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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher | |||
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38. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen Departement des Innern des Kantons Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_65/2012 vom 21. August 2012 |
Art. 82 AsylG; Art. 92d KVV; Prämienübernahme von Nothilfeberechtigten. |
Art. 92d KVV; Art. 82 AsylG; § 158 Abs. 1 des Sozialgesetzes des Kantons Solothurn vom 31. Januar 2007; § 93 Abs. 3 der kantonalen Sozialverordnung vom 29. Oktober 2007; Auflage und Bedingungen. | |
Sachverhalt | |
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B. Die hiegegen geführte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 16. Dezember 2011 ab.
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C. S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr Nothilfe in B. zu gewähren. Das Departement des Innern des Kantons Solothurn sei zu verpflichten, ab 1. August 2011 weiterhin für die Kosten der bisherigen obligatorischen Krankenversicherung aufzukommen. Es wird um aufschiebende Wirkung der Beschwerde ersucht, weshalb das Departement des Innern des Kantons Solothurn für die Dauer des Verfahrens die Kosten für die kollektive Krankenversicherung zu übernehmen habe. Ferner sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Das Amt für soziale Sicherheit schliesst auf Abweisung der Beschwerde und das Verwaltungsgericht beantragt ebenfalls deren Abweisung, soweit darauf einzutreten sei.
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D. Mit Eingabe vom 15. Februar 2012 lässt S. ein Schreiben des Amtes für soziale Sicherheit vom 13. Februar 2012 zukommen, wonach dieses bis zum Abschluss des hängigen Beschwerdeverfahrens auf eine Änderung der bisherigen Ausgestaltung der Krankenversicherung verzichtet. Die Beschwerdeführerin bekräftigt zudem ihren Standpunkt mit Eingabe vom 27. Februar 2012.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 Nach Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Dieses Grundrecht garantiert nicht ein Mindesteinkommen; verfassungsrechtlich geboten ist nur, was für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen Bettelexistenz zu bewahren vermag. Der Anspruch umfasst einzig die in einer Notlage im Sinne einer Überbrückungshilfe unerlässlichen Mittel (in Form von Nahrung, Kleidung, Obdach und medizinischer Grundversorgung), um überleben zu können. Diese Beschränkung des verfassungsrechtlichen Anspruches auf ein Minimum im Sinne einer "Überlebenshilfe" bedeutet, dass Schutzbereich und Kerngehalt zusammenfallen. Durch das ausdrückliche Erwähnen des Subsidiaritätsprinzips hat der Verfassungsgeber somit (bereits) den Anspruch als solchen relativiert. Grundsätzliche Voraussetzung der Anwendbarkeit von Art. 12 BV ist das Vorliegen einer aktuellen, d.h. tatsächlich eingetretenen oder unmittelbar drohenden Notlage (BGE 131 I 166 E. 3.1 S. 172, E. 3.2 S. 173; BGE 130 I 71 E. 4.1 S. 74 f.; je mit Hinweisen). Art 12 BV umfasst nur eine auf die konkreten Umstände zugeschnittene, minimale individuelle Nothilfe. Sie beschränkt sich auf das absolut Notwendige und soll die vorhandene Notlage beheben. Insofern unterscheidet sich der verfassungsmässige Anspruch auf Hilfe in Notlagen vom kantonalen Anspruch auf Sozialhilfe, die umfassender ist (MARGRITH BIGLER-EGGENBERGER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 12, 13 und 20 zu Art. 12 BV).
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2.2 Gemäss Art. 81 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) erhalten Personen, die sich gestützt auf das AsylG in der Schweiz aufhalten und die ihren Unterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können, die notwendigen Sozialhilfeleistungen, sofern nicht Dritte aufgrund einer gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtung für sie aufkommen müssen, beziehungsweise auf Ersuchen hin Nothilfe. Für die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen und Nothilfe gilt kantonales Recht. Personen mit einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid, denen eine Ausreisefrist angesetzt worden ist, können von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden (Art. 82 Abs. 1 AsylG und ![]() | 8 |
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Der Regierungsratsbeschluss Nr. 2007/2002 vom 27. November 2007 hält dementsprechend fest, dass die Nothilfe nach Möglichkeit in Sachleistungen erbracht wird. Wenn es zweckmässig erscheint, können auch Geldleistungen ausbezahlt werden. Das Amt für soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Asyl (ASO SOA) befindet über die Form der Ausrichtung (Ziff. 3.5). Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid oder Abweisungsentscheid und Wegweisungsentscheid werden grundsätzlich aus den Gemeindestrukturen weggewiesen (Ziff. 3.6). Weggewiesene Personen, welche darlegen, in einer Notlage zu sein, sind an die Anlaufstelle des ASO SOA zu verweisen. Das ASO SOA weist diesen Personen bei Vorliegen einer Notlage einen Unterkunftsplatz bzw. Aufenthaltsort zu (Ziff. 3.7). In Härtefällen können Personen mit einem erhöhten Schutzbedürfnis weiterhin in den Gemeindestrukturen verweilen. Es kommen aber für Nahrung und Hygiene die nachgenannten Ansätze zur Anwendung. Das ASO SOA bezeichnet die berechtigten Personen und instruiert die örtlichen Sozialhilfeorgane (Ziff. 3.8). Nothilfe umfasst Gewährleistung von Obdach, Essen, Kleidung, Hygiene und medizinischer Notversorgung. Über eine eventuelle Weiterführung des Krankenversicherungsschutzes entscheidet das ASO SOA auf Antrag (Ziff. 3.9).
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3.2 Soweit die solothurnischen Behörden die tatsächliche Notlage der Beschwerdeführerin in Frage stellen, wozu die Vorinstanz keine Feststellungen getroffen hat, kann ihnen nicht gefolgt werden, zumal sie ihre Entscheide auch nicht mit dem Fehlen dieser Voraussetzung begründeten. Mit Blick auf die Notlage der Beschwerdeführerin steht fest, dass sie nach Einstellung der Sozialhilfeleistungen per 1. Januar 2008 - auch wenn sie erst auf die am 31. Mai 2011 ergangene Mitteilung hin, ab 1. August 2011 werde ihr Unterstützungsfall abgeschlossen, um die weitere behördliche Übernahme der Krankenkassenprämien ersuchte - im Umfang dieser Prämien nie ohne staatliche Hilfeleistungen auskam. Als weggewiesene Ausländerin kann die Beschwerdeführerin ohne geregelten Aufenthaltsstatus grundsätzlich keine Bewilligung zur Erwerbstätigkeit erhalten (vgl. Art. 43 Abs. 2 und Art. 14 AsylG), auch wenn die Leiterin für Ausländerfragen in einem Schreiben vom 31. Mai 2007 anführte, einen Stellenantritt ausnahmsweise wohlwollend zu prüfen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin in einer Notlage befindet, aus der sie sich auch mit zumutbaren Anstrengungen nicht selbst befreien kann (BGE 135 I 119 E. 7.2 S. 126).
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Erwägung 4 | |
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Erwägung 5 | |
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5.3 Die Beschwerdeführerin ersucht nicht um Obdach, sondern einzig um finanzielle Unterstützung in Form von Fortführung der bisherigen Krankenkassenprämienleistung durch das Amt für soziale Sicherheit. Insofern diktiert sie damit - entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin - nicht die Art der Nothilfeleistung in Bezug auf die Unterbringung, da sie in diesem Punkt nicht nothilfebedürftig ist. In Berücksichtigung des auch im Rahmen der Nothilfe geltenden Grundsatzes der Subsidiarität (vgl. etwa BGE 131 I 166 E. 4.1 S. 173 mit Hinweisen sowie CHRISTOPH HÄFELI, Prinzipien der Sozialhilfe, in: Das Schweizerische Sozialhilferecht, 2008, S. 73 ff.) gehen tatsächlich erbrachte Leistungen Dritter, die einen Teil der elementaren Grundbedürfnisse abdecken und auf die kein durchsetzbarer Rechtsanspruch besteht, dem Leistungsanspruch gegenüber dem Staat vor. Zumindest soweit und solange die Beschwerdeführerin in der Wohnung an der Strasse Y. in B. verbleiben kann und der Lebenspartner ihrer Schwester die Mietzinse derselben trägt, ist die Beschwerdeführerin hinsichtlich Unterkunft nicht nothilfebedürftig. Wie dargelegt (E. 4), hat die Beschwerdeführerin nicht nur den grundrechtlich geschützten Anspruch auf medizinische Notfallversorgung, sondern sie ist - darüber hinaus - als Nothilfeberechtigte ab 1. August 2011 kraft Bundesrecht obligatorisch krankenversichert. Wenn das Amt seine weitere Übernahme der dementsprechend anfallenden Krankenkassenprämien mit der Auflage verknüpfen will, dass die Beschwerdeführerin die vom Freund ihrer Schwester finanzierte Wohnung zu verlassen und in die kantonale Kollektivunterkunft zu ziehen hat, ist dies sachfremd und dient nicht der Sicherstellung einer zweckkonformen Verwendung der staatlichen Leistungen. Dürfte sich die Beschwerdeführerin nicht mehr in der vor Jahren bezogenen Wohnung aufhalten, um die ersuchte finanzielle Leistung zu ![]() | 20 |
Überdies ist auch das vorinstanzliche Argument, die Zuweisung einer Unterkunft gewähre die Kontrolle der zugesprochenen Nothilfe, nicht stichhaltig, da die administrative Abwicklung der Krankenversicherungskosten hier so oder anders direkt durch das Amt für Soziale Sicherheit erfolgt, was dem Amt eine genügende Kontrolle der aus der obligatorischen Krankenversicherung anfallenden Kosten erlaubt. Daran würde auch ein Umzug nichts ändern. Die Durchsetzung der behördlichen Auflage einer Unterbringung in der Kollektivunterkunft beseitigt weder die bestehende Notlage noch dient sie einer zweckkonformen Umsetzung des Versicherungsschutzes nach Art. 92d KVV, weshalb die Nebenbestimmung unzulässig ist.
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