BGE 145 V 361 | |||
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35. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen IV-Stelle Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_808/2018 vom 2. Dezember 2019 | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 ATSG; Art. 28 Abs. 1 IVG; Invalidität bei psychischen Leiden. | |
Sachverhalt | |
A. A. meldete sich im August 2014 unter Hinweis auf ein Anfang Mai 2013 erlittenes Schleudertrauma sowie eine Erschöpfungsdepression bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern holte beim Swiss Medical Assessment- and Business Center (nachfolgend: SMAB), Bern, eine polydisziplinäre Expertise vom 7. November 2017 ein, wonach A. aus psychiatrischer Sicht für angepasste Tätigkeiten zu 80 % arbeitsfähig sei. Mit Verfügung vom 10. April 2018 verneinte die Verwaltung einen Leistungsanspruch nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit der Begründung, es liege kein relevanter psychischer Gesundheitsschaden vor (Invaliditätsgrad: 27 %).
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde der A. wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 17. Oktober 2018 ab, soweit es darauf eintrat.
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C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen zu erbringen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde; das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Streitig und zu prüfen ist letztinstanzlich einzig, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie von der medizinischen Einschätzung des psychiatrischen SMAB-Gutachters Dr. med. B. - welche nach interdisziplinärer Konsensbesprechung Eingang in die abschliessende Gesamtbeurteilung fand - abgewichen ist und eine invalidisierende Funktionseinbusse verneint hat. Gemäss Dr. med. B. besteht bei der Beschwerdeführerin aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leicht- bis mittelgradige Episode (ICD-10 F33.0/F33.1), eine 20%ige Arbeitsunfähigkeit für angepasste Tätigkeiten.
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Nicht im Streit liegt demgegenüber, dass die polydisziplinäre SMAB-Expertise vom 7. November 2017 (inkl. dem psychiatrischen Teilgutachten vom 10. Juli 2017) als massgebliche Beweisgrundlage herangezogen werden kann, nachdem das kantonale Gericht die entsprechenden Beweisanforderungen zu Recht als erfüllt angesehen hat (vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; BGE 125 V 351 E. 3a S. 352), was von keiner Seite in Abrede gestellt wird.
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Erwägung 3 | |
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Aus BGE 141 V 281 ergibt sich insbesondere, dass eine freie ärztliche Arbeits(un)fähigkeitsschätzung "nach bestem Wissen und Gewissen" als solche den rechtlich geforderten Beweis überwiegender Wahrscheinlichkeit für das Bestehen funktioneller Einbussen und/oder verminderter Ressourcen in aller Regel nicht zu erbringen vermag, weil sie weitgehend vom Ermessen des medizinisch-psychiatrischen Sachverständigen abhängt; dieses kann vom Rechtsanwender nicht zuverlässig nachvollzogen und überprüft werden. Die medizinische Einschätzung der Arbeitsfähigkeit bleibt aber eine wichtige Grundlage für die anschliessende juristische Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistung der versicherten Person noch zumutbar ist (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195). Daher haben sich medizinische Sachverständige und rechtsanwendende Stellen bei ihrer Einschätzung und Beurteilung des Leistungsvermögens an den normativen Vorgaben zu orientieren, wie sie BGE 141 V 281 als Bindeglied zwischen Beweisverfahren und Rechtsanwendung, d.h. als gemeinsamer Nenner von Medizin und Recht, formuliert hat. Idealiter gehen die medizinisch-psychiatrischen Gutachter gemäss den entsprechend formulierten Fragestellungen vor (BGE 141 V 281 E. 5.2 S. 306 f.).
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Erwägung 4 | |
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4.1.1 Im Zuge der Anwendung von BGE 141 V 281 sowie BGE 143 V 409 und 418 bestätigte das Bundesgericht mehrfach, dass nicht von einer unzulässigen juristischen Parallelüberprüfung auszugehen ist, wenn das kantonale Gericht anhand der medizinischen Indikatorenprüfung die massgeblichen Beweisthemen im Rahmen einer umfassenden Betrachtung eines stimmigen Gesamtbildes schlüssig abgehandelt und nachgewiesen hat, wo die ärztlichen Darlegungen nicht mit den normativen Vorgaben übereinstimmen (BGE 144 V 50 E. 6.1 S. 57 f.; SVR 2019 IV Nr. 40 S. 27, 8C_635/2018 E. 6.4; Urteil 8C_209/2019 vom 19. August 2019 E. 5.2).
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Erwägung 4.2 | |
4.2.1 In BGE 144 V 50 hat das Bundesgericht das Abweichen von einer medizinisch attestierten Arbeitsunfähigkeit von 50 % (Diagnose: chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) bestätigt und eine IV-relevante Einschränkung verneint: Der psychiatrische Gutachter äusserte sich hinsichtlich des Komplexes "Gesundheitsschädigung" nicht zur konkreten Ausprägung der diagnostischen Befunde und Symptome. Da die akzentuierten Persönlichkeitszüge des Versicherten, welchen keine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit zukam, nach gutachterlicher Auffassung im Vordergrund standen, durfte von einer eher geringen Ausprägung der relevanten Befunde ausgegangen werden. Weiter war der Expertise nicht zu entnehmen, weshalb sich aus der akzentuierten Persönlichkeitsstruktur in Wechselwirkung mit der chronischen Schmerzstörung eine Leistungseinbusse im attestierten Ausmass hätte ergeben sollen; der Experte anerkannte selber keine psychiatrische Komorbidität mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit und erachtete überdies eine Steigerung der zeitlichen Präsenz als zumutbar. Ferner war nicht nachvollziehbar, inwiefern der Migrationshintergrund, die Persönlichkeitsstruktur sowie die Sozialisation des Versicherten gegen eine erfolgversprechende psychotherapeutische Behandlung hätte sprechen sollen. Im Vergleich dazu überwogen die sozialen und persönlichen Ressourcen insbesondere in Bezug auf die intakten Familienverhältnisse und die weiterhin ausgeübte Tätigkeit als Bauarbeiter.
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Gleichermassen hat das Bundesgericht einer medizinischen Einschätzung - 50%ige Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD-10 F33.1) - die rechtliche Relevanz abgesprochen, da anhand des Gutachtens nicht erstellt war, dass der psychiatrische Sachverständige die Indikatoren bei seiner Arbeits(un)fähigkeitsschätzung genügend berücksichtigt hatte (Urteil 9C_163/2019 vom 13. August 2019 E. 3.4.2).
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Im Gegenzug besteht kein Anlass, die gutachterliche Einschätzung einer 44%igen Arbeitsunfähigkeit nicht zu übernehmen, wenn sich dem unter Berücksichtigung der Rechtsprechung nach BGE 141 V 281 erstatteten Gutachten schlüssige Angaben zu den Indikatoren entnehmen lassen und die medizinisch-psychiatrisch attestierte Arbeitsunfähigkeit in Anbetracht der eingeschränkten Ressourcen als begründet erscheint (Urteil 9C_401/2018 vom 6. November 2018 E. 4.4.5). Das Urteil 9C_501/2018 vom 12. März 2019 bestätigt ebenfalls das vorinstanzliche Festhalten an einer gutachterlich attestierten Arbeitsunfähigkeit von 40 %, weil der psychiatrische Experte nachvollziehbar und in umfassender Diskussion der Befunde, Funktionseinbussen und Ressourcen sowie unter Einbezug einer Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung aus versicherungsmedizinischer Sicht dargelegt hatte, dass die versicherte Person an selbstständigen psychischen Erkrankungen leidet, welche ihre Erwerbsmöglichkeiten im Umfang von 40 % einschränken. Dabei hatte der Gutachter die Inkonsistenzen, Aggravations- bis Simulationstendenzen ausführlich diskutiert und invaliditätsfremde Gesichtspunkte bei seiner Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ausgeklammert.
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Hingegen hat das Bundesgericht keinen Anhaltspunkt gesehen, einer psychiatrisch attestierten Arbeitsunfähigkeit von 25 % nicht zu folgen, wenn der medizinische Experte bei seiner Beurteilung sowohl den Aspekt der funktionellen Auswirkungen als auch die Diskrepanzen zwischen den geschilderten Symptomen und Beschwerden und der Alltagsgestaltung der versicherten Person berücksichtigte (Urteil 8C_420/2018 vom 13. März 2019 E. 6.7). Mit ähnlicher Begründung hat es eine medizinisch-psychiatrisch attestierte Einschränkung von 30 % (vgl. Urteile 9C_611/2018 vom 28. März 2018 E. 4.3.3 und 9C_289/2018 vom 11. Dezember 2018 E. 6.3), und selbst eine solche von bloss 20 % bestätigt (vgl. SVR 2018 IV Nr. 27 S. 89, 8C_260/2017 E. 5.2.3).
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4.3 Dieser Überblick über die Rechtsprechung zeigt, dass zwar jede gutachterliche Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit durch den medizinisch-psychiatrischen Sachverständigen der (freien) Überprüfung durch die rechtsanwendende Verwaltung (im Beschwerdefall das Gericht) im Lichte von BGE 141 V 281 - und der seither ergangenen, das Konzept auf alle psychischen und psychosomatischen ausweitenden Urteile - unterliegt. Von einer lege artis, d.h. im dargelegten Sinne (vgl. E. 3 und 4.1) auch normorientiert erfolgten medizinischen Schätzung ist aus triftigen Gründen abzuweichen. Solche liegen vor, wenn die medizinisch-psychiatrische Annahme einer Arbeitsunfähigkeit letztlich, im Ergebnis, unter dem entscheidenden Gesichtswinkel von Konsistenz und materieller Beweislast derversicherten, rentenansprechenden Person zu wenig gesichert ist und insofern nicht überzeugt (vgl. E. 3.2.2). Dabei ist in Erinnerung zu rufen und es gilt als Leitschnur, dass die ärztliche Beurteilung - von der Natur der Sache her unausweichlich - Ermessenszüge aufweist, die auch den Rechtsanwender begrenzen (E. 4.1.2).
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Demnach besteht zum Einen das rechtsprechungsgemässe Verbot unzulässiger juristischer Parallelprüfung im Vergleich zur Arbeitsunfähigkeitsfestlegung durch die Gutachter. Zum Anderen umschreibt BGE 141 V 281 die Befugnis, im Rahmen der (freien) Überprüfung durch den Rechtsanwender von der ärztlichen Folgenabschätzung abzuweichen.
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Diese beiden Argumentationslinien sind wie folgt abzugrenzen: In allen Fällen ist durch den Versicherungsträger und im Beschwerdefall durch das Gericht zu prüfen, ob und inwieweit die ärztlichen Experten ihre Arbeitsunfähigkeitsschätzung unter Beachtung der massgebenden Indikatoren (Beweisthemen) hinreichend und nachvollziehbar begründet haben. Dazu ist erforderlich, dass die Sachverständigen den Bogen schlagen zum vorausgehenden medizinisch-psychiatrischen Gutachtensteil (mit Aktenauszug, Anamnese, Befunden, Diagnosen usw.), d.h. sie haben im Einzelnen Bezug zu nehmen auf die in ihre Kompetenz fallenden erhobenen medizinisch-psychiatrischen Ergebnisse fachgerechter klinischer Prüfung und Exploration. Ärztlicherseits ist also substanziiert darzulegen, aus welchen medizinisch-psychiatrischen Gründen die erhobenen Befunde das funktionelle Leistungsvermögen und die psychischen Ressourcen in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht zu schmälern vermögen (BGE 143 V 418 E. 6 S. 427). Am Beispiel rezidivierender depressiver Entwicklungen leichten bis mittleren Grades veranschaulicht, die in der IV-rechtlichen Invaliditätsprüfung sehr oft - und auch in concreto - im Vordergrund stehen, bedeutet dies: Es genügt nicht, dass der medizinisch-psychiatrische Sachverständige vom diagnostizierten depressiven Geschehen direkt auf eine Arbeitsunfähigkeit, welchen Grades auch immer, schliesst; vielmehr hat er darzutun, dass, inwiefern und inwieweit wegen der von ihm erhobenen Befunde (Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Antriebsschwäche, Müdigkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, verminderte Anpassungsfähigkeit usw.) die beruflich-erwerbliche Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, und zwar - zu Vergleichs-, Plausibilisierungs- und Kontrollzwecken - unter Miteinbezug der sonstigen persönlichen, familiären und sozialen Aktivitäten der rentenansprechenden Person. Kommen die Experten dieser Aufgabe unter Berücksichtigung der durch BGE 141 V 281 normierten Beweisthemen überzeugend nach, wird die medizinisch-psychiatrische Folgenabschätzung auch aus der juristischen Sicht des Rechtsanwenders - Durchführungsstelle oder Gericht - Bestand haben. Andernfalls liegt ein triftiger Grund vor, der rechtlich ein Abweichen davon gebietet (so [implizit] bereits Urteil 9C_611/2018 vom 28. März 2019 E. 4.3.3).
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4.4 Angewandt auf den konkreten Fall erscheint die psychiatrische Schätzung einer 20%igen Arbeitsunfähigkeit durch den SMAB-Gutachter Dr. med. B. auf den ersten Blick plausibel, können doch psychiatrische Krankheitsbilder, wie die von ihm hier diagnostizierte rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leicht- bis mittelgradige depressive Episode (vgl. E. 2), durchaus mit (geringen) Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit verbunden sein. Sieht man indes genauer hin, so liegt klar auf der Hand, dass diese Einschätzung des medizinisch-psychiatrischen Sachverständigen einzig und allein auf der Angabe sehr massiver kognitiver Einschränkungen durch die Beschwerdeführerin beruht, welche sich jedoch weder in der psychiatrischen Exploration noch in der ebenfalls durchgeführten neuropsychologischen Testung bestätigen liessen, wie dies aus den Darlegungen des Dr. med. B. ohne Wenn und Aber hervorgeht. An diesem entscheidenden Punkt - andere limitierende Befunde stehen nicht zur Diskussion - vermögen sämtliche Vorbringen in der Beschwerde nichts zu ändern. Daher verbietet sich der Schluss, es seien erhebliche negative Auswirkungen des Beschwerdebildes auf eine angepasste Arbeit (vorstrukturierte, regelmässige Tätigkeiten, die wenig Eigenantrieb und Eigeninitiative erfordern), wie sie dem psychiatrischen Belastungsprofil zu entnehmen ist, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bewiesen. Folglich fehlt es an einem stimmigen Gesamtbild (vgl. E. 3.2.2 in fine) für die Annahme einer rechtlich relevanten psychischen Funktionseinbusse. Somit ist der angefochtene Entscheid im Ergebnis zu bestätigen.
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