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67. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_369/2013 vom 2. September 2014 |
Art. 25 Abs. 2 erster Satz und Art. 31 Abs. 2 ATSG; Art. 321a Abs. 1 OR; Art. 20 Abs. 1 BPG; Art. 65 Abs. 2 AHVG; Art. 116 Abs. 1 in fine AHVV; Art. 7 Abs. 1 und 5 des Einführungsgesetzes des Kantons Bern vom 23. Juni 1993 zum AHVG (EG AHVG); Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der regierungsrätlichen Verordnung vom 4. November 1998 über die Ausgleichskasse des Kantons Bern und ihre Zweigstellen (AKBV); Art. 55 des Personalgesetzes des Kantons Bern vom 16. September 2004 (PG/BE); unterlassene Meldung der Wiederverheiratung eines Witwerrentenbezügers; Rückerstattung der unrechtmässig bezogenen Rentenleistungen; Auslösung der einjährigen Verwirkungsfrist durch ausserdienstlich erfolgte Kenntnisnahme? |
Dies gilt indes nicht, wenn Zweigstellenmitarbeiter nicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern auf privatem Wege von der neuerlichen Verehelichung eines Witwerrentenbezügers erfahren. Weder aus Art. 31 Abs. 2 ATSG (E. 7.1) noch aufgrund der aus dem Arbeitsverhältnis fliessenden allgemeinen Treuepflicht (E. 7.2) lässt sich für die Mitarbeiter eines Sozialversicherers die Verpflichtung ableiten, ausserdienstlich erlangtes Wissen in ihre behördliche Tätigkeit einzubringen. |
Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 61 lit. f ATSG; Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; unentgeltliche Rechtspflege; Aussichtslosigkeit; Beurteilungszeitpunkt. | |
Sachverhalt | |
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B.
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B.a Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 6. März 2012 ab, soweit es darauf eintrat. Auf Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hin hob das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid mit Urteil 9C_276/2012 vom 14. Dezember 2012 auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit diese ergänzende Abklärungen vornehme und anschliessend über die Rückforderung der unrechtmässig bezogenen Witwerrente neu entscheide. A. hatte nämlich (in Verdeutlichung seiner im kantonalen Verfahren vorgetragenen Sachverhaltsdarstellung) letztinstanzlich geltend gemacht, dass er in den Jahren vor seiner zweiten Eheschliessung Kinderbetreuerinnen angestellt gehabt und für diese AHV-Beiträge abgerechnet habe. In der Folge seien ihm von der AHV-Zweigstelle U. noch mehrmals entsprechende Lohnbescheinigungsformulare zugestellt worden, welche er "jeweils mit dem Vermerk 'Aufgrund Wiederverheiratung hinfällig' retourniert habe".
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B.b Zur Prüfung der Frage, ob die Ausgleichskasse des Kantons Bern oder die zuständige Gemeindezweigstelle tatsächlich auf die von A. geltend gemachte Art und Weise über die neuerliche Heirat vom 2. April 2004 in Kenntnis gesetzt worden war, holte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern bei beiden Behörden die leistungs- und die beitragsbezogenen Unterlagen ein. Mit Entscheid vom 10. April 2013 wies es die Beschwerde wiederum ab, soweit es darauf eintrat.
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C. A. führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, eine Rückerstattungspflicht sei gänzlich zu verneinen; eventuell sei die ![]() | 5 |
Während Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf Abweisung der Beschwerde schliessen, verzichtet das kantonale Gericht auf eine Vernehmlassung.
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D. Das Bundesgericht hat am 2. September 2014 eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Unter der Wendung "nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat", ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem die Verwaltung bei Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehen, oder mit andern Worten, in welchem sich der Versicherungsträger hätte Rechenschaft geben müssen über Grundsatz, Ausmass und Adressat des Rückforderungsanspruchs. Ist für die Leistungsfestsetzung (oder die Rückforderung) das Zusammenwirken mehrerer mit der Durchführung der Versicherung betrauter Behörden notwendig, genügt es für den Beginn des Fristenlaufs, dass die nach der Rechtsprechung erforderliche Kenntnis bei einer der zuständigen Verwaltungsstellen vorhanden ist (BGE 139 V 6 E. 4.1 S. 8; BGE 124 V 380 E. 1 S. 382; BGE 122 V 270 E. 5a S. 274; BGE 119 V 431 E. 4a S. 433; Urteil 9C_454/2012 vom 18. März 2013 E. 4, nicht publ. in: BGE 139 V 106, aber in: SVR 2013 IV Nr. 24 S. 66; ULRICH MEYER, Die Rückerstattung von Sozialversicherungsleistungen, in: Ausgewählte Schriften, Thomas Gächter [Hrsg.], 2013, S. 141 ff., 147 f.).
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Im Kanton Bern errichten die Einwohnergemeinden Zweigstellen der kantonalen Ausgleichskasse; mehrere Einwohnergemeinden können eine Zweigstelle gemeinsam führen (Art. 7 Abs. 1 und 2 des kantonalen Einführungsgesetzes vom 23. Juni 1993 zum AHVG [EG AHVG; BSG 841.11]). Nach Abs. 5 der letztgenannten Gesetzesbestimmung werden die Aufgaben und Befugnisse der Zweigstellen durch Verordnung des Regierungsrates geregelt. Gestützt darauf hat der Regierungsrat des Kantons Bern als weitere Aufgaben im Sinne von Art. 116 Abs. 1 in fine AHVV die Entgegennahme von Anmeldungen und Leistungsgesuchen, die Weiterleitung der überprüften Unterlagen sowie die laufende Meldung aller erheblichen Veränderungen den Gemeindezweigstellen übertragen (Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 der Verordnung vom 4. November 1998 über die Ausgleichskasse des Kantons Bern und ihre Zweigstellen [AKBV; BSG 841.111]). Überdies wirken die Zweigstellen nach Art. 10 Abs. 2 AKBV u.a. mit bei der Abrechnung von Lohnbeiträgen (lit. a) sowie bei der Überprüfung von Leistungsansprüchen (lit. d) und von Arbeitgebern, die nicht der Arbeitgeberkontrolle unterstehen (lit. e).
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3. Bereits im eingangs erwähnten Rückweisungsurteil 9C_276/2012 vom 14. Dezember 2012 (teilweise publ. in: BGE 139 V 6) hat ![]() | 13 |
Ferner hat das Bundesgericht im früheren den Beschwerdeführer betreffenden Urteil erkannt (9C_276/2012 E. 5.1), dass die Festsetzung und die Auszahlung der AHV-Renten (und somit auch die Rückforderung unrechtmässig bezogener Renten) nach Art. 63 Abs. 1 lit. b und c AHVG allein den Ausgleichskassen obliegt (vgl. auch die in vorstehender E. 2.2 dargelegte Zuständigkeitsregelung). Offenkundig können deshalb weder die Zivilstandsbehörde oder die Einwohner- und Fremdenkontrolle noch die (mit einem der Söhne des Beschwerdeführers befasste) IV-Stelle des Kantons Bern als (ebenfalls) mit der Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung betraute Behörden im Sinne der angeführten Rechtsprechung (E. 2.1 hievor in fine) gelten. Die Kenntnis einer in diesem Lichte unzuständigen Verwaltungsstelle vermag die einjährige Verwirkungsfrist des Art. 25 Abs. 2 ATSG nicht auszulösen.
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4. Wie im Sachverhalt erwähnt, erfolgte die Rückweisung ans kantonale Gericht, weil der Beschwerdeführer geltend gemacht hatte, er habe nach seiner zweiten Eheschliessung ihm zugestellte Lohnbescheinigungsformulare jeweils mit dem Vermerk "Aufgrund Wiederverheiratung hinfällig" zurückgesandt und den AHV-Behörden die Zivilstandsänderung auf diesem Wege zur Kenntnis gebracht. Die von der Vorinstanz eingeholten renten- und beitragsbezogenen Unterlagen der kantonalen Ausgleichskasse und deren ![]() | 15 |
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"Es ist in der Tat so, dass sowohl ich als auch meine damalige - langjährige - Mitarbeiterin als Privatpersonen Kenntnis davon hatten, dass Herr A. sich wieder verheiratet hatte. Ab welchem Zeitpunkt diese Kenntnis vorhanden war, kann nicht mehr gesagt werden."
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5.1 Die erwähnte Mitarbeiterin, welche während Jahrzehnten die AHV-Zweigstelle U. betreute, hatte sich in dieser Funktion auf vielfältige Weise mit dem Beschwerdeführer zu befassen und erhielt so immer wieder verwaltungsmässigen Einblick in dessen Schicksal und dasjenige seiner Familie. So wurde ihr am 2. Februar 2000 eine Kopie der Verfügung der IV-Stelle des Kantons Bern zugestellt, mit welcher der ersten Ehefrau des Beschwerdeführers wegen der Folgen eines Krebsleidens eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde. Drei Monate später musste sie deren Ableben mitteilen (der Ausgleichskasse des Kantons Bern am 7. Mai 2000 übermittelte "Veränderungsanzeige für AHV-/IV-Renten"). Wie der ![]() | 18 |
Während ihrer Krankheit benötigte die erste Ehefrau des Beschwerdeführers Mithilfe im Haushalt und vor allem bei der Pflege und Betreuung der drei noch nicht schulpflichtigen Kinder. Der Einsatz der berufsmässigen Helferinnen wurde von Pro Infirmis organisiert; deren Entlöhnung von der Stiftung bis zur Nachzahlung der IV-Rentenbetreffnisse bevorschusst. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau oblag es dem Beschwerdeführer selber, das Personal für die Haushaltführung und die Kinderbetreuung zu engagieren. Seine diesbezügliche Anmeldung als Arbeitgeber im Bereich Hausdienst/Kinderbetreuung und die entsprechende Aufnahme ins Mitgliederregister liefen ebenso über die langjährige Sachbearbeiterin der AHV-Zweigstelle U. wie die Erfassung der neueintretenden Arbeitnehmerinnen, die Lohnbescheinigungen und die Prüfung des Anschlusses an eine BVG-Vorsorgeeinrichtung. Im November 2003 beantragte der Beschwerdeführer - ebenfalls bei der Zweigstellenmitarbeiterin - die Ausstellung eines AHV-Versicherungsausweises für seine nachmalige zweite Ehefrau, welche im August 2002 aus V. (Mittelamerika) eingereist war und beim Witwerrentenbezüger als Angestellte den Haushalt führte und dessen drei Kinder betreute.
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5.2 Wann und unter welchen Umständen die Mitarbeiterin der Gemeindezweigstelle von der am 2. April 2004 geschlossenen Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner vormaligen Angestellten erfuhr, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Ersichtlich ist nur, dass sie auf dem Lohnbescheinigungsformular für das Jahr 2004 die (behördlicherseits vorgedruckte) alte Adresse des Beschwerdeführers handschriftlich korrigierte und die nunmehr zutreffende einsetzte (vgl. auch die wohl gleichzeitig verfasste Mutationsmeldung zuhanden der Beitragsabteilung der kantonalen Ausgleichskasse vom 12. Januar 2005). Das Paar war nämlich mit den drei Kindern kurz vor der Eheschliessung innerhalb der Gemeinde in das ![]() | 20 |
Im Rentendossier wurde die Adresse erst viel später korrigiert: Irgendwann in der ersten Hälfte des Jahres 2010 wurde der Zweigstellenmitarbeiterin (eventuell vom Beschwerdeführer) eine "Leistungsbestätigung" von "Januar 2010" vorgelegt, worin die Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Leistungen, dem Witwerrentenbezüger zuhanden der Steuerbehörden bescheinigte, dass im Jahre 2009 insgesamt Fr. 35'880.- an AHV-Renten (Witwer- und Waisenrenten) ausgerichtet worden seien. Auf welchem Wege die (im Rentendossier des Hauptsitzes abgelegte) Bestätigung seinerzeit in die Hände der Mitarbeiterin der Gemeindezweigstelle gelangte, ist nicht ersichtlich (weitere Exemplare der offenbar alljährlich von der Ausgleichskasse direkt an die Rentenbezüger versandten Bestätigungen finden sich weder in den vorgelegten Akten der kantonalen Ausgleichskasse noch in denjenigen ihrer Zweigstelle). Klar ist einzig, dass die Zweigstellenmitarbeiterin das Aktenstück betreffend die nach wie vor ausgerichtete Rente zu Gesicht bekommen hat, korrigierte sie doch in ihrer charakteristischen Handschrift unmittelbar auf der Bestätigung selber die Wohnadresse des Beschwerdeführers und füllte (gleichzeitig oder in der Folge) am 2. Juli 2010 ein Formular "Veränderungsanzeige für AHV-/IV-Renten" aus, worin sie den Betreff "Hinterlassenenrente" ankreuzte und den bereits Ende März 2004 erfolgten Umzug ins elterliche Wohnhaus erstmals auch der Abteilung Leistungen der kantonalen Ausgleichskasse mitteilte.
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5.3 Die geschilderten Lebensumstände des Beschwerdeführers sind nicht alltäglich. Angesichts der kleinräumigen Verhältnisse einer Gemeinde mit weniger als ...tausend Einwohnern vermag es deshalb auch nicht zu erstaunen, dass die Sachbearbeiterin der AHV-Zweigstelle (wie auch ihr Vorgesetzter) früher oder später Kenntnis von der zweiten Eheschliessung des Witwerrentenbezügers erlangt hat, ohne dass dieser selber den AHV-Organen seine Zivilstandsänderung je mitgeteilt hätte. Ob - wie der Beschwerdeführer sinngemäss geltend macht - überhaupt "alle in der Gemeindeverwaltung Tätigen" von Beginn weg von seiner Wiederverheiratung wussten, lässt sich ohne (Zeugen-)Befragungen nicht beantworten. Ebenso wenig lassen sich die Gründe eruieren, weshalb die Zweigstellenverantwortlichen trotz hievor erwähntem Hinweis auf die ![]() | 22 |
Kantonales Gericht und BSV halten die vom Beschwerdeführer beantragte Befragung bzw. Einvernahme der langjährigen Mitarbeiterin der AHV-Gemeindezweigstelle (und ihres Vorgesetzten, des Finanzverwalters der Einwohnergemeinde U.) für entbehrlich, weil deren Antworten so oder anders nichts am Ausgang des vorliegenden Verfahrens änderten. Dem ist im Folgenden nachzugehen.
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7. Im vorliegenden Fall stellt sich indessen die Frage, wie der Umstand zu werten ist, dass die Zweigstellenmitarbeiterin nicht im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit von der Neuvermählung erfuhr, sondern auf privatem Wege. Entgegen den Einwendungen des ![]() | 25 |
Erwägung 7.1 | |
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In systematischer Hinsicht ist Art. 31 ATSG (Randtitel: Meldung bei veränderten Verhältnissen) eingebettet zwischen der Bestimmung über die Weiterleitungspflicht der Durchführungsstellen (Art. 30 ATSG) und der Norm über die Amts- bzw. Verwaltungshilfe verschiedener Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden gegenüber den Sozialversicherungsorganen wie auch der Organe der einzelnen Sozialversicherungen untereinander (Art. 32 Abs. 1 und 2 ATSG). Regelungsgegenstand der jeweils benachbarten Gesetzesbestimmungen bildet demnach die Durchlässigkeit im zwischenbehördlichen Verhältnis. Im gleichen Sinne handelt auch Art. 31 Abs. 2 ATSG von der Durchlässigkeit zwischen Amtsstellen, indem er mit der Durchführung der Sozialversicherung betraute Personen oder Stellen ![]() | 28 |
Nichts Gegenteiliges lässt sich aus Art. 31 Abs. 1 ATSG ableiten, welcher u.a. auch "Dritten" eine Meldepflicht auferlegt (wozu durchaus auch Verwaltungsangestellte als Privatpersonen gezählt werden könnten). Aus dessen Wortlaut erhellt jedoch klar, dass nur Dritte angesprochen sind, "denen die Leistung zukommt" ("auxquels une prestation est versée"; "ai quali è versata la prestazione"). Schliesslich unterstreichen auch die Materialien zum hier streitigen Abs. 2 das bisher Gesagte. Im ursprünglichen Bericht und Entwurf der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungsrecht zu einem Allgemeinen Teil der Sozialversicherung aus dem Jahre 1984 wurden noch ausdrücklich die Arbeitgeber als ebenfalls meldepflichtig bezeichnet (Beiheft zur SZS 1984, S. 72 oben), wogegen der im Rahmen der Parlamentarischen Initiative Allgemeiner Teil Sozialversicherung von der ständerätlichen Kommission vorgelegte Entwurf vom 27. September 1990 davon absah (BBl 1991 II 197); die damals vorgeschlagene Fassung der Bestimmung wurde in der Folge zum Gesetz erhoben. Wenn demnach bewusst darauf verzichtet wurde, den Arbeitgeber (zu welchem immerhin ein Arbeitsverhältnis besteht) dem Kreis der meldepflichtigen Personen zuzurechnen, geht es noch viel weniger an, den mit der Versicherungsdurchführung betrauten Personen eine Meldepflicht hinsichtlich privat erlangter Informationen aufzuerlegen. Denn zwischen den Angestellten der Versicherungseinrichtungen und den Leistungsempfängern besteht ja regelmässig kein näheres Verhältnis.
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Aufgrund der dargelegten systematischen, zweckgerichteten und die Entstehungsgeschichte berücksichtigenden Auslegung fällt die ![]() | 30 |
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Nach Art. 321a Abs. 1 OR hat der Arbeitnehmer die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren. Er hat insbesondere alles zu unterlassen, was den Arbeitgeber wirtschaftlich schädigen könnte (BGE 124 III 25 E. 3a S. 27; BGE 117 II 72 E. 4a S. 74, BGE 117 II 560 E. 3a S. 561). Die allgemeine Treuepflicht ist Nebenpflicht zur Arbeitspflicht und ergänzt diese notwendig, indem sie der Arbeit einen Zweck, eine Zielrichtung verleiht: die Wahrung der Interessen des Arbeitgebers. Damit ist auch gesagt, dass die Interessenwahrungspflicht des Arbeitnehmers eine beschränkte ist: Sie besteht nur so weit, als ein genügender Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis besteht (STREIFF/ VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 2 zu Art. 321a OR). Im ausserdienstlichen Bereich ist der Arbeitnehmer frei; denn Grenze der Treuepflicht sind seine berechtigten eigenen Interessen, und das Privatleben gehört zu den berechtigten Eigeninteressen des Arbeitnehmers. Hier hat er sich lediglich aktiver Behinderung der Unternehmensziele zu enthalten (REHBINDER/STÖCKLI, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2010, N. 7 zu Art. 321a OR).
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Gemäss Art. 55 des Personalgesetzes des Kantons Bern vom 16. September 2004 (PG/BE; BSG 153.01) sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet, die Interessen des Arbeitgebers zu wahren und ihre Aufgaben gegenüber der Bevölkerung und dem Arbeitgeber rechtmässig, gewissenhaft, wirtschaftlich und initiativ zu erfüllen. Festzuhalten ist auch hier, dass sich die Treuepflicht auf das Arbeitsverhältnis beschränkt. Eine ausserdienstliche Treuepflicht wirkt nur insofern, als von der betroffenen Person ein Verhalten verlangt ![]() | 34 |
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Diese Betrachtungsweise ist denn auch unter verschiedensten Blickwinkeln sachgerecht. Sie vermeidet zum einen, dass einem bestimmten - richtig besehen: privaten - Personenkreis geradezu eine Denunzierungspflicht aufgebürdet wird. Der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Urteil vom 28. April 1998 (IX R 49/96) erwogen, dass die private Sphäre des Finanzbeamten unzumutbar belastet würde, wenn man ihm zur Pflicht machen würde, privates Wissen dienstlich zu nutzen (Bundessteuerblatt [BStBl.] 1998 II S. 458 E. 2c in fine). Ferner würde die Wirkung von Art. 31 Abs. 1 ATSG geschwächt, wenn den Versicherungsträgern privat erlangtes Wissen ihrer Angestellten zuzurechnen wäre. Die genannte Norm auferlegt ausdrücklich den Bezügerinnen und Bezügern, ihren Angehörigen oder Dritten, denen die Leistung zukommt, die Pflicht, jede wesentliche Änderung in den für eine Leistung massgebenden Verhältnissen dem Versicherungsträger oder dem jeweils zuständigen ![]() | 36 |
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9.2 Das kantonale Gericht legt seiner Ablehnung offenkundig den Umstand zugrunde, dass bei Einreichung der vorinstanzlichen Beschwerde vom 19. Dezember 2011 und gleichzeitig gestelltem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung die in E. 5 Ingress hievor zitierte Stellungnahme des Finanzverwalters von U. vom 1. März 2013 noch nicht bei den Akten lag. Dabei wird indes ausgeblendet, dass der Beschwerdeführer von Beginn weg geltend machte, dass die zuständigen Gemeindebehörden von der Wiederverheiratung gewusst haben. Aufgrund der geschilderten unüblichen Lebensumstände in kleinräumiger Umgebung war diese Annahme durchaus nicht unberechtigt, wenn sich auch die spätere Bestätigung auf ausserdienstlich erlangtes Wissen beschränkte. So gesehen ist die Stellungnahme des Finanzverwalters als Indiz zu werten, welches zwar erst nach Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung bekannt wurde, aber immerhin deutlich darauf hinweist, dass das Gesuch seinerzeit begründet war, und deshalb rechtsprechungsgemäss bei dessen Beurteilung mit zu berücksichtigen ist (Urteil 1P.424/1993 vom 6. September 1993 E. 3a). Die Vorinstanz wird die übrigen Erfordernisse der wirtschaftlichen Bedürftigkeit und der Gebotenheit anwaltlicher Vertretung zu prüfen und hernach über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung neu zu befinden haben.
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