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44. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle Bern gegen C. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_395/2011 vom 31. Oktober 2011 | |
Regeste |
Art. 42 IVG und Art. 36 ff. IVV; Art. 42ter IVG und Art. 37 Abs. 4 IVV; Art. 17 Abs. 2 ATSG; Art. 88bis Abs. 2 IVV; Prüfung des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung bei Vollendung des 18. Altersjahres. | |
Sachverhalt | |
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B. In Gutheissung der Beschwerde von C. hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 30. März 2011 die Verfügungen vom 16. Dezember 2010 und 25. Januar 2011 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie nach Vornahme der Abklärungen im Sinne der Erwägungen neu verfüge.
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C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 30. März 2011 sei insofern aufzuheben, als er in verbindlicher Weise festhalte, bei der (neuen) Festlegung der Hilflosenentschädigung dürfe die ![]() | 3 |
C. macht auf den Revisionsvermerk in der Verfügung vom 30. September 2008 sowie im Fragebogen vom 28. Juni 2010 aufmerksam und sieht sonst von einer Vernehmlassung ab. Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt die Gutheissung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen:
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2.2 Die Vorinstanz hat die in Bezug auf den Umfang des Anspruchs (Grad der Hilflosigkeit) angefochtene Verfügung vom 16. Dezember 2010 (und diejenige vom 25. Januar 2011) unter revisionsrechtlichem Gesichtspunkt und bezogen auf die für Volljährige geltende gesetzliche Regelung geprüft (Art. 17 Abs. 2 ATSG [SR 830.1]). Nach dieser Bestimmung, welche auch auf Hilflosenentschädigungen der Invalidenversicherung anwendbar ist (Art. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 IVG; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 39 ff. zu Art. 17 ATSG) wird jede andere [als eine Invalidenrente] formell rechtskräftig zugesprochene Dauerleistung von Amtes wegen oder auf Gesuch hin erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben, wenn sich der ihr zu Grunde liegende Sachverhalt nachträglich erheblich verändert hat. Die Vorinstanz ist zum insoweit unbestrittenen Ergebnis gelangt, der Versicherte sei weiterhin in drei der sechs massgebenden Lebensverrichtungen (Ankleiden/Auskleiden, Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen, Körperpflege, Verrichten der Notdurft, Fortbewegung [im oder ausser Haus]/Kontaktaufnahme; vgl. Urteil 9C_839/2009 vom 4. Juni 2010 E. 3.1 mit Hinweisen) in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen. In Bezug auf die Lebensverrichtungen Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen und Verrichten der Notdurft sei jedoch eine relevante Verbesserung seit der letzten Anspruchsprüfung eingetreten. Ein Revisionsgrund sei somit gegeben, wobei ein solcher auch darin zu erblicken sei, dass der Versicherte in der Zwischenzeit volljährig geworden sei, womit die Voraussetzungen der ![]() | 10 |
Erwägung 3 | |
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Gemäss Art. 88bis Abs. 2 IVV erfolgt die Herabsetzung oder Aufhebung der Hilflosenentschädigungen (im Rahmen einer Revision nach Art. 17 Abs. 2 ATSG) frühestens vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an (lit. a), oder rückwirkend vom Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung, wenn die unrichtige Ausrichtung einer Leistung darauf zurückzuführen ist, dass der Bezüger sie unrechtmässig erwirkt hat oder der ihm gemäss Artikel 77 zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist (lit. b).
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E. 2.3.1 Vor Inkrafttreten der 4. IV-Revision am 1. Januar 2004 wurde hilflosen Minderjährigen, die das zweite Altersjahr zurückgelegt hatten und sich nicht zur Durchführung von Massnahmen gemäss Artikel 12, 13, 16, 19 oder 21 in einer Anstalt aufhielten, ein Pflegebeitrag gewährt (Art. 20 Abs. 1 Satz 1 IVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2003). Nach der Rechtsprechung war der Begriff der Hilflosigkeit bei Minderjährigen im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich der gleiche wie bei Erwachsenen gemäss aArt. 42 Abs. 2 IVG (BGE 113 V 17 E. 1a S. 18; BGE 111 V 205 E. 1a S. 206 mit Hinweis). Dies schloss indessen die Berücksichtigung besonderer Umstände, wie sie bei Kindern und Jugendlichen vorliegen können, nicht aus (BGE 113 V 17 E. 1a S. 19). Demnach konnten bei der Bemessung der Hilflosigkeit Minderjähriger Gesichtspunkte ins Gewicht fallen, die bei Erwachsenen nicht mehr berücksichtigt werden durften (ZAK 1990 S. 44, I 513/87 E. 3). (...). Das Eidg. Versicherungsgericht entschied daher, dass beim altersbedingten Übergang vom Anspruch auf Pflegebeiträge zu demjenigen auf eine Hilflosenentschädigung das Vorliegen der Revisionsvoraussetzungen im Sinne von Art. 41 IVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002, für die Annahme eines geringeren oder höheren Hilflosigkeitsgrades nicht erforderlich sei (ZAK 1990 S. 44).
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E. 2.3.2 Mit der 4. IV-Revision wurde der Pflegebeitrag für hilflose Minderjährige abgeschafft. Auch diese Versicherten sollten bei gegebenen Voraussetzungen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung haben wie Erwachsene. Neu (...) kann die gesundheitlich bedingte ![]() | 17 |
Im Urteil 8C_310/2009 vom 24. August 2009 E. 2.3 erachtete das Bundesgericht das Vorgehen einer IV-Stelle, welche den Anspruch einer minderjährigen Versicherten auf Hilflosenentschädigung nur bis zur Vollendung des 18. Altersjahres festgesetzt bzw. revisionsweise bestätigt hatte, als rechtens. Zur Begründung führte es an, beim altersbedingten Übergang vom Anspruch auf Pflegebeiträge für hilflose Minderjährige nach aArt. 20 IVG zu demjenigen auf eine Hilflosenentschädigung gemäss Art. 42 IVG sei das Vorliegen eines Revisionsgrundes für die Anpassung des Hilflosigkeitsgrades nicht erforderlich gewesen. Auch nach Aufhebung von aArt. 20 IVG und Integration der Regelung des Anspruchs Minderjähriger in die Bestimmungen über die Hilflosenentschädigung im Rahmen der 4. IV-Revision bestehe immer noch eine ganze Reihe von besonderen Regelungen für Minderjährige (Art. 42bis und 42ter IVG; Art. 35bis, 36, 37 Abs. 4, 38 und 39 IVV).
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3.3.3 Das Gesetz unterscheidet bei der Hilflosenentschädigung weder in Bezug auf den Anspruch als solchen (Art. 42 IVG) noch hinsichtlich der Bemessung der Hilflosigkeit (Art. 37 IVV) grundsätzlich danach, ob die versicherte Person (mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt [Art. 13 ATSG] in der Schweiz; Art. 42 Abs. 1 IVG) minderjährig oder volljährig ist. Dies spricht dagegen, das Erreichen des Mündigkeitsalters 18 (Art. 14 ZGB) als Eintritt eines neuen Versicherungsfalles zu betrachten mit der Folge, dass der Anspruch frei und umfassend materiell zu prüfen und die Hilflosenentschädigung ![]() | 19 |
3.3.3.1 Wie die Aufsichtsbehörde insoweit richtig vorbringt, können nach Art. 42ter Abs. 2 und 3 IVG lediglich minderjährige Versicherte Anspruch auf einen Kostgeldbeitrag (Art. 36 IVV) und/oder einen Intensivpflegezuschlag (Art. 39 IVV) haben. Diese Leistungen fallen mit Vollendung des 18. Altersjahres weg. Sodann berechnet sich gemäss Art. 42ter Abs. 1 IVG die Hilflosenentschädigung bei Minderjährigen pro Tag, während die Entschädigung bei Volljährigen als monatliche Pauschale ausgerichtet wird. Diese Unterschiede wirken sich zwar auf die Höhe der Leistungen aus, betreffen aber nicht den Grad der Hilflosigkeit, auf den es im Kontext entscheidend ankommt. Sie bilden daher für sich allein genommen keinen hinreichenden Grund für eine materielle Prüfung des Anspruchs im Zeitpunkt der Vollendung des 18. Altersjahres auch bei Fehlen der Voraussetzungen für eine Revision nach Art. 17 Abs. 2 ATSG.
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3.3.3.2 Weiter wird in Art. 37 Abs. 1 bis 3 IVV umschrieben, was unter schwerer, mittelschwerer und leichter Hilflosigkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 2 IVG zu verstehen ist. Art. 37 Abs. 4 IVV bestimmt Folgendes: "Bei Minderjährigen ist nur der Mehrbedarf an Hilfeleistung und persönlicher Überwachung im Vergleich zu nicht behinderten Minderjährigen gleichen Alters zu berücksichtigen." Auch diese Sonderregelung stellt keinen sachlichen Grund dar, bei Erreichen des Mündigkeitsalters den Anspruch auf Hilflosenentschädigung ohne Vorliegen einer relevanten Änderung der Verhältnisse im Sinne von Art. 17 Abs. 2 ATSG materiell zu prüfen: Art. 37 Abs. 4 IVV entspricht der bis zum Inkrafttreten der 4. IV-Revision am 1. Januar 2004 gültig gewesenen Rechtsprechung. Danach war der Begriff der Hilflosigkeit bei Minderjährigen im Sinne von aArt. 20 Abs. 1 Satz 1 IVG grundsätzlich der gleiche wie bei Erwachsenen gemäss aArt. 42 Abs. 2 IVG (BGE 113 V 17 E. 1a S. 18; BGE 111 V 205 E. 1a S. 206 mit Hinweis). Dies schloss indessen die Berücksichtigung besonderer Umstände, wie sie speziell bei Kindern und ![]() | 21 |
3.3.3.3 Nach Art. 42bis Abs. 5 IVG haben Minderjährige - im Unterschied zu Volljährigen (Art. 42 Abs. 3 Satz 3 IVG und Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV) - keinen Anspruch auf Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit leichten Grades, wenn sie lediglich auf lebenspraktische Begleitung angewiesen sind. Die Notwendigkeit lebenspraktischer Begleitung kann nur, aber immerhin, wie auch bei volljährigen Versicherten, den Grad der Hilflosigkeit und damit den Umfang des Anspruchs erhöhen. Gemäss Art. 37 Abs. 2 lit. c IVV gilt eine versicherte Person, die trotz der Abgabe von Hilfsmitteln in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter und überdies dauernd auf lebenspraktische Begleitung im Sinne von Artikel 38 angewiesen ist, als mittelschwer hilflos. Diese Regelung ist grundsätzlich sofort mit Wirkung ab dem der Vollendung des 18. Altersjahres folgenden ![]() | 22 |
3.3.3.4 Schliesslich ist nicht ersichtlich, dass zwangsläufig von zwei unterschiedlichen Versicherungsfällen auszugehen ist. Der Umstand jedenfalls, wonach gemäss Rz. 8001 KSIH die Nichterfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung für Minderjährige den Anspruch auf diese Leistung beim Erreichen der Volljährigkeit nicht ausschliesst, rechtfertigt die Annahme zweier Versicherungsfälle nicht.
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3.4 Nach dem Gesagten ist das Erreichen des Mündigkeitsalters 18 nicht als Eintritt eines neuen Versicherungsfalles zu betrachten. Der Anspruch auf Hilflosenentschädigung Minderjähriger kann somit mit der Volljährigkeit nicht frei und umfassend, sondern lediglich unter revisionsrechtlichem Blickwinkel geprüft werden. Demzufolge bestimmt sich der Zeitpunkt einer allfälligen Herabsetzung oder Aufhebung der Hilflosenentschädigung nach Art. 88bis Abs. 2 IVV (Zustimmung der I. sozialrechtlichen Abteilung im Verfahren nach Art. 23 BGG), wie die Vorinstanz richtig erkannt hat.
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