BGE 140 V 356 | |||
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48. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Basler Versicherung AG gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_51/2014 vom 14. Juli 2014 | |
Regeste |
Art. 6 UVG; Adäquanzbeurteilung bei psychischen Beschwerden nach Unfall. | |
Sachverhalt | |
A. A. war seit dem 1. November 1998 beim Gefängnis B. als Gefängnisleiter angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Basler Versicherungen AG (nachfolgend: Basler oder Beschwerdeführerin) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Gemäss Bagatellunfall-Meldung vom 17. Januar 2006 hat der Versicherte im April/Mai 2003 beim Durchsuchen eines neu eintretenden Gefangenen in eine benutzte Fixernadel gegriffen und sich gestochen. Anlässlich von umfassenden Labortests im Rahmen eines gesundheitlichen Generalchecks zeigten Blutuntersuchungsergebnisse im September 2003 eine Infektion mit dem HI-Virus.
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Die Basler übernahm in der Folge die Kosten für die ab 2007 einsetzende medikamentöse Behandlung der chronischen HIV-Infektion. Nachdem ein psychisch auffälliger Strafgefangener in dem vom Versicherten geleiteten Gefängnis am Abend des 27. Mai 2010 die Matratzen seiner Zelle in Brand gesetzt hatte, wurde dem Versicherten ab Juni 2010 erstmals eine volle Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Beschwerden bescheinigt. Darauf liess die Basler den Versicherten bei Dr. med. C., Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, begutachten. Mit Verfügung vom 2. Juli 2012 verneinte sie den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis von April/Mai 2003 und den geltend gemachten psychischen Beschwerden. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest und verneinte zusätzlich auch den natürlichen Kausalzusammenhang (Einspracheentscheid vom 24. Januar 2013).
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde des A. hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau am 27. November 2013 gut. Es bejahte den Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den psychischen Beschwerden sowie folglich die entsprechende Leistungspflicht der Basler und wies die Sache zur Neuverfügung an Letztere zurück.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
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3.2 Die Adäquanz spielt im Sozialversicherungsrecht als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 138 V 248 E. 4 S. 250 f. mit Hinweisen). Anders verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier ist bei der Adäquanzprüfung vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen, wobei zwischen banalen bzw. leichten Unfällen einerseits, schweren Unfällen anderseits und schliesslich dem dazwischenliegenden mittleren Bereich unterschieden wird, und es sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen. Bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall werden diese Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft (sog. Psycho-Praxis; BGE 115 V 133).
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Massgebend für die Beurteilung der Unfallschwere ist der augenfällige Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften (SVR 2013 UV Nr. 3 S. 7, 8C_398/2012 E. 5.2 Ingress mit Hinweisen; vgl. auch BGE 129 V 177 E. 4.1 S. 183 f. mit Hinweisen).
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Erwägung 5.2 | |
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(...)
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5.3 Bei der Katalogisierung der Unfälle mit psychisch bedingten Folgeschäden ist am augenscheinlichen Geschehensablauf, also am Unfallereignis an sich, jedoch nicht am Unfallerlebnis anzuknüpfen (BGE 115 V 133 E. 6 Ingress S. 138 f.). Wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, handelt es sich bei diesem Ereignis in casu um einen Nadelstich, welcher in Anbetracht der gesamten Umstände als banaler Unfall zu qualifizieren ist. Dass dabei das HI-Virus übertragen wurde, spielt bei der Beurteilung der Unfallschwere keine Rolle, weil die Infektion nicht das Unfallereignis an sich betrifft, sondern Unfallfolge ist.
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Grundsätzlich wäre demnach die Adäquanz schon aufgrund der Unfallschwere ohne weiteres zu verneinen (BGE 115 V 133 E. 6a S. 139). Indessen hat das Bundesgericht entschieden, dass die Adäquanz des Kausalzusammenhanges ausnahmsweise auch bei einem leichten Unfall zu prüfen sei. Dies gilt insbesondere, wenn das Ereignis unmittelbare Unfallfolgen zeitigt, die nicht offensichtlich unfallunabhängig sind (Urteil 8C_824/2008 vom 30. Januar 2009 E. 4.2 Ingress mit Hinweisen). Diesfalls muss der adäquate Kausalzusammenhang jedoch bewiesen werden nach den bei mittlerem Schweregrad anzuwendenden Kriterien (BGE 129 V 402 E. 4.4.2 S. 408 mit Hinweis).
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"Bejaht wurde das Kriterium in jüngerer Zeit bei einem Unfall mit Verbrühungen, wobei als direkte psychotraumatologische Auswirkung eine ausgeprägte phobische Störung vor Hitzequellen und als Folgeerscheinung eine komorbide mittelgradige depressive Episode vorlagen. In Bezug auf die phobische Störung vor Hitzequellen wurde das Kriterium aufgrund erhöhter psychischer Vulnerabilität der Versicherten infolge früherer Belastungen (insbesondere Krieg) sogar in besonders ausgeprägter Weise bejaht, hinsichtlich der depressiven Episode in der einfachen Form (SVR 2012 UV Nr. 23 S. 83, 8C_435/2011 E. 4.2.7). Bejaht wurde das Kriterium ferner etwa: bei Wirbelkörperfrakturen, wobei dem bei solchen Verletzungen bestehenden erhöhten Risiko von Lähmungserscheinungen und den im konkreten Fall wiederholt erforderlich gewesenen operativen Eingriffen Rechnung getragen wurde (Urteil 8C_488/2011 vom 19. Dezember 2011 E. 5.2); bei einer instabilen Fraktur eines Lendenwirbels, wobei berücksichtigt wurde, dass sich der Versicherte damit eine für einen mittelschweren, im Grenzbereich zu den leichten Ereignissen zu qualifizierenden Unfall relativ schwere Verletzung zugezogen habe, welche zudem nach ärztlicher Einschätzung erfahrungsgemäss geeignet sei, psychische Fehlentwicklungen auszulösen (Urteil 8C_116/2009 vom 26. Juni 2009 E. 4.3); bei einer Augenläsion samt beträchtlichem Visusverlust, wobei die Beurteilung der Frage, ob das Kriterium aufgrund der im konkreten Fall bestandenen psychisch bedingten Prädisposition gar in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sei, von ergänzender medizinischer Abklärung abhängig gemacht wurde (Urteil 8C_965/2008 vom 5. Mai 2009 E. 4.3); bei einem Kehlkopftrauma mit partiellem Abriss der Luftröhre und Erstickungsgefahr (RKUV 2005 Nr. 555 S. 322, U 458/04 E. 3.5.2).
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[6.2.2] Verneint wurde das Kriterium u.a.: bei einer luxierten, subkapitalen 3-Fragment-Humerusfraktur links (Urteil 8C_744/2009 vom 8. Januar 2010 E. 11.2); bei einem von den Ärzten als schwer bezeichneten Polytrauma mit Thorax- und Abdominaltrauma sowie offenen Gesichtsschädelfrakturen (Urteil 8C_197/2009 vom 19. November 2009 E. 3.6); bei einem Fersenbeinbruch (Urteil 8C_432/2009 vom 2. November 2009 E. 5.3); bei einer traumatischen Milzruptur, Rippenserienfraktur mit Hämatopneumothorax links und Rissquetschwunde frontal am Kopf links (Urteil 8C_396/2009 vom 23. September 2009 (Sachverhalt A und E. 4.5.6); bei einem akuten linksbetonten Cervicocephal- und Lumbovertebralsyndrom (Urteil 8C_249/2009 vom 3. August 2009 Sachverhalt A und E. 8.3); bei einer Beckenstauchung mit rezividierenden ISG-Blockaden und aktivierter Ileitis rechts (Urteil 8C_275/2008 vom 2. Dezember 2008 E. 3.3.2); bei Frakturen im Gesichtsbereich (Urteil 8C_825/2008 vom 9. April 2009 E. 4.4); bei einer Commotio cerebri, Rissquetschwunde parietal sowie Schürfungen an Gesicht, Knien und Händen (Urteil U 151/04 vom 28. Februar 2005 E. 5.2.2); bei Rippenfrakturen, diversen Kontusionen und Kopfprellung (Urteil U 272/03 vom 25. August 2004 E. 4.3)."
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Im eben zitierten Urteil SVR 2013 UV Nr. 3 S. 7, 8C_398/2012, Sachverhalt lit. A und E. 6.2.3 schloss das Bundesgericht mit Blick auf die dargestellte Rechtsprechung, dass das zu beurteilende Polytrauma (mit Milzruptur und Mageneinriss, Hämatopneumothorax beidseits, Rippenserienfraktur links 2-12, Rippenfraktur rechts 4 und 6, Sternumfraktur mit retrosternalem Hämatom, Lendenwirbelkörper 4-Querfortsatzfraktur, Scapulafraktur links, Claviculafraktur links, Contusio cordis mit Pericarderguss zirkulär 3 mm) zwar das Kriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzung erfülle, dieses jedoch nicht in besonderer Ausprägung vorliege, auch wenn die versicherte Person potentiell lebensgefährliche Verletzungen erlitt und während längerer Zeit auf intensivmedizinische Betreuung angewiesen war.
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5.5.3.1 Das kantonale Gericht hat diese Frage bejaht. Es hat festgestellt, bei einer derartigen Infektion bestehe stets die Befürchtung, dass die Krankheit ausbrechen könnte. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin, angesichts der aktuellen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten und der wissenschaftlichen Erkenntnisse sei diese Befürchtung nicht mehr objektivierbar, was aus einem Urteil des Bundesgerichts zu den strafrechtlichen Folgen einer HIV-Übertragung deutlich hervorgehe, hat es verworfen.
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5.5.3.2 Das Bundesgericht hatte sich im Urteil 6B_337/2012 vom 19. März 2013 E. 3, auszugsweise publ. in: BGE 139 IV 214 mit den strafrechtlichen Folgen einer wissentlichen Übertragung des HI-Virus durch ungeschützten Sexualverkehr auseinanderzusetzen. Insbesondere hatte es zu prüfen, ob diese Übertragung eine schwere Körperverletzung nach Art. 122 StGB darstelle.
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Entgegen den Erwägungen im angefochtenen Entscheid sind die Ausführungen gemäss BGE 139 IV 214 für den vorliegenden Fall durchaus massgebend. Das Bundesgericht hatte nämlich die Frage zu entscheiden, ob an der Rechtsprechung, wonach die HIV-Infektion als lebensgefährliche schwere Körperverletzung zu qualifizieren sei, weil mit dem HI-Virus nach relativ langer Zeit bei vielen Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Immunschwäche AIDS ausbreche und diese mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod führe, festgehalten werden könne. In diesem Zusammenhang hat das Bundesgericht unter Beiziehung von diversen Lehrmeinungen und medizinischer Fachliteratur eine Beurteilung der Folgen der Übertragung vornehmen müssen. Es hat festgestellt, dass die HIV-Infektion als solche auch unter Berücksichtigung der medizinischen Fortschritte nach wie vor eine nachteilige pathologische Veränderung mit Krankheitswert darstelle. Im Rahmen dieser Beurteilung sei aber einerseits in Rechnung zu stellen, dass HIV und AIDS heute in der Medizin wie andere chronische Krankheiten behandelt werden. Die modernen Kombinationstherapien seien effizient und würden in der Regel gut ertragen. Die Lebenserwartung von HIV-Infizierten gleiche derjenigen von Gesunden. Andrerseits sei HIV nicht heilbar. Eine Impfung sei trotz grosser medizinischer Fortschritte nicht in Sicht. Die Therapien stellten hohe Anforderungen an die Disziplin der Betroffenen. Die Medikamente seien ein Leben lang vorschriftsgemäss einzunehmen und könnten zu körperlichen und/oder seelischen Nebenwirkungen führen, welche die Lebensqualität beeinträchtigten. Eine betroffene Person könne daher trotz verbesserter Behandlungsmethoden und Medikamentenverträglichkeit nach wie vor komplexen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sein, was zur Erschütterung des seelischen Gleichgewichts führen könne (BGE 139 IV 214 E. 3.4.4 S. 218 f.). Basierend auf diesen Erwägungen hielt das Bundesgericht im genannten Entscheid an der bundesgerichtlichen Praxis, wonach der Zustand der Infiziertheit schon als solcher generell lebensgefährlich sei, nicht fest.
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5.5.3.3 Diese Erwägungen lassen sich auf die Beurteilung der Frage übertragen, ob die HIV-Infektion vorliegend das Adäquanzkriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzung zu erfüllen vermag, welche erfahrungsgemäss geeignet ist, eine psychische Fehlentwicklungen auszulösen. Es ist dabei selbstredend davon auszugehen, dass die Infektion mit Belastungen für die betroffenen Personen verbunden ist. So hat sie sich einerseits einer konsequenten und langen Therapie zu unterziehen. Solche Therapien mittels Heilmittel oder anderer Substanzen, z.B. tägliche Injektionen, sind allerdings auch bei zahlreichen anderer Krankheitsbildern lebenslang notwendig und müssen von sehr vielen Menschen zur Erhaltung ihrer Gesundheit hingenommen werden. Es kann daher nicht gesagt werden, die notwendige Medikamentierung führe zu einer schweren seelischen Belastung. Andererseits kann trotz erheblicher wissenschaftlicher Fortschritte nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die Krankheit AIDS ausbricht. Diesem Aspekt der Belastung ist mit der Vorinstanz ein grösseres Gewicht beizumessen. Er wird allerdings durch den Umstand relativiert, dass die Krankheit dank medizinischer Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausbricht und, im Falle eines Ausbruchs, nicht mehr mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führt. Vielmehr darf angenommen werden, dass sich die Lebenserwartung von HIV- Infizierten derjenigen von gesunden Menschen annähert (vgl. BGE 139 V 214 E. 3.4.2 S. 217 mit Hinweisen; vgl. auch BEHRENS/HACKENBROCH, Von Heilung träumen, Der Spiegel 36/2013 S. 114 ff.). Aus dem Gesagten ist zu schliessen, dass eine HIV-Infektion für sich allein betrachtet adäquanzrechtlich jedenfalls nicht geeignet ist, das nach der Psycho-Praxis (BGE 115 V 133) bei der Beurteilung der Unfallkausalität von psychischen Fehlentwicklungen gegebenenfalls mitzuberücksichtigende Kriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzung in besonders ausgeprägter Weise zu erfüllen.
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5.5.3.4 Basierend auf dieser Ausgangslage ist zu prüfen, ob die Infektion beim Versicherten geeignet war, die psychische Fehlentwicklung auszulösen. Dabei ist den konkreten Umständen und insbesondere den erheblichen seelischen Belastungen Rechnung zu tragen, denen der Beschwerdegegner ausgesetzt war. Von Bedeutung ist dabei zunächst die sich an erster Stelle aus dem massgeblichen psychiatrischen Gutachten ergebende Tatsache, dass der Versicherte eine deprivierte Kindheits- und Jugendzeit ohne leibliche Eltern, jedoch mit gewalttätigen Pflegeeltern zu durchleben hatte und diese Situation im vierzehnten Lebensjahr zur Flucht in ein Jugendheim und mit fünfzehneinhalb Jahren zu einem ersten Suizidversuch mit Spitalaufenthalt führte. Diese Entwicklung setzte sich im Rahmen seiner ersten Ehe fort. In seinem beruflichen Alltag war er mit schwierigen Situationen (grosser Arbeitsdruck als Gefängnisaufseher und -leiter mit drei Suiziden von Gefangenen) konfrontiert. Insbesondere auch nach der HIV-Infektion war er als Gefängnisleiter stets stark gefordert, zumal seinen Begehren um mehr Personal nicht stattgegeben wurde und er sich - trotz höchstem persönlichen Engagement - nicht ernst genommen fühlte. Während sich diese berufliche Belastungssituation seit 2003 weiter zuspitzte, kam es im Mai 2010 im unmittelbaren Anschluss an einen Gefängniszellenbrand zu einem psychischen Zusammenbruch, in deren Folge dem Versicherten wegen eines Burnouts Arbeitsunfähigkeit attestiert werden musste. Die HIV-Infektion ist daher auch mit Blick auf den zeitlichen Verlauf - mit einer spezifischen somatischen Behandlungsbedürftigkeit der Infektion erst ab 2007, einer guten Prognose und einem komplikationslosen Fortgang (E. 5.5.2 hievor) - nur Teilursache der psychischen Beschwerden. Diese sind erst rund fünfeinhalb Jahre nach der Infektion aufgetreten und hatten erstmals ab Juni 2010 Arbeitsunfähigkeit zur Folge, was die Möglichkeit offenlässt, dass die Erkrankung durch andere Ursachen, insbesondere durch die schwierige, sehr belastende Situation am Arbeitsplatz ausgelöst worden ist.
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5.5.3.5 Unter diesen Umständen erscheint es fraglich, ob das Kriterium der Schwere oder der besonderen Art der erlittenen Verletzung erfüllt ist. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, es sei in besonders ausgeprägtem Masse gegeben. Der Infektion von April/Mai 2003 kommt neben den psychosozialen Belastungsfaktoren eine höchstens mitursächliche Bedeutung zu hinsichtlich der ab November 2008 aufgetretenen behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Die unmittelbaren Folgen der Infektion beschränken sich auf die von der Beschwerdeführerin unbestritten übernommene und notwendige Medikamenteneinnahme. Diese verläuft nach wie vor erfolgreich und weitgehend komplikationslos. Die Prognose des behandelnden Infektiologen ist "unproblematisch". Dennoch ist nicht auszuschliessen, jedoch offensichtlich nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Krankheit eines Tages ausbrechen könnte. Sollte dies der Fall sein, bestehen schon heute gute Behandlungsmöglichkeiten, die sich inskünftig allenfalls noch verbessern lassen, sicher aber nicht verschlechtern werden. Unter diesen Umständen treten die Belastungen durch die HIV-Infektion gegenüber den zahlreichen weiteren Faktoren, die eine psychische Erkrankung auszulösen vermögen (sehr schwierige Kindheit, problembeladene erste Ehe, schwer ertragbare berufliche Situation, welche auch nach der Infektion andauerte und sich kontinuierlich verschlimmerte) in den Hintergrund. War die HIV-Infektion nach dem Gesagten sowohl hinsichtlich ihrer generellen Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen (vgl. dazu E. 5.5.3.2 f. hievor), als auch in Bezug auf den konkreten posttraumatischen Verlauf der psychischen Beeinträchtigungen im Besonderen (vgl. hievor E. 5.5.2 und 5.5.3.4) von höchstens teilursächlichem Einfluss, so kommt dieser Infektion unter den gegebenen Umständen hinsichtlich der adäquanzrechtlichen Bewertung dieses Kriteriums jedenfalls keine primäre oder gar besonders hohe Bedeutung zu in Bezug auf die Entwicklung der psychischen Erkrankung.
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5.5.3.6 Insgesamt ist daher entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht davon auszugehen, dass die HIV-Infektion in besonders ausgeprägter Weise geeignet war, die - erst fünfeinhalb Jahre danach erfolgte - psychische Fehlentwicklung beim Versicherten auszulösen.
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5.6.2 Das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung setzt eine länger dauernde, kontinuierliche und zielgerichtete Behandlung somatisch begründbarer Beschwerden voraus (SVR 2012 UV Nr. 27 S. 96, 8C_498/2011 E. 6.2.3 mit Hinweisen). Der behandelnde Infektiologe verneinte gemäss Bericht vom 17. November 2011 derartige körperlichen Beschwerden oder Symptome. In der von ihm ausdrücklich als komplikationslos beschriebenen antiretroviralen Therapie mit unproblematischer Prognose zwecks Erhaltung günstiger Blutwerte kann keine aussergewöhnlich intensive oder als langwierig zu bezeichnende ärztliche Behandlung erblickt werden.
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