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38. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen IV-Stelle Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_676/2015 vom 7. Juli 2016 | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 IVG; Art. 6, Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 ATSG; posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). |
Entgegen dem Antrag des BSV braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht entschieden zu werden, ob die Praxis nach BGE 141 V 281 auf alle (psychischen) Leiden auszudehnen ist (E. 5.3). | |
Sachverhalt | |
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B. Die gegen diese beiden Verfügungen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 14. August 2015 ab.
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C. Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm von April 2012 bis Dezember 2013 eine ganze und ab Januar 2014 eine Dreiviertelsrente, eventuell ab Januar 2014 eine halbe Invalidenrente auszurichten; die unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren sei zu bewilligen; für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf Beschwerdeabweisung. Mit Eingabe vom 30. November 2015 hält der Versicherte an der Beschwerde fest.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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3. Die Vorinstanz erwog mit einlässlicher Begründung - auf die verwiesen wird - im Wesentlichen, das allgemeininternistische, psychiatrische, orthopädische, neurologische und otorhinolaryngologische ABI-Gutachten vom 10. Juni/4. November 2014 erfülle hinsichtlich der Diagnosestellung die Anforderungen an eine medizinische Beurteilungsgrundlage. Die gutachterliche Annahme, dass der Versicherte nicht an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide und keine depressive Störung vorliege, überzeuge. Körperlich bestünden einzig qualitative Gehörseinschränkungen. Aus neurologischer und orthopädischer Sicht seien dem Versicherten körperlich mittelschwere, nach Eingewöhnungszeit und regelmässiger körperlicher Aktivität auch schwere Tätigkeiten ohne ausgeprägte schulterbelastende Arbeiten voll zumutbar. Das ABI-Gutachten erlaube eine Beurteilung der psychischen Problematik gestützt auf die mit Urteil BGE 141 V 281 geänderte Rechtsprechung zu den psychosomatischen bzw. äquivalenten Leiden, zu denen die PTBS gehöre. Zum Komplex der "Gesundheitsschädigung" (BGE 141 V 281 E. 4.3.1 S. 298) sei festzuhalten, dass die Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde und Symptome nicht übermässig sei, liege doch keine schwere PTBS vor. Betreffend "Behandlungserfolg oder -resistenz" sei zu bemerken, dass der Versicherte den Cannabiskonsum, der sich ungünstig auf die Verarbeitung des dramatischen Ereignisses auswirke, nicht aufgebe, obwohl ihm dies ohne Weiteres zumutbar wäre. Weiter bestünden keine Komorbiditäten. Zudem seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Persönlichkeit des Versicherten ein Leistungsvermögen ausschlösse (BGE 141 V 281 E. 4.3.2 S. 302). Der soziale Kontext (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303) mit täglichem Kontakt zu Kollegen zeige, dass sich die PTBS nicht in jedem Lebensbereich manifestiere. Der Versicherte sei meistens nachmittags mit zwei bis drei Kollegen unterwegs; er mache Spaziergänge, besuche das Restaurant eines Kollegen, wo er mit der Play-Station spielen könne. In der Kategorie "Konsistenz" (BGE 141 V 281 E. 4.4 S. 303) bestehe keine gleichmässige Einschränkung des Aktivitätsniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen. Insbesondere zeigten der tägliche Kontakt mit Kollegen, der gemeinsame Cannabiskonsum, das Spielen von Videogames sowie das Lesen von Zeitungen, dass die Einschränkungen sich nicht konsistent manifestierten. Immerhin nehme der Versicherte therapeutische Optionen wahr, verzichte aber nicht auf den für ihn besonders schädlichen Cannabiskonsum. Angesichts ![]() | 6 |
Erwägung 4 | |
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Erwägung 5 | |
5.1 Eine PTBS entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmasses (kurz oder lang ![]() | 9 |
Neuere Übersichtsarbeiten sprechen von einer "sizeable minority" in einer Grössenordnung von 10 %, bei denen über Jahre hinweg Symptome einer PTBS persistieren. Insbesondere progrediente Entwicklungen widersprechen dem zu erwartenden degressiven Charakter posttraumatischer Störungen (WOLFGANG SCHNEIDER UND ANDERE, Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, 2012, S. 533). WOLFGANG HAUSOTTER, Begutachtung somatoformer und funktioneller Störungen, 2. Aufl. 2004, S. 196, geht davon aus, dass eine Krankheitswertigkeit der PTBS gegeben ist, wenn eine Mindestschwere vorliegt, bedeutsame Zusatzsymptome hinzutreten und die Erfüllung von Alltagsaufgaben nicht mehr möglich ist.
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Erwägung 5.2 | |
5.2.1 Die Rechtsprechung hat zu den "vergleichbaren psychosomatischen Leiden" bislang ausdrücklich jene gezählt, die im Nachgang zu BGE 130 V 352 über die Jahre als sogenannte "pathogenetisch-ätiologisch unklare syndromale Beschwerdebilder ohne nachweisbare organische Grundlage" in invalidenversicherungsrechtlicher Hinsicht den gleichen sozialversicherungsrechtlichen Anforderungen (Regel-Ausnahmemodell mit "Überwindbarkeitsvermutung") unterstellt wurden. In der betreffenden Aufzählung, auf die BGE 141 V 281 in E. 4.2 verweist, findet sich die PTBS gerade nicht erwähnt ![]() | 11 |
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5.2.3 Bei der hier anstehenden Beurteilung ist davon auszugehen, dass es sich bei der PTBS ganz allgemein um eine Störung handelt, ![]() | 13 |
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