BGE 141 V 466 | |||
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52. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_841/2014 vom 28. Juli 2015 | |
Regeste |
Art. 21 Abs. 3 und 5 ATSG; Art. 16 UVG; teilweise Einstellung des Taggeldes des Unfallversicherers während des Aufenthalts des Versicherten in einer Strafanstalt mit Rücksicht auf seine Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau (Angehörigenprivileg). | |
Sachverhalt | |
A. A., geboren 1977, bezieht Taggeldleistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA). Nachdem die SUVA davon Kenntnis erlangt hatte, dass er sich im Strafvollzug befand, stellte sie die Leistungen mit Verfügung vom 12. November 2012 und Einspracheentscheid vom 19. März 2013 für die Dauer des Strafvollzuges ab dem 8. Oktober 2012 ein.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 14. Oktober 2014).
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C. A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei ihm für die Dauer des Strafvollzuges das volle UVG-Taggeld zu entrichten. Überdies ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
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Die SUVA beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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" 1 Hat die versicherte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder bei vorsätzlicher Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt oder verschlimmert, so können ihr die Geldleistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder in schweren Fällen verweigert werden.
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3 Soweit Sozialversicherungen mit Erwerbsersatzcharakter keine Geldleistungen für Angehörige vorsehen, kann höchstens die Hälfte der Geldleistungen nach Absatz 1 gekürzt werden. Für die andere Hälfte bleibt die Kürzung nach Absatz 2 vorbehalten.
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4 (...)
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5 Befindet sich die versicherte Person im Straf- oder Massnahmevollzug, so kann während dieser Zeit die Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter ganz oder teilweise eingestellt werden; ausgenommen sind die Geldleistungen für Angehörige im Sinne von Absatz 3."
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Erwägung 4 | |
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4.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht, heute Bundesgericht, hat in BGE 102 V 167 (ZAK 1977 S. 116 ff.) erkannt, dass während der Strafverbüssung kein Anspruch auf eine Invalidenrente besteht (BGE 102 V 167 E. 2 S. 170; vgl. auch BGE 107 V 219 E. 2 S. 221 f. [ZAK 1983 S. 156 ff.]; BGE 110 V 284 E. 1b S. 286 [ZAK 1985 S. 477 ff.]). BGE 113 V 273 (ZAK 1988 S. 249 ff.) bestätigte die Praxis, wonach der Gefangene, für dessen Unterhalt die Öffentlichkeit aufkommt, keinen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Strafvollzug ziehen soll (BGE 113 V 273 E. 2b S. 277; EVGE 1948 S. 74 ff. E. 4 S. 78; SVR 1995 IV Nr. 35 S. 93, I 45/94 E. 2a). Ein Ruhen der Versicherungsleistungen ist mit dieser Überlegung auch nach den massgeblichen Regeln des internationalen Rechts zulässig (Art. 68 lit. b der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 [SR 0.831. 104]; Art. 32 Ziff. 1 lit. b des Übereinkommens Nr. 128 der IAO vom 29. Juni 1967 über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene [SR 0.831.105]; BGE 113 V 273 E. 2b S. 277 f.; MAESCHI, a.a.O, N. 6 zu Art. 13 MVG). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat seine Rechtsprechung mit BGE 113 V 273 insoweit geändert, als der Strafvollzug nicht mehr wie bis dahin als Revisionsgrund zu qualifizieren und der Anspruch auf eine Invalidenrente zu entziehen sei. Vielmehr sei die Rente zu sistieren und seien die Zusatzrenten weiter auszurichten (BGE 113 V 273 E. 2a S. 276, E. 2c S. 278 f.; BGE 114 V 143).
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4.6 Das sogenannte Angehörigenprivileg war im aMVG im erwähnten Art. 43 beziehungsweise in Art. 13 Abs. 2 MVG geregelt (vgl. oben E. 4.1), welche weitgehend übereinstimmten mit der heutigen Bestimmung von Art. 13 MVG (in Kraft seit dem 1. Januar 2003). Wenn der Versicherte Angehörige hat, denen im Falle seines Todes ein Rentenanspruch zustehen würde, ist ihnen Taggeld oder Invalidenrente während des Straf- und Massnahmevollzugs ganz oder teilweise auszurichten, sofern sie ohne diese Leistung in Not geraten würden.
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Ein Angehörigenprivileg war bereits im Entwurf zu einem Allgemeinen Teil der Sozialversicherung der Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungsrecht sowie im ständerätlichen Entwurf im Zusammenhang mit der Leistungskürzung enthalten. Es wurde eine besondere Regelung aufgenommen für die Leistungskürzung in Sozialversicherungszweigen, die keine besonderen Leistungen für Angehörige vorsehen. Wo der für Angehörige bestimmte Teil der Leistung nicht gesetzlich festgelegt sei, könne die Hälfte der Leistung als solcher gelten (Beiheft zur SZS 1984 S. 45, 68, Art. 25 Abs. 2 Satz 2 VE-ATSG; Parlamentarische Initiative Allgemeiner Teil Sozialversicherung, Bericht der Kommission des Ständerates vom 27. September 1990, BBl 1991 II 185 ff., 193, 256 zu Art. 27 Abs. 2 Satz 2 E-ATSG).
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Der allgemeine Grundsatz der Sistierung der Auszahlung von Geldleistungen bei Freiheitsentzug unter Vorbehalt eines Anspruches von Angehörigen wurde erstmals in der vertieften Stellungnahme des Bundesrates zur Parlamentarischen Initiative Sozialversicherungsrecht vorgesehen: Unter dem Titel "Geldleistungen bei Freiheitsentzug" wurde festgehalten, dass die Auszahlung von Geldleistungen teilweise oder ganz eingestellt werden kann, wenn der Versicherte eine Freiheitsstrafe (oder Massnahme) verbüsst, dass jedoch Angehörige des Versicherten, denen im Falle seines Todes eine Geldleistung zustehen würde, Anspruch haben auf die teilweise oder vollständige Ausrichtung von Geldleistungen, sofern sie andernfalls in Not geraten würden. Es wurde dabei verwiesen auf den erwähnten Art. 13 MVG (oben E. 4.6) und auf die Rechtsprechungsänderung nach BGE 113 V 273 sowie BGE 114 V 143, wonach der Anspruch auf eine Invalidenrente bei Strafgefangenschaft nicht mehr zu entziehen, sondern zu sistieren war, die Zusatzrenten jedoch weiter auszurichten waren (oben E. 4.2; Art. 27 Abs. 5 lit. a und b des bundesrätlichen Entwurfs, BBl 1994 V 921 ff., 937; JÜRG MAESCHI, Das Bundesgesetz über die Militärversicherung [MVG] vom 19. Juni 1992 und die Koordination des Sozialversicherungsrechts, SZS 2001 S. 270 ff., 275 f.). Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit stellte in ihrem Bericht vom 26. März 1999 klar, dass der Rentenanspruch bei Strafgefangenschaft zu sistieren, die für die Deckung des Unterhaltsbedarfs der Angehörigen bestimmten Zusatzrenten hingegen weiter auszurichten seien. Die redaktionelle Neufassung von (nunmehr) Abs. 4 des Art. 27 lautete: "Befindet sich der Versicherte im Straf- oder Massnahmevollzug, kann während dieser Zeit die Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter mit Ausnahme derjenigen für Ansprüche der Angehörigen im Sinne von Absatz 2bis ganz oder teilweise eingestellt werden"; Absatz 2bis dieses Entwurfs entspricht dem heutigen Art. 21 Abs. 3 ATSG (BBl 1999 4523 ff., 4565 ff.). In der Diskussion des Gesetzesentwurfs im Nationalrat wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Kommission damit eine breit abgestützte Änderung zugunsten der Versicherten verabschiedet habe (AB 1999 N 1240, Votum Rechsteiner; vgl. zur Entstehungsgeschichte UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Vorbemerkungen N. 19 ff.).
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4.9 Aus der dargelegten Entstehungsgeschichte von Art. 21 ATSG ist zu folgern, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Sistierung von Geldleistungen während des Straf- oder Massnahmenvollzuges unter Vorbehalt des Angehörigenprivilegs positivrechtlich regeln wollte. Mit Abs. 5 wird, analog zu Abs. 3 über die Kürzung von Geldleistungen, bestimmt, dass eine lediglich teilweise, höchstens hälftige Einstellung der Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter erfolgt in Versicherungszweigen, die keine separaten Leistungen für Angehörige ausscheiden. Dies entspricht auch den Vorgaben des internationalen Rechts, sieht Art. 68 lit. b der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit doch als Ausnahme vom Grundsatz der Sistierung vor, dass ein Teil der Leistung den unterhaltsberechtigten Angehörigen des Leistungsempfängers zu gewähren sei.
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Erwägung 5 | |
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