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47. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Verein A. gegen Stadt Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_625/2020 vom 10. September 2021 | |
Regeste |
Art. 25a Abs. 5, Art. 32 Abs. 1 KVG; Restfinanzierung von Pflegekosten; Wirtschaftlichkeit. |
Im konkreten Fall: Keine willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts durch die Vorinstanz, welche die Tariffestsetzung durch die Restfinanziererin schützte, die nach konkreter Wirtschaftlichkeitsprüfung vom durch den Leistungserbringer errechneten Vollkostentarif abwich. Keine Verletzung von Bundes(verfassungs)recht (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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B. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 21. August 2020 ab.
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C. Der Verein A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, es sei das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und für die Leistungen des Pflegeheims B. im Jahre 2019 ein Pflegeminutentarif von Fr. 1.33 festzusetzen. Eventualiter sei die Sache zur Festsetzung eines Pflegeminutentarifs für das Jahr 2019 an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
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Die Stadt Luzern beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten; eventualiter sei diese abzuweisen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Art. 25a Abs. 5 Satz 2 KVG überträgt den Kantonen die Ausgestaltung der konkreten Modalitäten der Restfinanzierung ("Die Kantone regeln die Restfinanzierung", bzw. in den französischen und italienischen Sprachfassungen: "Les cantons règlent le financement résiduel"; "I Cantoni disciplinano il finanziamento residuo"). Dies ändert indes nichts daran, dass der grundsätzliche Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Pflegekosten durch die öffentliche Hand (Kanton oder - aufgrund kantonaler Delegation - Gemeinden) ![]() ![]() | 7 |
4.1 Im KVG statuiert Art. 32 Abs. 1 ein allgemein geltendes Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Rechtsprechung hat dazu im Zusammenhang mit der Restfinanzierung festgehalten, es sei "die Aufgabe der Kantone, welchen die Restfinanzierung für die Pflegekosten obliegt, die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben sicherzustellen, allenfalls in Form von Tarifvorschriften, [...]". Seien diese "im Einzelfall jedoch nicht kostendeckend, erweisen sie sich als mit der Regelung von Art. 25a Abs. 5 Satz 2 KVG nicht vereinbar." ( BGE 144 V 280 E. 7.4.3; zur Bedarfsermittlung, die ebenfalls eine Facette der Wirtschaftlichkeitsprüfung bildet, vgl. BGE 144 V 280 E. 6.2 und 7.4.4.2). Das ist zu präzisieren wie folgt: Der Leistungserbringer hat von Bundesrechts wegen keinen Anspruch auf Entschädigung seiner Vollkosten unbesehen der Wirtschaftlichkeit. Das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (Art. 32 Abs. 1 KVG) limitiert einerseits den zu deckenden Pflegebedarf (vgl. zur Pflegebedarfsermittlung aktuell Art. 8a ff. KLV [SR 832.112.31]; bis 31. Dezember 2019 aArt. 8 KLV; vgl. ausserdem BGE 144 V 280 E. 7.4.4.2). Anderseits verlangt es, dass der ermittelte Bedarf möglichst kostengünstig gedeckt wird. Das Erfordernis der Wirtschaftlichkeit begrenzt zum vornherein den Umfang der versicherten Leistungen. Sämtliche der im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung involvierten Akteure haben zu gewährleisten, dass das Ziel von Art. 32 KVG, nämlich die Sicherstellung einer effizienten, qualitativ hochstehenden und zweckmässigen Gesundheitsversorgung zu möglichst günstigen Konditionen, erreicht wird (SVR 2017 KV Nr. 13 S. 59, 9C_176/2016 E. 6.2.1; vgl. analog auch den Wortlaut des Art. 43 Abs. 6 KVG, der so die Wirtschaftlichkeit definiert). Vor diesem - bundesrechtlichen - Hintergrund ist die Freiheit des kantonalen Gesetzgebers zu verstehen, Tarife, Höchstpreise oder Fallpauschalen vorzusehen, um auf die Kosten der Bedarfsdeckung mässigend einzuwirken (vgl. BGE 144 V 280 E. 7.4.3; BGE 142 V 94 E. 5.1; Urteil 2C_727/2011 vom 19. April 2012 E. 6.3.1, nicht publ. in: BGE 138 II 191 ). ![]() ![]() | 8 |
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5. Konkret berechnet sich der Restfinanzierungsbeitrag im Kanton Luzern - ausgehend vom anwendbaren, hier strittigen, Pflegeminutentarif - wie folgt: Zunächst wird der Pflegeminutentarif (z.B.: Fr. 1.33) multipliziert mit dem durchschnittlichen Minutenaufwand der ![]() ![]() | 10 |
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5.2 Weiter rügt der Beschwerdeführer die vorgenommene Wirtschaftlichkeitsprüfung bereits dem Grundsatz nach als unvereinbar mit Art. 25a Abs. 5 KVG, was das Bundesgericht mit freier Kognition prüft ( BGE 142 V 94 E. 1.3 und 2 Ingress). Damit dringt er nicht durch: Nach dem Gesagten (oben E. 4.1) verschafft Art. 25a Abs. 5 KVG entgegen seiner Auffassung keinen unbeschränkten Anspruch auf Deckung der Vollkosten, sondern verpflichtet das Gemeinwesen zur Übernahme der Restkosten nur insoweit, als diesen eine wirtschaftliche Leistungserbringung zugrunde liegt. Der Kanton Luzern unterwirft - wie aus E. 4.2 hiervor sowie der vorinstanzlichen ![]() ![]() | 12 |
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5.3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, ein realer Kostenanstieg habe entgegen der Vorinstanz (vgl. deren Erwägung 6) nicht stattgefunden. Die Gesamtkosten seien zufolge einer Darstellungskorrektur in der Kostenrechnung angestiegen. Dies sei für die Kosten im Bereich Pflege und Betreuung, die für die Tarifermittlung relevant seien, weder im Jahr 2017 noch in den Vorjahren massgeblich gewesen. Damit dringt er nicht durch. Inwiefern ein Anstieg der Gesamtkosten - die, soweit nicht direkt einer Hauptkostenstelle (etwa: 110 Pflege und Betreuung) zugewiesen, grundsätzlich auf diese umgelegt werden (vgl. Kostenrechnung 2017) - auf die Höhe der ausgewiesenen Pflege- und Betreuungskosten keinen Einfluss haben soll, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Dies leuchtet - mit der Beschwerdegegnerin - auch nicht ein. Selbst wenn aber hinsichtlich der behaupteten Unmassgeblichkeit der Darstellungskorrektur für die Ermittlung der Kosten dem Beschwerdeführer gefolgt würde, könnte er daraus für seinen Standpunkt nichts ableiten: Hätten die Gesamtkosten keinen Einfluss auf die massgeblichen Pflege- und Betreuungskosten, vermöchte ihr Anstieg den geltend gemachten höheren Pflegeminutentarif zum vornherein nicht zu rechtfertigen. ![]() ![]() | 14 |
5.3.2 Mit seiner Auffassung, ein höherer KLV-Schlüssel bedeute einen vermehrten Einsatz von Pflegepersonal für tatsächliche Pflegeleistungen, vermag der Beschwerdeführer die gegenteilige vorinstanzliche Feststellung nicht als offensichtlich unrichtig erscheinen zu lassen. Das kantonale Gericht stellte fest, der KLV-Schlüssel werde in zwei Schritten berechnet. Zunächst werde auf der Zeitebene das Verhältnis zwischen der Gesamtheit der Einsatzstunden des Pflege- und Betreuungsteams und den abrechenbaren Pflegestunden nach KLV gemäss jeweiliger Einstufung ermittelt (z.B. resultiert bei total 100 Einsatzstunden des Pflege- und Betreuungsteams und 60 abrechenbaren Pflegestunden ein Zeitschlüssel von 60). Danach werde in einem zweiten Schritt anhand einer Formel der "Grade-and-Skill-Mix" des Betriebs festgelegt. Dabei wird konkret der Anteil der Löhne des Fachpersonals an den totalen Kosten der Kostenstelle ermittelt und zum Zeitfaktor dazugeschlagen, womit den höheren Kosten für Fachpersonal Rechnung getragen wird. Der Schlüssel für die KLV-Leistungen (KLV-Schlüssel) als Umlageschlüssel für den Besoldungsaufwand des Pflege- und Betreuungspersonals auf die Kostenträger Betreuung und Pflege ergibt sich mithin aus der Zusammenrechnung des Zeitfaktors (welcher Anteil der Arbeitsstunden des Pflege- und Betreuungspersonals kann als KLV-pflichtig abgerechnet werden) und einem Zuschlag bzw. Korrekturfaktor für ![]() ![]() | 15 |
Der Beschwerdeführer bezieht den KLV-Schlüssel augenscheinlich einzig auf die Lohnkosten des Pflegepersonals (und verwechselt diesen mithin mit dem Grade-and-Skill-Mix als dessen Teilelement, das vom Anteil des Fachpersonals am Pflegepersonal abhängt), statt richtig auf die gesamten Besoldungskosten des Pflege- und Betreuungspersonals. Wird der KLV-Schlüssel richtig auf diese letztere Grösse bezogen, erhellt, dass bei vermehrtem Einsatz des Pflegepersonals für Pflegeleistungen (statt nicht KLV-pflichtiger Betreuungsleistungen) grundsätzlich entweder (bei steigendem Bedarf an Pflegeleistungen) die Zahl der abrechenbaren Pflegeminuten steigen oder (bei konstant bleibendem oder sinkendem Bedarf an Pflegeleistungen) der Anteil der vom Pflegepersonal gearbeiteten Stunden an der Gesamtheit der Einsatzstunden des Pflege- und Betreuungsteams sinken müsste, da die bisher von diesem erbrachten Betreuungsleistungen von weniger qualifiziertem Personal erbracht werden müssten. In beiden Fällen bliebe der KLV-Schlüssel konstant oder würde sinken, jedenfalls nicht steigen. Auch diesbezüglich hat es mithin bei den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen sein Bewenden.
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5.4.1 Weder ersichtlich noch substanziiert dargelegt ist zunächst, inwiefern der Verzicht auf einen umfassenden und transparenten Quervergleich der (Stadt-)Luzerner Pflegeheime Resultat einer willkürlichen Anwendung des kantonalen Rechts sein sollte. Dass ein solcher Vergleich im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung zwingend vorzunehmen wäre oder in der Praxis regelmässig vorgenommen würde, lässt sich insbesondere weder § 7 Abs. 2 BPG/LU noch ![]() ![]() | 18 |
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5.4.2.1 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, die Reservationstage hätten keinen Einfluss auf die Berechnung des Pflegeminutentarifs, da sich dieser aus den Gesamtkosten dividiert durch die erbrachten Pflegeminuten ergebe. Der "Divisor der Gesamtkosten" bleibe unverändert. Das bedeutet aber umgekehrt, dass sich die Kosten auf weniger Einheiten (Pflegeminuten) aufteilen als bei höherer Auslastung. Werden die Faktoren für die Umlage der Kosten auf die Pflege unter Miteinrechnung der Reservationstage ermittelt, die so zugeteilten Kosten dann aber auf die nach KLV abrechenbaren ![]() ![]() | 20 |
Die Vorinstanz erachtete nicht einen bestimmten prozentualen Auslastungsgrad per se als indikativ für Unwirtschaftlichkeit, sondern eine ineffiziente Bewirtschaftung der Kapazitäten und personellen Mittel. In diesem Zusammenhang sei die Abwälzung der Kosten für Tage, an denen die Bewohner tatsächlich gar nicht anwesend gewesen seien (etwa: wegen Spitalaufenthalten, Ferien, Wechseln, etc.), auf das Gemeinwesen nicht zulässig. Inwiefern sie damit kantonales Recht willkürlich angewandt oder ausgelegt haben soll, ist nicht ersichtlich.
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5.4.2.2 Zu keinem anderen Ergebnis führt der Verweis des Beschwerdeführers darauf, er habe auf exogene Faktoren wie Spitalaufenthalte, Ferientage oder Leerstände bei Wechseln der Bewohnerschaft keinen Einfluss und könne hierauf auf Ebene des Personalbestands kaum reagieren. Es ist jedenfalls nicht willkürlich, wenn die kantonale Praxis im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung vom Leistungserbringer - dem mit der Vorinstanz grundsätzlich der effiziente Einsatz der personellen Ressourcen obliegt - verlangt, bei der Ermittlung seiner Auslastung Abwesenheitstage der Bewohnerinnen und Bewohner auszuklammern. Ein solches Vorgehen findet seine Rechtfertigung darin, dass Tage, an denen zufolge Abwesenheiten keine Pflegeleistungen zu erbringen sind, bei der Personalplanung aufgrund von (statistischen) Erfahrungswerten und über das Gesamte betrachtet weitestgehend einzuplanen sind, woran die i.d.R. eher kurze Vorankündigung der jeweiligen konkreten Abwesenheiten ![]() ![]() | 22 |
Nicht hinreichend substanziiert (Art. 42 Abs. 2 BGG) ist der Vorwurf, die Vorinstanz habe den tatsächlichen Effekt der Reservationstage auf die Kosten ungenügend abgeklärt und willkürlich eine lineare Kürzung vorgenommen, die etwa Skaleneffekte bei den Personalkosten nicht berücksichtige. Weiterungen dazu erübrigen sich.
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5.4.3 Bezüglich des von der Stadt Luzern vorgenommenen Abzugs unter dem Titel "KLV-Schlüssel" erwog die Vorinstanz, es sei unwirtschaftlich, dass das Pflegeheim B. mehr hochqualifiziertes Personal beschäftige als von den Richtstellenplänen vorgesehen und notwendig. Dies führe zum über den Empfehlungen des Branchenverbandes Curaviva liegenden Grade-and-Skill-Mix (dazu oben E. 5.3.2) von 11 % (Empfehlung: maximal 10 %). Im Sinne des Kontinuitätsgrundsatzes seien zudem Schwankungen und Abweichungen der Kosten und Kennzahlen zu den Vorjahren zu begründen. Das gelte insbesondere für eine Anpassung des Grade-and-Skill-Mix und des KLV-Schlüssels. Dem Beschwerdeführer gelinge es nicht, die Kostensteigerung plausibel zu begründen. Vielmehr beschränke er sich ![]() ![]() | 24 |
Darauf sowie auf das bereits oben in E. 5.3.2 Gesagte kann verwiesen werden. Dass die Stadt Luzern in ihrer Berechnung des durchschnittlichen KLV-Schlüssels vergangener Jahre das Jahr 2017 ausklammerte, ist - entgegen dem Beschwerdeführer - sachlich vertretbar, war doch die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung im Jahr 2017 gerade strittig. Wie die Stadt Luzern richtig darlegt, basierte weiter die Kürzung von 2 % nicht auf dem um 1 % "zu hohen" Grade-and-Skill-Mix, sondern auf der ermittelten Abweichung des KLV-Schlüssels zum Durchschnitt der Vorjahre.
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5.4.5 Was die Überlegungen des Beschwerdeführers zur Ausgleichung der Unterdeckung des Vorjahres und zur Berücksichtigung der Kosten für MiGeL-Produkte in den Jahren 2016 und 2017 betrifft, so geht aus diesen nicht hervor, inwiefern konkret die ![]() ![]() | 27 |
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5.6 Insgesamt vermag der Beschwerdeführer angesichts des Missverhältnisses von steigenden Kosten bei sinkenden Einsatzstunden und nahezu gleichgebliebenen äusseren Umständen - ohne nachvollziehbare Erklärung - nicht aufzuzeigen, inwiefern die Vorinstanz mit der Qualifikation seiner Betriebsführung im (dem Pflegeminutentarif 2019 zugrunde liegenden) Referenzjahr 2017 als unwirtschaftlich in Willkür verfallen sein sollte. Widersprüchlich ist, wenn er - sowohl hinsichtlich der Gesamtkosten als etwa auch bezüglich der Lohnstückkosten oder der Mietkosten - einen relevanten Kostenanstieg in Abrede stellt, gleichzeitig aber einen höheren Pflegeminutentarif fordert. Damit hat es beim Urteil des Kantonsgerichts vom 21. August 2020 sein Bewenden. ![]() | 29 |
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