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31. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_728/2011 vom 26. April 2012 | |
Regeste |
Art. 14e der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versicherte Personen. | |
Sachverhalt | |
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde des H. wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. August 2011 ab.
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C. H. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sowie der beiden Nachtragsverfügungen betreffend die Jahre 2005 und 2006 und des Einspracheentscheids vom 14. Dezember 2010 sei sein Verdienst in Deutschland nicht in die Beitragsrechnung miteinzubeziehen.
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Vorinstanz, IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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2.2 Die Vorinstanz bestätigte die Auffassung der Ausgleichskasse, wonach Art. 14e der bis 31. März 2012 gültig gewesenen Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (SR 0.831.109.268.1; ![]() | 7 |
2.3 Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, als ehemaliger Bürgermeister von X. habe er den deutschen Beamtenstatus zeitlebens inne, unabhängig davon, ob er noch eine aktive Tätigkeit ausübe oder im (Beamten-)Ruhestand sei. Er unterliege dem Recht des Mitgliedstaates, in dem er als Beamter versichert sei, weshalb sein in Deutschland erzieltes Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit in Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 14e der Verordnung 1408/71 für die Bemessung der AHV-Beiträge unberücksichtigt bleiben müsse. Dass er in Deutschland gemäss Beamtenrecht keine Beiträge zu bezahlen habe, dürfe nicht ins Gewicht fallen. Vielmehr sei bei Beamten eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, zumal die deutsche Versorgungsanstalt statt einer ![]() | 8 |
Erwägung 3 | |
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3.2 Zunächst scheint es - entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers - zumindest nicht einem unangefochtenen Prinzip des deutschen Rechts zu entsprechen, dass deutsche Beamte bis zum Erreichen des Pensionsalters generell keine Beiträge in die deutsche Rentenversicherung zu bezahlen haben, auch nicht für die nach dem Ausscheiden aus dem Amt erzielten Einkommen aus selbstständiger oder unselbstständiger Erwerbstätigkeit. Gemäss einem Urteil des deutschen Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. September 1980 (12 RK 41/79) entspricht es der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des BSG, dass sich die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit von Beamten nicht auf Beschäftigungsverhältnisse erstrecken, die der Beamte neben seinem Dienstverhältnis unterhält. Gemäss § 5 Abs. 1 des Sechsten Buches des deutschen Sozialgesetzbuches betreffend die gesetzliche Rentenversicherung ![]() | 10 |
Erwägung 4 | |
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4.2 Nach Art. 8 und Anhang II FZA in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 lit. b der Verordnung 1408/71 unterliegen Personen, die eine selbstständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Vertragsstaaten ausüben, den Rechtsvorschriften desjenigen Vertragsstaates, in dem sie wohnen, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil in diesem Gebiet ausüben (Art. 14a Abs. 2 der Verordnung 1408/71). Diese Regelung bezweckt, dass ein und dieselbe Person für einen ![]() | 12 |
4.3 Gemäss Art. 4 Abs. 4 der Verordnung 1408/71 in der bis 24. Oktober 1998 gültig gewesenen Fassung waren die mitgliedstaatlichen Sondersysteme für Beamte vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, weil sie als zu unterschiedlich angesehen wurden, um gemeinschaftsweit koordiniert zu werden (vgl. STÜRMER/BILLER, Die Einbeziehung der Beamten in den Anwendungsbereich der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71, DÖD, Der Öffentliche Dienst,[deutsche] Fachzeitschrift für Angehörige des öffentlichen Dienstes, 2001 S. 105). In der Lehre kamen indes Zweifel auf an der Vereinbarkeit der fehlenden freizügigkeitsspezifischen Koordinierung im Bereich der Sondersysteme für Beamte mit dem Freizügigkeitsrecht (STÜRMER/BILLER, a.a.O., mit weiteren Hinweisen). Der Europäische Gerichtshof (EuGH), welcher sich im Urteil vom 22. November 1995 C-443/93 Vougioukas, Slg. 1995 I-4052, mit einem griechischen Arzt zu befassen hatte, der einen Rentenanspruch aus einem griechischen Sondersystem für Beamte unter Einbezug seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland geltend machte, erteilte daraufhin dem Gemeinschaftsgesetzgeber den Auftrag, "eine Koordinierung auch für Sondersysteme in Angriff zu nehmen" (HAVERKATE/HUSTER, Europäisches Sozialrecht, 1999, Rz. 121). Die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 vom 29. Juni 1998, ABl. L 209 vom 25. Juli 1998 S. 1, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (in der Fassung von Anhang II zum Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ![]() | 13 |
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"Eine Person, die eine selbstständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaates ausübt. Übt sie keine Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats aus, in dem sie wohnt, so unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie ihre Haupttätigkeit ausübt. Die Kriterien zur Bestimmung der Haupttätigkeit sind in der in Artikel 98 vorgesehenen Verordnung festgelegt."
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Art. 14d Abs. 1 der Verordnung 1408/71 bestimmt, dass eine Person, für die u.a. der soeben angeführte Art. 14a Abs. 2 der Verordnung 1408/71 gilt, so behandelt wird, als ob sie ihre gesamte Erwerbstätigkeit oder ihre gesamten Erwerbstätigkeiten im Gebiet des ![]() | 16 |
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"Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die im Rahmen eines Sondersystems für Beamte in einem Mitgliedstaat versichert sind und gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat oder mehreren anderen Mitgliedstaaten eine abhängige Beschäftigung und/oder selbstständige Tätigkeit ausüben, unterliegen den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem sie im Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert sind."
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Erwägung 5 | |
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5.2 Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer, soweit er vorbringt, die Vorinstanz habe verkannt, dass die (deutsche) Beamteneigenschaft lebenslänglich bestehe, weshalb eine zusätzliche Versicherungspflicht in der Schweiz ausgeschlossen sei. Wie einleitend festgehalten, versah der Beschwerdeführer sein Amt während sechzehn Jahren (entsprechend zwei Wahlperioden; heutige Regelung: § 42 Abs. 3 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg in der Fassung vom 24. Juli 2000), weshalb für ihn die Rechtsvorschriften für (Wahl-)Beamte auf Zeit Anwendung finden. Das bedeutet, dass ![]() | 20 |
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5.3.2 Die Auslegung eines Staatsvertrags geht somit in erster Linie vom Vertragstext aus, wie ihn die Vertragsparteien nach dem Vertrauensprinzip im Hinblick auf den Vertragszweck verstehen durften (BGE 130 I 312 E. 4.1 i.f. S. 326; BGE 130 II 113 E. 6.1 i.f. S. 121). Erscheint die Bedeutung des Textes, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie dem Gegenstand und Zweck des Vertrags ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, kommt eine über den Wortlaut hinausreichende - ausdehnende oder einschränkende - Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut ![]() | 23 |
5.3.3 Gemäss der Grundregel von Art. 13 Abs. 2 lit. d der Verordnung 1408/71 unterliegen Beamte den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Behörde sie beschäftigt sind. Die Anwendbarkeit der Rechtsordnung des Dienststaates setzt somit eine aktive Beschäftigung voraus. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Sonderregeln, hier Art. 14e der Verordnung 1408/71, grundsätzlich eng auszulegen (z.B. Urteile des EuGH vom 10. März 1987 199/85 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1987 S. 1039; vom 3. Mai 1994 C-328/92 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Spanien, Slg. 1994 I-1569 [1588 f.]). Auch ausgehend von Entstehungsgeschichte und Normzweck des Art. 14e Verordnung 1408/71 (E. 4.3 hievor) und mit Blick darauf, dass es bei der strittigen Beitragserhebung wederum eine Frage der Gleichbehandlung in der Anrechnung von Versicherungszeiten noch um die Vermeidung drohender Versicherungslücken oder Doppelversicherungen geht, sondern um die Gleichbehandlung derjenigen Personen, die in einem Staat Wohnsitz haben und länderübergreifend einer oder mehreren (selbstständigen) Erwerbstätigkeit(en) nachgehen, ist ein Anwendungsfall von Art. 14e der Verordnung 1408/71 zu verneinen. Nicht zuletzt würde die vom Beschwerdeführer vertretene Ansicht eine unangemessene, dem Normzweck von Art. 14e der Verordnung 1408/71 widersprechende Privilegierung (deutscher) Beamter bewirken, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt bei Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen im Unterschied zu anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits vor Erreichen des gewöhnlichen Rentenalters eine Versorgung erhalten. Diese verringert sich zwar allenfalls um anderweitig erzielte Einkünfte, lebt aber bei Erreichen des Rentenalters (wieder) ungeschmälert auf. Blieben die nach ![]() | 24 |
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6. Schliesslich erfolgte die vorinstanzlich geschützte wiedererwägungsweise Aufhebung der ursprünglichen Verfügung durch die Beschwerdegegnerin bundesrechtskonform. Nicht nur ist die erhebliche Bedeutung der Berichtigung angesichts der Höhe der mit Nachtragsverfügung vom 20. Juli 2010 auf Fr. 20'934.- festgesetzten zusätzlichen Beiträge ohne Weiteres erfüllt. Es ist auch die Voraussetzung der zweifellosen Unrichtigkeit gegeben, welche unter anderem bei unrichtiger Rechtsanwendung erfüllt wird (BGE 126 V 399 E. 2b/bb S. 401). Einer (weiteren) Begründung durch die Beschwerdegegnerin bedurfte es nicht. Mit der positivrechtlichen Regelung der Wiedererwägung rechtskräftiger Verfügungen in Art. 53 Abs. 2 ATSG (SR 830.1) hat der Gesetzgeber die im Rahmen des ![]() | 26 |
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