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12. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen IV-Stelle des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_56/2017 vom 23. Mai 2017 | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 2 ATSG; Art. 6 Abs. 2, Art. 9 Abs. 3 lit. a und b sowie Art. 13 IVG; versicherungsmässige Voraussetzungen in Bezug auf Eingliederungsmassnahmen bei im Ausland invalid geborenen Kindern. | |
Sachverhalt | |
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. Dezember 2016 ab.
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Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Der Beschwerdeführer lässt dagegen im Wesentlichen einwenden, das kantonale Gericht habe mit der von ihm vorgenommenen Fristberechnung Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG verletzt. Ferner sei der in der Bestimmung erwähnte Begriff des "sich Aufhaltens" nach grammatikalischer, systematischer, historischer und teleologischer Auslegung im Sinne des "gewöhnlichen Aufenthalts" nach Art. 13 Abs. 2 ATSG zu verstehen. Da seine Mutter vor der Geburt lediglich im Libanon "anwesend" gewesen sei, sich dort aber nicht im Sinne des Art. 13 Abs. 2 ATSG "gewöhnlich aufgehalten" habe, seien die Anspruchserfordernisse für medizinische Massnahmen gemäss Art. 12 ff. IVG zu bejahen.
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4.1 Im angefochtenen Entscheid wurde erwogen, für das Ende der in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG festgehaltenen Aufenthaltsdauer im Ausland sei die tatsächliche Niederkunft massgebend. Die Kindsmutter dürfe sich somit im Zeitpunkt der Geburt höchstens zwei Monate im Ausland aufgehalten haben, damit die entsprechende Voraussetzung zu bejahen sei. Für die Berechnung der Aufenthaltsdauer sei von der tatsächlichen Niederkunft - hier am 7. Mai 2015 - zwei Monate zurückzurechnen, wobei derjenige Tag, zwei Monate früher, entscheidwesentlich sei, der dieselbe Zahl trage wie der ![]() | 13 |
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4.2.2 Wirkt sich nach dem Gesagten der Tag der effektiven Geburt (7. Mai 2015) als fristauslösend im Sinne von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG aus, ist der Beginn der Zweimonatsfrist auf den 7. März 2015 zurück zu datieren. Anhaltspunkte dafür, dass, wie vom Beschwerdeführer als zweites Argument eingebracht, das durch Rückrechnung zu ermittelnde Ende der zweimonatigen Frist nicht vom fristauslösenden Moment der Niederkunft selber, sondern vom Tag vor dem fristauslösenden Moment an zu berechnen wäre, sind keine erkennbar. Vielmehr spricht der Gesetzestext ausdrücklich von "[...] ![]() | 16 |
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5.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes Rechtsverständnis ![]() | 20 |
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"[...] wird in Absatz 3 eine unter sozialpolitischen Gesichtspunkten störende Lücke geschlossen.
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Wir schlagen daher vor, dass auch im Ausland geborene ausländische Kinder mit Geburtsgebrechen in den Genuss von Eingliederungsmassnahmen der IV gelangen können, sofern die Mutter sich vor der Niederkunft nicht länger als zwei Monate im Ausland aufgehalten und das Kind seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat. Diese Bedingung entspricht jenen Sozialversicherungsabkommen, die jetzt schon eine ähnliche Bestimmung kennen. Mit dieser neuen Gesetzesbestimmung ermöglicht nun schon die innerstaatliche Gesetzgebung in den skizzierten Fällen die Erfüllung der Versicherungsklausel im Falle einer Auslandgeburt."
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Wie bereits im vorinstanzlichen Entscheid einlässlich erkannt wurde, wollte der Gesetzgeber mit der Anpassung des Art. 9 Abs. 3 lit. b IVG folglich verhindern, dass ein Kind, das während eines kurzfristigen Auslandaufenthalts seiner Mutter im Ausland geboren wurde, unter Umständen keine Eingliederungsmassnahmen beanspruchen kann (vgl. auch: ERWIN MURER, Invalidenversicherungsgesetz, 2014, N. 86 zu Art. 9 IVG). Diese gesetzlich festgelegte zeitliche Limitierung von zwei Monaten wurde, so die klare Aussage der Botschaft, bewusst in Anlehnung an andere Sozialversicherungsabkommen verfasst (weitergehend dazu: EDGAR IMHOF, Behinderte Kinder aus der EU haben ein gleiches Recht auf IV-Eingliederungsmassnahmen wie Schweizer Kinder, Jusletter 17. September 2007 Rz. 2), damit "[...] schon die innerstaatliche Gesetzgebung in den skizzierten Fällen die Erfüllung der Versicherungsklausel im Falle einer Auslandgeburt" zu gewährleisten in der Lage ist. Für die Auffassung des Beschwerdeführers, von der fraglichen Bestimmung sollten nur Konstellationen erfasst werden, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter (und des Kindes) nach der Geburt einzig mit dem Ziel in die Schweiz verlegt wird, für das invalid geborene Kind Leistungen der schweizerischen Invalidenversicherung erhältlich zu machen, obwohl ein entsprechender Umzug vor der Geburt noch gar nicht geplant gewesen war, sind weder in den Materialien noch in der Literatur Anhaltspunkte ersichtlich.
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5.3.2.1 Zum einen schliesst Art. 8 Abs. 2 BV eine an das Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung von Schweizern gegenüber anderen Staatsangehörigen nicht grundsätzlich aus. Gemäss Völkerrecht sind rechtliche Unterscheidungen, welche ein Staat zwischen eigenen Staatsangehörigen und Ausländern trifft, erlaubt, solange sie sachlich und vernünftig gerechtfertigt bzw. einem öffentlichen Interesse entsprechen und verhältnismässig sind. Sachlich begründete Differenzierungen zwischen Schweizerinnen bzw. Schweizern und Ausländerinnen bzw. Ausländern wie auch zwischen fremden Staatsangehörigen mit verschiedenem Aufenthaltsstatus sind nach der BV ebenfalls erlaubt (Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 6 mit Hinweis, in: SZS 2010 S. 357). Wenn jede Ungleichbehandlung von Ausländern gegenüber Schweizern oder innerhalb von verschiedenen Aufenthaltskategorien von Ausländern verboten würde, könnte letztlich auch keinem Ausländer mehr verwehrt werden, beispielsweise trotz illegaler Einreise in der Schweiz zu verbleiben, um hier ab dem ersten Aufenthaltstag sämtliche sozialversicherungsrechtlichen Leistungen zu beanspruchen. Das Verbot der indirekten Diskriminierung von Art. 8 Abs. 2 BV verbürgt jedoch gerade keinen individualrechtlichen, gerichtlich ![]() | 31 |
5.3.2.2 Ferner enthält auch Art. 14 EMRK kein allgemeines Gleichbehandlungsgebot. Vielmehr ist gemäss dem Wortlaut der Bestimmung das Diskriminierungsverbot stets bei Ungleichbehandlungen auf Grund eines verpönten Merkmals und in Zusammenhang mit einem anderen Konventionsrecht anzuwenden (EDGAR IMHOF, Die Bedeutung menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote für die Soziale Sicherheit, Jusletter 7. Februar 2005 Rz. 8). Dies ergibt sich auch aus BGE 133 V 367 E. 11.3 S. 388 f., wo ein genügender Zusammenhang mit dem Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK oder der Eigentumsgarantie gemäss Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK verlangt wird. Ein solcher Zusammenhang ist vorliegend nicht gegeben. Die dem Beschwerdeführer von der IV-Stelle verweigerten medizinischen Massnahmen bewirken weder eine Beeinträchtigung im Privat- und Familienleben noch stellen sie einen Eingriff in die Eigentumsgarantie noch sonst wie eine Verletzung anderer Konventionsrechte dar. Somit kann sich der Beschwerdeführer zur Geltendmachung seiner Ansprüche auch nicht auf die EMRK berufen (vgl. Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 7, in: SZS 2010 S. 357).
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5.4 Da sich die Mutter des Beschwerdeführers unmittelbar vor der Geburt länger als zwei Monate im Sinne von Art. 9 Abs. 3 lit. b ![]() | 33 |
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