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38. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_721/2020 vom 15. Juni 2021 | |
Regeste |
Art. 8 Abs. 1 lit. e, Art. 13 Abs. 1 und 3 AVIG; Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV; Beitragszeit vorzeitig Pensionierter. | |
Sachverhalt | |
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B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die vom Versicherten dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 23. September 2020 ab.
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C. A. lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids sowie die Feststellung beantragen, dass er die Beitragszeit und damit die Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung erfülle.
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Die Arbeitslosenkasse schliesst - unter Verzicht auf eine inhaltliche Stellungnahme - auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) lässt sich auf besondere Aufforderung hin vernehmen und beantragt die Beschwerdegutheissung.
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 3 | |
3.1 Als eine neben sechs weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung verlangt Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG (SR 837.0) die Erfüllung der Beitragszeit oder das Vorliegen eines diesbezüglichen Befreiungsgrundes. Gemäss Art. 13 Abs. 1 AVIG hat die Beitragszeit erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen ![]() ![]() | 6 |
In diesem Sinne schreibt der Verordnungsgeber in Art. 12 Abs. 1 AVIV (SR 837.02) vor, dass Versicherten, die vor Erreichung des Rentenalters der AHV pensioniert worden sind, nur jene beitragspflichtige Beschäftigung als Beitragszeit angerechnet wird, die sie nach der Pensionierung ausgeübt haben. Nach Art. 12 Abs. 2 AVIV gilt Abs. 1 nicht, wenn der Versicherte:
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a. aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von zwingenden Regelungen im Rahmen der beruflichen Vorsorge vorzeitig pensioniert wurde und
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b. einen Anspruch auf Altersleistungen erwirbt, der geringer ist als die Entschädigung, die ihm nach Art. 22 AVIG zustünde.
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Erwägung 4 | |
4.1 Das kantonale Gericht hat anhand der Akten festgestellt, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis wegen der "Teamdynamik" aufgelöst habe. Ergänzend dazu kann festgehalten werden, dass sich weder dem Kündigungsschreiben vom 14. August 2018 mit Wirkung per 31. Juli 2019 noch einer gleichentags von beiden Parteien unterzeichneten Vereinbarung betreffend Kündigungsfolgen Angaben zu den Gründen entnehmen lassen. Letztere sieht die sofortige Freistellung, bei gleichzeitiger Lohnzahlung, sowie zur gütlichen Einigung eine pauschale Entschädigung (gemäss Art. 336 OR, aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht) von Fr. 45'000.- zugunsten des Beschwerdeführers vor. Nach Würdigung der Beweislage und der Vorbringen des Beschwerdeführers ist die Vorinstanz zum Schluss gelangt, dass nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen auszugehen und damit der erste Halbsatz von Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV nicht erfüllt sei. Der Beschwerdeführer erwähne selber, dass im Februar 2018 Vorwürfe gegen ihn laut geworden seien und danach zwei Treffen mit einem Mediator stattgefunden hätten. Demnach habe es offensichtlich Unstimmigkeiten am Arbeitsplatz gegeben, die möglicherweise zur Entlassung geführt hätten. Eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen werde weder durch die Nichteinhaltung schulinterner Verfahren nachgewiesen noch durch die allfällige Verletzung der Fürsorgepflicht seitens der Arbeitgeberin, doch hätte dies oder jenes die Missbräuchlichkeit der Kündigung begründen können. Damit sei auch aus der entsprechenden Entschädigung nicht auf eine wirtschaftlich bedingte Entlassung zu schliessen. Ebenso wenig lasse sich derlei mit den Stellungnahmen ehemaliger Arbeitskollegen nachweisen, die bloss belegten, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer geschätzt hätten, und das ihm wohl vorgeworfene Verhalten nicht bestätigen könnten. Aus einem anderen Schreiben folge zudem, dass es im Lehrerteam zu Auseinandersetzungen gekommen ![]() ![]() | 13 |
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Erwägung 5 | |
5.1 Nachdem das kantonale Gericht zum Schluss gelangt war, dass die Entlassung des Beschwerdeführers nicht durch wirtschaftliche Gründe bedingt war, erkannte es weiter, dass seine vorzeitige ![]() ![]() | 15 |
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Ob nunmehr Anlass zu einer solchen Änderung besteht, bleibt nachstehend zu prüfen.
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5.4.1 Demgemäss bezweckt Art. 12 AVIV, Personen in einem festen Anstellungsverhältnis davon abzuhalten, ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen, um dadurch neben der Altersleistung der beruflichen Vorsorge auch noch Arbeitslosenentschädigung zu erlangen (vgl. auch NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2331 Rz. 225). Ein solches Vorhaben soll nicht schlechthin verunmöglicht (vgl. bereits BGE 123 V 142 E. 4b), aber doch dadurch erschwert werden, dass die bisherige Beitragszeit nicht angerechnet wird, sondern die Beitragszeit nach der Pensionierung neu zu laufen beginnt. Der gleichzeitige Bezug von Altersleistungen soll daher nur solchen Personen offenstehen, die vermittlungsfähig, das heisst wirklich bereit und auch in der Lage sind, zumutbare Arbeit anzunehmen (Art. 15 Abs. 1 AVIG). Dass die Verordnung darauf abzielen und den gleichzeitigen ![]() ![]() | 20 |
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5.4.3 In diesem Sinne schliesst die seit nunmehr rund 20 Jahren gefestigte Rechtsprechung ausnahmslos jene Versicherten vom Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 AVIV aus, die das Arbeitsverhältnis von sich aus auflösen (vgl. BGE 129 V 327 E. 3.1). Dazu werden auch diejenigen Fälle gezählt, in denen das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvereinbarung ("im gegenseitigen Einvernehmen") beendet wird. Der so gegebenen Freiwilligkeit tut keinen ![]() ![]() | 22 |
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Erwägung 5.5 | |
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5.5.2.1 In diesem Sinne lautet die Weisung der SECO AVIG-Praxis ALE Rz. B177 in der seit Oktober 2012 geltenden Fassung wörtlich wie folgt:
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Entscheidende Kriterien für die Anwendung dieser Beitragszeitregelung sind die Unfreiwilligkeit des vorzeitigen Altersrücktrittes und der damit verbundene Bezug von Altersleistungen der beruflichen Vorsorge. Unfreiwilligkeit ist immer dann anzunehmen, wenn die versicherte Person an ihrer Arbeitsstelle bleiben möchte, dies aber nicht tun kann, weil sie aus wirtschaftlichen oder aus anderen unverschuldeten Gründen entlassen wurde und eine Altersleistung der beruflichen Vorsorge bezieht.
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Und unter ALE Rz. B178 heisst es:
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Löst der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen auf und macht die versicherte Person von der ihr im Vorsorgereglement eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Ausrichtung einer Altersleistung zu verlangen, ist dieser Sachverhalt als unfreiwillige vorzeitige Pensionierung zu qualifizieren.
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Ebenfalls von einer unfreiwilligen vorzeitigen Pensionierung ist auszugehen, wenn die versicherte Person im Laufe der Rahmenfrist für den Leistungsbezug die Ausrichtung einer Altersleistung verlangt.
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5.5.2.2 Verwaltungsweisungen wie die SECO AVIG-Praxis richten sich grundsätzlich nur an die Durchführungsstellen und sind für die Gerichte nicht verbindlich. Indessen werden sie von diesen berücksichtigt, indem sie insbesondere dann nicht ohne triftigen Grund davon abweichen, wenn die Weisungen eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen und eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben enthalten. Dadurch wird dem Bestreben der Verwaltung Rechnung getragen, mittels interner Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten (vgl. BGE 140 V 543 E. 3.2.2.1; BGE 138 V 346 E. 6.2; BGE 137 V 1 E. 5.2.3; Urteil 9C_174/ 2020 vom 2. November 2020 E. 7.3.2; je mit Hinweisen).
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Erwägung 5.5.3 | |
5.5.3.1 Vorab ist festzuhalten, dass sich mit der auf den 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Novelle des Art. 2 Abs. 1bis FZG (vgl. E. 3.2 ![]() ![]() | 32 |
Eine solche Wahlmöglichkeit hatte es nach der zuvor geltenden Gesetzeslage rechtsprechungsgemäss gerade nicht gegeben, dies ungeachtet der Absicht der Versicherten, anderweitig erwerbstätig zu sein (vgl. BGE 120 V 306 sowie - bezüglich FZG - BGE 129 V 381 ). Dies wirkte sich in ALV-rechtlicher Hinsicht insbesondere für diejenigen Versicherten nachteilig aus, die gegen ihren Willen entlassen und damit vorzeitig pensioniert wurden, ohne dass dies aus wirtschaftlichen oder aus zwingenden vorsorgerechtlichen Gründen erfolgt wäre. Denn es führte dazu, dass sie alternativlos direkt unter Art. 12 Abs. 1 AVIV fielen, obwohl ihre vorzeitige Pensionierung genauso unfreiwillig war wie diejenige der von Abs. 2 lit. a erfassten Versicherten. Damit wurden sie, und dies ohne jede Wahl hinsichtlich Bestandes des Arbeitsverhältnisses oder vorzeitiger Pensionierung, genau gleich behandelt wie diejenigen, die ihre vorzeitige Pensionierung insofern freiwillig wählten, als sie von sich aus gekündigt oder in die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eingewilligt hatten. Die bisherige Rechtsprechung brachte dies mit der Formel zum Ausdruck, dass nicht jede Kündigung, die ohne Wahlmöglichkeit der versicherten Person die vorzeitige Pensionierung auslöse, unter Art. 12 Abs. 2 AVIV falle (Urteil 8C_708/2008 vom 5. März 2009 E. 3.3; bereits BGE 126 V 393 E. 3b/bb und nunmehr BGE 144 V 42 E. 3.2 sowie Urteil 8C_59/2018 vom 19. Juli 2018 E. 5.2.3).
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5.5.3.2 Anders liegt der Fall des Beschwerdeführers: Für ihn gab es diese Wahlmöglichkeit, womit er nicht unter die zuletzt genannte Kategorie fällt. Denn analog zur Sachlage, wie sie dem in BGE 144 V 42 auszugsweise veröffentlichten Urteil 8C_465/2017 vom 12. Januar 2018 zugrunde lag (vgl. E. 4.2.2, in: SVR 2018 ALV Nr. 1 S. 1), hat er sich laut bereits erwähnter und verbindlicher vorinstanzlicher Feststellung nicht für die Austritts-, sondern für den Bezug der Altersleistung, mithin zumindest im rechtlichen Sinne eben "freiwillig" für die vorzeitige Pensionierung entschieden. Insofern ![]() ![]() | 34 |
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5.5.4.1 Ausgangspunkt der Gesetzesauslegung ist der Wortlaut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist er klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, darf vom Wortlaut nur abgewichen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am "wahren Sinn" der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (historisch), ihr Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang mit andern Vorschriften (systematisch) geben, so namentlich, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann ( BGE 145 V 57 E. 9.1; BGE 142 V 402 E. 4.1 mit Hinweis; Urteil 9C_241/2019 vom 3. Juli 2019 E. 5.2).
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5.5.4.2 Soweit sich der Beschwerdeführer am Verordnungswortlaut orientiert und der Rechtsprechung vorwirft, Entlassungs- und Pensionierungsgrund miteinander zu vermischen, vermag er daraus nichts für sich abzuleiten. Wohl trifft es zu, dass nach vereinzelten bundesgerichtlichen Urteilen die Anwendung von Art. 12 Abs. 2 AVIV auf "wirtschaftliche Kündigungsgründe" sowie auf zwingenden berufsvorsorgerechtliche Regelungen beschränkt sei (vgl. insbesondere die Urteile 8C_839/2009 vom 19. Februar 2010 E. 3.4 sowie 8C_525/2012 vom 16. November 2012 E. 3.3), was sich insofern nicht vollständig mit dem Verordnungswortlaut deckt, als sich nach diesem die wirtschaftlichen Gründe nicht auf die Kündigung oder Entlassung, sondern auf die vorzeitige Pensionierung beziehen. Diese Inkongruenz erklärt sich jedoch durch die Sache selbst. Denn Arbeits- und Vorsorgeverhältnis sind, obwohl nicht identisch und keinesfalls gleichzusetzen, aufs engste miteinander verknüpft, indem letzteres (unter anderem) mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses beendet wird (vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. b BVG [SR 831.40]; BGE 120 V 15 E. 2a; analog für die weitergehende Vorsorge vgl. BGE 115 V 27 E. 5; vgl. allgemein JÜRG BRECHBÜHL, in: BVG und FZG, 2010, N. 8, 10, 16 zu Art. 10 BVG). Und wenn die Auflösung des ![]() ![]() | 37 |
5.5.4.3 Zum andern hält der Beschwerdeführer dafür, es gehe zu weit, im Rahmen von Art. 12 Abs. 2 AVIV einzig Arbeitgeberkündigungen aus "wirtschaftlichen Gründen" zu berücksichtigen. Es gebe keine Rechtfertigung, diese gegenüber anderen Kündigungen seitens des Arbeitgebers zu privilegieren. Insofern liege - sofern die Rechtsprechung weitergeführt werde - eine willkürliche und rechtsungleiche Behandlung vor.
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Der Beschwerdeführer vermag sich - wie gezeigt - für seine Sicht, die auf eine erweiterte Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV abzielt, immerhin auf die auch von RUBIN befürwortete AVIG-Praxis ALE Rz. B177 zu stützen, die laut Stellungnahme des SECO seit sicherlich mindestens zehn Jahren im Wortlaut unverändert gelte. Indem sie Unfreiwilligkeit der vorzeitigen Pensionierung und damit die Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV stets dann annimmt, wenn die versicherte Person an ihrer Arbeitsstelle bleiben möchte, dies aber nicht tun kann, weil sie aus wirtschaftlichen "oder aus anderen unverschuldeten Gründen" entlassen wurde und eine Altersleistung der beruflichen Vorsorge bezieht, stösst sie freilich in grammatikalischer Hinsicht an ihre Grenzen. Denn nebst den zwingenden Regelungen im Rahmen der beruflichen Vorsorge führt Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV in allen Amtssprachen unmissverständlich allein die wirtschaftlichen Gründen ("... des raisons d'ordre économique..."; "... per motivi economici...") an. Und genau diesem Verordnungswortlaut hat die bisherige Rechtsprechung entscheidende Bedeutung beigemessen (vgl. bereits BGE 126 V 393 E. 3b/bb; noch expliziter: BGE 144 V 42 E. 3.2; Urteile 8C_708/2008 vom 5. März 2009 E. 3.3 sowie 8C_839/2009 vom 19. Februar 2010 E. 3.4). ![]() | 39 |
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5.5.5.1 Der Umstand, dass die Aufsichtsbehörde selbst eine Praxis befürwortet, die über den aktuellen Verordnungswortlaut hinausgeht, zeigt zunächst, dass aus Sicht der praktischen Durchführbarkeit keine namhaften Hindernisse zu bestehen scheinen. Zwar trifft es zu, dass die in Abs. 2 lit. a von Art. 12 AVIV explizit genannten Gründe objektiver Art sind, die mithin von der betroffenen Person unabhängig bestehen, wie dies etwa bei wirtschaftlichen Gründen in Gestalt von Absatzschwierigkeiten, Strukturveränderungen, Rationalisierungsmassnahmen oder Fusionen und dergleichen der Fall ist (vgl. GERHARD GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], Bd. I [Art. 1-58], 1988, N. 38 zu Art. 13 AVIG). Demgegenüber gelangt mit der von der Verwaltungspraxis als massgeblich erachteten "Entlassung aus (anderen) unverschuldeten Gründen" (vgl. E. 5.5.2.1 und 5.5.4.3) im Vergleich zur bisherigen wortlautgetreuen Auslegung eine subjektive Komponente ins Spiel (vgl. BGE 129 V 327 E. 4.6; Urteil 8C_839/2009 vom 19. Februar 2010 E. 3.4). Die Abklärung solcher subjektiver Verhältnisse, namentlich auch von Verschuldensaspekten mögen fallweise entsprechenden Aufwand nach sich ziehen. Dies wird von der Aufsichtsbehörde jedoch nicht als Hindernisgrund betrachtet und ist im Übrigen dem AVIG auch in anderem Zusammenhang (vgl. Art. 30 Abs. 1 lit. a und g; Art. 41 Abs. 5; Art. 71b Abs. 1 lit. a) keineswegs fremd.
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5.5.5.2 Was die Rückkoppelung an das höherrangige Gesetz angeht (Art. 13 Abs. 3 AVIG), das den Doppelbezug von Arbeitslosenentschädigung und Altersleistungen der beruflichen Vorsorge ohne Nachweis der Vermittlungsfähigkeit und -bereitschaft verhindern soll ( BGE 126 V 393 E. 3b/bb), wird eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Ausnahmebestimmung gemäss Art. 12 Abs. 2 AVIV im hier diskutierten Sinn zu einer Zunahme der Zahl solcher Doppelbezüge führen. Das geht indessen nicht unweigerlich mit mehr ungerechtfertigten Doppelbezügen und damit nicht zwingend mit einer Gefährdung des Gesetzeszwecks einher. Zum einen versteht sich von selbst, dass die Versicherten auch in solchen Konstellationen ihre Vermittlungsfähigkeit und -bereitschaft (Art. 15 f. AVIG) mit entsprechenden Bemühungen im Rahmen der Kontrollvorschriften zu belegen haben werden (Art. 17 AVIG). Zum andern lässt sich dem auch begegnen, indem die Grenze auf Stufe Verordnungsrecht s ![]() ![]() | 42 |
5.5.5.3 Auf der anderen Seite hat die bisherige Rechtsprechung wenigstens sinngemäss zum Ausdruck gebracht, dass der Normzweck im Wortlaut nur unzulänglich oder unvollständig abgebildet wird. Denn anders lässt sich nicht begründen, weshalb in diesem Zusammenhang seit BGE 126 V 393 E. 3a immer wieder der Aspekt der (Un-)Freiwilligkeit herausgestrichen wurde. Diese gelangt grammatikalisch zwar zum Ausdruck, jedoch wird von einem Fächer möglicher Gründe nur ein sehr beschränkter Ausschnitt erfasst. Dabei lässt sich in der Tat nicht ersehen, weshalb bei einer Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen die vor der vorzeitigen Pensionierung zurückgelegte Beitragszeit anrechenbar sein soll, nicht aber bei einer anderweitig begründeten Entlassung, die genauso unfreiwillig erfolgt. Solche Entlassungen können zwar erfahrungsgemäss auch provoziert werden (vgl. BGE 126 V 393 E. 3b/bb), doch lässt sich dem in den überwiegenden Fällen begegnen, indem die verschuldeten Entlassungen vom Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 AVIV ausgenommen werden.
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5.5.5.4 Mit der bereits angetönten (Un-)Gleichbehandlung gelangt auch der Verfassungsbezug zur Sprache: Der Beschwerdeführer verweist zu Recht darauf, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht bei der seinerzeitigen Prüfung der Gesetz- und Verfassungsmässigkeit von Art. 12 AVIV der Frage nicht nachgegangen war, ob die Privilegierung wirtschaftlicher Entlassungsgründe im Vergleich zu Entlassungen aus anderen Gründen vor dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) und dem Willkürverbot (Art. 9 BV) standhält.
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5.5.5.4.1 Hingegen hat es dies bezogen auf das für die Anwendung von Abs. 1 des Art. 12 AVIV massgebende Kriterium der Freiwilligkeit der Pensionierung bejaht, und zwar für den Fall, wo sich ![]() ![]() | 45 |
5.5.5.4.2 Die dem Wortlaut verhaftete Anwendung von Art. 12 Abs. 2 lit. a AVIV führt in der Tat zu einer Privilegierung des aus wirtschaftlichen Gründen Entlassenen bzw. vorzeitig Pensionierten. Eine solche Privilegierung lag auch in der Vergangenheit vor. Doch nunmehr lässt sie sich bei diesfalls gegebener Wahlmöglichkeit von vornherein nicht mehr mit den in BGE 129 V 327 E. 4.6 S. 334 angestellten Überlegungen rechtfertigen, wonach die Wahl einer Altersleistung immerhin ein Indiz für die Absicht darstelle, sich aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen. Dass eine andere Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung anzuführen wäre, lässt sich nicht ersehen.
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Erwägung 6 | |
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6.3 Somit fällt im vorliegenden Fall die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 AVIV ausser Betracht, womit der Beschwerdeführer das Erfordernis der zwölfmonatigen Beitragszeit (Art. 8 Abs. 1 lit. e und Art. 13 Abs. 1 AVIG) erfüllt. Für die Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen und die Bemessung einer allfälligen Arbeitslosenentschädigung ist die Sache in teilweiser Gutheissung der Beschwerde an die Verwaltung zurückzuweisen. ![]() | 53 |
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