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26. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Helsana Versicherungen AG gegen H. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_658/2011 vom 12. April 2012 | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (gültig gewesen bis 31. März 2012). | |
Sachverhalt | |
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B. H. liess hiegegen Beschwerde erheben, welche das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 12. Juli 2011 guthiess; es hob den Einspracheentscheid vom 30. Mai 2008 auf und wies die Sache an die Helsana zurück zur Behandlung des Aufnahmegesuches im Sinne der Erwägungen.
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C. Die Helsana führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie die Einladung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zur Vernehmlassung.
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H. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei; der Antrag auf Einladung des BSV zur Vernehmlassung sei abzuweisen und es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Mit Verfügung vom 11. November 2011 weist das Bundesgericht das Gesuch um Nichteinladung des BSV zur Vernehmlassung ab und setzt diesem gleichzeitig Frist zur Einreichung einer solchen an. Die Vernehmlassung des Bundesamtes, mit welcher die Gutheissung der Beschwerde beantragt wird, geht am 19. Dezember 2011 beim Bundesgericht ein. Die Beschwerdegegnerin nimmt hiezu am 2. Februar 2012 Stellung.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägung 2 | |
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2.3 Rentnerinnen und Rentner, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zum Bezug einer Rente berechtigt sind, fallen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit auch dann unter die Bestimmungen der Verordnung 1408/71 über die Arbeitnehmer, wenn sie keine Erwerbstätigkeit ausüben, soweit auf sie keine besonderen Bestimmungen anzuwenden sind (Urteil des EuGH vom 30. Juni 2011 C-388/09 da Silva Martins, Randnr. 37). Art. 28 Verordnung 1408/71 regelt den Rentenanspruch auf Grund der Rechtsvorschriften eines einzigen oder mehrerer Staaten, falls ein Anspruch auf Leistungen im Wohnland nicht besteht und bestimmt (u.a.), dass ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften von zwei Mitgliedstaaten zum Bezug von Renten berechtigt ist ("Doppelrentner") und der keinen Anspruch auf ![]() | 9 |
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Erwägung 3 | |
3.1 Das kantonale Gericht erwog unter Bezugnahme auf die Lehrmeinung von MAXIMILIAN FUCHS (Europäisches Sozialrecht, 3. Aufl. 2005), die Hilfe in besonderen Lebenslagen und damit namentlich auch die Krankenhilfe sei eine nach Art. 4 Abs. 4 Verordnung 1408/71 vom Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 ausgeschlossene Leistung der Sozialhilfe. Die formale Gleichheit und Zweckrichtung im Hinblick auf bestimmte Risiken mache die Sozialhilfeleistung noch nicht zu einer solchen der sozialen Sicherheit. Die der vorinstanzlichen Beschwerdeführerin nach deutschem Recht gewährten Leistungen fielen, da sozialhilferechtlich ausgestaltet, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 4 Verordnung 1408/71. Zudem stehe - gemäss rechtskräftig gewordenem Widerspruchsentscheid ![]() | 11 |
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4.1 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Unterscheidung zwischen Sozialhilfe und Leistungen der sozialen Sicherheit von verschiedenen Kriterien ab. Grundsätzlich wird die Sozialhilfe einschränkend interpretiert, während der sozialen Sicherheit "der weitestmögliche Anwendungsbereich" einzuräumen ist (SCHRAMMEL/WINKLER, Europäisches Sozialrecht, 2010, S. 246 f.). Diese Absicht wurde unterstrichen, als im Jahre 1992 mit Art. 4 Abs. 2a Verordnung 1408/71 deren Anwendungsbereich auf sog. beitragsunabhängige Sonderleistungen und damit auf Leistungen ausgedehnt wurde, die sowohl Elemente der Sozialhilfe wie auch der sozialen Sicherheit enthalten ("Mischleistungen"). Seither können namentlich auch solche Leistungen in den Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 fallen, die einem der in Art. 4 Abs. 1 Verordnung 1408/71 aufgeführten Zweige der sozialen Sicherheit entsprechen, indes bis dahin, etwa wegen ihrer Einkommensabhängigkeit, als Leistungen der Sozialhilfe von der Verordnung 1408/71 ausgenommen waren (Urteile des EuGH vom 8. März 2001 C-215/99 Jauch, Slg. 2001 I-1901, sowie vom 2. August 1993 C-66/92 Acciardi, Slg. 1993 I-4567; SILVIA BUCHER, Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen und soziale Vergünstigungen, 2000, S. 46 Rz. 102). Entscheidend für die Zuordnung zur sozialen Sicherheit oder zur Sozialhilfe sind insbesondere die Zielsetzungen und die Voraussetzungen der Leistungsgewährung; nicht ins Gewicht fällt dagegen die Qualifikation im nationalen Recht (z.B. Urteil des EuGH vom 5. März 1998 C-160/96 Molenaar, Slg. 1998 I-843; SCHRAMMEL/WINKLER, a.a.O., S. 246; JÜRGEN BESCHORNER, Die beitragsunabhängigen Geldleistungen i.S. von Art. 4 Abs. 2a VO [EWG] Nr. 1408/71 in der Rechtsprechung desEuGH, ZESAR 2009 S. 323). So entschied der EuGH beispielsweise im Urteil vom 21. Februar 2006 C-286/03 Hosse, Slg. 2006 I-1771 Randnr. 38, dass Leistungen, die objektiv aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestandes gewährt werden und die darauf abzielen, den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern, im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung bezwecken und damit als "Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a Verordnung 1408/71 zu betrachten sind. Mit Urteil vom 20. Juni 1991 C-356/89 Newton, Slg. 1991 I-3017, entschied der EuGH, eine Beihilfe für Behinderte falle in den Bereich der sozialen Sicherheit und sei damit vom Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 grundsätzlich ![]() | 14 |
4.2 Die gestützt auf SGB XII gewährten Leistungen bei Krankheit unterscheiden sich inhaltlich nicht von den Ansprüchen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Nicht nur sind es die (gesetzlichen) Krankenversicherungen, welche die Krankenbehandlung von Sozialhilfeempfängern erbringen (und zwar aufgrund eines gesetzlichen Auftrages im Sinne von § 93 des Zehnten Buches des deutschen Sozialgesetzbuches [SGB X]; Urteil des BSG vom 17. Juni 2008, B1 KR 30/07R, Randnr. 15 m.w.H.; § 52 SGB XII). Auch leistungsrechtlich besteht Gleichheit: § 264 SGB V überträgt den Krankenkassen in Abstimmung mit dem SGB XII die grundsätzlich den Sozialhilfeträgern obliegende Aufgabe zur Gewährung der den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechenden Leistungen (BSG, a.a.O., Randnr. 13). Die Hilfeempfänger haben Anrecht auf die Ausstellung einer Krankenversicherungskarte nach § 261 SGB V (GRUBE/WAHRENDORF, SGB XII, Sozialhilfe, Kommentar, 2005, N. 20 zu § 48). Nach der Rechtsprechung des BSG bleibt die Hilfe bei Krankheit gleichwohl "dem Grunde nach" eine Aufgabe der Sozialhilfe und die Sozialhilfebezüger gelten nicht als gesetzlich versichert (BSG, a.a.O., Randnr. 12). Hintergrund dieser Rechtslage ist, dass eine Gleichstellung von Empfängern laufender Hilfe zum Lebensunterhalt und von Hilfen in besonderen Lebenslagen zunächst wegen politischer Uneinigkeit über angemessene Beitragszahlungen nicht verwirklicht werden konnte und dass mit der Neuregelung von ![]() | 15 |
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4.4 Die Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII umfasst nach den bisherigen Ausführungen sowohl Wesensmerkmale der sozialen Sicherheit (sie betrifft das Risiko Krankheit; leistungsmässig besteht Gleichheit mit der gesetzlichen Krankenversicherung) als auch ![]() | 17 |
4.5 Die konkreten Konsequenzen einerseits und der materielle Charakter der Leistung anderseits sind auch bei der Beurteilung der der Beschwerdegegnerin zugesprochenen Hilfe bei Krankheit zu berücksichtigen. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die Bedürftigkeit zwar zweifellos anspruchsbegründendes Element für den Leistungsbezug in der Sozialhilfe ist (E. 4.3 hievor), dass sich indes die aufgrund von § 48 SGB XII zugesprochenen Leistungen nach dem gesetzlichen Krankenversicherungsrecht richten (E. 4.2 hievor). Sie werden demzufolge aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung und unter objektiven, rechtlich festgelegten Voraussetzungen gewährt. Der Rechtsumstand, dass die Leistungen bei Krankheit von Personen, welche bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG; BGBl I 2003, S. 2190) am 1. Januar 2004 Sozialhilfe bezogen und die daher von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen blieben, durch den Sozialhilfeträger finanziert werden (zu den Gründen E. 4.2 hievor), rechtfertigt es nicht, diese Leistungen als Sozialhilfe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Verordnung 1408/71 zu qualifizieren und ihnen demzufolge den Charakter als Leistungen bei Krankheit nach Art. 28 Abs. 1 Verordnung 1408/71 abzusprechen. ![]() | 18 |
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