei weitem aufwiegen. Das BSV weist in seiner Vernehmlassung selber auf ein laufendes Projekt hin, das einen ähnlichen Zweck verfolgt: Es sei eine IT-Plattform im Aufbau begriffen, mit deren Hilfe die Aufträge an die MEDAS besser und gleichmässiger zugeteilt werden können; im Hinblick auf eine möglichst rasche Auftragserledigung sollen die IV-Stellen aufgrund der von den MEDAS angegebenen Kapazitäten die Auftragsvergabe vornehmen; aus Sicht des Bundesamtes sei es denkbar, die IT-Plattform in Richtung eines Instrumentes zur Evaluation einzelner Gutachten auszubauen. Diese Arbeiten sind aus Sicht des Bundesgerichts (vgl. Geschäftsbericht 2009 S. 16) ohne Verzug weiterzuführen und in der Praxis der Gutachtensvergabe umzusetzen, zumal auf der Stufe der IV-Stellen-Konferenz ein entsprechendes Konzept erarbeitet worden ist, das auch EDV-mässig umgesetzt werden kann.
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152 | |
3.1.3.1 Im italienischen System der Previdenza sociale bietet der von der "ärztlichen Schiedsstelle" (E. 2.2.3.4 in fine) erhobene (für den Leistungsträger zwar nicht rechtlich verbindliche) Befund eine verbesserte Entscheidungsgrundlage und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese beim Antragsteller akzeptiert wird (HOHNERLEIN, a.a.O., S. 294).
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3.1.3.2 Im französischen Haftpflichtverfahren nach Unfällen im Strassenverkehr kann die versicherte Person gemeinsam untersucht werden durch einen vom Versicherer bestimmten und einen von der versicherten Person ausgewählten Arzt. Die beiden Gutachter haben den gemeinsamen Auftrag, das Ergebnis der Begutachtung als Resultat einer kontradiktorischen Diskussion abzuliefern. Der Versicherer unterrichtet die geschädigte Person mindestens zwei Wochen vor der Untersuchung unter anderem über die Person und die Fachrichtung des beauftragten Gutachters sowie über den Inhalt der Untersuchung. Gleichzeitig setzt er die geschädigte Person in Kenntnis davon, dass sie sich durch einen Arzt ihrer Wahl begleiten lassen kann. Die Begutachtung entspricht indessen nur dann einem gemeinschaftlichen Gutachten, wenn sich die Parteien einig sind. Ansonsten bleibt es bei einer unilateralen Begutachtung. Der von der geschädigten Person ausgewählte Arzt hat immerhin aber die Möglichkeit, seine Einschätzungen einzubringen (CHAPPUIS/HERRMANN, Das gemeinschaftliche medizinische Gutachten: ein vielversprechender Weg, in: Strassenverkehrsrechts-Tagung, 2008, S. 194 f.; LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 439 f.). Die expertises conjointes führen zu einem hohen Anteil aussergerichtlicher Streiterledigung (AUERBACH UND ANDERE, Medizinische Gutachten in der Schweiz im Jahr 2008: Eine Querschnittstudie zur Marktsituation und Qualitätssicherung, SUVA Medical 2010 S. 17).
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3.1.3.3 Zumindest Elemente einer paritätischen Begutachtung nach italienischem oder französischem Modell könnten zur Verbesserung der Gutachtensakzeptanz durch die Betroffenen und zur Stärkung der verfahrensmässigen Waffengleichheit durchaus auf die IV-Abklärung übertragen werden. Die Rechtsprechung verneint zwar einen Anspruch des Versicherten auf Begleitung durch eine Person seines Vertrauens, zum Beispiel den behandelnden Arzt (BGE 132 V 443; SVR 2008 IV Nr. 18 S. 55, I 42/06; Urteil I 991/06 vom 7. August 2007 E. 3.2); die Einwände der Gutachter gegen eine Anwesenheit jedwelcher Drittperson in der Untersuchung (vgl. HILDEGARD DEITMARING, Begleitpersonen bei der ärztlichen Begutachtung im Sozialverwaltungsverfahren - Bestandsaufnahme und Diskussion, Der medizinische Sachverständige 2009 S. 107 ff.) sind grundsätzlich berechtigt. Dies schliesst indessen eine Vorgabe an den Gutachter, seine Ergebnisse mit einem von der versicherten Person bezeichneten Mediziner (in der Regel dem behandelnden Arzt) zu diskutieren, nicht aus. Im Übrigen sollen sich die IV-Stelle und die versicherte Person nach Möglichkeit über die Vergabe des Auftrages zur Begutachtung einigen; bei Konsens kann der Erlass einer anfechtbaren Zwischenverfügung unterbleiben (unten E. 3.4.2.6).
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3.2 Art. 43 Abs. 1 ATSG schreibt vor, dass der Versicherungsträger die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vornimmt. Lagert er diese Aufgabe - zulässigerweise - an externe Abklärungsstellen aus, so hat er sicherzustellen, dass er von den beauftragten Stellen alle entscheidungserheblichen Angaben in der erforderlichen Qualität erhält. Diese gesetzliche Vorgabe impliziert ein Minimum an Differenzierung der Entschädigung im Einzelfall, wobei auch notwendige ausserordentliche Aufwendungen zu berücksichtigen sind (vgl. oben E. 2.4.2). Abgesehen von der Einfachheit der Abwicklung von Gutachtensaufträgen sind keine gewichtigen Argumente für eine pauschale Entschädigung ersichtlich. Mithin erweckt die Pauschalentschädigung Bedenken, die durch eine zumindest grobe kategorielle Unterteilung (nach Schwierigkeitsgrad und Untersuchungsumfang) entkräftet werden. Das Bundesamt hat innert nützlicher Frist ein Entschädigungssystem auszuarbeiten und mit den MEDAS neu auszuhandeln, das diese Vorbehalte berücksichtigt.
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Erwägung 3.3 | |
157 | |
3.3.2 Eine häufige Gutachtertätigkeit für eine Sozialversicherung und die damit einhergehende medizinische Erfahrung des Experten entsprechen an sich bereits einer Qualitätssicherung, da der oft mit gleichartigen Fragen befasste Sachverständige so in einem andauernden Lernprozess steht (KASPAR GERBER, Die MEDAS [einmal mehr]im Kreuzfeuer der Kritik, SZS 2010 S. 369). Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist es allerdings, Mindeststandards für die Abwicklung der Begutachtung zu etablieren. Die im bundesgerichtlichen Instruktionsverfahren eingeholten Auskünfte der MEDAS zeigen, dass das interne Qualitätsmanagement der einzelnen Institute höchst unterschiedlich ausgestaltet ist. So gilt es namentlich, institutsinterne Kontrollmechanismen vorzusehen, indem etwa die Konsiliarsachverständigen im Rahmen von Konsensbesprechungen bei der Formulierung der gutachtlichen Schlussfolgerungen mitwirken. Allenfalls würde der interdisziplinäre Entscheidfindungsprozess transparenter, wenn in Anlehnung an Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz BZP mehrere Sachverständige das Gutachten gemeinsam verfassen, sofern ihre Ansichten übereinstimmen, sonst aber gesondert. Entsprechende dissenting opinions könnten die Grundlage bilden für eine beweisrechtlich korrekte Erfassung und Würdigung von Unbestimmtheiten in den gutachtlichen Feststellungen. Im Zusammenhang mit dem situativen Beizug ausländischer Konsiliarärzte durch bestimmte MEDAS bleibt eine offene Frage, wie auf die Problematik einer mangelnden Vertrautheit mit den hiesigen (versicherungs-)medizinischen Anforderungen zu reagieren sei. Nach der Rechtsprechung steht fest, dass die Gutachter nicht zwingend über eine FMH-Ausbildung verfügen müssen; verlangt ist eine Fachausbildung, die auch im Ausland erworben sein kann (Urteil 9C_270/2008 vom 12. August 2008 E. 3.3).
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160 | |
3.4 Art. 44 ATSG regelt den Beizug externer Gutachten im Verwaltungsverfahren unter der Marginalie "Gutachten" wie folgt: Muss der Versicherungsträger zur Abklärung des Sachverhaltes ein Gutachten einer oder eines unabhängigen Sachverständigen einholen, so gibt er der Partei deren oder dessen Namen bekannt. Diese kann den Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen und kann Gegenvorschläge machen. Im ATSG (oder den versicherungszweigspezifischen Gesetzen) nicht abschliessend geregelte Verfahrensbereiche bestimmen sich nach dem VwVG (Art. 55 Abs. 1 ATSG). Art. 19 VwVG verweist für das Beweisverfahren, soweit hier interessierend, auf die Art. 57 ff. BZP weiter. Nach Art. 57 Abs. 2 BZP gibt der Richter den Parteien Gelegenheit, sich zu den Fragen an zur Aufklärung des Sachverhalts beigezogene Sachverständige (vgl. Art. 57 Abs. 1) zu äussern und Abänderungs- und Ergänzungsanträge zu stellen. Für die Experten gelten die Ausstandsgründe nach Art. 34 BGG sinngemäss; die Parteien erhalten Gelegenheit, vor der Ernennung von Sachverständigen Einwendungen gegen die in Aussicht Genommenen vorzubringen (Art. 58 Abs. 1 und 2 BZP). Der Sachverständige hat nach bestem Wissen und Gewissen zu amten und sich der strengsten Unparteilichkeit zu befleissigen; auf diese Pflicht ist er bei der Ernennung aufmerksam zu machen (Art. 59 Abs. 1 BZP). Nach Erstattung des Gutachtens erhalten die Parteien Gelegenheit, Erläuterung und Ergänzung oder eine neue Begutachtung zu beantragen (Art. 60 Abs. 1 in fine BZP).
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162 | |
3.4.1.1 Nach der bisherigen Rechtsprechung entspricht die Anordnung einer Begutachtung durch den Sozialversicherer einem Realakt und nicht einer Anordnung, welche nach Art. 49 Abs. 1 ATSG in Form einer Verfügung zu erlassen ist (BGE 132 V 93 E. 5 S. 100). Denn die Anordnung eines Gutachtens fällt nicht unter die selbständig anfechtbaren Zwischenverfügungen gemäss dem in Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG anwendbaren Art. 45 Abs. 1 VwVG. Zudem scheitert die in der Lehre geforderte Gleichstellung mit dem allgemeinen Verfügungsbegriff nach Art. 5 Abs. 1 lit. a VwVG daran, dass bei der Anordnung einer Expertise nicht über Rechte und Pflichten einer versicherten Person befunden wird, kann doch die Teilnahme an einer Begutachtung nicht erzwungen werden. Vielmehr handelt es sich (gleich wie bei der Pflicht der versicherten Person, sich einer angeordneten Eingliederungsmassnahme zu unterziehen oder das ihr Zumutbare zur Verbesserung der Erwerbsfähigkeit beizutragen) um eine sozialversicherungsrechtliche Last, deren Erfüllung Voraussetzung der Entstehung oder des Fortbestandes des Rentenanspruchs ist (E. 5.2.6 und 5.2.7 S. 104). Hinzu kommt, dass die Verwaltung aufgrund des Untersuchungsprinzips von sich aus bestimmt, wie der Beweis zu führen ist. Aus der zentralen Bedeutung des Gutachtens für die materielle Anspruchsprüfung im Abklärungsverfahren der Sozialversicherer kann nicht auf den Verfügungscharakter einer Gutachtenanordnung geschlossen werden. Die in der Lehre geäusserte Auffassung, der Verfügungscharakter einer Gutachtenanordnung rechtfertige sich dadurch, dass das Gutachten ein Beweismittel darstelle, von dessen Ergebnissen der Richter nur zurückhaltend abweiche, steht in Widerspruch zur freien Beweiswürdigung; danach haben Versicherungsträger und Gericht die Beweise ohne Bindung an förmliche Beweisregeln und unabhängig von ihrer Herkunft zu würdigen (E. 5.2.8 S. 105). Die Einordnung der Gutachtenanordnung bei Art. 49 Abs. 1 und Art. 51 ATSG würde das Abklärungsverfahren unnötig formalisieren, verkomplizieren und verlängern. In Anbetracht der Vielzahl von verfahrensrechtlichen Anordnungen, die bis zur materiellen Erledigung in der Regel notwendig seien, wäre eine geordnete und beförderliche Behandlung der Leistungsgesuche nicht mehr gewährleistet, wenn jedes Mal eine Verfügung erlassen werden müsste. Aus diesen Gründen wurde der Anordnung einer Begutachtung auch unter der Herrschaft des ATSG der Verfügungscharakter abgesprochen (E. 5.2.9 S. 109 und 5.2.10 S. 110). Die Begutachtung ist also nur in Form einer einfachen Mitteilung an die versicherte Person anzuordnen.
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3.4.1.2 Ist hingegen die Ausstandspflicht eines Sachverständigen streitig, so muss diese Frage aus Gründen der Einheitlichkeit des funktionellen Instanzenzuges durch eine selbständig anfechtbare Zwischenverfügung entschieden werden (Art. 45 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 10 VwVG; Art. 36 Abs. 1 ATSG). Art. 44 ATSG geht über die gesetzlichen Ausstandsgründe gemäss Art. 10 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG hinaus, indem die versicherte Person den Gutachter "aus triftigen Gründen" ablehnen kann. Zu unterscheiden ist zwischen Einwendungen formeller und materieller Natur. Die gesetzlichen Ausstandsgründe zählen zu den Einwendungen formeller Natur, weil sie geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erwecken. Einwendungen materieller Natur betreffen dagegen nicht die Unparteilichkeit der Gutachterperson; sie sind von der Sorge getragen, das Gutachten könnte mangelhaft ausfallen oder jedenfalls nicht im Sinne der zu begutachtenden Person. Solche Einwendungen - etwa betreffend fehlende Sachkunde, die zutreffende medizinische Fachrichtung oder die Notwendigkeit weiterer Abklärung - sind in der Regel mit dem Entscheid in der Sache im Rahmen der Beweiswürdigung zu behandeln. Es besteht kein Anlass, die Beurteilung von Rügen, welche über die gesetzlichen Ausstandsgründe hinausgehen und Fragen betreffen, die zur Beweiswürdigung gehören, vorzuverlegen. Es gilt insbesondere zu vermeiden, dass das Verwaltungsverfahren um ein kontradiktorisches Element erweitert und das medizinische Abklärungsverfahren judikalisiert wird, was vor allem in Fällen mit komplexem Sachverhalt zu einer Verlängerung des Verfahrens führen würde, welche in ein Spannungsverhältnis zum einfachen und raschen Verfahren träte (BGE 132 V 93 E. 6 S. 106).
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3.4.1.3 Das Bundesgericht hat den fehlenden Verfügungscharakter der Begutachtungsanordnung unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich (1. Januar 2007) in Kraft getretenen Art. 25a VwVG bestätigt für Fälle, in denen bei genügender Beweislage ein weiteres Gutachten eingeholt werden soll (second opinion). Art. 25a VwVG räumt der betroffenen Person das Recht auf ein eigenständiges nachträgliches Verwaltungsverfahren ein, das in eine Verfügung über einen beanstandeten Realakt mündet. Das in Art. 25a VwVG vorausgesetzte schutzwürdige Interesse ist nicht gegeben, weil der Rechtsschutz gegenüber dem Realakt, das heisst der Begutachtungsanordnung, zu einem späteren Zeitpunkt offensteht und mit der aufgeschobenen Beurteilung kein unzumutbarer Nachteil verbunden ist. Es wäre inkonsequent, im Zusammenhang mit der Anfechtung der Anordnung den nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu verneinen und gleichzeitig ein schutzwürdiges Interesse am Erlass einer Verfügung im Sinne von Art. 25a VwVG zu bejahen (BGE 136 V 156 E. 4 S. 159).
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3.4.1.4 Nach BGE 132 V 376 fällt die Anordnung einer Begutachtung durch eine MEDAS - als einer unabhängigen Institution - in den Geltungsbereich von Art. 44 ATSG (S. 380 ff. E. 6 und 7; nicht so die Anordnung von Untersuchungen der RAD: BGE 135 V 254 E. 3.4 S. 258; vgl. auch BGE 136 V 117). Im gleichen Urteil legte das Bundesgericht das Vorgehen bei der in Art. 44 ATSG geforderten Bekanntgabe der Namen von MEDAS-Gutachtern dar: Oft ist es nicht möglich, gleichzeitig mit der Anordnung der IV-Stelle über die durchzuführende Begutachtung auch bereits die Namen der mit der Begutachtung betrauten Sachverständigen zu nennen. Sind der IV-Stelle die Namen der begutachtenden Personen aufgrund der besonderen Situation bei den MEDAS zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, so teilt sie es der versicherten Person mit, dies verbunden mit dem Hinweis, dass ihr die Namen zu einem späteren Zeitpunkt direkt von der Begutachtungsstelle genannt werden und sie dannzumal allfällige Einwendungen der IV-Stelle gegenüber geltend machen kann. Die MEDAS gibt zusammen mit dem konkreten Aufgebot oder rechtzeitig, bevor sie die Begutachtung an die Hand nimmt, die Namen der befassten Ärzte und ihre fachliche Qualifikation bekannt. Sofern es sich bei Einwendungen um gesetzliche Ausstands- und Ablehnungsgründe (im Sinne von BGE 132 V 93 E. 6 S. 106) handelt, befindet die IV-Stelle mittels selbständig anfechtbarer Verfügung darüber. Im Falle von materiellen Einwendungen wird die versicherte Person dagegen in der Regel wiederum in Form einer einfachen Mitteilung darauf hingewiesen, dass diese im Rahmen der Beweiswürdigung in einer anfechtbaren materiellen Verfügung beurteilt werden (BGE 132 V 376 E. 8 und 9 S. 384 ff.; für die Belange der Unfallversicherung vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 178/04 vom 18. August 2006 E. 3, nicht publ. in: BGE 132 V 418, aber in: SVR 2007 UV Nr. 5 S. 13).
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3.4.1.5 Vor Inkrafttreten des ATSG war die IV-Stelle von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet, bei der Formulierung der Expertenfragen den versicherten Personen Mitwirkungsrechte einzuräumen. Gewährleistet waren nur die verfahrensrechtlichen Minimalgarantien, wonach der versicherten Person Gelegenheit zu geben ist, nach Erstellung des Gutachtens Stellung zu nehmen und allenfalls Ergänzungsfragen zu unterbreiten. Nach BGE 133 V 446 hat sich daran mit dem Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 nichts geändert. Nach Art. 55 Abs. 1 ATSG bestimmen sich in den Art. 27-54 ATSG oder in den Einzelgesetzen nicht abschliessend geregelte Verfahrensbereiche nach dem VwVG. Ob eine Regelung des ATSG abschliessend ist oder nicht, ergibt sich durch Auslegung. Liegt eine abschliessende Regelung vor, fällt die Anwendung des VwVG ausser Betracht. Eine Norm des ATSG darf durch Heranziehen der Bestimmungen des VwVG gegebenenfalls konkretisiert werden. Hingegen kann eine eingehendere Regelung des VwVG nicht in den Anwendungsbereich des ATSG übertragen werden. Der Umstand, dass das VwVG hinsichtlich einer durch das ATSG geregelten Frage eine höhere Normierungsdichte aufweist, führt nicht zu einer ergänzenden Anwendung des VwVG (BGE 133 V 446 E. 7.2 S. 447).
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Nach Art. 19 VwVG sind für das Beweisverfahren sinngemäss die Art. 37, 39-41 und 43-61 BZP anwendbar. Gemäss Art. 57 Abs. 2 BZP gibt der Richter den Parteien Gelegenheit, sich zu den Fragen an die Sachverständigen zu äussern und Abänderungs- und Ergänzungsanträge zu stellen. Der Umstand, dass sich diese Bestimmung in erster Linie auf das Gerichtsverfahren bezieht und nur sinngemäss für das Verwaltungsverfahren gilt, erlaubt, systembedingten Unterschieden Rechnung zu tragen (E. 7.3 S. 448). Das sozialversicherungsrechtliche Abklärungsverfahren funktioniert nach dem Grundsatz des Amtsbetriebs, was heisst, dass der Sozialversicherungsträger einen Versicherungsfall hoheitlich bearbeitet (vgl. Art. 43 ATSG) und mit dem Erlass einer materiellen Verfügung erledigt. Partizipatorische, auf präventive Mitwirkung im Rahmen der Gutachtensbestellung abzielende Verfahrensrechte stehen dabei in einem Spannungsverhältnis zum Gebot eines raschen und einfachen Verfahrens (Art. 61 lit. a ATSG). Anzustreben ist ein vernünftiges Verhältnis zwischen den Mitwirkungsrechten im Verwaltungsverfahren und dem Ziel einer raschen und korrekten Abklärung (BGE 132 V 93 E. 6.5 S. 109). Es kann daher nicht Sinn und Zweck von Art. 44 ATSG sein, dass sich die Parteien vor oder zusammen mit der Gutachtensanordnung über die Fragen zuhanden der medizinischen Sachverständigen zu einigen haben, geschweige denn, dass diese in einer anfechtbaren Zwischenverfügung festzulegen wären, zumal auch die Anordnung eines Gutachtens nicht Verfügungsgegenstand bildet. Dies spricht dafür, dass Art. 44 ATSG mit Bezug auf die Parteirechte abschliessend ist und die Regelung von Art. 19 VwVG in Verbindung mit Art. 57 Abs. 2 BZP keine Anwendung findet. Die Rechte der versicherten Person bleiben insofern gewahrt, als sie sich im Rahmen des rechtlichen Gehörs zum Beweisergebnis äussern und erhebliche Beweisanträge vorbringen kann (BGE 133 V 446 E. 7.4 S. 449). Nicht ausgeschlossen ist, dass die IV-Stelle die Expertenfragen der Partei auf freiwilliger Basis vorgängig zur Stellungnahme unterbreitet (E. 7.5 S. 449).
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3.4.2 Es stellt sich nunmehr die Frage, ob die Ordnung gemäss Art. 57 ff. BZP, auf die in Art. 19 VwVG verwiesen wird, bloss eine eingehendere Regelung eines Gegenstandes enthält, der mit Art. 44 ATSG abschliessend geregelt ist, oder ob Art. 44 ATSG über die Verweisungsnorm des Art. 55 Abs. 1 ATSG mit dem Gehalt der allgemeinen Normierung in VwVG und BZP zu harmonisieren ist. Die Auslegung von Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 44 ATSG gemäss bisheriger Rechtsprechung führt dazu, dass die Gewährleistung von Mitwirkungsrechten der versicherten Person im Zusammenhang mit der Erhebung des Beweismittels "medizinisches Gutachten" hinter den allgemeinen Standard im Verwaltungsverfahren zurückfällt.
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Zu prüfen ist mithin aufgrund der Vorbringen der Verfahrensbeteiligten und der Ergebnisse der durchgeführten Instruktion, ob an der dargelegten Rechtsprechung in allen Teilen festgehalten werden kann. Eine Änderung der Rechtsprechung setzt wichtige Gründe voraus. Sie lässt sich mit der Rechtssicherheit grundsätzlich nur vereinbaren, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 134 V 72 E. 3.3 S. 76 mit Hinweisen).
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3.4.2.1 Vorab ist klarzustellen, dass die Rüge, die geltende Rechtsprechung schwäche die Verfahrensrechte in der Sozialversicherung, gemessen am allgemeinen Standard, einseitig zu Ungunsten von körperlich, geistig oder psychisch Behinderten ab, worin ein Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV; Art. 14 i.V.m. Art. 6 EMRK) liege, unbegründet ist und daher keinen Grund für eine Praxisänderung abgeben kann. Der Umstand, dass die Rechtsprechung das Anwendungsfeld formeller Garantien hinsichtlich der Verfahren zur Abklärung der Voraussetzungen für Leistungen an behinderte Menschen eng gezogen hat, bedeutet offenkundig nicht, dass diese wegen dieses Merkmals bei der Rechtsanwendung ohne qualifizierte Rechtfertigung anders behandelt würden (vgl. zu den Merkmalen einer Diskriminierung - statt vieler - BGE 136 I 297 E. 7.1 S. 305).
| 171 |
3.4.2.2 Die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte der versicherten Person im Abklärungsverfahren der IV-Stelle muss den verfahrensbezogenen Garantien gemäss Art. 29 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK genügen. Der Rechtssinn der massgebenden Verfahrensbestimmungen ist an Verfassung und Konvention auszurichten; dabei darf die anvisierte Auslegung dem Wortlaut des Gesetzes und den weiteren normunmittelbaren Auslegungselementen nicht klar widersprechen (verfassungskonforme oder verfassungsbezogene Interpretation; BGE 135 I 161 E. 2.3 S. 163 mit Hinweisen; ULRICH MEYER-BLASER, Die Bedeutung von Art. 4 Bundesverfassung für das Sozialversicherungsrecht, ZSR 1992 II S. 347 f.; ERNST HÖHN, Die Bedeutung der Verfassung für die Auslegung der Gesetze, in: Festschrift für Ulrich Häfelin, 1989, S. 262). Im Hinblick auf eine grundrechts- respektive konventionskonforme Auslegung kann nicht allgemeingültig konkretisiert werden, welche Beteiligungsrechte in welcher Form gewährleistet sein müssen, damit ein Verfahren insgesamt fair ausgestaltet ist. Vielmehr ist die Frage, ob die Schutzziele von Verfassung und Konvention bei der Abklärung des anspruchserheblichen Sachverhalts durch die Mitwirkungsmöglichkeiten gemäss geltender Auslegung von Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 44 ATSG hinreichend verwirklicht werden, anhand des konkreten Verfahrens und seiner Zwecke zu beantworten.
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3.4.2.3 Das Abklärungsverfahren, in dessen Rahmen die IV-Stellen auf Gutachten der MEDAS zurückgreifen, dient im Wesentlichen zur Erhebung der Arbeitsunfähigkeit nach Art. 6 ATSG. Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff (ULRICH MEYER-BLASER, Der Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit und seine Bedeutung in der Sozialversicherung, namentlich für den Einkommensvergleich in der Invaliditätsbemessung, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], 2003, S. 27 ff.). Seine Konkretisierung im Einzelfall erfolgt im Wesentlichen auf der Grundlage einer gesundheitlich-medizinischen Komponente. Die Bemessung der Arbeitsunfähigkeit kann weder tatsächlich noch rechtlich korrekt angewendet werden, wenn und solange über die gesundheitlichen Verhältnisse und Zusammenhänge keine Klarheit besteht (ULRICH MEYER, Die Beweisführung im Sozialversicherungsrecht, in: Nicht objektivierbare Gesundheitsbeeinträchtigungen: Ein Grundproblem des öffentlichen und privaten Versicherungsrechts sowie des Haftpflichtrechts, Murer [Hrsg.], 2006, S. 200 f.). In ihrem medizinischen Aspekt betrifft die Arbeitsunfähigkeit also eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; vgl. G.H. STEINER, Schnittstellenprobleme bei der Einholung und Verwertung von medizinischen Sachverständigengutachten, Der Medizinische Sachverständige, 2010, S. 245), deren Grundlage - die ärztliche Einschätzung - abhängig von der Gutachterperson und von den Umständen der Begutachtung eine grosse Varianz aufweisen kann (vgl. dazu die in E. 2.5 erwähnten Fundstellen). Dies rührt unter anderem daher, dass sowohl die versicherungsmedizinischen Prämissen als auch die fachmedizinischen Beurteilungsparameter überaus offen gefasst sind; die ärztliche Beurteilung trägt - von der Natur der Sache her unausweichlich - Ermessenszüge (vgl. etwa BGE 130 V 352 E. 2.2.4 S. 355, BGE 130 V 396 E. 6.2.2 S. 401). Die Steuerungsfähigkeit des massgebenden materiellen Rechts ist also notgedrungen begrenzt. Je offener und unbestimmter die gesetzliche Grundlage - in sich oder, wie hier, aufgrund von Merkmalen ihres Anwendungsbereichs - ist, desto stärker ausgebaut sein soll der verfahrensrechtliche Schutz vor unrichtiger Anwendung des unbestimmten Rechtssatzes (oben E. 2.5 in fine).
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3.4.2.4 Wie schon erwähnt, können die rechtsanwendenden Behörden faktische Festlegungen, die in medizinischen Administrativgutachten getroffen worden sind, mangels eigener Fachkenntnis oft nicht direkt überprüfen und gegebenenfalls korrigieren; eine Kontrolle ist im Wesentlichen nur möglich im Hinblick auf die Einhaltung formaler Erfordernisse (so gemäss BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) und darauf, ob die gutachtlichen Folgerungen schlüssig begründet wurden (vgl. PIGUET, a.a.O., S. 136). Auch unter Berücksichtigung der mit der 4. Revision des IVG im Jahr 2004 eingeführten IV-eigenen Regionalen Ärztlichen Dienste kommt den Rahmenbedingungen der Auftragsvergabe eine grosse Bedeutung zu. Eine faire Abwicklung verlangt zunächst mit Bezug auf das Abklärungsverfahren vor der IV-Stelle, dass die im allgemeinen Verwaltungsverfahren üblichen Befugnisse unter dem Titel der Garantie des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 42 ATSG; BGE 135 V 465 E. 4.3.2 S. 469) gewährleistet sind, was namentlich die Abnahme erheblicher Beweisanträge und die Mitwirkung an der Beweiserhebung einschliesst.
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Bei der Umschreibung dessen, was in Form eines anfechtbaren Verwaltungsaktes angeordnet werden soll, ist sodann das streitlagenspezifische Rechtsschutzinteresse zu berücksichtigen (RENÉ A. RHINOW, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Wandel, in: Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, G. Müller und andere [Hrsg.], 1982, S. 660). Systemimmanent (vgl. BGE 136 V 376; oben E. 2.2 und 2.3) besteht kein Anspruch auf Einholung eines Gerichtsgutachtens; häufig ist also das Administrativgutachten zugleich die massgebliche medizinische Entscheidungsgrundlage im Beschwerdeverfahren. In solchen Fällen kommen die bei der Beweiseinholung durch ein Gericht vorgesehenen Garantien zugunsten der privaten Partei im gesamten Verfahren nicht zum Tragen. Um dieses Manko wirksam auszugleichen, müssen die gewährleisteten Mitwirkungsrechte durchsetzbar sein, bevor die beschriebenen präjudizierenden Effekte eintreten. Diese das Gesamtverfahren im Auge behaltende Auslegung ist bei der erneuten Prüfung der Frage, ob die Anordnung der Begutachtung in Form einer anfechtbaren Verfügung erfolgen soll, mitzuberücksichtigen.
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3.4.2.5 Die zusammengefasst wiedergegebenen Vorbringen zu den Tarifverträgen und zur Aufhebung von Art. 72bis IVV auf den 1. April 2011 (oben E. 1.2.5) zeigen mit aller Deutlichkeit - und die Instruktionsergebnisse bestätigen es -, dass das BSV die MEDAS-Begutachtungen im Laufe der Zeit zunehmend dem Markt der (teilweise eigens zu diesem Zweck gegründeten) Gutachtensanbieter überlassen hat. Diese behördliche Zurückhaltung ist nur schwerlich vereinbar mit Art. 64 Abs. 1 IVG (i.V.m. Art. 72 AHVG), wonach die (von der Fachaufsicht über die IV-Stellen und die RAD nach Art. 64a IVG zu unterscheidende) Aufsicht des Bundes, wahrgenommen durch das Bundesamt, in ihrem unverzichtbaren Kerngehalt darin besteht, für die einheitliche Anwendung des IVG zu sorgen. Das gilt zweifellos im Hinblick auf die Offenheit und Konkretisierungsbedürftigkeit der medizinischen Komponenten der Anspruchsprüfung (oben E. 2.5, 3.4.2.3) auch und gerade für das System der externalisierten medizinischen Tatsachenerhebung, welche für die administrative und gerichtliche Beurteilung der Leistungsberechtigung von erstrangiger Bedeutung ist. Aufs Ganze besehen drängt sich der Schluss auf, dass sich in den letzten Jahren als Folge dieser Entwicklung die Rahmenbedingungen für die Auftragsvergabe (E. 3.4.2.4) und damit die Chancen für eine durchgehende Gewährleistung der Ordnungsmässigkeit und Regelhaftigkeit der MEDAS-Begutachtungen spürbar verschlechtert haben, was mit einem entsprechend gesteigerten streitlagenspezifischen Rechtsschutzinteresse (E. 3.4.2.4 in fine) einhergeht. Nach den Antworten auf die Anfrage vom 13. Dezember 2010 bieten die achtzehn MEDAS in den für ihren Gutachtensbetrieb wesentlichen Punkten ein ganz uneinheitliches Bild. Das ist zwar unter dem Gesichtswinkel der verlangten Unabhängigkeit insofern positiv zu werten, als eine unzulässige strukturelle Beeinflussung von aussen oder gar eine Gleichschaltung ohne weiteres ausgeschlossen werden kann. Auch ist sehr zu begrüssen, dass Zusammenarbeit oft nicht mit fest angestellten, sondern mit überwiegend frei praktizierenden Ärzten und Ärztinnen stattfindet, wodurch die für die medizinische Begutachtung so wichtige klinische Erfahrung nutzbar gemacht wird. Aber die festgestellten Unterschiede punkto Grösse, Auftragsvolumen, beschäftigte Ärzte und Ärztinnen, vertretene Fachrichtungen, Rechtsform, Weiterbildung, Qualitätssicherung, Jahresberichte, Dokumentierung der Begutachtungsergebnisse, Transparenz, Erfüllung weiterer Aufgaben usw. zeigen, dass es entscheidend sein kann, welcher MEDAS eine versicherte Person zur interdisziplinären Abklärung zugewiesen wird.
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3.4.2.6 Unter all diesen Umständen ist zunächst, mehr als bisher der Fall, das Bestreben um eine einvernehmliche Gutachtenseinholung in den Vordergrund zu stellen. Die Militärversicherung erlässt (erst dann) eine selbständig anfechtbare Zwischenverfügung, wenn sie sich mit dem Gesuchsteller oder dessen Angehörigen über den Gutachter nicht einigen kann (Art. 93 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über die Militärversicherung [MVG; SR 833.1]). Dem Vorbild dieser Bestimmung entsprechend liegt es in der beiderseitigen Verantwortung von IV-Stelle und versicherter Person, vermeidbare Verfahrensweiterungen abzuwenden. Zu bedenken ist auch, dass eine auf beiderseitigem Einverständnis beruhende Begutachtung zu tragfähigeren Beweisergebnissen führt, die bei der betroffenen Person zudem auf bessere Akzeptanz stossen. Hinsichtlich der Fälle, in denen eine Einigung nicht zustandekommt, kann in Anbetracht der veränderten äusseren Verhältnisse (E. 3.4.2.5) als den wesentlichen Rahmenbedingungen für MEDAS-Begutachtungen und unter Berücksichtigung der latent vorhandenen systemischen Gefährdungen (E. 2.4) nicht länger an der Rechtsprechung festgehalten werden, wonach für die Anordnung einer Expertise eine blosse Mitteilung genügt (BGE 132 V 93; E. 3.4.1.1). Vielmehr ist die (bei fehlendem Konsens zu treffende) Anordnung, eine Expertise einzuholen, in die Form einer Verfügung zu kleiden (Art. 49 ATSG), welche dem Verfügungsbegriff gemäss Art. 5 VwVG entspricht (BGE 130 V 388 E. 2.3 S. 391).
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3.4.2.7 Da sie das Administrativverfahren nicht abschliesst, handelt es sich um eine Zwischenverfügung (Art. 55 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 und Art. 46 VwVG), welche bei Bejahung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils (Art. 46 Abs. 1 lit. a VwVG; BGE 132 V 93 E. 6.1 S. 106) entgegen BGE 132 V 93 E. 6.5 S. 108 unter Erhebung aller gesetzlich vorgesehen Rügen rechtlicher und tatsächlicher Natur angefochten werden kann. Für die Beurteilung des Merkmals des nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Kontext der Gutachtenanordnung ist an die oben (E. 3.4.2.2 ff.) vorgenommene verfassungsbezogene Auslegung der Garantien für das Abklärungsverfahren anzuknüpfen. Auch hier fällt ins Gewicht, dass das Sachverständigengutachten im Rechtsmittelverfahren mit Blick auf die fachfremde Materie faktisch nur beschränkt überprüfbar ist. Mithin kommt es entscheidend darauf an, dass qualitätsbezogene Rahmenbedingungen (beispielsweise hinsichtlich der gutachterlichen Fachkompetenz; LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 419) von Beginn weg durchgesetzt werden können (vgl. WIEDERKEHR, a.a.O., S. 395). Greifen die Mitwirkungsrechte erst nachträglich - bei der Beweiswürdigung im Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren (vgl. LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 437 oben) -, so kann hieraus ein nicht wieder gutzumachender Nachteil entstehen, zumal im Anfechtungsstreitverfahren kein Anspruch auf Einholung von Gerichtsgutachten besteht. Hinzu kommt, dass die mit medizinischen Untersuchungen einhergehenden Belastungen zuweilen einen erheblichen Eingriff in die physische oder psychische Integrität bedeuten. Aus diesen Gründen sowie angesichts der geschilderten Merkmale der Vergabepraxis besteht ein gesteigertes Bedürfnis nach gerichtlichem Rechtsschutz. Daher ist im Rahmen einer verfassungs- und konventionskonformen Auslegung die Eintretensvoraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils für das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren zu bejahen, zumal die nicht sachgerechte Begutachtung in der Regel einen rechtlichen und nicht nur einen tatsächlichen Nachteil bewirken wird (vgl. BGE 134 III 188 E. 2.1 und 2.2 S. 190 f.; BGE 133 IV 139 E. 4 und 335 E. 4 S. 338; BGE 130 II 149 E. 1.1 S. 153; Urteil 2C_86/2008 vom 23. April 2008 E. 3.2; vgl. UHLMANN/WÄLLE-BÄR, Praxiskommentar zum VwVG, N. 4 ff. zu Art. 46 VwVG; MARTIN KAYSER, Kommentar zum VwVG, N. 11 zu Art. 46 VwVG). Beschwerdeweise geltend gemacht werden können materielle Einwendungen beispielsweise des Inhalts, die in Aussicht genommene Begutachtung sei nicht notwendig, weil sie - mit Blick auf einen bereits umfassend abgeklärten Sachverhalt - bloss einer "second opinion" entspräche (noch anders: BGE 136 V 156; vgl. auch SVR 2007 UV Nr. 33 S. 111, U 571/06 E. 4.2). Nach wie vor gerügt werden können (personenbezogene) Ausstandsgründe. Nicht gehört werden kann indessen das Vorbringen, die Abgeltung der Gutachten aus Mitteln der Invalidenversicherung führe zu einer Befangenheit der MEDAS (vgl. oben E. 2.1-2.3).
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Ob die kantonalen Entscheide (bzw. jene des Bundesverwaltungsgerichts) über Beschwerden gegen Verfügungen der IV-Stellen betreffend Gutachtenseinholung ihrerseits mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 und 93 Abs. 1 lit. a BGG) an das Bundesgericht weiterziehbar sind, kann hier offenbleiben.
| 179 |
3.4.2.8 Was die Modalitäten anbelangt, erfolgt die Anordnung einer Expertise - soweit notwendig (vgl. oben E. 3.4.2.6) - unmittelbar in Verfügungsform. Wenn der Expertenauftrag an eine Gutachterstelle (wie eine MEDAS) geht und die Namen der einzelnen Sachverständigen noch nicht bekannt sind, muss deren Nennung nach wie vor nicht schon mit der Verfügung der Gutachtenanordnung erfolgen. Bei einer entsprechenden Staffelung ergeht jedes Mal eine Verfügung, wenn eine Festlegung getroffen wird, welche die Verfahrensrechte der versicherten Person zu berühren geeignet ist. Das Vorbescheidverfahren wird nicht durchgeführt (Art. 57a Abs. 1 IVG e contrario). Auch ist nicht (vorerst) das formlose Verfahren nach Art. 51 Abs. 1 ATSG einzuschlagen (vgl. auch Art. 74quater IVV). Eine solche Gliederung des Verfahrens würde keine Vereinfachung, sondern im Gegenteil die Ungewissheit mit sich bringen, innert welcher Frist die versicherte Person den Erlass einer Verfügung verlangen könnte (vgl. Art. 51 Abs. 2 ATSG). Da es um eine verfahrensleitende Verfügung geht, ist ausserhalb der Invalidenversicherung hiergegen keine Einsprache gegeben (Art. 52 Abs. 1 zweiter Satzteil ATSG).
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3.4.2.9 Sinngemäss aus den bisher dargelegten Gründen ist der versicherten Person - unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung (BGE 133 V 446; oben E. 3.4.1.5) - ein Anspruch einzuräumen, sich vorgängig zu den Gutachterfragen zu äussern (in diesem Sinne LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 432 f.; im Hinblick auf die Weiterverwendung der Expertise im Beschwerdeverfahren vgl. Urteil des EGMR Mantovanelli gegen Frankreich, Recueil CourEDH 1997-II § 32; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 179 zu Art. 6 EMRK). Mithin werden die IV-Stellen der versicherten Person künftig zusammen mit der verfügungsmässigen Anordnung der Begutachtung den vorgesehenen Katalog der Expertenfragen zur Stellungnahme unterbreiten. Führt die damit eröffnete Mitwirkungsmöglichkeit der betroffenen Person zu einer einzelfalladäquaten Fragestellung, so trägt dies im Übrigen zur gutachtlichen Qualität wesentlich bei (vgl. dazu JEGER, Gute Frage - schlechte Frage: Der Einfluss der Fragestellung auf das Gutachten, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2009, 2010, S. 171 ff.).
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182 | |
4.1 Administrativgutachten der MEDAS sind in einer Vielzahl von invalidenversicherungsrechtlichen Abklärungsverfahren massgebliche medizinische Entscheidungsgrundlage, und sie bleiben dies sehr oft für den gesamten Instanzenzug, woran eine sorgfältige, auch die gegenteilig lautenden medizinischen Unterlagen (Berichte der Hausärzte, behandelnden Spezialistinnen und Spezialisten, von der versicherten Person in Auftrag gegebene Privatgutachten, aus anderen sozial- oder zivilrechtlichen Verfahren beigezogene Expertisen) mitberücksichtigende Beweiswürdigung grundsätzlich nichts zu ändern vermag. Der Umstand, dass sich die gerichtliche Beurteilung auf die gesamte Aktenlage abstützt, erfüllt noch nicht die - alternativ zur Gewährleistung einer ausreichenden Unabhängigkeit des Administrativsachverständigen bestehende - Garantie, dass die versicherte Person unter Bedingungen der Waffengleichheit einen (im Wesentlichen gleich wie das Administrativgutachten behandelten) eigenen Sachverständigenbeweis vorbringen kann (dazu Urteile des EGMR Brandstetter gegen Österreich vom 28. August 1991, Serie A Bd. 211 § 45 und Bönisch gegen Österreich vom 6. Mai 1985, Serie A Bd. 92 §§ 31 ff.; GRABENWARTER, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 632 ff.).
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Die Gerichte weisen eine Sache oft an die IV-Stelle zur weiteren Abklärung respektive zur neuen - oder gegebenenfalls ergänzenden - Begutachtung zurück, wenn ihrer Auffassung nach auf eine MEDAS- Administrativexpertise nicht abgestellt werden kann. Eine Sichtung der im Rahmen der Instruktion dieses Verfahrens erhobenen Zusammensetzung der Auftraggeberschaften zeigt, dass in Rechtsstreitigkeiten um Leistungen der Invalidenversicherung nur in ausgesprochen wenigen Fällen ein Gerichtsgutachten eingeholt wird.
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4.2 Die vorstehend einlässlich begründete Rechtslage, wonach die schweizerische Ordnung des Abklärungsverfahrens grundsätzlich mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist, wenn die Gehörs- und Partizipationsrechte im Sinne der bisherigen Erwägungen verstärkt werden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bereits mehrfach angesprochene problematische Kombination von bestätigter wirtschaftlicher Abhängigkeit der Gutachterstellen und (wegen fehlender eigener Fachkenntnis) herabgesetzter Kontrollkapazität der rechtsanwendenden Behörden in Verbindung mit einer strukturell angelegten Ungleichverteilung der Einwirkungsmöglichkeiten die Fairness des Verfahrens gefährdet. Diese Feststellung weist an sich auf die Erforderlichkeit gerichtlicher Abklärungsmassnahmen hin. Jedoch entspricht die regelmässige Einholung medizinischer Gerichtsgutachten offensichtlich nicht dem für das Abklärungsverfahren der Invalidenversicherung gesetzlich vorgesehenen System der Verwaltungsrechtspflege schweizerischen Zuschnitts (E. 2.2.2). Eine regelmässige Einholung von Gerichtsgutachten ist auch nicht unbedingt erforderlich, um das Abklärungsverfahren verfassungs- und konventionskonform auszugestalten. Eine solche weitgehende Verlagerung der Expertentätigkeit von der administrativen auf die gerichtliche Ebene ist - von der staatspolitischen Tragweite einer solchen grundsätzlichen, dem Gesetzgeber vorbehaltenen Grundsatzentscheidung abgesehen (E. 2.2.2 in fine) - auch sachlich gar nicht wünschbar. Die Rechtsstaatlichkeit der Versicherungsdurchführung litte empfindlich und wäre von einem Substanzverlust bedroht, wenn die Verwaltung von vornherein darauf bauen könnte, dass ihre Arbeit ohnehin in jedem verfügungsweise abgeschlossenen Sozialversicherungsfall auf Beschwerde hin gleichsam gerichtlicher Nachbesserung unterläge (MEYER-BLASER, Einfluss der EMRK, a.a.O., S. 401). Im Rahmen der de lege lata gegebenen Organisation drängt es sich vielmehr auf, das drohende Defizit dort durch gerichtliche Expertisen auszugleichen, wo die Gerichte bei der Würdigung des Administrativgutachtens im Kontext der gesamten Aktenlage zum Schluss kommen, weitere Abklärungen seien notwendig.
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186 | |
187 | |
Im Vergleich mit den einschlägigen Rechtsordnungen anderer europäischer Länder zeigt sich, dass die gerichtliche Expertise vielerorts festen Bestandteil des Prozesses über Invalidenrentenansprüche bildet, freilich ohne dass deswegen gleich von einem gemeineuropäischen Rechtsstandard gesprochen werden könnte. Stets im Auge zu behalten ist, ob Regelungen anderer Rechtssysteme Ausfluss von Verfahrensgarantien sind oder eher bloss praktische Folge der jeweiligen Verfahrensorganisation. Das Spektrum der richterlichen Überprüfungsbefugnis reicht von einer Konstellation, in welcher die überprüfende Instanz lediglich feststellen kann, ob aus den vorliegenden Expertisen zutreffende Schlussfolgerungen gezogen wurden, bis hin zur Möglichkeit, die Feststellung der Invalidität völlig neu aufzurollen; alsdann wird die Rolle des Sachverständigen gegebenenfalls neu definiert (REINHARD/KRUSE/VON MAYDELL, Rechtsvergleich, a.a.O., S. 746). Den einschlägigen Ordnungen aller Nachbarländer gemeinsam ist, dass die Gerichte nicht befugt sind, eine Streitsache zwecks Einholung eines Sachverständigengutachtens (und zur neuen Entscheidung) an die Verwaltung zurückzuweisen.
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189 | |
Der Rechtsschutz in sozialversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten weist die Besonderheit auf, dass der Verwaltungsakt nicht durch eine Rechtsmittelinstanz auf seine Rechtmässigkeit hin überprüft wird. Der vom Sozialversicherungsträger erlassene Bescheid wird formell unverzüglich rechtskräftig, da gegen ihn kein Rechtsmittel gegeben ist. Die mit der Entscheidung unzufriedene Partei kann aber vor dem zuständigen Sozialgericht eine Klage auf die gewünschte Leistung einbringen. Nach Anhebung der Klage tritt die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers im Umfang des Klagbegehrens ausser Kraft (§ 71 Abs. 1 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes [ASGG]); es wird ein völlig neues Verfahren über den Anspruch eröffnet (sog. sukzessive Kompetenz; THEODOR TOMANDL, Grundriss des österreichischen Sozialrechts, 5. Aufl. 2002, S. 226 f.; ADAMOVICH/FUNK, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1984, S. 89). Der klageweise geltend gemachte Anspruch wird von Grund auf neu beurteilt. Dies schliesst auch die medizinischen Erhebungen ein (vgl. § 87 Abs. 1 ASGG). Soweit zur Beurteilung der Streitsache erforderlich, wird also schon systembedingt jedenfalls ein Gerichtsgutachten eingeholt (vgl. dazu NIEDERBERGER, Die Kritik aus Sicht des Versicherers, in: Möglichkeiten und Grenzen der medizinischen Begutachtung, Murer [Hrsg.], 2010, S. 140 f.). Das ASGG schreibt vor, dass zum Sachverständigen nicht bestellt werden darf, wer zum Beklagten in einem Arbeitsverhältnis steht oder von ihm in Leistungssachen häufig als Sachverständiger beschäftigt wird (§ 87 Abs. 5). Damit soll ein allfälliges subjektives Misstrauen von Versicherten gegen solche Sachverständige verhindert werden. Wird entgegen dieser Bestimmung eine Person zum Sachverständigen bestellt, so begründet dies keine Nichtigkeit, sondern einen Verfahrensmangel, der als Ablehnungsgrund vor Beginn der Beweisaufnahme geltend gemacht werden muss (FEITZINGER/TADES, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl. 1996, S. 143).
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191 | |
Wie in der Schweiz kann das Gericht grundsätzlich auf die medizinischen Abklärungen aus dem Verwaltungsverfahren abstellen, wenn die Beweisgrundlage umfassend und tragfähig ist; das Gericht ist nicht generell verpflichtet, zur Beurteilung der in diesen Gutachten behandelten medizinischen Fragen nochmals Beweis zu erheben (NIESEL, Der Sozialgerichtsprozess, 2. Aufl. 1991, S. 52 Rz. 128). Ist die rechtserhebliche Tatsache hingegen noch nicht geklärt, muss das Gericht nach dem Untersuchungsprinzip selber den Beweis aufnehmen. Die Auswahl des Sachverständigen ist (abweichend von der Regelung der ZPO) allein Sache des Gerichts. Das Gutachten unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 103 und 118 Sozialgerichtsgesetz [SGG]; GUDRUN DOERING-STRIENING, in: Prozesse in Sozialsachen, Berchtold/Richter [Hrsg.], 2009, S. 908; ERLENKÄMPER/FICHTE/FOCK, Sozialrecht, 5. Aufl. 2003, S. 870; BLEY, in: Gesamtkommentar Sozialversicherung, SGG, Baumeister und andere [Hrsg.], 1995, S. 1046 zu § 118 SGG). Ebenso wenig ist eine Rückweisung an die Sozialversicherungsverwaltung zulässig, wenn substantiierte Einwendungen gegen die Richtigkeit des im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachtens erhoben werden. Nach dem am 1. April 2008 in Kraft getretenen § 131 Abs. 5 SGG kann das Sozialgericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, den Verwaltungsakt aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Nicht als erheblich im Sinne dieser Bestimmung gilt die Einholung eines Sachverständigengutachtens; sie begründet daher keine Ausnahme vom Grundsatz, dass das Gericht selber eine Sachentscheidung treffen muss (NIEDERBERGER, a.a.O., S. 142 f. mit Hinweisen; MARTIN BOLAY, in: Handkommentar zum Sozialgerichtsgesetz, Lüdtke [Hrsg.], N. 31 zu § 131 SGG).
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193 | |
Auch der französische Code de la sécurité sociale geht davon aus, dass das Gericht selbst eine medizinische Begutachtung veranlasst, wenn sich im Verfahren eine "difficulté d'ordre médical" ergibt (Art. R. 142-24; FRANCIS KESSLER, a.a.O., S. 616).
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195 | |
Über Klagen im Zusammenhang mit der Gewährung monetärer Sozialleistungen sind nicht die Verwaltungs-, sondern die ordentlichen Gerichte zuständig. Sie entscheiden im besonderen Verfahren des Prozesses in Arbeits- und Sozialversicherungsangelegenheiten auf der Grundlage der Zivilprozessordnung (Codice di procedura civile, CPC). Im Beschwerdefall greift das Gericht - falls im Rahmen der Untersuchungsmaxime erforderlich - auf Gutachter (consulenti tecnici) zurück. Als Sachverständige können nur Personen aus den speziellen Sachverständigenverzeichnissen der Gerichte herangezogen werden. Die Parteien selbst können die Anhörung eines Sachverständigen nur anregen, nicht aus eigenem Recht durchsetzen. Nach der Regel des Art. 201 CPC muss das Gericht den Parteien jedoch die Möglichkeit geben, Parteisachverständige zur streitigen Diskussion der Darlegungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu benennen. Wenn das Gericht vom Sachverständigenurteil abweicht, führt dies zu einer erhöhten Begründungspflicht. Folgt der Richter dem Urteil des gerichtlich bestellten Sachverständigen, so braucht er seinen Dissens zu einem Parteisachverständigen nicht zu begründen, es sei denn bei detaillierter Kritik einer Partei am Gutachten des Gerichtssachverständigen. Die Kostenlosigkeit des Gerichtsverfahrens erstreckt sich rechtsprechungsgemäss auch auf die im Rahmen der richterlichen Aufklärung eingeholten Gutachten (HOHNERLEIN, a.a.O., S. 298 f.).
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Erwägung 4.4 | |
Erwägung 4.4.1 | |
4.4.1.1 Ist das Gutachten einer versicherungsinternen oder -externen Stelle nicht schlüssig und kann die offene Tatfrage nicht anhand anderer Beweismittel geklärt werden, so stellt sich das Problem, inwieweit die mit der Streitsache befasste Beschwerdeinstanz noch die Wahl haben soll zwischen einer Rückweisung der Sache an die Verwaltung, damit diese eine neue oder ergänzende Expertise veranlasse, und der Einholung eines Gerichtsgutachtens. Das Bundesgericht hat dazu jüngst festgehalten, die den kantonalen Gerichten zufallende Kompetenz zur vollen Tatsachenprüfung (Art. 61 lit. c ATSG) sei nötigenfalls durch Einholung gerichtlicher Expertisen auszuschöpfen (BGE 136 V 376 E. 4.2.3 S. 381). Dies schliesst ein, dass die erstinstanzlichen Gerichte diese Befugnis nicht ohne Not durch Rückweisung an die Verwaltung delegieren dürfen.
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4.4.1.2 Die Vorteile von Gerichtsgutachten (anstelle einer Rückweisung an die IV-Stelle) liegen in der Straffung des Gesamtverfahrens und in einer beschleunigten Rechtsgewährung. Die direkte Durchführung der Beweismassnahme durch die Beschwerdeinstanz mindert das Risiko von - für die öffentliche Hand und die versicherte Person - unzumutbaren multiplen Begutachtungen. Zwar gilt die Sozialversicherungsverwaltung mit Blick auf die differenzierten Aufgaben und die dementsprechend unterschiedliche funktionelle und instrumentelle Ausstattung der Behörden in der Instanzenabfolge im Vergleich mit der Justiz als regelmässig besser geeignet, Entscheidungsgrundlagen zu vervollständigen (BGE 131 V 407 E. 2.1.1 S. 411). In der hier massgebenden Verfahrenssituation schlägt diese Rechtfertigung für eine Rückweisung indessen nicht durch.
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4.4.1.3 Die Einschränkung der Befugnis der Sozialversicherungsgerichte, eine Streitsache zur neuen Begutachtung an die Verwaltung zurückzuweisen, verhält sich komplementär zu den (gemäss geänderter Rechtsprechung) bestehenden partizipativen Rechten der versicherten Person im Zusammenhang mit der Anordnung eines Administrativgutachtens (Art. 44 ATSG; vgl. oben E. 3.4). Letztere tragen zur prospektiven Chancengleichheit bei, derweil das Gebot, im Falle einer Beanstandung des Administrativgutachtens eine Gerichtsexpertise einzuholen, die Waffengleichheit im Prozess gewährleistet, wo dies nach der konkreten Beweislage angezeigt ist. Insoweit ist die ständige Rechtsprechung, wonach das (kantonale) Gericht prinzipiell die freie Wahl hat, bei festgestellter Abklärungsbedürftigkeit die Sache an den Versicherungsträger zurückzuweisen oder aber selber zur Herstellung der Spruchreife zu schreiten (vgl. statt vieler ARV 1997 S. 85, C 85/95 E. 5d mit Hinweisen; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 355/99 vom 11. April 2000 E. 3b), zu ändern.
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4.4.1.4 Freilich ist es weder unter praktischen noch rechtlichen Gesichtspunkten - und nicht einmal aus Sicht des Anliegens, die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Erhebung des medizinischen Sachverhalts fair zu verteilen - angebracht, in jedem Beschwerdefall auf der Grundlage eines Gerichtsgutachtens zu urteilen. Insbesondere ist der Umstand, dass die MEDAS von der Invalidenversicherung finanziert werden, kein genügendes Motiv dafür. Doch drängt sich auf, dass die Beschwerdeinstanz im Regelfall ein Gerichtsgutachten einholt, wenn sie einen (im Verwaltungsverfahren anderweitig erhobenen) medizinischen Sachverhalt überhaupt für gutachtlich abklärungsbedürftig hält oder wenn eine Administrativexpertise in einem rechtserheblichen Punkt nicht beweiskräftig ist (vgl. die Kritik an der bisherigen Rückweisungspraxis bei NIEDERBERGER, a.a.O., S. 144 ff.). Die betreffende Beweiserhebung erfolgt alsdann vor der - anschliessend reformatorisch entscheidenden - Beschwerdeinstanz selber statt über eine Rückweisung an die Verwaltung. Eine Rückweisung an die IV-Stelle bleibt hingegen möglich, wenn sie allein in der notwendigen Erhebung einer bisher vollständig ungeklärten Frage begründet ist. Ausserdem bleibt es dem kantonalen Gericht (unter dem Aspekt der Verfahrensgarantien) unbenommen, eine Sache zurückzuweisen, wenn lediglich eine Klarstellung, Präzisierung oder Ergänzung von gutachtlichen Ausführungen erforderlich ist (siehe beispielsweise das Urteil 9C_646/2010 vom 23. Februar 2011 E. 4; vgl. auch SVR 2010 IV Nr. 49 S. 151, 9C_85/2009 E. 3.5).
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Offenbleiben kann, ob eine, nach diesen Grundsätzen betrachtet, ungerechtfertigte Rückweisung an die Verwaltung zwecks Einholung eines Gutachtens einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken könnte (vgl. oben E. 3.4.2.7 sinngemäss).
| 201 |
4.4.1.5 Nach dem Gesagten besteht Anspruch auf ein Gerichtsgutachten, wenn die Abklärungsergebnisse aus dem Verwaltungsverfahren in rechtserheblichen Punkten nicht ausreichend beweiswertig sind. Die entstandene Beweislücke muss adäquat ausgefüllt werden. Konnte also auf ein (begründetermassen) interdisziplinäres Administrativgutachten nicht abgestellt werden, so ist in der Regel auch Interdisziplinarität des gerichtlichen Gutachtens erforderlich. Für solche Fälle stehen die achtzehn MEDAS als von den Gerichten zu beauftragende Sachverständige im Vordergrund, weil sie weitgehend den medizinischen Sachverstand repräsentieren, welcher zur interdisziplinären Begutachtung landesweit zur Verfügung steht. Sofern es einem Gericht im Einzelfall nicht aus sachlichen Gründen geboten erscheint, eine bestimmte Abklärungsstelle (MEDAS oder sonstige) mit der Begutachtung zu beauftragen, soll es die Stelle unter Berücksichtigung der aktuell vorhandenen Kapazitäten bezeichnen können. Zu prüfen wäre deshalb, inwieweit den Gerichten - etwa über die vom BSV in Aussicht gestellte IT-Plattform (oben E. 3.1.2) - Daten über die Auslastung der Begutachtungsstellen zur Verfügung gestellt werden sollten.
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4.4.2 Wo zur Durchführung der vom Gericht als notwendig erachteten Beweismassnahme an sich eine Rückweisung in Frage käme, eine solche indessen mit Blick auf die Wahrung der Verfahrensfairness entfällt, sind die Kosten der Begutachtung durch eine MEDAS den IV-Stellen aufzuerlegen und nach der (zu modifizierenden; E. 3.2) tarifvertraglichen Regelung zu berechnen. Die Vergütung der Kosten von MEDAS-Abklärungen als Gerichtsgutachten durch die IV-Stelle ist mit Art. 45 Abs. 1 ATSG durchaus vereinbar. Danach übernimmt der Versicherungsträger die Kosten der Abklärung, soweit er die Massnahmen angeordnet hat. Hat er keine Massnahmen angeordnet, so übernimmt er deren Kosten dennoch, wenn die Massnahmen für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich waren oder Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen bilden (vgl. auch Art. 78 Abs. 3 IVV).
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5. Die in E. 2 festgestellten Defizite können durch die dargestellten Korrektive insgesamt ausgeglichen werden; in dieser Sicht verstösst der Beizug von Administrativexpertisen der MEDAS und deren Verwendung auch im Beschwerdeverfahren nicht gegen die einschlägigen Verfahrensgarantien. Soweit diese justiziabel sind, wird das Verfahren in den betreffenden Punkten unmittelbar anzupassen sein. Weitere Vorkehren (E. 3.1, 3.2 und 3.3) liegen in der Gestaltungsmacht des Verordnungsgebers und der Aufsichtsbehörde. Insofern handelt es sich vorliegend um einen sogenannten Appellentscheid (vgl. BGE 136 II 120 E. 3.5.3 S. 131). Nur wenn die zuständigen Behörden die betreffenden Fragen nicht binnen angemessener Zeit prüfen sollten, könnte das Bundesgericht im Rahmen von Art. 190 BV gestützt auf die einschlägigen verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien gehalten sein, im Einzelfall weitergehende verbindliche Korrekturen vorzunehmen.
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205 | |
206 | |
6.1.1 Diese habe sie - wegen vermeintlich unpünktlichen Erscheinens - "lauthals zusammengestaucht"; in der Folge sei die gesamte Exploration in dieser Art verlaufen. Die Sachverständige sei damit voreingenommen und die von ihr abgegebene Teilexpertise unverwertbar. Die Vorinstanz hält entgegen, diese Rüge hätte nicht erst im kantonalen Beschwerdeverfahren, sondern schon im Vorbescheidverfahren vorgebracht werden müssen, weshalb sie nicht zu hören sei. Tatsächlich müssen Ausstands- oder Ablehnungsgründe nach wie vor so früh wie möglich geltend gemacht werden. Es verstösst gegen Treu und Glauben, Einwendungen dieser Art erst im Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn dies schon vorher möglich und zumutbar gewesen wäre. Wird die sachverständige Person nicht unverzüglich als befangen abgelehnt, wenn die betroffene Person vom Ablehnungsgrund Kenntnis erhält, verwirkt sie den Anspruch auf spätere Anrufung der Verfahrensgarantie (BGE 132 V 93 E. 7.4.2 S. 112; LEUZINGER-NAEF, a.a.O., S. 433). Das Argument der Beschwerdeführerin, die Rüge wäre im Vorbescheidverfahren "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (...) nicht zugelassen worden", hält der Anforderung einer frühzeitigen Geltendmachung nicht stand. Massgebend für die Rechtzeitigkeit eines Befangenheitseinwands sind nicht dessen praktische Erfolgsaussichten in einem bestimmten Verfahrensstadium. Grundsätzlich müssen Ausstands- oder Ablehnungsgründe in die Entscheidungsfindung einfliessen, sobald sie der betroffenen Person bekannt werden. Dieses Erfordernis folgt nicht nur aus dem schon erwähnten Gebot treumässigen Verhaltens im Verwaltungs- und Verwaltungsjustizverfahren; es liegt auch im Interesse der Verfahrenseffizienz.
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6.1.2 Eine andere Frage ist, ob am Grundsatz unter allen Umständen festzuhalten ist, wenn sich die Ernsthaftigkeit des Ausstandsbegehrens in anderer Weise zeitgerecht manifestiert hat. Der behandelnde Psychiater Dr. S. gelangte umgehend nach der Untersuchung in der MEDAS, noch vor Ausfertigung des Gutachtens, schriftlich an die Konsiliarexpertin, um deren Verhalten seiner Patientin gegenüber zu rügen (Schreiben vom 25. Juni 2008); aus der von Dr. S. erstellten Krankengeschichte ergibt sich sodann, die betreffende Sachverständige habe diesbezüglich "kein Gehör und Gespür", das Gespräch sei insgesamt unerfreulich verlaufen (Eintrag vom 9. Juli 2008). Ob auch unter diesen Umständen von einer Verwirkung der formellen Einwendung ausgegangen werden darf, kann einmal deswegen offenbleiben, weil die Vorinstanz aus anderen Gründen ohnehin eine neue interdisziplinäre Begutachtung veranlassen wird (nachfolgend E. 6.2). Die besonderen Begleitumstände der (psychiatrischen) Begutachtung schlagen überdies direkt auf den Beweiswert der Expertise durch. Gemäss den Leitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie (SGVP) für die Begutachtung psychischer Störungen (in: Schweizerische Ärztezeitung [SAeZ] 2004 S. 1048 ff.), welche den fachlich anerkannten Standard einer sachgerechten und rechtsgleichen psychiatrischen Begutachtungspraxis in der Sozialversicherung wiedergeben (Urteil I 142/07 vom 20. November 2007 E. 3.2.4; ferner - statt vieler - Urteile 8C_424/2010vom 19. Juli 2010 E. 3.2.1; 9C_233/2009 vom 6. Mai 2009 E. 2.3.2; 8C_694/2008 vom 5. März 2009 E. 5.3 und I 1094/06 vom 14. November 2007 E. 3.1.1), stellt jede Begutachtung, trotz allen Bemühens um Objektivität und Neutralität, einen Eingriff in das Krankheitsgeschehen dar. Daraus folgt, dass der Gutachter die emotionale Wechselwirkung zwischen dem Exploranden und sich selbst, die Motivation des Exploranden sowie die Aspekte der Abwehr, Übertragung und Gegenübertragung reflektieren muss (Ziff. III/2). Eine Begutachtung, welche interpersonellen Prozessen nicht Rechnung trägt, kann nicht als lege artis anerkannt werden. Angesichts des konfliktbeladenen Einstiegs in die Exploration ist auszuschliessen, dass das betreffende Erfordernis vorliegend erfüllt ist.
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Die Schlussfolgerungen im Gutachten der Klinik S. werden durch den Bericht des Psychiaters Dr. S. vom 4. September 2003 gestützt. Dieser Arzt empfahl eine "baldige Reintegration am Arbeitsplatz mit steigender zeitlicher Belastung" und warnte damit implizit bereits zu einem frühen Zeitpunkt vor den gesundheitlichen Implikationen einer arbeitsmarktlichen Desintegration. Ungeachtet dessen hat die IV-Stelle zwischen Anmeldung und erstmaliger Begutachtung lange Zeit keine Eingliederungsmassnahmen (nach damaligem Recht) ergriffen.
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6.2.3 Weiter kann nicht gesagt werden, der Expertise der Klinik S. liege nicht die nötige Fachkunde zugrunde. In ihrer Stellungnahme vom 18. April 2007 begegneten Prof. A. und Prof. O. der im RAD-Bericht vom 14. März 2007 erhobenen Kritik am Gutachten der Klinik S. vom 9. Januar 2007, wonach die Beurteilung psychogener Beschwerden nicht in das Fachgebiet eines Neurologen gehöre, zu Recht mit dem Hinweis, die Beurteilung beruhe auf dem Konsens der beteiligten Experten im Rahmen der interdisziplinären Begutachtung. Hinzu kommt, dass es nicht in jedem Fall überhaupt wünschbar ist, fachübergreifende Stellungnahmen eines einer anderen Disziplin zugehörigen Arztes zu vermeiden; so wird etwa dem Rheumatologen auch in Bezug auf psychosomatische Beschwerden eine beschränkte Beurteilungskompetenz zugebilligt (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 704/03 vom 28. Dezember 2004 E. 4.1.1; vgl. auch Urteil 9C_621/2010 vom 22. Dezember 2010 E. 2.2.2).
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