BGE 147 V 174 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 04.09.2021, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
19. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen Uber Switzerland GmbH (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_692/2020 vom 29. März 2021 | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 2 AHVG; Beitragspflicht des Arbeitgebers; Betriebsstätte. | |
Sachverhalt | |
A. Mit Verfügung vom 16. August 2019 traf die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, Ausgleichskasse, die Feststellungen, dass UberPop-Fahrer eine unselbstständige Erwerbstätigkeit für die Rasier Operations B.V. mit Sitz in den Niederlanden ausüben würden und die Uber Switzerland GmbH die abrechnungspflichtige Betriebsstätte der Rasier Operations B.V. in der Schweiz sei. Im Weiteren verpflichtete die Ausgleichskasse die Rasier Operations B.V. als Arbeitgeberin bzw. die Uber Switzerland GmbH als Betriebsstätte für das Jahr 2014 Sozialversicherungsbeiträge (inklusive Nebenkosten) in der Höhe von Fr. 4'283'763.75 sowie Verzugszinsen von Fr. 991'215.35 zu bezahlen.
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Die dagegen von der Rasier Operations B.V. und der Uber Switzerland GmbH erhobene Einsprache hiess die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 3. März 2020 teilweise gut. Sie reduzierte die Sozialversicherungsbeiträge (inklusive Nebenkosten), die sie von den beiden Gesellschaften gefordert hatte, auf eine Summe von Fr. 4'257'228.55. Die Verzugszinsen verminderten sich auf Fr. 985'075.40. Im Übrigen wies sie die Einsprache ab.
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B. Die Rasier Operations B.V. sowie die Uber Switzerland GmbH erhoben gemeinsam Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 3. März 2020. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich registrierte die Beschwerde der Uber Switzerland GmbH (AB.2020. 00061) getrennt von derjenigen der Rasier Operations B.V. (AB. 2020.00045).
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Mit Entscheid vom 16. September 2020 (AB.2020.00061) hiess das Sozialversicherungsgericht die Beschwerde der Uber Switzerland GmbH in dem Sinne gut, dass es den Einspracheentscheid vom 3. März 2020, soweit er die Uber Switzerland GmbH betrifft, aufhob. Es stellte fest, dass diese nicht beitragspflichtig sei.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den vorinstanzlichen Entscheid vom 16. September 2020 (AB.2020. 00061) beantragt die Ausgleichskasse Folgendes:
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"1. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. September 2020 sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 3. März 2020 sei mit Bezug auf die Qualifikation von Uber Switzerland GmbH als Betriebsstätte von Rasier Operations B.V. sowie die damit zusammenhängende Beitragspflicht von Uber Switzerland GmbH zusammen mit Rasier Operations B.V. zu bestätigen.
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(...)"
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 4 | |
4.1 Die Vorinstanz erwog, der von der Ausgleichskasse im Dispositiv des Einspracheentscheids vom 3. März 2020 gemachten Feststellung, wonach die Beschwerdegegnerin eine Betriebsstätte der Rasier Operations B.V. sei, komme keine selbstständige Bedeutung zu, da diese Feststellung in der Leistungsforderung (die Beschwerdegegnerin als Adressatin einer Leistungsverfügung) vollumfänglich aufgehe. Das kantonale Gericht verneinte die Qualifikation der Beschwerdegegnerin als Betriebsstätte der Rasier Operations B.V. und kam zum Schluss, damit entfalle ohne Weiteres das Fundament der Forderung der Ausgleichskasse gegenüber der Beschwerdegegnerin. Die Vorinstanz wies auf die generelle Pflicht des Arbeitgebers zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen hin. Sie erkannte einerseits, dass die Beschwerdegegnerin keine Beitragspflicht treffe, da sie nicht Arbeitgeberin sei und anderseits, dass die Beschwerdegegnerin als eigenständige Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht für die allenfalls von der Rasier Operations B.V. geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge haften würde, selbst wenn sie eine Betriebsstätte der Rasier Operations B.V. wäre.
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Erwägung 6 | |
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Keine Abweichung von dieser arbeitgeberseitigen Verpflichtung gilt, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung getroffen haben, in welchem Falle der Arbeitgeber sämtliche Beiträge zu seinen Lasten übernimmt. Eine Abweichung besteht lediglich darin, dass der Arbeitnehmer nicht zu dulden hat, dass ihm die Hälfte der geschuldeten Beiträge vom Lohn abgezogen wird ( BGE 139 V 50 E. 4.2.2 S. 54).
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Erwägung 6.2 | |
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6.2.2 Ausgangspunkt der Gesetzesauslegung ist der Wortlaut einer Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist er klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, darf vom Wortlaut nur abgewichen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am "wahren Sinn" der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können Entstehungsgeschichte der Bestimmung (historisch), ihr Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften (systematisch) geben, so namentlich, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann ( BGE 145 V 289 E. 4.1 S. 295 f.; BGE 144 V 327 E. 3 S. 331; BGE 142 V 402 E. 4.1 S. 404 f.; je mit Hinweisen; Urteil 9C_659/2018 vom 9. April 2019 E. 4.2.1, in: SVR 2019 BVG Nr. 40 S. 158).
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Gemäss Botschaft des Bundesrates vom 24. Mai 1946 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (BBl 1946 II 525) bestimmt Art. 12 AHVG, wer zur Bezahlung der Arbeitgeberbeiträge verpflichtet ist. Es sind dies die natürlichen und juristischen Personen, welche beitragspflichtige Versicherte beschäftigen und entlöhnen, sofern sich ihr Betrieb oder ihr Zweigbetrieb auf schweizerischem Territorium befindet. Voraussetzung für die Beitragspflicht eines Arbeitgebers ist, dass das von ihm einem Versicherten bezahlte Entgelt gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG als Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit gilt. Die Befreiung von der Pflicht zur Entrichtung von Arbeitgeberbeiträgen wird ausdrücklich vorbehalten für Personen, die aus völkerrechtlichen Gründen der Beitragspflicht nicht unterstellt werden können oder aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen von der Beitragspflicht auszunehmen sind. Die Angestellten solcher Arbeitgeber haben grundsätzlich den Arbeitgeberbeitrag selbst zu bezahlen (vgl. Art. 6 AHVG). Diesen Vorschlag des Bundesrates verabschiedete das Parlament diskussionslos. Gerade im Nationalrat betonte der damalige Berichterstatter, Art. 12 definiere "nur", wer beitragspflichtiger Arbeitgeber sei, was unter anderem eine Betriebsstätte in der Schweiz voraussetze (Sten.Bull. 1946 N 540). Auch die Ausgleichskasse selber verweist auf die Botschaft (BBl 1946 II 385) und bringt vor, daraus erhelle, dass auch ausländische Arbeitgeber mit einer Betriebsstätte in der Schweiz der Beitragspflicht unterliegen sollten. Die Ausgleichskasse hält fest: "Es ging demnach schon damals darum, die Abrechnung und Geltendmachung von Lohnbeiträgen auch bei einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber zu ermöglichen (...)".
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Erwägung 7 | |
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Erwägung 7.2 | |
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Der Schluss von STEPHANIE PURTSCHERT HESS (Die Bedeutung der Betriebsstätte im Sozialversicherungsrecht, SZS 2013 S. 551), wonach eine schweizerische Betriebsstätte eines ausländischen Arbeitgebers einem Schweizer Arbeitgeber gleichgestellt sei (a.a.O., S. 552), ist nicht weiter begründet. Darüber hinaus fehlt es an einer Differenzierung: Ihre Aussage ist insoweit nicht in Frage zu stellen, als es um die (eigenen) Arbeitnehmer einer Betriebsstätte geht, was hier nicht zur Diskussion steht (vgl. E. 7.1 vorne). Im Übrigen hält auch PURTSCHERT HESS ausdrücklich fest (a.a.O., S. 558), dass sich durch den Bestand einer Betriebsstätte nichts an der Beitragspflicht ändere und die Beiträge durch den Arbeitgeber abzurechnen seien.
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Ebenso wenig untermauert HANSPETER KÄSER (Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl. 1996, S. 248 Rz. 12.12) seine Ausführungen, dass entweder die in der Schweiz gelegene Betriebsstätte oder, falls eine solche fehle, der Arbeitnehmer selber Beitragssubjekt (im Sinne von Art. 6 AHVG) sei, näher. Dass eine Betriebsstätte für ihre (eigenen) Arbeitnehmer Beitragssubjekt ist, wird hier, wie bereits gesagt, nicht in Abrede gestellt.
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Eine vertiefte Auseinandersetzung mit Art. 12 Abs. 2 AHVG fehlt auch in der Publikation von KURT PÄRLI (Gutachten "Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Fragen bei Uber Taxifahrer/innen", Bern und Basel, 10. Juli 2016, S. 25 f. Rz. 86 ff.). Er hält fest, die Beschwerdegegnerin sei eine Betriebsstätte und nimmt ohne weitere Begründung an, dass diese als beitragspflichtige Arbeitgeberin gelte. Zudem scheint er die Uber-Fahrer als Arbeitnehmer der Betriebsstätte zu qualifizieren, was in Bezug auf die hier im Vordergrund stehenden UberPop-Fahrer nicht zutrifft (vgl. E. 7.1 vorne).
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7.2.3 Das von der Ausgleichskasse angerufene Urteil 9C_250/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 1.3.2, in: SVR 2018 AHV Nr. 4 S. 9, ist hier nicht einschlägig, da die genannte Erwägung weder für den Ausgang des dortigen Verfahrens entscheidend war noch eine abschliessende Beurteilung in Bezug auf Art. 12 Abs. 2 AHVG enthält. Das Urteil verweist in Erwägung 1.3.2 auf BGE 114 V 65 E. 3a S. 70 und EVGE 1960 S. 304 E. 2. In beiden zitierten Entscheiden wurde ausgeführt, dass gemäss Art. 12 Abs. 2 AHVG alle Arbeitgeber beitragspflichtig seien, die in der Schweiz eine Betriebsstätte hätten. Sollte dem Urteil 9C_250/2017 E. 1.3.2 etwas anderes entnommen werden können, ist daran nicht festzuhalten.
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