BGE 142 V 290 | |||
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32. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle Luzern gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_178/2015 vom 4. Mai 2016 | |
Regeste |
Art. 28a Abs. 3 Satz 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG; Invaliditätsbemessung bei teilerwerbstätigen Versicherten ohne Aufgabenbereich. | |
Sachverhalt | |
A. Die 1953 geborene A. meldete sich im September 2001 wegen verschiedener Beschwerden (Depression, Fibromyalgie, Tennisarm, Schmerzen in den Füssen, Migräne und Kniearthrose) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärung der Verhältnisse ermittelte die IV-Stelle Luzern anhand der für Teilerwerbstätige anwendbaren gemischten Methode einen Invaliditätsgrad von 51,13 %. Dabei ging sie davon aus, dass A. in der mit 40 % gewichteten Haushaltführung um 8 % (Teilinvaliditätsgrad von 3,2 %) und in dem mit 60 % gewichteten erwerblichen Bereich um 79,88 % (Teilinvaliditätsgrad von 47,93 %) eingeschränkt sei. Gestützt darauf sprach sie der Versicherten rückwirkend ab 1. September 2001 eine halbe Invalidenrente zu (Verfügung vom 11. März 2004).
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Am 6. August 2008 erhöhte die IV-Stelle den Anspruch revisionsweise aufgrund eines neu ermittelten Invaliditätsgrades von 63 % (Teilinvaliditätsgrad von neu 60 % im [unverändert mit 60 % gewichteten] erwerblichen Bereich; Teilinvaliditätsgrad von unverändert 3,2 % im Haushaltbereich) per 1. Januar 2007 auf eine Dreiviertelsrente. Im Rahmen einer im Jahr 2011 durchgeführten Revision bestätigte die Verwaltung den Anspruch (Mitteilung vom 11. Juni 2012).
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Im August 2012 ersuchte A. die IV-Stelle um Erhöhung der Dreiviertelsrente auf eine ganze Rente. Nach Abklärungen, insbesondere Einholung eines Haushaltberichts (erstattet am 7. Januar 2013), und Durchführung des Vorbescheidverfahrens entschied die Verwaltung in ablehnendem Sinne (Verfügung vom 14. Februar 2013).
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B. Beschwerdeweise liess A. beantragen, die Verfügung vom 14. Februar 2013 sei aufzuheben und es sei ihr eine ganze Rente (einschliesslich Haushalthilfe) zuzusprechen. Das angerufene Kantonsgericht Luzern gab den Parteien Gelegenheit, sich im Lichte des Bundesgerichtsurteils BGE 131 V 51 zur Sache zu äussern, wovon sowohl die IV-Stelle (Schreiben vom 13. Januar 2015) als auch A. (Schreiben vom 14. Januar 2015) Gebrauch machten. Mit Entscheid vom 2. Februar 2015 hiess das Gericht die Beschwerde gut, soweit darauf einzutreten war, hob die Verfügung vom 14. Februar 2013 auf und verpflichtete die IV-Stelle, der Versicherten ab 1. August 2012 eine ganze Invalidenrente auszurichten.
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C. Die IV-Stelle erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei hinsichtlich Ziffer 1, soweit diese den Rentenanspruch betrifft, und hinsichtlich Ziffer 2 aufzuheben. Ihre Verfügung vom 14. Februar 2013 sei zu bestätigen.
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A. beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Vorinstanz hält an ihrem Entscheid fest.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 3 | |
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3.3 Die Vorinstanz (welcher sich die Versicherte in ihrer Vernehmlassung anschliesst) und die Beschwerde führende IV-Stelle gelangen indessen zu unterschiedlichen Ergebnissen, dies obwohl sie übereinstimmend von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit, einem hypothetischen Erwerbspensum von 60 % und der Anwendbarkeit der Einkommensvergleichsmethode gemäss Art. 16 ATSG ausgehen: Während die Vorinstanz einen Invaliditätsgrad von 100 % ermittelt, resultiert nach der Berechnung der IV-Stelle (entsprechend dem erwerblichen Bereich) ein solcher von 60 %.
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Bei nicht erwerbstätigen Versicherten, die im Aufgabenbereich tätig sind und denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, wird für die Bemessung der Invalidität in Abweichung von Art. 16 ATSG darauf abgestellt, in welchem Masse sie unfähig sind, sich im Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 28a Abs. 2 IVG). Dies ist die spezifische Methode der Invaliditätsbemessung (Betätigungsvergleich).
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Bei Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig sind oder die unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin mitarbeiten, wird für diesen Teil die Invalidität nach Art. 16 ATSG festgelegt. Waren sie daneben auch im Aufgabenbereich tätig, so wird die Invalidität für diese Tätigkeit nach Absatz 2 festgelegt. In diesem Fall sind der Anteil der Erwerbstätigkeit oder der unentgeltlichen Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin und der Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich festzulegen und der Invaliditätsgrad in beiden Bereichen zu bemessen (Art. 28a Abs. 3 IVG). Dies ist die gemischte Methode der Invaliditätsbemessung (vgl. BGE 137 V 334; vgl. auch BGE 141 V 15 E. 3.2 S. 20 f.). Ob sie weiterhin Bestand hat angesichts des unlängst, am 2. Februar 2016 ergangenen, noch nicht endgültigen Urteils der zweiten Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Di Trizio gegen die Schweiz (7186/09), welches in ihr eine indirekte Diskriminierung erblickt, ist hier nicht zu entscheiden (offengelassen in den Urteilen 8C_633/2015 vom 12. Februar 2016 E. 4.3 und 8C_116/2016 vom 29. März 2016 E. 4.3).
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Erwägung 6 | |
6.1 In Anwendung dieser Grundsätze hat die Vorinstanz bei der am Recht stehenden Versicherten, die im unverändert mit 60 % zu veranschlagenden erwerblichen Bereich weiterhin vollständig arbeitsunfähig ist, anhand der Einkommensvergleichsmethode (Erwerbsausfall von 100 % unabhängig von der Höhe des Valideneinkommens angesichts des Invalideneinkommens von Fr. 0.-) einen Invaliditätsgrad von 100 % ermittelt und ihr gestützt darauf mit Wirkung ab 1. August 2012 eine ganze Rente zugesprochen.
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6.3 Dass die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei Ausserachtlassung des Aufgabenbereichs nach der erwähnten Praxis "erstaunlicherweise" regelmässig zu einem höheren Invaliditätsgrad führt als bei dessen Berücksichtigung, stellte auch die Lehre fest (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 96 zu Art. 16 ATSG; SUSANNE GENNER, Invaliditätsbemessung bei Teilzeiterwerbstätigen, SZS 2013 S. 446 ff., 449 f.). KIESER illustriert die Rechtslage anhand des folgenden Beispieles, welches ähnlich liegt wie der hier zu beurteilende Sachverhalt: Bei einem zu 60 % erwerbstätigen (Valideneinkommen von Fr. 60'000.-) und zu 40 % mit einem Hobby beschäftigten Versicherten, der lediglich noch zu 30 % erwerbstätig sein und daraus ein Einkommen von Fr. 30'000.- (Invalideneinkommen) erzielen kann, resultiert ein Invaliditätsgrad von 50 % ([60'000 - 30'000] x 100 / 60'000). Wäre der Versicherte neben der 60%igen Erwerbstätigkeit zu 40 % in einem Aufgabenbereich tätig, müsste die zusätzliche Einbusse im Haushalt (angenommen 20 %) berücksichtigt werden; diesfalls ergäbe sich ein Gesamtinvaliditätsgrad von lediglich 38 % (30 % [{(60'000 - 30'000) x 100 / 60'000} x 0,6] aus dem Erwerb und 8 % aus dem Haushalt).
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6.5 Im Ergebnis führt die Praxis gemäss BGE 131 V 51 dazu, dass bei der Beschwerdegegnerin als Teilerwerbstätige (Pensum von 60 %) ohne Aufgabenbereich mit der Ermittlung eines Invaliditätsgrades von 100 % die gemäss Art. 28a IVG in Verbindung mit Art. 27 IVV nicht versicherte Freizeit ("Pensum" von 40 %) mitentschädigt wird. Die IV-Stelle kritisiert dies und macht geltend, bei einer Teilerwerbstätigkeit von 60 % ohne daneben bestehendem Aufgabenbereich könne der Invaliditätsgrad bei maximaler Leistungseinschränkung (100 %) das Pensum der Teilerwerbstätigkeit von 60 % nicht übersteigen. Sinngemäss beantragt die Beschwerdeführerin damit, die Rechtsprechung dahingehend zu präzisieren, dass auch bei den Teilerwerbstätigen ohne Aufgabenbereich der aus dem Einkommensvergleich resultierende Invaliditätsgrad proportional - in casu mit dem Faktor 0,6 entsprechend dem erwerblichen Bereich von 60 % - zu berücksichtigen ist.
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Erwägung 7 | |
7.1 Entsprechend der Zielsetzung der Invalidenversicherung, die wirtschaftlichen Folgen der Invalidität zu mildern (vgl. Botschaft vom 24. Oktober 1958 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung und eines Bundesgesetzes betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1958 II 1137 ff., insb. 1161 f.; vgl. auch BGE 137 V 334 E. 5.5.3 S. 345), ist das versicherte Risiko in der Invalidenversicherung die Erwerbsinvalidität, die von der effektiven, gesundheitlich bedingten Erwerbseinbusse abhängt. Eine versicherte Person, welche im Gesundheitsfall ihr wirtschaftliches Potential nicht voll ausnützt, indem sie zwar in der Lage wäre, voll erwerbstätig zu sein, sich aber für eine Teilzeitstelle entscheidet, um mehr Freizeit zu haben, begnügt sich mit einem Teilzeitlohn und verzichtet damit freiwillig auf einen Teil des Lohnes, den sie erzielen könnte, wenn sie vollerwerbstätig wäre. Dass ihr Erwerbseinkommen vermindert ist, stellt die Folge ihrer Wahl dar. Der nicht verwertete Teil ihrer Erwerbsfähigkeit ist damit nicht versichert (BGE 135 V 58 E. 3.4.1 S. 61; BGE 131 V 51 E. 5.1.2 S. 53; Urteil 9C_112/2012 vom 19. November 2012 E. 4.6) und ein Ausgleich durch die Invalidenversicherung demzufolge nicht statthaft (BGE 137 V 334 E. 5.5.3 S. 345 f.; BGE 131 V 51 E. 5.1.2 S. 53). Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass eine teilerwerbstätige versicherte Person ohne Aufgabenbereich eine gesundheitlich bedingte Erwerbseinbusse lediglich im Rahmen des versicherten Bereiches, welcher dem (hypothetischen) Beschäftigungsgrad entspricht, erleidet und deshalb auch nur in diesem Umfang ein Ausgleich stattfinden kann. Es verhält sich nicht anders als bei den Vollerwerbstätigen, bei welchen wegen des auf 100 % Bezug nehmenden Einkommensvergleichs (Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) ebenfalls maximal ein dem versicherten Bereich (100 %) entsprechender Invaliditätsgrad (mithin maximal 100 %) resultieren kann.
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7.2 Für diese Betrachtungsweise spricht auch das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) bzw. eine verfassungskonforme Auslegung (vgl. dazu BGE 140 I 77 E. 5.3 S. 81 mit Hinweisen) der Bestimmung des Art. 28a Abs. 3 Satz 1 IVG. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung muss die Einbusse, die eine versicherte Person in einem bestimmten (hypothetischen) erwerblichen Teilpensum (hier: 60 %) erleidet, in diesem Bereich zum selben Invaliditätsgrad führen, unabhängig davon, ob sie daneben (d.h. in den hypothetisch verbleibenden 40 %) keinen Aufgabenbereich hat (wie die Beschwerdegegnerin im hier zu beurteilenden Zeitraum), in einem Aufgabenbereich tätig ist (wie dies bei der Beschwerdegegnerin früher der Fall war [Verfügung vom 11. März 2004; Mitteilung vom 11. Juni 2012]), oder ein weiteres erwerbliches Teilpensum hat und damit als vollerwerbstätig gilt. Eine Gleichbehandlung rechtfertigt sich deshalb, weil die drei genannten Versichertenkategorien bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit im erwerblichen Teilpensum von 60 % denselben Einkommensverlust - nämlich einen solchen von 60 % - erleiden. Es sind keine Gründe ersichtlich, bei den teilerwerbstätigen Versicherten ohne Aufgabenbereich eine sich lediglich im Teilzeitpensum auswirkende Arbeitsunfähigkeit über dessen Umfang hinaus (hier mit 100 statt 60 %) zu berücksichtigen.
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Erwägung 8 | |
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8.2 Entsprechend dem Invaliditätsgrad von 60 % hat die Beschwerdegegnerin weiterhin Anspruch auf eine Dreiviertelsrente (Art. 28 Abs. 2 IVG). Der vorinstanzliche Entscheid, mit welchem der Versicherten aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % eine ganze Rente zugesprochen wird, ist demnach aufzuheben. Die eine Rentenerhöhung ablehnende Verfügung der IV-Stelle vom 14. Februar 2013 ist im Ergebnis zu bestätigen. (...)
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