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55. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Bundesamt für Gesundheit (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_737/2015 vom 13. Oktober 2016 | |
Regeste |
Art. 65d Abs. 1ter KVV (in Kraft gestanden vom 1. Mai 2012 bis 30. Juni 2015) und Art. 35b KLV i.V.m. der Übergangsbestimmung zur Änderung der KLV vom 21. März 2012 (gültig vom 1. Mai 2012 bis 31. Dezember 2014); Auslandpreisvergleich; Toleranzmarge zum durchschnittlichen Fabrikabgabepreis der Referenzländer. |
Wird ein Arzneimittel zunächst befristet und anschliessend unbefristet in die Spezialitätenliste aufgenommen, besteht im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der unbefristeten Aufnahme kein Anspruch auf Gewährung einer Toleranzmarge (E. 6). Die Nichtgewährung einer Toleranzmarge verstösst weder gegen die Rechtsgleichheit (E. 7.1) noch schränkt sie die Wirtschaftsfreiheit ein (E. 7.2). | |
Sachverhalt | |
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Am 20. Dezember 2011 stellte die A. AG ein Gesuch um (unbefristete) Aufnahme von C. in die SL per 1. Oktober 2012 zu den Publikumspreisen von Fr. x (28 Stück, 5mg/10mg) und Fr. x (98 Stück, 5mg/10mg). In der Folge stellte sich das BAG auf den Standpunkt, die Wirtschaftlichkeit von C. wäre erst im Falle der Senkung des Fabrikabgabepreises auf das durchschnittliche Auslandpreisniveau zu bejahen; die Gewährung einer Toleranzmarge zum durchschnittlichen Fabrikabgabepreis der Referenzländer sei bei Neuaufnahmegesuchen nicht vorgesehen. Ferner könne ein TQV nicht durchgeführt werden, weil der Preis des Arzneimittels, mit welchem C. im Jahre 2009 verglichen worden sei, auf Generikapreisniveau gesunken sei. Nach einer Verlängerung der befristeten Aufnahme bis 30. November 2012 (Verfügung vom 27. September 2012) ordnete das ![]() | 2 |
B. Eine hiergegen erhobene Beschwerde, mit welcher die Aufnahme von C. in die SL zu den Publikumspreisen von Fr. x (28 Stück, 5mg/10mg) und Fr. x (98 Stück, 5mg/10mg) beantragt wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht - nachdem es mit Zwischenverfügung vom 11. März 2013 die Publikumspreise von C. für die Dauer des Verfahrens mit Wirkung ab 15. März 2013 auf Fr. x (28 Stück, 5mg/10mg) und Fr. x (98 Stück, 5mg/10mg) festgesetzt hatte - mit Entscheid vom 1. September 2015 ab.
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C. Die A. AG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. September 2015 sei aufzuheben und die Sache sei an das BAG zurückzuweisen, damit dieses die Preise für C. unter Einbezug eines TQV und Gewährung einer Toleranzmarge von 5 % festsetze.
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Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
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D. Am 4. April 2016 teilt die Beschwerdeführerin mit, die Zulassung des Arzneimittels C. sei per 1. Februar 2016 auf die B. AG übertragen worden. Ein Parteiwechsel werde nicht beantragt, doch wären Mehreinnahmen für die Zeit ab 1. Februar 2016 bei Letzterer zurückzufordern.
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Der Beschwerdegegner lässt sich am 21. April 2016 vernehmen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
5. Strittig ist zunächst, ob die Verwaltung das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 20. Dezember 2011 um unbefristete Aufnahme von C. in die SL per 1. Oktober 2012 zu Recht wie ein "Neuaufnahmegesuch" behandelt hat. Dieser Terminus, welcher sich weder in Gesetz noch Verordnung findet, gelangt gemäss Ziff. B.1.1.1 des vom BAG herausgegebenen Handbuchs betreffend die Spezialitätenliste (SL) vom 1. September 2011 (Stand 1. Januar 2012; fortan: SL-Handbuch; abrufbar unter www.bag.admin.ch), bei welchem es sich um eine Verwaltungsverordnung handelt (GIGER/SAXER/WILDI/FRITZ, Arzneimittelrecht, 2013, S. 125; URSULA EGGENBERGER STÖCKLI, Gesundheitsrecht: Heilmittel, in: Fachhandbuch Verwaltungsrecht, ![]() | 9 |
Erwägung 5.1 | |
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5.1.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Überprüfung von C. im Jahre 2012 sei keine "Neuaufnahme" gewesen und habe sich materiell nicht von einer Überprüfung alle drei Jahre unterschieden: Die Verwaltung habe C. 2009 für drei Jahre befristet in die SL aufgenommen u.a. mit einer Umsatzbegrenzung. Die Festlegung einer Umsatzobergrenze sei indes kein Element der Wirtschaftlichkeit im Sinne des KVG. Mit der Umsatzobergrenze habe der Beschwerdegegner ein sachfremdes Element eingeführt, welches keine zutreffende Begründung sei, um C. im Jahre 2012 einem Neuaufnahmeverfahren und nicht der dreijährlichen Überprüfung der Aufnahmebedingungen zu unterwerfen. Dasselbe gelte für die Begründung des BAG, die Befristung habe zur Prüfung eines allfälligen off-label-use gedient. Die Tatsache, dass C. in die SL aufgenommen worden sei, bedeute, dass die Aufnahmebedingungen erfüllt gewesen seien, wenn ![]() | 11 |
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5.2 Vorweg ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass eine befristete Aufnahme in die SL grundsätzlich zulässig war bzw. ist (BGE 137 V 295 E. 6.1.2.1 S. 304 f.; GEBHARD EUGSTER, Die obligatorische Krankenpflegeversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 623 Rz. 706; GÄCHTER/MEIENBERGER, Rechtsgutachten zuhanden der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle vom 8. Februar 2013, in: Evaluation der Zulassung und Überprüfung von Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom 13. Juni 2013 - Materialien zum Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates, S. 41 Rz. 68, S. 45 Rz. 85; Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten in der Spezialitätenliste - Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 25. März 2014, S. 10 f. Ziff. 3.3; beide Dokumente abrufbar unter www.parlament.ch; vgl. nunmehr auch Art. 65 Abs. 5 und Art. 71 Abs. 3 KVV in der ab ![]() | 13 |
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Erwägung 6.1 | |
6.1.1 Die Vorinstanz führte aus, die Toleranzmarge sei mit der Änderung der KLV vom 30. Juni 2010 im Rahmen der Revision von ![]() | 15 |
6.1.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Begründung im angefochtenen Entscheid treffe aus formeller Sicht und bei einer Auslegung nach dem Wortlaut zwar zu, doch lasse sie die Auslegung nach dem Zweck, welcher auch nach Ansicht der Vorinstanz nicht gegen die Anwendung bei allen Medikamentenpreisüberprüfungen spreche, völlig ausser Acht. Die Toleranzmarge soll nach dem Willen des Verordnungsgebers den Einfluss des Zerfalls des Eurokurses verhindern oder abschwächen, weil dieser zu ausschliesslich oder in hohem Masse wechselkursbedingten Preissenkungen führen würde. Derartige wechselkursbedingte Preissenkungen resultierten zwar nicht bei einer Neuaufnahme, aber - gleich wie bei einer ![]() | 16 |
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Erwägung 6.3 | |
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6.3.2 Die von der Vorinstanz vorgenommene grammatikalische und systematische Auslegung der Art. 65d Abs. 1ter KVV und Art. 35b KLV i.V.m. der Übergangsbestimmung zur Änderung der KLV vom 21. März 2012 (AS 2012 1769 Ziff. II), welche gegen einen Anspruch auf eine Toleranzmarge im Falle der Neuaufnahme eines Arzneimittels in die SL spricht, wird nicht bestritten und überzeugt. Dies vor allem mit Blick auf den vorinstanzlich erwähnten Umstand, dass die Bestimmung betreffend die Toleranzmarge - nota bene anders als jene betreffend die Referenzperiode für die Berechnung des Wechselkurses (Art. 35 Abs. 3 Satz 3 KLV), die für alle Preisüberprüfungen sowie für Neuaufnahmen zur Anwendung gelangt (Ziff. 4.2.1 der Publikation "Änderungen und Kommentar im Wortlaut" des BAG vom 9. März 2012 zu den Änderungen der KVV und KLV per 1. Mai 2012; abrufbar unter www.bag.admin.ch) - sowohl auf Stufe KVV als auch auf Stufe KLV bei der dreijährlichen Überprüfung der Aufnahmebedingungen, mithin gerade nicht bei den Bestimmungen betreffend die "allgemeinen Aufnahmebedingungen" (Art. 65 KVV) ![]() | 19 |
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Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) ist verletzt, wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Gleiches muss nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt werden. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden, je nach den herrschenden Anschauungen und Verhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Gestaltungsspielraum (BGE 138 I 225 E. 3.6.1 S. 229; BGE 137 I 167 E. 3.5 S. 175; BGE 136 I 1 E. 4.1 S. 5; BGE 135 V 361 E. 5.4.1 S. 369).
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Eine Verletzung des Gebots der rechtsgleichen Behandlung ist mit der Vorinstanz zu verneinen. Wie bereits dargelegt wurde (E. 6.3.4 zweiter Absatz hiervor), befand sich C. bei der Neuaufnahme - namentlich angesichts der Befristung der Aufnahme im Jahre 2009 und infolgedessen in Ermangelung eines Publikumspreises für die Zeit nach Ablauf der Befristung - nicht in derselben Ausgangslage wie ein unbefristet aufgenommenes Arzneimittel bei der dreijährlichen Überprüfung der Aufnahmebedingungen. Vielmehr ist die Situation von C. vergleichbar mit jener eines Arzneimittels, für welches erstmals um Aufnahme in die SL ersucht wird. In beiden Fällen erfolgt grundsätzlich eine umfassende und "freie" Beurteilung sämtlicher Aufnahmekriterien in dem Sinne, dass keine rechtsbeständigen Elemente (u.a. Publikumspreis) vorhanden sind; demzufolge wirkt sich die Wechselkursproblematik auf die beiden letztgenannten ![]() | 26 |
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Was die Rüge der Verletzung der Wirtschaftsfreiheit betrifft, ist festzuhalten, dass die Sozialversicherung als solche auf Verfassungs- und Gesetzesstufe der Wirtschaftsfreiheit weitgehend entzogen ist. In Bereichen, in denen von vornherein kein privatwirtschaftlicher Wettbewerb herrscht, wie bei der Festlegung von Tarifen für Leistungen, die durch die staatlich (mit)finanzierte Sozialversicherung bezahlt werden (z.B. Art. 43 ff. KVG), sind Preisvorschriften zulässig; die Wirtschaftsfreiheit gibt insbesondere keinen Anspruch darauf, in beliebiger Höhe Leistungen zu Lasten der sozialen Krankenversicherung zu generieren (BGE 138 II 398 E. 3.9.2 S. 425; BGE 132 V 6 E. 2.5.2 S. 14 f.; BGE 130 I 26 E. 4.3 S. 41 f.; Urteil 2C_940/2010 vom 17. Mai 2011 E. 4.4, publ. in: ZBl 113/2012 S. 487). Die Beschwerdeführerin ist somit durch den Entscheid, bei der Preisfestsetzung von C. keine Toleranzmarge von 5 % zum durchschnittlichen Fabrikabgabepreis der Referenzländer zu gewähren, nicht in einer durch die Wirtschaftsfreiheit geschützten Tätigkeit rechtlich eingeschränkt. Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf BGE 130 I 26 E. 4.4 S. 42 geltend macht, sich aufgrund der faktischen Einschränkung ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit auf die Wirtschaftsfreiheit bzw. den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen berufen zu können, geht sie fehl. Im erwähnten Entscheid betreffend den Zulassungsstopp für Medizinalpersonal erwog das Bundesgericht, durch die Nichtzulassung als Leistungserbringer zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung werde den betroffenen Ärzten die Führung einer eigenen Praxis zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch wesentlich erschwert. Deshalb seien sie befugt, u.a. die Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen zu rügen (BGE, a.a.O., E. 4.4 S. 42). Inwiefern in concreto eine vergleichbare Konstellation vorliegen soll, ist schon deshalb nicht erkennbar, weil C. mit Verfügung vom 30. Oktober 2012 doch (unbefristet) in die SL aufgenommen wurde; damit ist jeder Grundversicherer in der Schweiz grundsätzlich verpflichtet, den bei ihm Versicherten das in der SL aufgeführte Arzneimittel zum verfügten Preis zu vergüten (GIGER/SAXER/WILDI/FRITZ, a.a.O., S. 139).
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Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, die Verwaltung habe zu Unrecht keinen TQV durchgeführt. Zwar treffe es zu, dass ein TQV mit dem Vergleichspräparat von 2009 (D.) nicht zielführend wäre. Hingegen treffe nicht zu, dass Einigkeit darüber bestanden habe, es stehe kein Vergleichspräparat zur Verfügung. Die Beschwerdeführerin sei bisher nicht auf den TQV eingegangen, weil sie der Auffassung gewesen sei, dass C. im Verfahren der Überprüfung alle drei Jahre zu prüfen sei. In jenem Verfahren sei ein TQV - gemäss den damaligen Bestimmungen - nur durchgeführt worden, wenn ein APV nicht möglich gewesen sei. Dass der Verzicht auf die Durchführung des TQV nicht gesetzmässig gewesen sei, wie die Vorinstanz mit Grundsatzentscheid vom 30. April 2015 festgestellt habe, auf welchen im angefochtenen Entscheid Bezug genommen werde, habe sie nicht wissen können. Hätte sie schon damals den erwähnten Grundsatzentscheid gekannt, hätte sie einen TQV verlangt und das BAG darauf hingewiesen, dass E., das seit 2011 in der SL aufgeführt sei, als Vergleichspräparat herangezogen werden könne. Die Sache sei daher an die Verwaltung zurückzuweisen zur Durchführung eines TQV im Sinne der Erwägungen.
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8.2 Das im bundesgerichtlichen Verfahren erstmals geltend gemachte Vorbringen, der Beschwerdegegner habe zu Unrecht auf einen TQV verzichtet, stellt weder eine neue Tatsache noch ein neues Begehren dar (vgl. nicht publ. E. 3.2 hiervor), sondern ist eine neue ![]() | 31 |
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