BGE 139 V 585 | |||
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77. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. G. gegen Visana Versicherungen AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_481/2013 vom 7. November 2013 | |
Regeste |
Art. 17 Abs. 1, Art. 21 Abs. 4, Art. 28 Abs. 2 und Art. 43 Abs. 3 ATSG; Art. 55 Abs. 1 UVV; Dauer der Leistungseinstellung im Rentenrevisionsverfahren bei vorübergehender Verweigerung der Mitwirkungspflicht. | |
Sachverhalt | |
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A.a G., geboren am 15. Mai 1948, klagte in der Folge von zwei Verkehrsunfällen (...) über Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). (...) Die Visana Versicherungen AG (nachfolgend: Visana oder Beschwerdegegnerin) sprach ihr für die Folgen der beiden Unfälle gestützt auf das UVG am 29. April 2004 eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von je 25 % (insgesamt 50 %) sowie eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 % als Komplementärrente zu.
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A.b Im Rahmen eines von Amtes wegen am 8. Februar 2011 eingeleiteten Revisionsverfahrens teilte die Visana der Versicherten mit, dass ein neutrales interdisziplinäres Gutachten zwecks Festlegung der weiteren Leistungspflicht zu erstellen sei. Sie schlug hiefür als Gutachterstelle das Institut X. vor, führte die dort tätigen Fachärzte auf, stellte den Fragenkatalog zu und setzte zur Stellungnahme im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs eine Frist bis 14. April 2011 an. Mit Schreiben vom 12. April 2011 lehnte die zwischenzeitlich anwaltlich vertretene Versicherte eine interdisziplinäre Begutachtung im Allgemeinen und eine Untersuchung durch die genannten Gutachter im Besonderen ab. Mit Schreiben vom 6. Mai 2011 hielt die Visana an der beabsichtigten Durchführung der interdisziplinären Begutachtung in der genannten Institution fest, nahm zu den Einwänden der Versicherten Stellung und erteilte den Begutachtungsauftrag unter Beilage des zugestellten Fragebogens. Hiegegen reichte G. am 8. Juni 2011 beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau Beschwerde ein. In der Hauptsache liess sie beantragen, "die Verfügung vom 6. Mai 2011, mit der eine polydisziplinäre Begutachtung bei der Einzelfirma 'Institut X.' angeordnet wurde, [sei] aufzuheben". Das kantonale Gericht wies die Beschwerde am 21. Dezember 2011 ab. Mit der dagegen erhobenen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ersuchte die Versicherte um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Das Bundesgericht wies dieses Gesuch mit Verfügung vom 2. April 2012 ab und trat mit Urteil 8C_157/2012 vom 4. Oktober 2012 auf die Beschwerde nicht ein.
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A.c Nachdem das Institut X. die Beschwerdeführerin G. mit Schreiben vom 19. Januar 2012 unter Hinweis auf die zuständigen fachärztlichen Experten zur interdisziplinären Begutachtung auf den 17. und 18. April 2012 eingeladen hatte, liess Letztere die Beschwerdegegnerin wissen, dass die Rechtskraft des Entscheides über die von der Visana angestrebte Begutachtung abzuwarten sei. (...) Daraufhin lehnte die Visana androhungsgemäss einen weiteren Anspruch auf Rentenleistungen der obligatorischen Unfallversicherung infolge Verletzung der Mitwirkungspflicht ab, stellte die bis dahin (...) ausgerichtete Komplementärrente per sofort ein und entzog einer allfälligen Einsprache die aufschiebende Wirkung (Verfügung vom 27. April 2012). Mit Einspracheentscheid vom 17. August 2012 hielt die Visana an der Verfügung vom 27. April 2012 fest.
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Nach Empfang des Urteils 8C_157/2012 vom 4. Oktober 2012 liess G. am 17. Oktober 2012 gegenüber der Visana erklären, nunmehr mit der von der Beschwerdegegnerin "vorgesehenen polydisziplinären Begutachtung zur Prüfung der Rentenrevision" einverstanden zu sein. Daraufhin antwortete die Beschwerdegegnerin mit formlosem Schreiben vom 23. November 2012, sie habe mit der durch Einspracheentscheid vom 17. August 2012 bestätigten Verfügung vom 27. April 2012 einen verfahrensabschliessenden Endentscheid gefällt, weshalb sie keine Veranlassung sehe, eine Begutachtung in Auftrag zu geben.
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B. Sowohl gegen den Einspracheentscheid vom 17. August 2012 als auch gegen das formlose Schreiben vom 23. November 2012 liess G. je separat fristgerecht Beschwerde erheben. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau vereinigte die zwei Beschwerdeverfahren und wies beide Beschwerden am 8. Mai 2013 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt G.:
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"1. Es seien die Akten der Vorinstanz beizuziehen.
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2. Die Urteile des Versicherungsgerichts Thurgau vom 08.05.2013 (Proz. W.2012.313/E und W.2012.425/E) sowie das Urteil des Versicherungsgerichts Thurgau vom 21.12.2011 (Proz. W.2011.196/E) und die damit verbundenen Verfügungen und Einspracheentscheide der Visana seien aufzuheben.
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3. Ebenfalls sei die Leistungseinstellung aufzuheben und die Rente weiterhin auszurichten.
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(...)
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Während die Visana auf Abweisung der Beschwerde schliesst, soweit darauf einzutreten ist, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung.
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(...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 6 | |
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(...)
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6.3.7.1 Wohl war die Beschwerdegegnerin - im Rahmen von Art. 22 UVG - nicht nur jederzeit berechtigt, von Amtes wegen eine Rentenrevision im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG einzuleiten (nicht publ. E. 2.1), sondern unter den gegebenen Umständen auch zu Recht veranlasst, zu diesem Zweck eine polydisziplinäre Revisionsbegutachtung (nicht publ. E. 3.4) anzuordnen (kantonaler Zwischenentscheid vom 21. Dezember 2011). Zur Durchsetzung dieses Abklärungsanspruchs (nicht publ. E. 3) musste die Verwaltung von der Versicherten die Erfüllung der ihr obliegende Mitwirkungspflicht einfordern und die Beschwerdeführerin - bei anhaltender Renitenz nach Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens - auch im Sinne von Art. 43 Abs. 3 ATSG durch Leistungseinstellung sanktionieren können.
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6.3.7.2 Da jedoch die Visana am 8. Februar 2011 - ohne über konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer anspruchserheblichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu verfügen - von Amtes wegen das Rentenrevisionsverfahren einleitete, und auch bei endgültigem Abschluss des Zwischenverfahrens mit Urteil 8C_157/2012 vom 4. Oktober 2012 noch immer keine solchen Anhaltspunkte erkennbar waren, ist die Ausgangslage hier weder mit dem von der Beschwerdegegnerin angeführten Urteil 8C_110/2008 vom 7. Mai 2008 noch mit BGE 129 V 370 und BGE 106 V 18 zu vergleichen. In den genannten Urteilen ging die Verwaltung jeweils davon aus, gestützt auf einen rechtsgenüglich nachgewiesenen materiellen Revisionsgrund berechtigt zu sein, Dauerleistungen einstellen oder herabsetzen zu können, bevor auf dem Rechtsweg die entsprechende Revisionsverfügung jeweils aufgehoben, die Notwendigkeit weiterer Abklärungen erkannt und die Sache zur Neuverfügung an den Sozialversicherungsträger zurückgewiesen wurde. Ein anhaltender Effekt des mit der strittigen Leistungseinstellung verfügten Entzuges der aufschiebenden Wirkung (vgl. BGE 129 V 370) bis zum Abschluss des vorliegenden Prozesses oder gar bis zum Erlass der materiellen Revisionsverfügung nach Abschluss der erst noch durchzuführenden polydisziplinären Revisionsbegutachtung kommt hier schon deshalb nicht in Frage, weil sich die Visana seit der von der Beschwerdeführerin am 17. Oktober 2012 ausdrücklich erklärten Mitwirkungsbereitschaft weigert, das von ihr selbst eingeleitete Revisionsverfahren fortzusetzen.
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6.3.7.3 Zwar verwirklichte sich auch in casu die bereits in BGE 106 V 18 E. 3c S. 21 erkannte Gefahr, wonach die "Versicherte versucht sein [könnte], den Erlass der neuen Verfügung möglichst lange hinauszuzögern". Immerhin vermochte die Beschwerdeführerin, durch ihr renitentes Verhalten den Zeitpunkt der Durchführung der angeordneten polydisziplinären Revisionsbegutachtung seit April 2012 zumindest um einige Monate zu verzögern, auch wenn sie mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 gegenüber der Visana schlussendlich doch ihre Bereitschaft zur "rechtskräftig angeordneten polydisziplinären Begutachtung" erklärte. Spätestens ab Kenntnisnahme dieses Schreibens bestand demnach kein Kausalzusammenhang mehr zwischen der am 27. April 2012 verfügten Leistungseinstellung und der Mitwirkungspflichtverletzung. Der Beschwerdegegnerin stand endlich der Weg frei, die rechtskräftig angeordnete polydisziplinäre Revisionsbegutachtung durchführen zu lassen und hernach - gestützt auf die entsprechenden Untersuchungsergebnisse - darüber zu entscheiden, ob die bisher aufgrund einer vollen unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit ausgerichtete Komplementärrente herabzusetzen oder aufzuheben sei.
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6.3.7.4 Anders als im hier zu beurteilenden Fall war die Invalidenversicherung gemäss Sachverhalt, welcher dem von der Vorinstanz angerufenen Urteil 8C_733/2010 vom 10. Dezember 2010 zu Grunde lag, offenbar in der Lage, "auf Grund der Akten" die vollständige Aufhebung der Invalidenrente gestützt auf Art. 43 Abs. 3 ATSG zu verfügen, weshalb es sich im genannten Fall rechtfertigte, die spätere Bereitschaftserklärung zur Mitwirkungspflichterfüllung "als Neuanmeldung zu behandeln", so dass sich mit der erneuten Prüfung des Leistungsanspruchs die festgelegte Sanktion (Rentenaufhebung gestützt auf einen Entscheid auf Grund der Akten) nur auf die Zeitspanne der Weigerung der Zusammenarbeit bezog und dadurch dem Aspekt der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen werden konnte (Urteil 8C_733/2010 vom 10. Dezember 2010 E. 5.6 mit Hinweisen). Demgegenüber betraf das Urteil 9C_994/2009 vom 22. März 2010, auf welches das Urteil 8C_733/2010 vom 10. Dezember 2010 E. 5.6 Bezug nimmt, den ebenfalls nicht vergleichbaren Fall einer anhaltenden Mitwirkungspflichtverweigerung anlässlich der Erstanmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung, weshalb insoweit - im Gegensatz zur hier strittigen dauerhaften Leistungseinstellung wegen Mitwirkungspflichtverletzung - es ohne Weiteres als sachgerecht erscheint, die später erklärte Eingliederungsbereitschaft als Neuanmeldung zu betrachten (Urteil 9C_994/2009 vom 22. März 2010 E. 5.1). Entgegen dem hier angefochtenen Entscheid lässt sich gestützt auf die genannten Urteile das Schreiben der Versicherten vom 17. Oktober 2012 unter den gegebenen Umständen nicht als Neuanmeldung qualifizieren, zumal die von der Vorinstanz daraus abgeleitete Konsequenz, die Neuanmeldung vom 17. Oktober 2012 sei mit Blick auf Art. 22 UVG verspätet erfolgt und die Visana demzufolge zu Recht nicht darauf eingetreten, nicht zu überzeugen vermag.
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6.3.7.5 Massgebend ist vielmehr, dass der Verhältnismässigkeitsgrundsatz praxisgemäss auch bei der gestützt auf Art. 43 Abs. 3 ATSG zu verfügenden Sanktion zu berücksichtigen ist. Denn wird die verweigerte Mitwirkung in einem späteren Zeitpunkt erbracht, kann sich die festgelegte Sanktion - Nichteintreten, Entscheid aufgrund der Akten - nur auf diejenige Zeitspanne beziehen, während der die Mitwirkung verweigert wurde (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 56 zu Art. 43 ATSG mit Hinweis). Dies bedeutet für den hier zu beurteilenden Fall, dass die am 27. April 2012 wegen unentschuldbarer Verletzung der Mitwirkungspflicht verfügte Leistungseinstellung entgegen Verwaltung und Vorinstanz nur bis zum 18. Oktober 2012 andauern konnte, weil nach der gewöhnlichen Postzustellungspraxis - die Beschwerdegegnerin macht nicht geltend, das per eingeschriebener Postsendung zugestellte Schreiben erst verspätet erhalten zu haben - die Visana spätestens ab diesem Zeitpunkt in der Lage war, das von ihr eingeleitete Rentenrevisionsverfahren fortzusetzen und die von der Beschwerdeführerin ausdrücklich und vorbehaltlos angebotene Mitwirkung bei der rechtskräftig beurteilten Anordnung der polydisziplinären Revisionsbegutachtung im Institut X. anhand des seit 6. Mai 2011 bekannten Fragebogens kompromisslos einzufordern.
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6.3.8 Zusammenfassend hat die Beschwerdegegnerin demnach die Rentenleistungen zu Recht am 27. April 2012 wegen anhaltender unentschuldbarer Mitwirkungspflichtverletzung eingestellt. Mit Kenntnisnahme der Bereitschaftserklärung der vorbehaltlosen Einwilligung in die rechtskräftig beurteilte Anordnung der polydisziplinären Revisionsbegutachtung im Institut X. anhand des bekannten Fragenkatalogs war die Visana spätestens ab 18. Oktober 2012 in der Lage, das eingeleitete Rentenrevisionsverfahren fortzusetzen. Ab diesem Zeitpunkt hat die Beschwerdegegnerin die zuvor bis zum 27. April 2012 auf der Basis einer unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit von 100 % erbrachte Komplementärrente wieder auszurichten und zwar bis zum Zeitpunkt, in welchem der Visana im Rahmen des laufenden Rentenrevisionsverfahrens gegebenenfalls der rechtsgenügliche Nachweis einer anspruchsrelevanten erheblichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gelingt (nicht publ. E. 2). Die seit 18. Oktober 2012 eingetretene Verzögerung hat sich die Beschwerdegegnerin selber zuzuschreiben.
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