BGE 146 V 313 | |||
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29. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_829/2019 vom 26. August 2020 | |
Regeste |
Art. 30ter Abs. 3 AHVG; Eintragung beitragspflichtiger Einkommen Unselbständigerwerbender. | |
Sachverhalt | |
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A.a A., geboren am 3. März 1952, meldete sich am 30. November 2017 zum Bezug einer AHV-Altersrente an. Dabei hielt sie fest, sie habe bis im Juli 2017 bei der B. AG gearbeitet. Die anschliessende Beteiligung bei einem KMU habe sich verzögert bzw. erledigt. Somit wolle sie den Antrag zum Rentenbezug erst per Januar 2018 stellen. Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse, EL-Stelle (nachfolgend: Ausgleichskasse), forderte A. zur Nachreichung von Unterlagen auf und wies sie insbesondere darauf hin, dass ein Aufschub der Altersrente bis spätestens am 31. März 2017 hätte beantragt werden müssen. Mit Verfügung vom 8. März 2018 sprach sie A. ab 1. April 2016 eine monatliche Altersrente von Fr. 1'974.- zu. Für die Zeit vom 1. April 2016 bis 28. Februar 2018 wurden insgesamt Fr. 45'402.- nachbezahlt.
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A.b Hiergegen erhob A. am 15. März 2018 Einsprache, mit der sie verschiedene Fragen geklärt haben wollte. Am 8. Mai 2018 stellte ihr die Ausgleichskasse einen Auszug aus dem Individuellen Konto mit den angerechneten und verbuchten Einkommen zu. Auf nochmalige Aufforderung hin nahm A. am 9. Juli 2018 zu verschiedenen Berechnungspositionen Stellung. Mit E-Mail vom 15. Juli 2018 reichte sie sodann eine Aufstellung über ihre Einkommen ein, wobei sie darauf hinwies, mindestens schon seit 2002 selbständigerwerbend gewesen zu sein. Nach diverser weiterer Korrespondenz wies die Ausgleichskasse die Einsprache ab.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde der A. wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 11. September 2019 ab.
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C. A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der berechtigte Lohn für die Jahre 2013 bis 2015, ausbezahlt im April 2017, sei in die Rentenberechnung einzubeziehen.
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Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Am 6. Januar und 15. Mai 2020 reicht A. unaufgefordert weitere Eingaben samt Beilagen ein.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
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Wäre dieses unbestrittenermassen beitragspflichtige Einkommen antragsgemäss im Individuellen Konto unter den Jahren 2013 bis 2015 zu verbuchen, so würde sich das für die Rentenberechnung zu berücksichtigende Erwerbseinkommen entsprechend erhöhen.
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4.3 Art. 30ter AHVG sieht unter der Marginalie "Individuelle Konten" in Abs. 3 betreffend die Berücksichtigung beitragspflichtiger Einkommen von Unselbständigerwerbenden was folgt vor (eingefügt durch Ziff. I des BG vom 17. Juni 2011 [Verbesserung der Durchführung], in Kraft seit 1. Januar 2012 [AS 2011 4745; BBl 2011 543]):
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" 3 Die beitragspflichtigen Einkommen von Arbeitnehmern werden im individuellen Konto unter dem Jahr eingetragen, in dem sie ausbezahlt wurden. Die Einkommen werden jedoch im Erwerbsjahr eingetragen, wenn der Arbeitnehmer:
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a. zum Zeitpunkt der Lohnauszahlung nicht mehr für den Arbeitgeber tätig ist;
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b. den Beweis erbringt, dass das beitragspflichtige Einkommen von einer Erwerbstätigkeit stammt, die in einem früheren Jahr ausgeübt wurde und für die weniger als der Mindestbeitrag entrichtet wurde."
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Diese Bestimmung wurde in drei Etappen eingeführt:
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4.3.3 Nachdem die 11. AHV-Revision am 1. Oktober 2010 in der Schlussabstimmung des Nationalrates abgelehnt worden war, legte der Bundesrat am 3. Dezember 2010 die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Verbesserung der Durchführung) vor (BBl 2011 543 ff.), welche u.a. Art. 30ter Abs. 3 AHVG beinhaltete. In seiner neuen Botschaft nahm der Bundesrat nicht mehr auf die bestehende Praxis und die bundesgerichtliche Rechtsprechung Bezug, sondern führte aus, das Realisierungsprinzip entspreche am ehesten der Realität, würden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer doch in der Regel den Lohn in dem Zeitpunkt erhalten, in welchem sie die Tätigkeit auch ausübten (vgl. BBl 2011 559). Im Weiteren wies der Bundesrat jedoch darauf hin, dass - weil das Realisierungsprinzip auch Nachteile zur Folge haben könne - davon Ausnahmen vorzusehen seien.
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Im Einzelnen führte er aus: "[...] Zunächst kann ein Einkommen nicht in einem Jahr eingetragen werden, in welchem keine Arbeit geleistet wurde; denn dies würde bedeuten, dass die versicherte Person ihrer Beitragspflicht als Nichterwerbstätige entgehen könnte. Daher muss das Einkommen unter dem Erwerbsjahr eingetragen werden, wenn die betreffende Person im Jahr, in welchem ihr der Lohn ausbezahlt wird, nicht mehr für denselben Arbeitgeber oder dieselbe Arbeitgeberin tätig ist (Bst. a). Sodann kann die strikte Anwendung des Realisierungsprinzips zur Folge haben, dass in dem Jahr, in welchem die Arbeit tatsächlich geleistet wurde, kein Einkommen eingetragen wird, und dass dadurch für die versicherte Person Versicherungslücken entstehen. Dies ist zum Beispiel der Fall bei einem Agenten, welcher keinen festen Lohn bezieht und welchem die Provisionen für die im Jahre 2010 ausgeübte Tätigkeit erst im Jahre 2011 ausbezahlt werden. Nach dem Realisierungsprinzip wird ihm unter dem Jahr 2010 kein Einkommen verbucht. Um Beitragslücken zu vermeiden, scheint es daher gerechtfertigt, den nachträglich bezahlten Lohn dem Jahr der Arbeitsleistung gutzuschreiben, wenn der oder die Betroffene keine oder den Mindestbeitrag nicht erreichende Beiträge entrichtet hat. [...]" (BBl 2011 559 f.). In den Räten wurde die vorgeschlagene Bestimmung wiederum diskussionslos angenommen (AB 2011 N 1230; AB 2011 S 21 ff.).
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Erwägung 4.4 | |
4.4.1 Im vom Bundesrat in der Botschaft vom 21. Dezember 2005 (BBl 2006 1957 ff.) erwähnten BGE 111 V 161 hatte sich das Bundesgericht mit einer analogen Frage, wie sie sich vorliegend stellt, zu befassen. Danach ist beitragspflichtiges Einkommen Unselbständigerwerbender im Individuellen Konto unter demjenigen Jahr zu verbuchen, in welchem der Versicherte die entsprechende Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (BGE 111 V 161 E. 3 S. 165 und E. 4c S. 167). Bei Lohnnachzahlungen ist der Eintrag im Individuellen Konto unter dem Auszahlungsjahr nur dann nicht zu beanstanden, wenn er sich bei der späteren Rentenberechnung für den Versicherten nicht nachteilig auswirken kann oder wenn er nicht zu einer Umgehung der gesetzlichen Beitragspflicht für Nichterwerbstätige führt (BGE 111 V 161 E. 4d in fine S. 169). Zur Begründung verwies das Bundesgericht u.a. auf Art. 3 Abs. 1 Satz 1 AHVG, wonach die Versicherten beitragspflichtig sind, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben, sowie auf Art. 5 Abs. 1 AHVG, wonach bei den unselbständig Erwerbstätigen die Beiträge auf dem massgebenden Lohn erhoben werden, wobei die Beiträge bei jeder Lohnzahlung abzuziehen und vom Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch der Ausgleichskasse zu überweisen sind (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 Abs. 1 lit. a AHVV [SR 831.101]). Weiter bezog das Bundesgericht mit ein, dass die Beitragspflicht direkt auf dem Gesetz beruht und entsteht, sobald die sie nach dem Gesetz begründenden Tatsachen (Versicherteneigenschaft und Erwerbstätigkeit bzw. Nichterwerbstätigkeit) eingetreten sind (mit Verweis auf ZAK 1984 S. 388 E. 3a; BGE 110 V 252 E. 3 S. 255 und BGE 109 V 1 E. 3b S. 5). Bei den Unselbständigerwerbenden knüpft die gesetzliche Beitragspflicht in sachlicher Hinsicht an die "geleistete Arbeit" an und in zeitlicher Hinsicht an den Zeitraum, in welchem ein dem Beitragsstatut als Erwerbstätiger unterliegender Versicherter diese Arbeit leistet. Massgebend für die Beitragspflicht Erwerbstätiger sind somit die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Ausübung der Erwerbstätigkeit (BGE 111 V 161 E. 4b S. 166).
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4.4.2 Daraus schloss das Bundesgericht Folgendes: "[...] Kommt es nach dem Gesagten für die Beitragspflicht auf die Verhältnisse zur Zeit der Ausübung der Erwerbstätigkeit an, so entspricht es Sinn und Zweck der gesetzlichen Beitragsordnung, dass bei den Unselbständigerwerbenden das beitragspflichtige Einkommen in demselben Zeitraum, d.h. im gleichen Kalenderjahr im Individuellen Konto verbucht werden muss, in welchem der Versicherte die entsprechende 'Arbeit geleistet' hat (Erwerbsjahrprinzip), dient doch das Individuelle Konto dem Zwecke der Verurkundung, dass ein Versicherter in einem bestimmten Zeitraum seine Beitragspflicht in einer bestimmten beitragsrechtlichen Eigenschaft erfüllt hat. Als Beitragsjahr gemäss Art. 140 Abs. 1 lit. d AHVV hat demnach das Kalenderjahr zu gelten, in welchem der Unselbständigerwerbende die dem Erwerbseinkommen zugrunde liegende Erwerbstätigkeit ausgeübt hat. Nicht massgeblich für die Bestimmung des einzutragenden Beitragsjahres ist hingegen der Zeitpunkt der Lohnrealisierung (d.h. der Entstehung der Beitragsschuld) oder gar derjenige der Beitragsentrichtung, Zeitpunkte also, welche allein den Beitragsbezug betreffen und die aus arbeitsvertraglichen (z.B. spätere Fälligkeit von Provisionen nach Art. 323 Abs. 2 und Art. 339 Abs. 2 OR), tatsächlichen (vorübergehende Insolvenz des Arbeitgebers) oder aus Gründen einer Umgehung der gesetzlichen Beitragspflicht ausserhalb des Erwerbsjahres liegen können. [...]" (BGE 111 V 161 E. 4c S. 167).
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4.5.1 Das Bundesgericht geht grundsätzlich vom Erwerbsjahrprinzip aus. Für die bundesgerichtliche Praxis ist entscheidend, ob bei Erfassung von Einkommen im Realisierungszeitpunkt für den Versicherten Nachteile entstehen, weil dadurch eine Beitragslücke verursacht würde oder die fraglichen Beiträge nicht mehr rentenbildend wären (E. 4.4). Demgegenüber beruht die (neuere) gesetzliche Konzeption darauf, dass grundsätzlich das Realisierungsprinzip zur Anwendung kommt und nur gerade dann, wenn durch die spätere Berücksichtigung eine (effektive) Beitragslücke verursacht wird - d.h. die Leistung des Mindestbeitrages nicht erfolgte -, eine Abweichung zulässig ist. Zusätzlich wird gefordert, dass der Arbeitnehmer im Auszahlungszeitpunkt nicht mehr für den Arbeitgeber tätig ist (E. 4.3.3).
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Nach dem Dargelegten greift diese Begründung zu kurz. Relevant und zu prüfen wäre vielmehr, ob die Beschwerdeführerin allenfalls die in Art. 30ter Abs. 3 lit. a und b AHVG genannten Voraussetzungen - zum Zeitpunkt der Lohnauszahlung nicht mehr für den Arbeitgeber tätig (lit. a) und im Erwerbsjahr weniger als den Mindestbeitrag entrichtet (lit. b) - erfüllte. Zwar hat die Vorinstanz diesbezüglich keine Feststellungen getroffen. Die Beschwerdeführerin legt jedoch selber dar, bis 31. März 2017 seien - sie selber eingerechnet - bloss noch zwei Personen im Betrieb tätig gewesen. Der aktenkundigen Lohnübersicht und dem Individuellen Konto der Beschwerdeführerin kann zudem entnommen werden, dass in den hier fraglichen Jahren auf dem bei der B. AG erzielten Einkommen mehr als der Mindestbeitrag (vgl. Art. 10 Abs. 2 AHVG) entrichtet worden war. Damit besteht sowohl gemäss lit. a wie auch gemäss lit. b des Art. 30ter Abs. 3 AHVG zum vornherein kein Raum für eine nachträgliche Eintragung von Einkommen in den entsprechenden Erwerbsjahren 2013 bis 2015.
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