BGE 143 V 305 | |||
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32. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen IV-Stelle des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_292/2017 vom 7. September 2017 | |
Regeste |
Art. 35 Abs. 1 und 4 IVG; Art. 25 Abs. 1, 4 und 5 AHVG; Art. 49bis, Art. 49ter Abs. 1, Art. 71ter Abs. 3 AHVV; Art. 82 Abs. 1 IVV; Anspruch auf eine Kinderrente; Drittauszahlung. |
Die Kinderrente kann direkt dem volljährigen Kind ausbezahlt werden (E. 5). | |
Sachverhalt | |
A. Mit Verfügung vom 18. Februar 2004 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau dem 1964 geborenen A.A. ab dem 1. Mai 2000 eine ganze Invalidenrente, eine Zusatzrente für die Ehegattin und Kinderrenten für die beiden Kinder B.A. (geboren 1994) und C.A. (geboren 1997) zu. Ab 1. April 2002 richtete die IV-Stelle eine weitere Kinderrente für D.A. (geboren 2002) aus. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) verfügte am 5. Februar 2004, A.A. habe Anspruch auf eine Komplementärrente ab 1. Juli 2003. Im August 2014 beendete B.A. ihre Ausbildung als Kauffrau, weshalb der Kinderrentenanspruch von A.A. für seine Tochter am 31. August 2014 endete.
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Am 26. August 2016 meldete sich B.A., welche im August 2016 eine Zweitausbildung begonnen hatte, zum Bezug einer Kinderrente an, die ihr die IV-Stelle mit Verfügung vom 29. August 2016 ab 1. August 2016 zusprach. Die Suva kürzte daraufhin am 2. September 2016 die Komplementärrente von A.A. und verrechnete den zu viel überwiesenen Betrag mit seiner Rente.
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B. Die von A.A. gegen die Verfügung vom 29. August 2016 erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 30. März 2017 ab.
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C. A.A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. In Aufhebung der Verfügung der IV-Stelle vom 29. August 2016 sei gerichtlich festzustellen, dass für B.A. ab 1. August 2016 kein Anspruch auf eine Kinderrente bestehe. Die IV-Stelle sei zu verhalten, die Rentenbeträge in der Höhe der monatlichen Kinderrente ab 1. August 2016 an ihn nachzuzahlen. Eventuell sei die Kinderrente ab sofort im Sinne einer dringlichen Anordnung auf das von ihm bezeichnete Konto, subeventuell auf ein Sperrkonto, zu bezahlen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 3 | |
Erwägung 3.1 | |
3.1.1 Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente (Art. 35 Abs. 1 IVG). Anspruch auf eine Waisenrente im Sinne der AHV haben Kinder, deren Vater oder Mutter gestorben ist (Art. 25 Abs. 1 AHVG). Der Anspruch entsteht am ersten Tag des dem Tode des Vaters oder der Mutter folgenden Monats; er erlischt mit der Vollendung des 18. Altersjahres oder mit dem Tod der Waise (Art. 25 Abs. 4 AHVG). Für Kinder, die noch in Ausbildung sind, dauert der Rentenanspruch bis zu deren Abschluss, längstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr. Der Bundesrat kann festlegen, was als Ausbildung gilt (Art. 25 Abs. 5 AHVG).
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3.2 Zweck der Kinderrente der Invalidenversicherung für volljährige Kinder ist - wie jener der Waisenrenten der AHV für volljährige Waisen - die Förderung der beruflichen Ausbildung (BGE 139 V 122 E. 4.3 S. 126 mit Hinweis auf EVGE 1950 S. 61 E. 1 S. 62 ff.; UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3. Aufl. 2012, S. 244 Rz. 5 zu Art. 25 AHVG). Der Begriff der Ausbildung ist umfassend und weit zu verstehen (GABRIELA RIEMER-KAFKA, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht, SZS 2004 S. 216). Eine weite Fassung des Begriffs Ausbildung war bereits in der Botschaft vom 24. Mai 1946 zum Entwurf des AHVG (BBl 1946 II 412 Ziff. III/3b) vorgesehen. Danach sollten in der Ausführungsverordnung alle Arten der Ausbildung für den zukünftigen Beruf unter diesen Begriff subsumiert werden.
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3.5 Nach dem Gesagten stellt die Rz. 3358 RWL entgegen dem Beschwerdeführer keinen Verstoss gegen Art. 49ter Abs. 1 AHVV dar. Denn fällt auch eine Zweitausbildung unter den Begriff der Ausbildung, ist es möglich, nach einem Berufs- oder Schulabschluss anschliessend oder später eine weitere Ausbildung aufzunehmen, wobei die Altersgrenze zu beachten ist (Art. 25 Abs. 5 AHVG). Der vom Versicherten geltend gemachte Umstand, seine Tochter habe nach Beendigung ihrer kaufmännischen Ausbildung zwei Jahre nichts im Hinblick auf die weitere Ausbildung unternommen, führt nicht zur Verneinung der geforderten Systematik nach Art. 49bis Abs. 1 AHVV. Für die Zeit zwischen dem Abschluss der ersten Ausbildung und dem Beginn der Zweitausbildung steht denn auch ein Anspruch auf eine Kinderrente ausser Frage.
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4.3 Eine analoge Anwendung der Unterhaltspraxis nach ZGB wäre denn auch nicht sachgerecht. Beim zivilrechtlichen Mündigenunterhalt ist die Zumutbarkeit nach den gesamten Umständen zu prüfen. Diese verlangt unter anderem Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern (PETER BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 14 zu Art. 277 ZGB). Erst nach Abwägung der finanziellen Möglichkeiten des Pflichtigen mit den Ausbildungsplänen und -wünschen des Kindes und dessen Fähigkeiten (sowie allfälligen weiteren Faktoren) lässt sich beurteilen, was in der konkreten Situation angemessen ist. Dieses Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vaters oder der Mutter spielt im Anwendungsbereich von Art. 35 IVG in Verbindung mit Art. 25 AHVG offensichtlich keine Rolle (vgl. KRAPF, a.a.O., Rz. 355). Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kindes sind einzig bei der Abgrenzung der Ausbildung von der Erwerbstätigkeit von Bedeutung (Art. 49bis Abs. 3 AHVV; vgl. hierzu BGE 142 V 226).
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5.2 Diese Rechtsprechung zeitigte in der Praxis unbefriedigende Ergebnisse, die nur über den in Art. 35 Abs. 4 zweiter Satz IVG vorbehaltenen zivilrechtlichen Weg beseitigt werden konnten (Erläuterungen des BSV, a.a.O., Vorbemerkung zu Art. 71ter AHVV; MEYER/REICHMUTH, a.a.O., S. 477 Rz. 14 zu Art. 35 IVG). Der Bundesrat erliess in der Folge Art. 71ter Abs. 3 AHVV, welcher am 1. Januar 2011 in Kraft trat. Danach ändert sich an der vorher praktizierten Auszahlung nichts, wenn das Kind volljährig wird, es sei denn, das volljährige Kind verlange die Auszahlung an sich selber. Abweichende vormundschaftliche oder zivilrechtliche Anordnungen bleiben vorbehalten. Diese Vorschrift ist nach Art. 35 Abs. 4 IVG in Verbindung mit Art. 82 Abs. 1 IVV (SR 831.201) sinngemäss auf Kinderrenten der Invalidenversicherung anwendbar. Ein Verstoss gegen Zivilrecht ist darin entgegen dem Beschwerdeführer nicht zu erblicken; denn in Art. 71ter Abs. 3 AHVV sind abweichende vormundschaftliche oder zivilrechtliche Anordnungen ausdrücklich vorbehalten. Die direkte Auszahlung an die Tochter des Beschwerdeführers ist somit keineswegs rechtswidrig, geschweige denn willkürlich.
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6. Dem Beschwerdeführer wird die Komplementärrente aufgrund der an die Tochter auszuzahlenden Kinderrente gekürzt, was unbillig erscheinen mag, jedoch keine vom Gesetz abweichende Behandlung rechtfertigt. Es stellt sich lediglich die Frage, ob im Rahmen der Berechnung der Komplementärrente allenfalls eine Lösung im Sinne des Versicherten möglich wäre. Dies kann allerdings im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren nicht beantwortet werden. (...)
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