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55. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. R. gegen Ausgleichskasse scienceindustries (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_648/2011 vom 6. November 2012 |
Art. 25 Abs. 3 ATSG; Art. 41 und 141 Abs. 2 AHVV; Rückforderungsrecht des Arbeitnehmers für zu viel bezahlte Beiträge; IK-Berichtigung. |
Dem Arbeitnehmer steht (rechtzeitiges Handeln vorausgesetzt; E. 2) gestützt auf Art. 41 AHVV (vgl. auch Art. 25 Abs. 3 ATSG) gegenüber der Ausgleichskasse ein direktes Rückforderungsrecht für zu viel bezahlte Beiträge zu (E. 4). |
Art. 5 Abs. 2 AHVG; Art. 7 lit. c AHVV; Beitragspflicht bei Mitarbeiteraktien. | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 26. Mai 2009 liess er bei der Ausgleichskasse Chemie (seit 1. Januar 2012: Ausgleichskasse scienceindustries, nachfolgend: Ausgleichskasse) die Rückerstattung von AHV-Beiträgen in der Höhe von Fr. 22'231.95 beantragen. Zur Begründung gab er an, dass die Z. GmbH in diesem Umfang auf dem von ihm gemäss Lohnabrechnung vom Juni 2008 erzielten Mitarbeiteraktiengewinn von Fr. 440'237.- AHV-Beiträge abgerechnet habe. Die Leistung unterliege aber nicht der schweizerischen AHV, weil er bis zur Freigabe im April 2008 keinen unwiderruflichen Anspruch auf die Mitarbeiteraktien gehabt habe und zum Zeitpunkt der Freigabe in der Schweiz weder erwerbstätig noch wohnhaft gewesen sei.
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Die Ausgleichskasse trat auf den Rückerstattungsantrag nicht ein mit der Begründung, es bestehe grundsätzlich kein direkter Anspruch des R. auf Rückerstattung von allenfalls zu viel bezahlten ![]() | 3 |
B. R. liess Beschwerde erheben und beantragen, das IK sei um den Mitarbeiteraktiengewinn von Fr. 440'237.10, eventualiter von Fr. 245'188.-, zu berichtigen und die entsprechenden, darauf abgerechneten AHV-Arbeitnehmerbeiträge seien ihm über die Arbeitgeberin zurückzuerstatten. Das Bundesverwaltungsgericht lud die Z. GmbH als Arbeitgeberin zum Verfahren bei. Mit Entscheid vom 26. Juni 2011 wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
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C. R. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben. Das IK sei um den Mitarbeiteraktiengewinn von Fr. 440'237.10, eventualiter Fr. 245'188.-, zu berichtigen, dies unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Ausgleichskasse.
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Die Ausgleichskasse und die zum Prozess beigeladene Arbeitgeberin schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) enthält sich eines formellen Antrages; es gelangt zum Ergebnis, dass nur auf dem in den Jahren 2002 und 2003 gewährten Teil der Mitarbeiteraktien Sozialversicherungsbeiträge geschuldet sind.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
2. In prozessualer Hinsicht steht fest, dass die Ausgleichskasse das Jahreseinkommen des R. gestützt auf den von seiner Arbeitgeberin, der Z. GmbH, für die Abrechnungsperiode 2008 gemeldeten Lohn ohne formelle Verfügung durch faktisches Verwaltungshandeln festgesetzt hat. In den Akten liegt ein undatiertes, an den ![]() | 8 |
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Gemäss Art. 25 Abs. 3 ATSG (SR 830.1) können zu viel bezahlte Beiträge zurückgefordert werden (Satz 1). Der Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Zahlungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge bezahlt wurden ![]() | 11 |
In der AHV sind die Beiträge vom Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu bringen und vom Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch zu entrichten (Art. 14 Abs. 1 AHVG). Mit anderen Worten ist zur Entrichtung der paritätischen Beiträge einzig der Arbeitgeber verpflichtet (vgl. auch KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung [nachfolgend: AHVG], in: Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Murer/Stauffer [Hrsg.], 2. Aufl. 2005, N. 1 zu Art. 14 AHVG). Er ist sowohl zahlender Selbstschuldner als auch gesetzlicher Erfüllungsvertreter des Arbeitnehmers für dessen Schuld (EVGE 1968 S. 242; HANSPETER KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl. 1996, S. 257 Rz. 14.4). Es verhält sich nicht anders als in der Unfallversicherung, in welcher der Arbeitgeber gemäss Art. 91 Abs. 3 UVG (SR 832.20) den gesamten Prämienbetrag schuldet, worunter die gemäss Abs. 1 von ihm zu tragenden Prämien für die obligatorische Versicherung der Berufsunfälle und Berufskrankheiten und die gemäss Abs. 2 unter Vorbehalt abweichender Vereinbarungen zu Lasten des Arbeitnehmers gehenden Prämien für die obligatorische Versicherung der Nichtberufsunfälle fallen. In dem vor Inkrafttreten des ATSG zu Art. 94 Abs. 2 UVG (in Kraft bis 31. Dezember 2002) ergangenen Urteil U 47/87 vom 29. Dezember 1987 E. 3b, in: RKUV 1988 S. 239 erwog das Eidg. Versicherungsgericht, es müsse nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch dem Arbeitnehmer ein Rückforderungsrecht zustehen, das er direkt gegenüber dem Versicherer und nicht etwa gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen habe. Zur Begründung führte es an, dass das materielle Versicherungsverhältnis zwischen dem Versicherer und dem versicherten Arbeitnehmer bestehe und der Arbeitgeber lediglich aus administrativen Gründen auch bezüglich der Prämien für die Nichtbetriebsunfallversicherung vom Gesetz als Prämienschuldner behandelt werde. Diese Überlegungen lassen sich auf Art. 41 AHVV (und ebenso auf die hier nicht weiter interessierende Bestimmung des Art. 25 Abs. 3 ATSG) übertragen: ![]() | 12 |
Erwägung 5 | |
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Dieser Argumentation halten Vorinstanz und Ausgleichskasse (und damit im Wesentlichen übereinstimmend auch die Arbeitgeberin) entgegen, es könne nicht sein, dass nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses nachgezahlter, massgebender Lohn - zu welchem freigegebene Mitarbeiteraktien gestützt auf Art. 7 lit. c AHVV zweifellos gehörten - einfach deshalb nicht mehr der Beitragspflicht unterstehe, weil der Arbeitnehmer inzwischen die Schweiz verlassen habe. Wenn Art. 7 lit. c AHVV für Wert und Zeitpunkt der Einkommensrealisierung auf die Vorschriften der direkten Bundessteuer verweise, könne dies nicht zur Folge haben, dass arbeits- und AHV-rechtliche Grundsätze völlig ausser Acht gelassen würden. Massgebend sei, dass sich die Zahlung auf ein Arbeitsverhältnis beziehe, das zu einem Zeitpunkt aufgelöst worden sei, als der Arbeitnehmer noch in der Schweiz gelebt habe.
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Erwägung 6 | |
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Die Beitragspflicht einer versicherten unselbstständig erwerbstätigen Person entsteht mit der Leistung der Arbeit. Beiträge sind indessen erst bei Realisierung des Lohn- oder Entschädigungsanspruchs geschuldet (BGE 131 V 444 E. 1.1 S. 446 unten f.; BGE 111 V 161 E. 4a und 4b S. 166 f. mit Hinweisen; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 75/88 vom 20. September 1988 E. 3b in fine, in: ZAK 1989 S. 27; H 125/74 vom 9. Juli 1975 E. 2-4, in: ZAK 1976 S. 85; KÄSER, a.a.O., S. 112 Rz. 4.8 und 4.9; vgl. auch KIESER, SBVR, S. 1250 Rz. 137).
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6.2 Bei gebundenen Arbeitnehmeraktien bestimmen sich gemäss Art. 7 lit. c AHVV Wert und Zeitpunkt der Einkommensrealisierung nach den Vorschriften der direkten Bundessteuer (vgl. auch Rz. 2020 der Wegleitung des BSV über den massgebenden Lohn [WML] in der ![]() | 19 |
Erwägung 7 | |
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Wie sich aus den erwähnten Mitarbeiteraktienplänen und den Ausführungen der beigeladenen Arbeitgeberin (Stellungnahme vom 26. Februar 2010 ans Bundesverwaltungsgericht, Stellungnahme vom 19. Januar 2012 ans Bundesgericht) ergibt, hing die Anzahl der abgegebenen Mitarbeiteraktien zur Hauptsache von der Tätigkeit/Funktion des Beschwerdeführers sowie seiner persönlichen Leistung im vergangenen Jahr ab. Der alsdann noch offene Faktor, mit welchem die individuelle Anzahl Aktien zu multiplizieren war, war von der Erreichung von strategischen Zielen durch den Konzern in seiner Gesamtheit während einer Zeitspanne von 5 Jahren abhängig. Während dieser Frist blieben die grundsätzlich fest zugeteilten Aktien gesperrt.
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7.2 Es handelt sich damit um gebundene (oder gesperrte), gestaffelt erworbene Mitarbeiteraktien und, wie das BSV zutreffend festhält, nicht etwa um (gevestete) Mitarbeiteroptionen (vgl. dazu BGE 133 V 346 E. 5.2 S. 348 f. und Rz. 2023 WML in der ab 1. Januar 2008 gültig gewesenen Fassung), wie aus den Ausführungen in der Beschwerde gefolgert werden könnte. Dass dem Beschwerdeführer gemäss der erwähnten Ziff. 3 der Mitarbeiteraktienpläne 2002/2003/2005 bis zur Freigabe der Aktien im April 2008 keine Aktionärsrechte zustanden, entspricht den üblichen Bedingungen, zu welchen Mitarbeiteraktien gewährt werden, indem oft vorgesehen wird, dass der Begünstigte während einer gewissen Frist nicht über die Titel ![]() | 22 |
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Erwägung 8.1 | |
8.1.1 Die Frage nach der Entstehung der Beitragspflicht ist von derjenigen nach dem Zeitpunkt, in welchem die Beiträge vom massgebenden Lohn im Rahmen des Beitragsbezugs zu entrichten sind (Beitragsbezug), zu unterscheiden (BGE 115 V 161 E. 4b S. 163 f.; 110 V ![]() | 25 |
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Anders als in den Jahren 2002 und 2003 hatte der Beschwerdeführer im Jahr 2005 weder Wohnsitz in der Schweiz noch übte er hier eine Erwerbstätigkeit aus. Er war in dieser Zeit auch sonst nicht der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung unterstellt, hat er doch während des Auslandaufenthalts weder die Versicherung gemäss Art. 1a Abs. 3 lit. a AHVG weitergeführt noch sich gemäss Art. 2 AHVG freiwillig versichert. Da es mithin im Jahr 2005 an der (die Beitragspflicht begründenden) Versicherteneigenschaft fehlt, stellen die im Jahr 2005 erworbenen Aktien, im Jahr 2008 im Umfang von Fr. 68'561.- realisiert, nicht massgebenden Lohn dar (und es entfällt auch ein entsprechender IK-Eintrag).
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8.3 Nicht gefolgt werden kann der Ausgleichskasse, soweit sie sich auf den Standpunkt stellt, selbst wenn der Zeitpunkt des Erwerbs massgebend sei (vgl. E. 8.1.2 und 8.1.3 hievor), stellten die im Februar 2005 erworbenen Aktien beitragspflichtiges Einkommen dar, weil diese "als Lohnbestandteil für das Vorjahr" zugeteilt worden seien. Es trifft zwar zu, dass die Anzahl der abgegebenen Mitarbeiteraktien - wie in E. 7.1 ausgeführt - unter anderem von der ![]() | 30 |
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8.5 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Ausgleichskasse nur auf den in den Jahren 2002 und 2003 gewährten Mitarbeiteraktien Beiträge hätte erheben dürfen und sich für die IK-Einträge an den Zeitpunkt der Aktiengewährung (d.h. 2002: Fr. 99'304.-; 2003: Fr. 272'372.-) hätte halten müssen. Die Sache wird an die Ausgleichskasse zurückgewiesen, damit sie über die Beitragspflicht des Beschwerdeführers im hier streitigen Zeitraum neu verfüge und die Einträge im individuellen Konto entsprechend vornehme. Allfällig zu viel bezahlte Beiträge sind dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten.
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