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15. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Gemeinsame Einrichtung KVG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_265/2019 vom 18. Februar 2020 |
Art. 18 KVG; Art. 19 und 22 KVV; Gemeinsame Einrichtung KVG. |
Art. 23-30 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit; Art. 3 Abs. 1 und 2 KVG; Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 lit. e und Art. 36 Abs. 2 KVV; internationale Sachleistungsaushilfe einer in der Schweiz wohnhaften Bezügerin einer Altersrente eines EU-Mitgliedstaats. | |
Sachverhalt | |
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A.a Die 1935 geborene, in der Schweiz wohnhafte A. ist niederländische Staatsangehörige und bezieht eine niederländische Altersrente. Sie ist bei der Gemeinsamen Einrichtung KVG (nachfolgend: GE KVG) für die internationale Leistungsaushilfe nach den geltenden EU-Koordinationsrechtsgrundlagen registriert.
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A.b Am 25. Dezember 2017 reiste sie ferienhalber in die Vereinigten Arabischen Emirate. Zwei Tage später, am 27. Dezember 2017, unterzog sie sich im Spital B. in Dubai einer Knieuntersuchung (Erstkonsultation). In der Folge machte sie in den Niederlanden die Rückvergütung der entsprechenden Behandlungskosten von umgerechnet knapp Fr. 100.- geltend. Die zuständige niederländische Behörde wies das Kostenübernahmegesuch mit Beschluss vom 17. April 2018 ab, welcher auf Rechtsmittel hin mit Entscheid der niederländischen Verbindungsstelle für Krankheit und Mutterschaft in der EU/ EFTA CAK vom 20. Juli 2018 bestätigt wurde.
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Im August 2018 meldete sich A. bei der GE KVG und ersuchte um Übernahme der in Dubai angefallenen Behandlungskosten. Dies wurde durch die GE KVG abgelehnt.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 25. März 2019 ab.
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C. A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem (sinngemässen) Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids und des Einspracheentscheids der GE KVG vom 15. November 2018 sei letztere zu verpflichten, die am 27. Dezember 2017 im Spital B. in Dubai angefallenen Behandlungskosten zu übernehmen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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(...)
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Erwägung 3 | |
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Erwägung 4 | |
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Mit Wirkung auf 1. April 2012 sind diese beiden Rechtsakte durch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: VO Nr. 883/2004) sowie (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831. 109.268.11) abgelöst worden (BGE 144 V 127 E. 4.1 S. 129; BGE 143 V 52 E. 6.1 S. 55 f.; BGE 141 V 246 E. 2.1 S. 248 f.).
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Erwägung 4.2.1 | |
4.2.1.1 Titel II der VO Nr. 883/2004 (Art. 11-16) enthält allgemeine Kollisionsregeln zur Bestimmung der anzuwenden Rechtsvorschriften. Dabei legt Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 den kollisionsrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften in dem Sinne fest, dass für jede betroffene Person die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats massgebend sind.
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4.2.1.2 Bei Arbeitnehmenden und Selbstständigerwerbenden gelten in der Regel die Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaats, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben (Art. 11 Abs. 3 Bst. a VO Nr. 883/2004 [Beschäftigungsland- oder Erwerbsortprinzip]; BGE 143 V 52 E. 6.2.1 S. 56; BGE 140 V 98 E. 6.3 S. 102; Urteil 8C_273/2015 vom 12. August 2015 E. 3.2). Nichterwerbstätige sind sodann ebenfalls den Rechtsvorschriften (nur) eines Mitgliedstaats unterstellt. Nach Art. 11 Abs. 3 Bst. e VO Nr. 883/2004 unterliegen sie den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, sofern nichts anderes bestimmt ist. Dabei handelt es sich um einen eigenen Anspruch auf Grund des Wohnorts (BGE 144 V 127 E. 4.2.1.2 S. 130; BGE 143 V 52 E. 6.2.2 S. 56 f.; BGE 140 V 98 E. 8.1 S. 103).
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4.2.2.2 Art. 23-30 VO Nr. 883/2004 regeln im Sinne der beschriebenen speziellen gemeinschaftsrechtlichen Koordinationsbestimmungen den Sachleistungsanspruch der Rentnerinnen und Rentner und ihrer Familienangehörigen bei Krankheit. Gemäss Art. 24 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 erhält eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten bezieht und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, dennoch Sachleistungen für sich und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Abs. 2 der Bestimmung genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf eine Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte (Art. 24 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 [sog. Sachleistungsaushilfe]). Hat der Rentner nur Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats, so übernimmt der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats die Kosten für die Sachleistungen (Art. 24 Abs. 2 Bst. a VO Nr. 883/2004). Art. 24 VO Nr. 883/2004 umfasst somit den Fall, dass Rentnerinnen und Rentner mangels hinreichender Beziehungen zum Rentensystem ihres Wohnortstaats keinen originären Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im Wohnortstaat haben. Beim Bezug nur einer Rente ist der Träger für Leistungen bei Krankheit desjenigen Staats kostenpflichtig, der die Rente leistet. Der Rentnerin oder dem Rentner wird ein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe gegenüber dem Träger des Wohnortstaats gewährt (SCHREIBER, Kommentar, a.a.O., N. 1 und 7 zu Art. 24 VO Nr. 883/2004). ![]() | 26 |
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4.2.3.1 Die Anwendung der Kollisionsnormen der VO Nr. 883/2004, nach denen sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmen, ist für die Mitgliedstaaten zwingend. Sie bilden ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den nationalen Gesetzgebern die Befugnis nimmt, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen (erwähntes EuGH-Urteil C-345/09 van Delft u.a., Randnrn. 51 f., 56; BGE 144 V 127 E. 4.2.3.1 S. 131).
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4.2.3.2 Bei den vorgenannten Art. 24 f. VO Nr. 883/2004 handelt es sich somit um - von den Mitgliedstaaten zu rezipierende - Bestimmungen, die abweichende Sonderregelungen für die den Rentnern bei Krankheit zustehenden Leistungen enthalten (BGE 144 V 127 E. 4.2.3.2 S. 131 f.).
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4.2.4.1 Gemäss Art. 3 Abs. 1 KVG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 KVV) muss sich grundsätzlich jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz innert drei Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für Krankenpflege versichern lassen, untersteht also dem Krankenversicherungsobligatorium nach KVG. Abs. 2 der Bestimmung stipuliert, dass der Bundesrat Ausnahmen von der Versicherungspflicht vorsehen kann. Er ist damit befugt, bestimmte Personen mit Wohnsitz in der Schweiz von der Versicherungspflicht auszunehmen (BGE 144 V 127 E. 4.2.4.1 S. 132; BGE 134 V 34 E. 5.5 S. 37 f. mit Hinweisen; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 141/97 vom 3. Dezember 1999 E. 4b, in: SVR 2000 KV Nr. 30 S. 95).
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4.2.4.2 Die Ausnahmen von der Versicherungspflicht wurden zum einen in der - hier interessierenden - Form der Nichtunterstellung geregelt, die nach Gesetz oder Verordnung automatisch eintritt (Art. 2 Abs. 1 KVV; vgl. auch EUGSTER, Krankenversicherung, a.a.O., S. 423 Rz. 46). So sind in der Schweiz niedergelassene Personen, die zwar keinen Anspruch auf eine schweizerische, aber nach dem FZA sowie seinem Anhang II einen Anspruch auf eine Rente eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft haben, von der Versicherungspflicht in der Schweiz befreit (Art. 2 Abs. 1 lit. e KVV).
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5. Die Vorinstanz erwog, die in der Schweiz wohnhafte, niederländische Beschwerdeführerin, die ausschliesslich eine Altersrente aus ![]() ![]() ![]() | 32 |
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Erwägung 6 | |
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7. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, auch für den Fall, dass ihr lediglich der Anspruch auf Sachleistungsaushilfe gegenüber der Schweiz zustehe mit anschliessender Kostenrückerstattung ![]() ![]() | 36 |
Erwägung 8 | |
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8.2.1 Im grundlegenden Urteil des EuGH van Roosmalen (vom 23. Oktober 1986 C-300/84, Slg. 1986 03097) wurde hervorgehoben, dass es für die Bejahung des räumlichen Geltungsbereichs - und damit auch für die Anwendung der VO Nr. 883/2004 - nicht auf den Ort der Tätigkeit ankomme, sondern auf die Beziehungen der betreffenden Person zu dem Mitgliedstaat, unter dessen sozialrechtlichem Regime sie relevante Zeiten zurückgelegt habe (Randnr. 29). Das ausschlaggebende Kriterium für die Anwendbarkeit der Verordnung bestehe - so das Gericht im Folgenden (Randnr. 30) - in der Bindung der versicherten Person an ein System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats. Dieser Grundsatz wurde in der Folge bestätigt (Urteil vom 14. November 1990 C-105/89 Buhari Haji, Slg. 1990 I-04211; ferner Urteil vom 29. Juni 1994 C-60/93 Aldewereld, Slg. 1994 I-2991, besprochen und adaptiert in BGE 139 V 216). Damit kommt es zu einer scheinbaren Erstreckung des räumlichen Geltungsbereichs der Verordnung auf Gebiete ausserhalb der Mitgliedstaaten. Tatsächlich aber geht es nicht um eine Erweiterung des Geltungsbereichs, sondern um die Frage der funktionalen Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialrechtsordnung des ![]() ![]() | 39 |
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Erwägung 9 | |
9.1 Im Rahmen der erwähnten Sachleistungsaushilfe werden in der Schweiz als Wohnstaat Sachleistungen durch die GE KVG nach den schweizerischen Rechtsvorschriften erbracht, und zwar so, als ob die betroffene Person in der Schweiz versichert wäre (vgl. Art. 17 und 19 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 883/2004). Es handelt sich um eine punktuelle Anwendung des schweizerischen Leistungssystems (sog. Versichertenfiktion [punktuelle Integration über eine Fiktion des Mitgliedsstatus]; sieheKARL-JÜRGEN BIEBACK, Sozialrecht, a.a.O., N. 14 und 16 zu Art. 17 VO Nr. 883/2004, N. 11 zu Art. 19 VO Nr. 883/ 2004 sowie N. 4 zu Art. 24 VO Nr. 883/2004; SCHREIBER, Kommentar, a.a.O., N. 7 zu Art. 17 VO Nr. 883/2004 und N. 10 zu Art. 24 VO ![]() ![]() | 41 |
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Erwägung 10 | |
Der Begriff des Auslandaufenthalts gemäss Art. 36 Abs. 2 KVV definiert sich mit Bezug auf den Wohnortstaat der betroffenen Person und umfasst daher auch sog. Drittstaaten (u.a. EUGSTER, Krankenversicherung, a.a.O., S. 575 Rz. 545).
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Die Sache ist zur entsprechenden Beurteilung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Diese wird dabei insbesondere auch die letztinstanzlich eingereichten Unterlagen der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen haben. Mit dieser Vorgehensweise bleiben den Parteien sämtliche Rechte, insbesondere auch der Anspruch auf den doppelten Instanzenzug (BGE 125 V 413 E. 2c S. 417 mit Hinweisen; Urteile 9C_263/2017 vom 21. März 2018 E. 7.2.3.2, nicht publ. in: BGE 144 V 127, aber in: SVR 2018 KV Nr. 14 S. 82, und 9C_154/2014 vom 3. September 2014 E. 2.2), gewahrt. ![]() | 44 |
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