BGE 143 V 241 | |||
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25. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen IV-Stelle des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_83/2016 vom 28. Juni 2017 |
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 ATSV; Art. 132 Abs. 1 ZGB; Rückerstattung zu Unrecht ausgerichteter Leistungen; Anteil an Invalidenrente. |
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 ATSV in Verbindung mit Art. 35 Abs. 4 IVG sowie Art. 82 Abs. 1 IVV und Art. 71ter AHVV; Art. 291 ZGB; Rückerstattung zu Unrecht ausgerichteter Leistungen; Kinderrente. | |
Sachverhalt | |
A. Die 1970 geborene A. war von 1997 bis 2007 mit dem 1966 geborenen B. verheiratet. Dieser bezog aufgrund einer chronisch paranoiden Schizophrenie seit 1. November 1999 eine ganze Rente der Invalidenversicherung nebst einer Zusatzrente für die Ehefrau und einer Kinderrente für den gemeinsamen, 1997 geborenen Sohn (Verfügung vom 4. Oktober 2000). Mit Mitteilung vom 13. Oktober 2005 bestätigte die IV-Stelle des Kantons Aargau revisionsweise den weiteren Anspruch auf eine ganze Rente. Wegen der Scheidung im Jahr 2007 berechnete sie deren Höhe neu. Zusätzlich hielt sie fest, in Umsetzung des rechtskräftigen Scheidungsurteils werde die Kinderrente ganz und die Invalidenrente teilweise an A. ausbezahlt (Verfügung vom 7. Juni 2007). Im Rahmen einer weiteren Revision teilte die IV-Stelle B. am 28. März 2008 einen unveränderten Anspruch auf die Invalidenrente mit.
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Anlässlich einer revisionsweisen Überprüfung des Leistungsanspruchs im August 2014 stellte die IV-Stelle nach eigenen Abklärungen fest, dass B. seit 2005 rentenausschliessende Erwerbseinkommen erzielte, was er der Invalidenversicherung nicht gemeldet hatte. Sie stellte daher die rückwirkende Aufhebung der Invalidenrente auf den 31. Dezember 2004 in Aussicht (Vorbescheid vom 6. Mai 2015 mit Kopie an A.). Mit je zwei Schreiben vom 21. Mai 2015 kündigte die IV-Stelle B. und A. die Rückforderung der seit Juni 2010 zu Unrecht ausgerichteten Leistungen an. A. führte mit Eingabe vom 29. Mai 2015 aus, nicht rückerstattungspflichtig zu sein. Am 15. Juni 2015 verfügte die IV-Stelle die rückwirkende Aufhebung des Rentenanspruchs auf den 31. Dezember 2004 gegenüber B. mit Kopie an A. Dieser Entscheid wurde rechtskräftig. Mit Verfügung vom 13. Juli 2015 forderte die IV-Stelle von B. den Betrag von Fr. 58'457.- und von A. mit einer undatierten Verfügung Fr. 55'288.- zurück. Die Summe setzt sich aus einem Anteil der Invalidenrente und der Kinderrente für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 31. Oktober 2014 zusammen.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 9. Dezember 2015 ab.
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C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids beantragen.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Mit Eingabe vom 20. April 2016 lässt sich die Beschwerdeführerin nochmals vernehmen. Das vom Bundesgericht zur Stellungnahme aufgeforderte Bundesamt für Sozialversicherungen schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin reicht hierzu am 26. Januar 2017 eine Stellungnahme ein.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Erwägung 2.2 | |
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Erwägung 3 | |
3.1 Das kantonale Gericht erwog, mit Scheidungsurteil des damaligen Kreisgerichts C. vom 13. März 2007 sei B. verpflichtet worden, der Beschwerdeführerin nachehelichen Unterhalt in der Höhe von monatlich Fr. 430.- und für den gemeinsamen Sohn Unterhalt in der Höhe der jeweiligen Kinderrente der Invalidenversicherung sowie der Kinderpension der Pensionskasse zu leisten. Das Gericht habe die Ausgleichskasse der Privatkliniken Schweiz angewiesen, die Kinderrente und den (bis 31. Mai 2013 befristeten) nachehelichen Unterhaltsbeitrag direkt an die Beschwerdeführerin auszurichten. Diese Schuldneranweisung nach Art. 291 bzw. Art. 132 Abs. 1 ZGB stelle rechtsprechungsgemäss eine privilegierte Zwangsvollstreckungsmassnahme sui generis dar. Bei der Umsetzung des Scheidungsurteils durch die IV-Stelle mittels Verfügungen vom 7. Juni 2007 habe diese als Anordnung einer Drittauszahlung (nach Art. 20 ATSG und Art. 35 Abs. 4 IVG) festgehalten, dass Fr. 430.- monatlich vom Anspruch auf Invalidenrente sowie die Kinderrente an die Beschwerdeführerin ausbezahlt würden, was unangefochten geblieben sei. Als Begünstigte einer rechtskräftig festgesetzten Drittauszahlung sei die Beschwerdeführerin rückerstattungspflichtig (Art. 2 Abs. 1 lit. b ATSV). Daran ändere nichts, dass die IV-Stelle die Befristung des nachehelichen Unterhalts per 31. Mai 2013 nicht nachvollzogen habe. Die Frage der Meldepflichtverletzung sei in diesem Verfahren schliesslich ohne Belang, nachdem die am 15. Juni 2015 verfügte rückwirkende Rentenaufhebung unangefochten in Rechtskraft erwachsen sei.
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Erwägung 4 | |
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4.2 Die Invalidenrente des ehemaligen Ehemannes wurde rechtskräftig aufgrund einer Meldepflichtverletzung auf den 31. Dezember 2004 aufgehoben, nachdem dieser es versäumt hatte, der IV-Stelle die Erzielung rentenausschliessender Erwerbseinkommen seit 2005 zu melden (Verfügung vom 15. Juni 2015). Damit wurde die Rente seither zu Unrecht bezogen.
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4.4 Unbestritten ist, dass eine Drittauszahlung an die unterstützungsberechtigte Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 20 Abs. 1 ATSG nicht möglich gewesen wäre, da sie ihrem geschiedenen Ehegatten gegenüber nicht - wie im Ingress von Abs. 1 dieser Norm verlangt wird - unterstützungspflichtig ist oder ihn dauernd fürsorgerisch betreut. Nichts anderes lässt sich aus dem Urteil 5P.474/2005 vom 8. März 2006 ableiten, welches die IV-Stelle in ihrer Vernehmlassung vom 8. März 2016 zitiert. Dieses Urteil hatte sich im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde mit der Auslegung von Art. 20 Abs. 1 ATSG zu befassen und darin zu klären, ob eine wörtliche Auslegung von Art. 20 Abs. 1 ATSG, wie sie die Vorinstanz vornahm, das Gleichheitsgebot (Art. 8 BV) sowie den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) verletzt, was verneint wurde. Denn aus der Entstehungsgeschichte, aber auch aus dem Zusammenhang mit anderen Normen könne ohne Willkür geschlossen werden, Art. 20 Abs. 1 ATSG sei wortgetreu auszulegen. Ob damit zivilrechtliche Anweisungen einer Drittauszahlung nur bei einer ausdrücklichen sozialversicherungsrechtlichen Auszahlungsbestimmung möglich sein sollen, lässt sich dem Urteil vom 8. März 2006 nicht entnehmen.
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Erwägung 4.6 | |
4.6.1 Hieraus ergibt sich, dass durch die Anordnung im Scheidungsurteil lediglich ein Anspruch auf Drittauszahlung der Stammrente in der Höhe von Fr. 430.- entstand. Die Beschwerdeführerin war zwar nicht bloss eine reine Inkasso- bzw. Zahlstelle, aber auch zu keinem Zeitpunkt Rentenberechtigte oder -bezügerin. Damit fehlt es an einer rechtlichen Grundlage für die Rückforderung, da die Beschwerdeführerin nicht unter den von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG und Art. 2 Abs. 1 ATSV gezogenen Kreis der Rückerstattungspflichtigen fällt. Dies trifft zumindest so lange zu, als ein Unterhaltsanspruch gemäss Scheidungsurteil bestand. Dieser wurde, wie erwähnt, auf Ende Mai 2013 befristet. Bezüglich des ihr ausgerichteten Anteils an der zu Unrecht dem geschiedenen Ehegatten zugesprochenen Invalidenrente ist die Beschwerdeführerin daher für die bis 31. Mai 2013 ausgerichteten Rentenbetreffnisse nicht rückerstattungspflichtig. Die zivilgerichtliche Anordnung (Anspruch auf Drittauszahlung mit entsprechender Schuldneranweisung) steht einer sozialversicherungsrechtlichen Rückforderungsmöglichkeit nach Art. 25 Abs. 1 ATSG entgegen.
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Erwägung 5 | |
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Die Kinderrente dient dem Unterhalt des Kindes (BGE 103 V 131 E. 3 S. 134; SVR 2001 IV Nr. 39 S. 117, I 12/00 vom 9. April 2001 E. 4d; Urteil 5P.346/2006 vom 12. Oktober 2006 E. 3.3). Die Drittauszahlungsregelung nach Art. 35 Abs. 4 IVG soll diesen Zweck sicherstellen. Gemäss Art. 35 Abs. 4 Satz 1 IVG wird die Kinderrente wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört, mithin grundsätzlich an den rentenberechtigten Elternteil. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die zweckmässige Verwendung (Art. 20 ATSG) und abweichende zivilrichterliche Anordnungen (Art. 35 Abs. 4 Satz 2 IVG). Der Bundesrat kann die Auszahlung für Sonderfälle in Abweichung von Art. 20 ATSG regeln, namentlich für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe (Art. 35 Abs. 4 Satz 3 IVG). Gestützt auf diese Delegation hat der Bundesrat in Art. 82 IVV (SR 831.201) festgelegt, dass für die Auszahlung der Renten sowie der Hilflosenentschädigung für Volljährige unter anderem Art. 71ter AHVV (SR 831.101) sinngemäss gilt. Dessen Absatz 1 lautet: "Sind die Eltern des Kindes nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet oder leben sie getrennt, ist die Kinderrente auf Antrag dem nicht rentenberechtigten Elternteil auszuzahlen, wenn diesem die elterliche Sorge über das Kind zusteht und es bei ihm wohnt. Abweichende vormundschaftliche oder zivilrichterliche Anordnungen bleiben vorbehalten."
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5.2 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist sie ebenfalls bezüglich der Kinderrente keine reine Inkasso- bzw. Zahlstelle. Vielmehr liegt gestützt auf die dargelegten Verordnungs- und Gesetzesbestimmungen - mithin aufgrund einer von der Beschwerdeführerinbeantragten zivilrichterlichen Anordnung - eine Drittauszahlung derKinderrente an die mit der elterlichen Sorge betrauten Beschwerdeführerin vor (Art. 35 Abs. 4 IVG). Die Hauptrente des früheren Ehemannes wurde wegen seiner Meldepflichtverletzung rückwirkend auf Ende Dezember 2004 aufgehoben und ab diesem Zeitpunkt zu Unrecht bezogen. Als zur Stammrente akzessorische Leistung gilt dies auch für die Kinderrente, die das Schicksal der Hauptrente teilt.Mit Vorinstanz und Verwaltung ist die Beschwerdeführerin dementsprechend gestützt auf Art. 25 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 lit. b ATSV und Art. 35 Abs. 4 IVG als gesetzliche Vertreterin des Sohnes bezüglich der zur Hauptrente akzessorischen Kinderrente in der Höhe von Fr. 32'498.- rückerstattungspflichtig (zitiertesUrteil 8C_625/2012 vom 1. Juli 2013 E. 5.2 und Urteil 9C_454/2012 vom 18. März 2013 E. 3, nicht publ. in: BGE 139 V 106). Die Beschwerdeführerin vermag nichts vorzubringen, was eine andere Betrachtungsweise rechtfertigen würde. Auch hier besteht eine Rückerstattungspflicht der Kinderrentenbetreffnisse, ohne dass die mit der elterlichen Sorge betraute Beschwerdeführerin selbst eine Meldepflichtverletzung begangen haben muss, nachdem die Stammrente gestützt auf eine Verletzung der Meldepflicht des Rentenberechtigten rückwirkend eingestellt wurde (vgl. BGE 118 V 214 E. 2a ff. S. 218 ff.). Die Beschwerdeführerin ist nach dem Gesagten zur Rückerstattung der zu Unrecht erhaltenen Rentenleistungen im Umfang der Kinderrente von Fr. 32'498.- sowie des ab 1. Juni 2013 monatlich bezogenen Stammrentenanteils von insgesamt Fr. 7'310.- verpflichtet, woraus eine Rückforderungssumme von total Fr. 39'808.- resultiert. (...)
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