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17. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen Helsana Versicherungen AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_584/2019 vom 26. Februar 2020 | |
Regeste |
Art. 34 Abs. 1 und 2 KVG; Art. 36 Abs. 2 KVV; Übernahme der Kosten von im Ausland erbrachten Leistungen aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. | |
Sachverhalt | |
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A.a Die 1936 geborene A.B. war bei der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) obligatorisch krankenpflegeversichert.
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A.b Anfang November 2016 wurden bei der Versicherten u.a. ein metastasierendes Adenokarzinom der Lunge, eine Helicobactergastritis, eine arterielle Hypertonie, eine Hypothyreose unklarer Ätiologie, eine Osteopenie sowie multiple degenerative muskulo-skelettale Beschwerden diagnostiziert. Am 15. November 2016 unterzog sich A.B. einer weiteren Biopsie. Der behandelnde Arzt PD Dr. med. D., Leitender Arzt der Klinik für Onkologie/Hämatologie, Spital C., empfahl der Versicherten daraufhin, mit Blick auf das weitere Vorgehen den Zeitraum von 10 bis 14 Tagen bis zum Vorliegen der Biopsie-Ergebnisse abzuwarten. Am 16. November 2016 verliessen A.B. und ihr Ehemann die Schweiz, um von Rom aus per Schiff in die USA zu reisen, wo sie, wie jedes Jahr, die Zeit vom 1. Dezember ![]() ![]() | 3 |
Mit Verfügung vom 28. April 2017 lehnte die Helsana die Übernahme der Kosten für die Immunisierungstherapie mit Keytruda im Florida Institute E., die Einholung der Zweitmeinung im Center H., sämtliche ambulanten und stationären Aufenthalte sowie für die Medikamentenbezüge in den USA im Zeitraum vom 8. Dezember 2016 bis 3. Februar 2017 ab, welche in Zusammenhang mit der Krebserkrankung standen. Die dagegen erhobene Einsprache hiess der Krankenversicherer in dem Sinne teilweise gut, als er sich bereit erklärte, die Kosten für den Spitalaufenthalt vom 28. Januar bis 2. Februar 2017 im Physicians Regional G. zu übernehmen. In Bezug auf weitergehende in den USA angefallene Kosten wurde die Rechtsvorkehr abgewiesen.
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B. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die hiergegen eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 7. August 2019 ab.
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C. A.A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, soweit damit eine Verpflichtung der Helsana zur Vergütung der in den USA entstandenen Kosten für Behandlungen und Medikamente verneint werde, und die Helsana sei zu verpflichten, ihm den Betrag für die angeführten medizinischen Leistungen in der Höhe von insgesamt 27'314.88 US-Dollar zu vergüten.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
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Zu prüfen ist im Folgenden einzig, ob die von der verstorbenen Versicherten in den USA in Anspruch genommenen - grundsätzlich indizierten - medizinischen Behandlungen Notfallcharakter aufwiesen.
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Die Angemessenheit der Rückreise beurteilt sich nach den gesamten Umständen des einzelnen Falls. Dazu gehören die medizinische Zumutbarkeit der Rückreise, die Kosten der Rückreise im Verhältnis zu den Behandlungskosten, aber auch die Prüfung, ob die Behandlung in der Schweiz möglich gewesen wäre oder ob die Rückkehr eine ![]() ![]() | 13 |
Erwägung 3 | |
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Auf Grund der geschilderten Vorgänge kann zwar nicht angenommen werden, dass die Versicherte sich in erster Linie zum Zweck der medizinischen Behandlung in die USA begeben hat. Dennoch ist aber mit dem kantonalen Gericht von einer voraussehbaren Beanspruchung von erheblichen medizinischen Leistungen während des mehrmonatigen, von Dezember 2016 bis April 2017 ![]() ![]() | 15 |
3.2.2 Es handelte sich folglich um eine bewusst in Kauf genommene Behandlung des Leidens im Ausland. Dass die konkrete Therapieform bei Abreise nach Italien noch nicht bestimmt war, vermag daran nichts zu ändern, stand doch jedenfalls fest, dass eine Behandlungsbedürftigkeit vorlag. Auch sind keine Hinweise erkennbar, dass sich die Versicherte am 25. November 2016, als ihr die geeignete Behandlung bekannt gegeben worden war, spätestens aber Anfang Dezember 2016, nachdem sie und ihr Ehemann in den USA eingetroffen waren, aus gesundheitlichen Gründen ausserstande gesehen hätte, die Heimreise anzutreten. Vielmehr deuten die Aktivitäten in den USA, wie der mehrstündige Flug am 22. Dezember 2016 nach Houston/Texas, um dort medizinische Abklärungen vornehmen zu lassen, respektive die Teilnahme an der vom 28. Dezember 2016 bis 12. Januar 2017 dauernden Kreuzfahrt in Mittel- und Südamerika, auf eine grundsätzliche (Rück-)Reisefähigkeit der Versicherten hin. Belege, die eine Transportunfähigkeit für diesen Zeitraum bezeugten, wurden denn auch nicht beigebracht bzw. sind den Akten nicht ![]() ![]() | 16 |
Bei der fraglichen Immunisierungstherapie mit Keytruda handelte es sich somit um eine wenn auch nicht im Detail geplante, so doch mit der Mitte November 2016 getätigten Abreise ins Ausland (eventualvorsätzlich) in Kauf genommene Behandlung. Auch ist deren Notfallcharakter im Sinne von Art. 36 Abs. 2 KVV zu verneinen, wäre die frühzeitige Rückreise in die Schweiz doch sowohl in gesundheitlicher Hinsicht ohne medizinische Risiken möglich als auch aus finanziellen und/oder persönlichen Gründen angemessen und verhältnismässig gewesen. Die entsprechenden Kosten sind daher nicht von der Beschwerdegegnerin zu vergüten.
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3.3.1 Entgegen den betreffenden Ausführungen drängt sich vor dem Hintergrund der gefestigten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Notfallbegriff selbst im Licht des Rechts auf persönliche Freiheit und in Anbetracht der Kritik der Lehre am strengen Notfallbegriff (vgl. u.a. EUGSTER, Rechtsprechung, a.a.O., N. 8 zu Art. 34 KVG; ders., Krankenversicherung, a.a.O., S. 576 Rz. 547) keine abweichende Betrachtungsweise auf. In diesem Kontext ist denn auch auf die besondere gesetzliche Regelung der Leistungsansprüche in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung hinzuweisen: Das Prinzip der Inlandbehandlung ist eng verbunden mit dem gesetzlichen System ![]() ![]() | 19 |
3.3.2 Ebenfalls nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag der Beschwerdeführer ferner aus dem von ihm angerufenen Vertrauensschutz. Zwar deutet die von der Beschwerdegegnerin am 11. November 2016 ausgestellte "Versicherungsbestätigung für das Ausland" darauf hin, dass die Versicherte bzw. ihr Ehemann vor der Abreise in die USA die entsprechende allgemeine Versicherungsdeckung thematisiert haben. Wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat - Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unrichtigkeit sind nicht erkennbar (nicht publ. E. 1) -, geht daraus jedoch nicht hervor, dass die im damaligen Zeitpunkt bereits bekannte Behandlungsnotwendigkeit des diagnostizierten Krebsleidens angesprochen und dafür ein spezifischer Versicherungsschutz zugesichert worden wäre. Aus der Bestätigung lässt sich namentlich nicht auf eine über die gesetzlichen Regelungen hinausgehende Erstattung von Behandlungskosten schliessen. Zudem wurde darin ausdrücklich festgehalten, dass eine Kostenübernahme im Ausland nur solange erfolge, als eine Rückkehr in die Schweiz auf Grund des Gesundheitszustands der versicherten Person ausgeschlossen sei. Es hätte folglich an der Versicherten bzw. am Beschwerdeführer gelegen, noch vor ihrer Abreise am 16. November 2016 die Beschwerdegegnerin um eine ![]() ![]() | 20 |
Der vorinstanzliche Entscheid ist in diesem Punkt zu schützen.
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Erwägung 4 | |
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Hinweise für eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit dieser Feststellungen sind nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus den Ausführungen in der Beschwerde.
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4.3 Das Bundesgericht hat im Kontext mit dem aus medizinischen Gründen bedingten Aufenthalt in einem ausserkantonalen Spital erkannt (zu aArt. 41 Abs. 3 KVG, in der bis 31. Dezember 2008 in Kraft gestandenen Fassung), dass die Behandlung, welche in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer medizinischen Massnahme steht, die nicht aus medizinischen Gründen ausserkantonal durchgeführt wurde, keinen Notfallcharakter aufweist und daher - ebenfalls - nicht vergütungspflichtig ist. Dabei genügt es grundsätzlich, dass die notfallmässig zu behandelnde Erkrankung zu den ![]() ![]() | 25 |
Diese Grundsätze wurden im Urteil 9C_177/2017 vom 20. Juni 2017 (E. 7) mit Blick auf die Voraussetzungen der notfallmässigen Auslandsbehandlung gemäss Art. 36 Abs. 2 KVV analog übernommen (vgl. auch EUGSTER, Rechtsprechung, a.a.O., N. 26 zu Art. 41 KVG).
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Erwägung 4.4 | |
4.4.1 Für den hier zu beurteilenden Fall gilt demnach Folgendes: Falls die in E. 4.2 hiervor geschilderten gesundheitlichen Probleme überwiegend wahrscheinlich Folge der sich verschlechternden Grunderkrankung in Form des fortschreitenden Krebsleidens sind ("... correspondait à une évolution prévisible d'un cancer ..." [Urteil 9C_ 177/2017 vom 20. Juni 2017 E. 7.3]), die auch ohne die - nicht der Leistungspflicht unterstehende - Immunisierungstherapie aufgetreten wären ("... serait également survenue même si l'assurée n'avait pas suivi les essais cliniques aux Etats-Unis. ..." [Urteil 9C_177/ 2017 E. 7.3]), hat die Beschwerdegegnerin die dadurch angefallenen Behandlungskosten zu vergüten. Allein der Umstand, dass A.B. sich in den USA aufgehalten und sich dort der fraglichen Therapie ![]() ![]() | 27 |
4.4.2 Die vorhandenen medizinischen Akten erlauben in diesem Punkt keine abschliessende Beurteilung. Die Sache ist daher an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie die entsprechenden Abklärungen vornehme und gestützt darauf erneut - nach Massgabe der dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze - über den entsprechenden Leistungsanspruch befinde. Der angefochtene Entscheid und der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 7. Februar 2018 sind insoweit aufzuheben. ![]() | 28 |
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