BGE 144 V 159 | |||
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20. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_377/2017 vom 11. Juni 2018 | |
Regeste |
Art. 29septies Abs. 1 erster Satz AHVG; Art. 52g AHVV; Betreuungsgutschriften. | |
Sachverhalt | |
A. Die 1966 geborene A. ersuchte im Oktober 2015 um Anrechnung von Betreuungsgutschriften. Seit Anfang Monat lebe ihre Mutter (Jg. 1923), welche eine Entschädigung für schwere Hilflosigkeit beziehe, bei ihr und ihrem Ehemann. Zuvor habe sich die Mutter während Jahren im Alters- und Pflegeheim "B." aufgehalten. Dieses sei jedoch nicht in der Lage gewesen, die erforderliche Pflege zu erbringen. Immer wieder habe sie selber im Heim nach dem Rechten schauen sowie ihre Mutter im Zusammenhang mit Arzt- und Zahnarztterminen oder der Versorgung mit Hörgeräten, Stützstrümpfen etc. betreuen und begleiten müssen. Aus diesem Grunde seien ihr rückwirkend für die letzten fünf Jahre Betreuungsgutschriften anzurechnen. Mit Verfügung vom 17. November 2015 und Einspracheentscheid vom 28. Dezember 2016 bejahte die Ausgleichskasse Zug den geltend gemachten Anspruch ab 1. Januar 2016, lehnte ihn jedoch für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2015 wegen des erwähnten Heimaufenthalts der betreuten Person ab.
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B. Die gegen die Verweigerung einer Betreuungsgutschrift vor dem 1. Januar 2016 erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 30. März 2017 ab.
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C. A. führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, es seien ihr auch für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2015 Betreuungsgutschriften zuzuerkennen.
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Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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Betreuungsgutschriften werden immer für ganze Kalenderjahre angerechnet; während des Jahres, in dem der Anspruch entsteht, werden keine Gutschriften angerechnet (Art. 29 septies Abs. 3 lit. c AHVG in Verbindung mit Art. 52f Abs. 1 und Art. 52k AHVV).
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3. Der Wortlaut der genannten Norm ist mit Bezug auf die hier zu beantwortende Rechtsfrage nicht ganz klar, und es sind verschiedene Auslegungen möglich. Auf der einen Seite werden die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen im Gesetzestext (auch in der französischen und in der italienischen Sprachfassung) nicht erwähnt, womit an sich nichts gegen Gutschriften für deren Betreuung durch nahe Angehörige spräche. Auf der andern Seite geht es bei der streitigen Bestimmung ausdrücklich und zentral um die "Betreuung" ("... la personne prise en charge"; "... le persone che assistono") von mindestens in mittlerem Grade Hilflosen. Diese Betreuung und Hilfeleistung wird bei Heimbewohnern nach gängiger Anschauung eben nicht in erster Linie durch die Angehörigen, sondern durch das Heimpersonal erbracht, was bei dieser Lesart des Gesetzestextes die Verweigerung von Betreuungsgutschriften nahelegt. Im Folgenden muss daher anhand der übrigen normunmittelbaren Auslegungselemente, nämlich der Entstehungsgeschichte, des Sinns und Zwecks sowie des Zusammenhangs mit anderen Vorschriften nach der wahren Tragweite von Art. 29 septies Abs. 1 erster Satz AHVG gesucht werden (BGE 143 II 661 E. 6.2 S. 669; BGE 143 V 114 E. 5.2 S. 119).
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Erwägung 4 | |
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4.2 Nach den von Anfang 1997 bis Ende 2011 gültig gewesenen Fassungen von Art. 29 septies Abs. 1 erster Satz AHVG und Art. 52g AHVV mussten die betreuende und die betreute Person für die Anrechnung einer Betreuungsgutschrift praktisch an gleicher Adresse (wenigstens auf einander benachbarten Grundstücken) wohnen (BGE 129 V 349 E. 1 S. 350). Dieses Erfordernis (wie auch diejenigen der mindestens mittleren Hilflosigkeit und der engen Verwandtschaft) entsprang der gesetzgeberischen Intention, den Kreis der Personen, deren Pflege das Anrecht auf Betreuungsgutschriften nach sich zieht, klar einzugrenzen und aufwändige Abklärungen zu vermeiden (AB 1993 N 215, vgl. auch 233 und 256; 1994 S 550 und 560; BGE 126 V 153 E. 4 S. 154, BGE 126 V 435 E. 3b; SVR 2005 AHV Nr. 14 S. 45, H 60/02 E. 6.3). Die Voraussetzung, wonach die betreute Person im gleichen Hause oder zumindest in unmittelbarer Nachbarschaft leben musste, führte mitunter zu stossenden Ergebnissen. So musste in BGE 129 V 349 einer Versicherten die Anrechnung von Betreuungsgutschriften vollständig versagt bleiben, obwohl sie ihre in schwerem Grade hilfsbedürftige Mutter während der letzten Lebensjahre intensiv mitbetreut hatte. Die Mutter lebte im Hause ihres Sohnes und seiner Ehefrau, wo ihr ein Wohnrecht zustand. Während des gesamten in Frage stehenden Zeitraums wurde sie von ihrer Schwiegertochter und der Versicherten (ihrer Tochter) gepflegt. Letztere wohnte rund 800 Meter vom Haus ihres Bruders und ihrer Schwägerin entfernt ausserhalb des Dorfes. Vier bis fünf Mal im Tag fuhr sie mit dem Auto zu ihrer Mutter, um dieser - allein oder zusammen mit ihrer Schwägerin - die benötigte Pflege und Betreuung angedeihen zu lassen, womit sie während insgesamt etwa vier Stunden im Tag voll ausgelastet war (BGE 129 V 349 E. 2 S. 350).
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4.3 Fälle wie der angeführte und die sowohl in der Literatur als auch von der Praxis gegenüber dem zu engen Abgrenzungskriterium erhobene Kritik (UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1269 Rz. 186; LINUS DERMONT, Erste Erfahrungen mit den Betreuungsgutschriften in der AHV, CHSS 1999 S. 84) führten im Rahmen der AHVG-Revision vom 17. Juni 2011 (Verbesserung der Durchführung) zur Neufassung von Art. 29 septies Abs. 1 erster Satz AHVG und Art. 52g AHVV. In seiner diesbezüglichen Botschaft vom 3. Dezember 2010 hatte der Bundesrat ausgeführt, die Erfahrung zeige, dass das Erfordernis einer praktisch gleichen Wohnadresse der Realität zu wenig Rechnung trage und deshalb den Kreis der Anspruchsberechtigten zu sehr einschränke. Angesichts der heutigen Mobilität sei es möglich, auch etwas weiter weg wohnende Personen intensiv zu betreuen. Betreuungsgutschriften sollten deshalb auch gewährt werden, wenn die zu betreuende Person nicht in unmittelbarer Nähe der Betreuungsperson wohne, vorausgesetzt, die pflegebedürftige Person könne von der Betreuerin oder vom Betreuer ohne weiteres erreicht werden (BBl 2011 558). Nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Recht ist dieses Anspruchskriterium - wie dargelegt (E. 1 hiervor) - insbesondere dann erfüllt, wenn die Betreuungsperson nicht mehr als 30 km entfernt von der betreuten Person wohnt oder diese innert einer Stunde erreichen kann (Art. 52g AHVV in Verbindung mit Art. 29 septies Abs. 1 und 3 AHVG).
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4.4 Die dargelegte Entstehungsgeschichte der streitigen Norm zeigt, dass es dem Gesetzgeber allein darum ging, das als zu eng erkannte Unterscheidungsmerkmal des Wohnens in unmittelbarer Nachbarschaft durch ein weitläufigeres, nämlich die in örtlicher Hinsicht leichte Erreichbarkeit zu ersetzen. Am Kriterium der mindestens mittelschweren Hilflosigkeit, welche ihrerseits das Ausmass der Pflegebedürftigkeit und gleichzeitig den zu leistenden Betreuungsaufwand definiert (SVR 2005 AHV Nr. 14 S. 45, H 60/02 E. 6.3), wurde nichts geändert. Dies ergibt sich bereits aus der Wortwahl in den Materialien: Während der Gesetzgeber bei Einführung der 10. AHV-Revision von einer "zeitlich aufwendig(en)" Betreuung sprach (AB 1993 N 209), bezeichnete er diese in der hiervor erwähnten Vorlage zur Verbesserung der Durchführung als "intensiv" (BBl 2011 558). Mit Blick auf Sinn und Zweck der streitigen Gutschriften (E. 4.1 hiervor am Anfang) ist diese intensive Betreuung von der Person (oder den Personen [vgl. Art. 52i AHVV]) zu leisten, welche die Anrechnung für sich beansprucht. Durch Gutschriften im Hinblick auf die Rentenermittlung soll die mit der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger verbundene Arbeit auf angemessene Weise Berücksichtigung finden, damit die betreuende Person, welche durch die Übernahme von Pflegeleistungen ihre Erwerbsmöglichkeiten einschränkt, keine Renteneinbusse in Kauf nehmen muss (SVR 2005 AHV Nr. 14 S. 45, H 60/02 E. 6.3 in fine). Mit dieser sich aus den Materialien ergebenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers wäre grundsätzlich nicht vereinbar, Betreuungsgutschriften Versicherten zuzuerkennen, deren mindestens in mittlerem Grade hilflose Angehörige in einem Pflegeheim leben. Denn dort werden Pflege und Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner in erster Linie durch das Heimpersonal erbracht, womit eine Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten von Angehörigen entfällt. Eine andere Sichtweise wäre nur in jenen ausgesprochenen Ausnahmefällen einzunehmen, in denen bei schwerst pflegebedürftigen Heimbewohnern der erforderliche Pflegeaufwand selbst vom Personal nur unter intensiver Mitbetreuung durch nahe Angehörige geleistet werden kann.
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Die am Sinn und Zweck (teleologisch) und an der Entstehungsgeschichte (historisch) orientierte Interpretation von Art. 29 septies Abs. 1 erster Satz AHVG zeitigt nach dem Gesagten ein eindeutiges Ergebnis (aus systematischer Warte lässt sich für die Auslegung nichts gewinnen).
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5. Dem BSV ist darin beizupflichten, dass die von der Beschwerdeführerin früher im Pflegeheim ihrer Mutter erbrachte zusätzliche familiäre Hilfestellung wie auch ihre Anwesenheit und Empathie wertvoll war (BARBEN/GURTNER/STOCKER, Care-Arbeit unter Druck, CHSS 2/2016 S. 45). Ein Ausnahmefall in der Art des hiervor erwähnten kann jedoch mit Sicherheit ausgeschlossen werden, weshalb nicht näher auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Versäumnisse des Heimpersonals einzugehen ist. Die Ausgleichskasse hat den Anspruch auf Betreuungsgutschriften für den Zeitraum bis Ende Dezember 2015 zu Recht verneint.
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